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Als ausgewiesener Kenner der Politik der europäischen Großmächte weist Konrad Canis erstmals umfassend nach, wie begrenzt die Handlungsspielräume waren, die Österreich-Ungarn zwischen der Schlacht von Königgrätz und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs zur Verfügung standen. Mehr als jede andere Großmacht war die Doppelmonarchie inneren und äußeren Zwängen ausgesetzt. Ihre Politik verfolgte eine defensive Strategie, zielte nur begrenzt auf Eroberung; auf dem Balkan ging es um die Aufrechterhaltung einer Dominanz im Hintergrund. Die nationalen Gegensätze innen und außen sollten kleingehalten…mehr

Produktbeschreibung
Als ausgewiesener Kenner der Politik der europäischen Großmächte weist Konrad Canis erstmals umfassend nach, wie begrenzt die Handlungsspielräume waren, die Österreich-Ungarn zwischen der Schlacht von Königgrätz und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs zur Verfügung standen. Mehr als jede andere Großmacht war die Doppelmonarchie inneren und äußeren Zwängen ausgesetzt. Ihre Politik verfolgte eine defensive Strategie, zielte nur begrenzt auf Eroberung; auf dem Balkan ging es um die Aufrechterhaltung einer Dominanz im Hintergrund. Die nationalen Gegensätze innen und außen sollten kleingehalten werden. Innere Instabilität, die wirtschaftliche und militärische Zweitrangigkeit, aber auch das Vormachtstreben Deutschlands im Bündnis und die Abstinenz Englands hemmten Österreich-Ungarn. Nutznießer war der Hauptrivale Rußland. Am Vorabend des Ersten Weltkriegs sollte Österreich nach den Plänen der russischbritisch- französischen Entente im Falle eines großen Konfliktes einem fatalen Doppelkrieg gegen Rußland und Serbien ausgesetzt werden. Als 1914 überraschend die Möglichkeit aufschien, Österreich könnte dem großen Krieg durch einen allein gegen Serbien entgehen, erwies sich Wien jedoch als unfähig, diese - freilich geringe - Chance zu nutzen.
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Autorenporträt
Konrad Canis war Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie Gastprofessor an der Universität Wien. Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Otto-von-Bismarck-Stiftung und Mitherausgeber der Neuen Friedrichsruher Ausgabe der Bismarck-Werke. Von ihm erschienen außerdem bei Schöningh: Bismarcks Außenpolitik 1870 bis 1890. Aufstieg und Gefährdung (2008) sowie Der Weg in den Abgrund. Deutsche Außenpolitik 1902-1914 (2011).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.11.2016

Doppeladler im Todes-Schatten
Österreich-Ungarn und das europäische Mächtesystem vor dem Ersten Weltkrieg

In den vergangenen Jahren ist eine Vielzahl von Publikationen zur Geschichte des Ersten Weltkrieges und zu dessen Vorgeschichte erschienen. Erwähnt seien hier nur die monumentalen Studien von Christopher Clark (Die Schlafwandler) und von Herfried Münkler (Der Große Krieg) oder Jörn Leonhard (Die Büchse der Pandora). Allzu oft stand dabei, auch wenn von den Autoren nicht immer gewollt, die Frage nach der deutschen Kriegsschuld im Zentrum des Interesses. Publikationen zu weiteren wichtigen Protagonisten der europäischen Staatenwelt in dieser Epoche, wie Österreich-Ungarn, traten dabei in den Hintergrund.

Nun hat Konrad Canis im Nachgang zu seiner vor wenigen Jahren abgeschlossenen Geschichte der deutschen Außenpolitik von 1870 bis 1914 eine Studie zur Außenpolitik Österreich-Ungarns vorgelegt. Der Titel "Die bedrängte Großmacht" ist dabei Programm. Schon in seinem Vorwort fädelt Canis den roten Faden ein, der sein Werk wie ein Leitfaden durchzieht. Er sieht die Donaumonarchie als zweitrangige europäische Großmacht, die "weniger agierte als reagierte" und "überhaupt mehr auf Abwehr als Angriff eingestellt" war. Defensive und nicht Offensive prägte seiner Ansicht nach die Außenpolitik des sich überlebten Vielvölkerstaates. Gegründet 1867 auf den Trümmern eines verlorenen Krieges, endete Österreich-Ungarn als Folge des verlorenen Ersten Weltkrieges im Oktober 1918.

Canis zeigt in seiner chronologisch angelegten Studie die geostrategischen Zwänge auf, die den Bewegungsspielraum der Donaumonarchie von Beginn an entscheidend begrenzten. Historisch ursprünglich mit Verankerungen in Deutschland und dem Balkanraum als Vielvölkerreich gewachsen, blieb der neugegründeten Doppelmonarchie nach der Verdrängung aus Deutschland als Folge der Niederlage von 1866 und damit dem Verlust des Zentralankers nur der Balkan als außenpolitisches Bewegungsfeld. Dieser Raum barg aber eine Menge politischer Risiken. Neben den aufstrebenden Balkanstaaten wie Serbien, Bulgarien oder Rumänien sowie dem im Niedergang befindlichen Osmanischen Reich trat besonders Russland als wichtiger Akteur und immer mehr als Konkurrent Wiens in dieser Region auf den Plan.

Der Balkanraum mit dem kranken Mann am Bosporus war aber zugleich auch immer Spielball der anderen europäischen Großmächte Frankreich, Deutschland und Großbritannien sowie im Laufe der Jahre auch Italiens. Für die geschwächte und im wahrsten Sinne des Wortes an den Rand gedrängte zweitrangige Großmacht Österreich-Ungarn, die vormals über Jahrhunderte als Zentrum des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation entscheidende außenpolitische Impulse in Europa gesetzt hatte, galt es, sich in diesem Spannungsfeld zu behaupten. Erschwert wurde dieser außenpolitische Seiltanz durch die inneren Widersprüche des von Deutschösterreichern und Ungarn dominierten Vielvölkerreiches. Denn die Gründung der Doppelmonarchie hatte zwar das Verhältnis zwischen diesen beiden Bevölkerungsgruppen verbessert, die anderen Völker der Habsburgermonarchie von der politischen Teilhabe jedoch weitgehend ausgeschlossen. Die daraus resultierenden innenpolitischen Probleme taten ihr Eigenes, die außenpolitischen Handlungsfreiheiten der handelnden Akteure in der Hofburg zu erschweren. Nicht zuletzt waren sich, wie Canis immer wieder überzeugend aufzeigt, die ungarischen und deutschösterreichischen Eliten nicht immer einig über die Ausrichtung der auswärtigen Politik der k. u. k Monarchie.

Mit der deutschen Reichsgründung 1871 musste man in Wien endgültig sowohl die halbhegemoniale Stellung Deutschlands als auch den eigenen Abstieg in die Zweitrangigkeit akzeptieren. Das Ende der Umwälzungen in Mitteleuropa eröffnete der Donaumonarchie jedoch auch die Chance, ihre eigene Position zu stabilisieren. Dabei stellt Canis folgerichtig heraus, dass sich Österreich-Ungarn von Anfang in großer strategischer Abhängigkeit von Deutschland und von Russland befand. Diese Konstante sollte im Positiven wie im Negativen bestimmend für die Außenpolitik der Habsburgermonarchie bis zu ihrem Ende sein.

Die Balkanausrichtung Österreich-Ungarns, ein Eckpfeiler der Außenpolitik der Donaumonarchie, brachte sie nämlich immer wieder in tiefgreifenden Gegensatz zu Russland, welches in diesem Raum ebenfalls erhebliche geostrategische Interessen hatte. Dieser Gegensatz trieb die Habsburgermonarchie geradezu in die Arme Bismarcks. Als dessen Versuche, mit einer Dreikaiserpolitik unter anderem die Konflikte zwischen beiden Kontrahenten zu entschärfen, scheiterten, blieb der k. u. k. Monarchie nur noch die verstärkte Anlehnung an das deutsche Kaiserreich. Zumal Großbritannien, das eine enge strategische Bindung an Wien nicht benötigte, immer wieder versuchte, die Donaumonarchie als Festlandsdegen gegen Russland zu instrumentalisieren.

So blieb Wien letztlich nichts anderes als ein Bündnis mit Berlin. Der 1879 abgeschlossene Zweibund zwischen beiden Staaten, der von den beiden Vormachtnationen der Doppelmonarchie getragen wurde, bildete zukünftig die Zentralachse der Wiener Außenpolitik. Von Anfang an war dabei die Rollenverteilung klar: Österreich-Ungarn, welches das Bündnis nur zu deutschen Bedingungen erhalten hatte, war der Juniorpartner. Diese Stellung verschärfte sich in den nächsten Jahrzehnten durch die immer stärker werdende wirtschaftliche sowie militärische Abhängigkeit Österreich-Ungarns von Deutschland.

Der Gegensatz Österreich-Ungarns zu Russland blieb bis zum Ersten Weltkrieg eine europäische Konstante, nicht zuletzt weil Wiens einzige Option Großmachtanspruch zu generieren, der Balkanraum war. Über die Jahre versuchte Wien, wie Canis immer wieder überzeugend belegt, sich ein wenig aus der deutschen Umklammerung zu lösen und, wenn möglich, eigene außenpolitische Akzente zu setzen. Auch der 1882 abgeschlossene Dreibund mit Italien verbesserte letztlich die außenpolitische Situation nicht entscheidend. Die Balkankriege (1912/13) offenbarten endgültig die schwache Position Wiens - zumal Berlin durch Annäherung an London versuchte, über die Lösung dieser Krisen auf Kosten seines Bündnispartners, die Triple Entente aufzubrechen. Am Vorabend des Ersten Weltkrieges war Österreich-Ungarn im Prinzip nur noch eine von Deutschland abhängige Balkanmacht, über deren Zukunft selbst in Berlin Skepsis herrschte und über der - wie der österreichische Außenminister Leopold Graf Berchtold nach der Ermordung von Erzherzog Franz Ferdinand in sein Tagebuch schrieb - längst "ein Todes-Schatten" lag.

Conrad Canis hat, wie in seiner mehrbändigen Studie zur Außenpolitik des Deutschen Kaiserreiches, eine auf beeindruckendem Aktenstudium deutscher und österreichischer Archive fußende klassische Diplomatiegeschichte vorgelegt. Leider verzichtet er weitgehend darauf, seine Positionen mit anderen zu vergleichen und in den wissenschaftlichen Diskurs einzuordnen. Dies reduziert den Wert dieser sonst so imponierenden Forscherleistung. Dem Verlag und nicht dem Autor anzulasten sind dagegen die wenig aussagefähigen Karten und das Fehlen eines Ortsregisters. Dies erschwert dem Leser, viele der geschilderten Vorgänge zu verorten. Angesichts der Vielzahl der agierenden Personen hätte auch ein kommentiertes Personenregister dem Buch gut angestanden.

GERHARD P. GROSS

Konrad Canis: Die bedrängte Großmacht. Österreich-Ungarn und das europäische Mächtesystem 1866/67-1914. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2016. 567 S., 68,- [Euro].

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