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In den letzten Jahren zeichnet sich eine Kehrtwende in der Philosophie ab. Seit Kant galt es als ausgemacht, dass wir primär unseren Zugang zu den Dingen untersuchen müssen, da wir die Dinge an sich aus prinzipiellen Gründen nicht erkennen können. Obwohl beinahe niemand Kant im Detail gefolgt ist, hatte sich doch der Eindruck eingestellt, in der Philosophie ginge es um die Sprache, um Zeichen, ums Erkennen, nicht aber um dasjenige, worauf sich solche Systeme richten. Der vorliegende Band dokumentiert eine Wende, die als "Neuer Realismus" bekannt geworden ist und die darin besteht, dass die…mehr

Produktbeschreibung
In den letzten Jahren zeichnet sich eine Kehrtwende in der Philosophie ab. Seit Kant galt es als ausgemacht, dass wir primär unseren Zugang zu den Dingen untersuchen müssen, da wir die Dinge an sich aus prinzipiellen Gründen nicht erkennen können. Obwohl beinahe niemand Kant im Detail gefolgt ist, hatte sich doch der Eindruck eingestellt, in der Philosophie ginge es um die Sprache, um Zeichen, ums Erkennen, nicht aber um dasjenige, worauf sich solche Systeme richten. Der vorliegende Band dokumentiert eine Wende, die als "Neuer Realismus" bekannt geworden ist und die darin besteht, dass die kantische Grundannahme fallen gelassen wird, ohne deswegen in einen naiven Realismus zurückzufallen. Mit Beiträgen u.a. von Jocelyn Benoist, Paul Boghossian, Umberto Eco, Quentin Meillassoux, Hilary Putnam und John Searle.
Autorenporträt
Markus Gabriel, geboren 1980, ist Inhaber des Lehrstuhls für Erkenntnistheorie, Philosophie der Neuzeit und Gegenwart an der Universität Bonn, wo er das Internationale Zentrum für Philosophie NRW und das Center for Science and Thought leitet. Zurzeit ist er Eberhard Berent Goethe Chair an der New York University.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.03.2015

Alles ist wirklich
Der „Neue Realismus“ geht zum Angriff auf die Postmoderne über
Er könne „beim besten Willen“ nicht erkennen, was nun neu sei am „Neuen Realismus“, gibt Umberto Eco gleich am Anfang zu. Dass die Welt unabhängig vom Menschen existiere, sei doch eine uralte Vorstellung, nachzulesen etwa bei Thomas von Aquin: Die Erkenntnis habe der Wirklichkeit zu entsprechen, und nicht umgekehrt.
Aber dann entdeckt Umberto Eco doch etwas Neues am „Neuen Realismus“, jener knapp zwei Jahre alten philosophischen Strömung, über deren Entwicklung nun ein Sammelband Auskunft gibt: „Der Neue Realismus ist ein probates Mittel, um auf die Philosophie des Postmodernismus zu reagieren.“ Dazu sei der „alte“ Realismus nicht in der Lage.
  Postmodernismus, das meint hier vor allem die Idee, der Mensch erschaffe durch Sprache, Gesellschaft und Technik – kurz: Kultur – letztlich eine eigene Wirklichkeit (Konstruktivismus). Nicht nur sei das Wissen über die Welt von subjektiven Bedingungen abhängig, sondern auch die Welt selbst. Diese These hat besonders in den Kulturwissenschaften eine erstaunliche Karriere gemacht: Wenn jeder von anderen Umständen beeinflusst ist, so das Argument, dann könne man gar nicht mehr sinnvoll darüber sprechen, was wahr und was wirklich ist.
  Genau das finden die neuen Realisten absurd. Stichwortgeber des „Neuen Realismus“ ist hierzulande der Bonner Philosoph Markus Gabriel, der 2013 eine Tagung unter diesem Namen veranstaltete. Seitdem wird die Debatte längst auch in der Öffentlichkeit ausgetragen. Von Gabriel kommt nun auch das neue Argument zur „Rettung“ der Wirklichkeit, wenn man ihm glaubt gar des „gesunden Menschenverstands“: „Unsere Gedanken über Reales sind genauso real wie alles andere.“ Realist zu sein, schlägt Gabriel vor, heiße alles für „genauso“ wirklich zu halten, „die Hexe im Faust, natürliche Zahlen und freie Wahlen in England“.
  Das bedeutet zunächst einmal: Es gibt keinen Unterschied mehr zwischen Dingen und Vorstellungen, zwischen Außen- und Innenwelt. Die alte Trennung von Subjekt und Welt sei bloß ein Konstrukt der frühen Neuzeit. Der Philosophie habe diese Trennung jedenfalls unlösbare Probleme beschert, und es ist wohl die Pointe des „Neuen Realismus“, sie einfach nicht mehr zählen zu lassen.
  So einfach ist das dann aber doch nicht, was auch an Immanuel Kant liegt, der die „Möglichkeit der Erfahrung“ (und damit den Begriff der Wirklichkeit) von den Bedingungen subjektiver Erkenntnis abhängig gemacht hatte. Gleich mehrere Beiträge des Bandes arbeiten sich an Kant ab, hier wird es dem philosophischen Laien schnell zu viel. Dafür darf sich der Leser freuen, Essays von John Searle und Hilary Putnam zu finden, zwei weltbekannten Autoren, die ebenfalls ein sichtliches Interesse daran haben, den Realismus wieder ins Zentrum der Philosophie zu rücken.
  Einen der überzeugendsten Beiträge hat der italienische Philosoph Maurizio Ferraris beigesteuert. Darin berichtet er zunächst davon, wie ihm zusammen mit Gabriel die Idee kam, einen „Neuen Realismus zu diagnostizieren“, nämlich „am 23. Juni 2011 um 13:30 Uhr im Restaurant ,Al Vinacciolo‘ in Neapel“. Ob das nun die einzige philosophische Debatte ist, „über deren Taufe man genau Bescheid weiß“, mag dahingestellt und eher eine Eitelkeit sein. Aber dann kommt Ferraris zur Sache: Dem „Neuen Realismus“ gehe es vor allem darum, Ontologie und Epistemologie wieder strikt auseinanderzuhalten. Die Frage danach, was es gibt, sei einfach eine ganz andere als diejenige danach, was wir wissen.
Man könne doch nicht behaupten, ein Gegenstand hänge vom Begriff ab, den der Mensch von ihm hat! Es gebe den Mond ja nicht deshalb, weil wir ihn so nennen. Das ist eine weitere Spitze gegen den Konstruktivismus. Wenn es stimme, dass alle Wirklichkeit vom Menschen erschaffen sei, so Ferraris, „warum ist es dann so schwer, die Wirklichkeit zu verändern?“ Eine Frage, deren Antwort die Postmoderne bis heute schuldig geblieben ist.
  Umberto Eco bleibt am Ende skeptisch, ob wir tatsächlich einen direkten Zugang zur Wirklichkeit haben und nicht doch bloß zu Interpretation von ihr. Aber Realismus, schreibt er, habe für ihn mit der Überzeugung zu tun, „dass die Dinge auf eine bestimmte Weise funktionieren, auch wenn es vermutlich niemals gelingen wird zu entscheiden, auf welche Weise sie funktionieren.“
FRANZ VIOHL
Markus Gabriel (Hrsg.): Der Neue Realismus. Suhrkamp Verlag, Berlin 2014. 422 Seiten, 18 Euro.
Am 23. Juni 2011, 13:30 Uhr wurde
der „Neue Realismus“ getauft
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Der von Markus Gabriel herausgegebene Sammelband "Der Neue Realismus" ist nichts für philosophische Laien, warnt Franz Viohl, denn es gehe um einen im Grunde sehr alten Grabenkampf, in dem die Frage ausgefochten wird, in welchem Verhältnis die Dinge und unser Wissen über sie zueinander stehen. Deshalb wundert es den Rezensenten wenig, dass sich viele der Beiträge an Kants Überlegungen zur "Möglichkeit der Erfahrung" abarbeiten. Der Realismus soll auf einen neuen Stand gebracht werden, indem seine Argumente auf die Herausforderungen der Postmoderne zugeschnitten werden, so Viohl. Anstatt alles als Konstrukt zu verstehen, soll der Neue Realismus alles für gleich wirklich zu halten: "die Hexe im 'Faust', natürliche Zahlen und freie Wahlen in England", zitiert der Rezensent. Die Realität der Realität soll gerettet werden, indem man ihr Außen abschafft, fasst Viohl die Pointe zusammen.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Der Sammelband dürfte zum Klassiker nicht nur unter Philosophen aufsteigen.« walthari.com 20141207