Simon Shuster
Gebundenes Buch
Vor den Augen der Welt
Wolodymyr Selenskyj und der Krieg in der Ukraine - Der Spiegel Bestseller
Übersetzung: Dedekind, Henning; Petersen, Karsten; Stauder, Thomas
Versandkostenfrei!
Sofort lieferbar
Weitere Ausgaben:
PAYBACK Punkte
0 °P sammeln!
»Dies ist das Selenskyj-Buch, auf das wir gewartet haben.« (Catherine Belton, SPIEGEL-Bestsellerautorin von »Putins Netz«)»Das Volk der Ukraine will Frieden. Die Staatsführung der Ukraine will Frieden. Sie tut alles dafür, was sie kann. (...) Doch wenn ihr uns angreift, werdet ihr unsere Gesichter sehen, nicht unseren Rücken.« Seit er, nur wenige Stunden vor dem Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022, diese Worte an die russische Regierung richtete, fasziniert - und polarisiert - der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die Welt. Der einstige Comedian wurde unversehens zum ...
»Dies ist das Selenskyj-Buch, auf das wir gewartet haben.« (Catherine Belton, SPIEGEL-Bestsellerautorin von »Putins Netz«)
»Das Volk der Ukraine will Frieden. Die Staatsführung der Ukraine will Frieden. Sie tut alles dafür, was sie kann. (...) Doch wenn ihr uns angreift, werdet ihr unsere Gesichter sehen, nicht unseren Rücken.« Seit er, nur wenige Stunden vor dem Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022, diese Worte an die russische Regierung richtete, fasziniert - und polarisiert - der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die Welt. Der einstige Comedian wurde unversehens zum Kriegspräsidenten, dessen perfekt inszenierte Medienauftritte den Verlauf des Krieges entscheidend beeinflussen.
TIME-Korrespondent Simon Shuster berichtet seit Beginn der russischen Invasion aus dem Inneren des Präsidentenpalasts, zweimal ist er mit dem ukrainischen Präsidenten an die Front gereist. Er hat, wie kaum ein anderer, Zugang zu Selenskyi, seiner Frau, seinen Freunden, seinen hochrangigen Mitarbeitern und Beratern. Mit Vor den Augen der Welt ist Shuster nicht nur eine einzigartig facettenreiche und intime Biografie des ukrainischen Präsidenten gelungen, sondern auch die fesselnde und profund recherchierte Chronik eines unsere Weltordnung nachhaltig verändernden Krieges.
Ausstattung: farbige Abbildungen
»Das Volk der Ukraine will Frieden. Die Staatsführung der Ukraine will Frieden. Sie tut alles dafür, was sie kann. (...) Doch wenn ihr uns angreift, werdet ihr unsere Gesichter sehen, nicht unseren Rücken.« Seit er, nur wenige Stunden vor dem Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022, diese Worte an die russische Regierung richtete, fasziniert - und polarisiert - der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die Welt. Der einstige Comedian wurde unversehens zum Kriegspräsidenten, dessen perfekt inszenierte Medienauftritte den Verlauf des Krieges entscheidend beeinflussen.
TIME-Korrespondent Simon Shuster berichtet seit Beginn der russischen Invasion aus dem Inneren des Präsidentenpalasts, zweimal ist er mit dem ukrainischen Präsidenten an die Front gereist. Er hat, wie kaum ein anderer, Zugang zu Selenskyi, seiner Frau, seinen Freunden, seinen hochrangigen Mitarbeitern und Beratern. Mit Vor den Augen der Welt ist Shuster nicht nur eine einzigartig facettenreiche und intime Biografie des ukrainischen Präsidenten gelungen, sondern auch die fesselnde und profund recherchierte Chronik eines unsere Weltordnung nachhaltig verändernden Krieges.
Ausstattung: farbige Abbildungen
Simon Shuster berichtet seit über 15 Jahren über Russland und die Ukraine, die meiste Zeit davon als Korrespondent für das das US-Nachrichtenmagazin TIME. Er wurde in Moskau geboren und emigrierte als Kind, zwei Jahre vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion, in die Vereinigten Staaten. Shuster gilt als exzellenter Kenner des russisch-ukrainischen Konflikts, seit der russischen Annexion der Krim im Jahr 2014 berichtet er ausführlich über den Krieg in der Ukraine. Er lebt in Brooklyn, New York, verbringt aber derzeit einen Großteil seiner Zeit in Kyiv.
Produktdetails
- Verlag: Goldmann
- Originaltitel: The Showman. Inside the Invasion That Shook the World and Made a Leader of Volodymyr Zelensky
- Deutsche Erstausgabe
- Seitenzahl: 528
- Erscheinungstermin: 24. Januar 2024
- Deutsch
- Abmessung: 215mm x 144mm x 45mm
- Gewicht: 700g
- ISBN-13: 9783442317240
- ISBN-10: 344231724X
- Artikelnr.: 67359338
Herstellerkennzeichnung
Goldmann Verlag
Neumarkter Str. 28
81673 München
produktsicherheit@penguinrandomhouse.de
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensentin Renate Nimtz-Köster lernt durch Simon Shusters Buch den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski besser kennen. Shuster zeichne Selenskis Werdegang vom Fernsehkomiker zum Präsidenten nach, der besondere Fokus der Biografie liegt jedoch auf den Veränderungen, die der Angriff Russlands im Jahr 2022 in ihm ausgelöst haben. Kaum jemand hatte, so Nimtz-Köster mit Shuster, dem Politiker zugetraut, zum Kriegspräsidenten zu werden, aber er zeigte von Anfang an Entschlossenheit, insbesondere in seinen Ansprachen an das eigene Volk sowie seinen geschickt platzierten Appellen an Verbündete. Auch Kritik an Selenski kommt der Rezensentin zufolge zur Sprache, etwa hinsichtlich des Verbots russlandfreundlicher Fernsehsender. Dass Selenski sich zum Autokrat wandelt, glaubt Shuster laut Nimtz-Köster jedoch nicht, der Politiker lehnt Personenkult ab und begeistert sich mehr für Charlie Chaplin als für dominante Politiker wie Winston Churchill.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Wie David vor Kiew Goliath zurückschlug
Ein Buch über den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und sein Umfeld im Krieg
Als am Silvesterabend 2018 ein Schauspieler in der Ukraine in seinem Fernsehauftritt verkündete, er gehe in die Politik und werde 2019 an der Präsidentenwahl teilnehmen, fesselte das große Land im Osten seine Betrachter auf ganz neue Art. Dieser Auftritt Wolodymyr Selenskyjs: War das Ernst oder Spaß? Viele nannten ihn geringschätzig "Komiker", übersahen, dass der Jurist nicht nur auf der Bühne ein Talent, sondern auch als Chef einer Fernsehproduktionsfirma sehr erfolgreich war. Dennoch war sein weiterer Werdegang erstaunlich: seine Wandlung zum Politiker, der den höchsten Wahlsieg in der
Ein Buch über den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und sein Umfeld im Krieg
Als am Silvesterabend 2018 ein Schauspieler in der Ukraine in seinem Fernsehauftritt verkündete, er gehe in die Politik und werde 2019 an der Präsidentenwahl teilnehmen, fesselte das große Land im Osten seine Betrachter auf ganz neue Art. Dieser Auftritt Wolodymyr Selenskyjs: War das Ernst oder Spaß? Viele nannten ihn geringschätzig "Komiker", übersahen, dass der Jurist nicht nur auf der Bühne ein Talent, sondern auch als Chef einer Fernsehproduktionsfirma sehr erfolgreich war. Dennoch war sein weiterer Werdegang erstaunlich: seine Wandlung zum Politiker, der den höchsten Wahlsieg in der
Mehr anzeigen
Geschichte der Ukraine einfuhr, ebenso wie sein erzwungener Wechsel in die Rolle des Oberbefehlshabers, dem viele im Ausland eine "Niederlage nach drei Tagen" gegen Russland voraussagten.
Simon Shuster, dessen Vater aus der Ukraine und dessen Mutter aus Russland stammt - die Familie emigrierte 1989 mit dem Jungen nach Amerika - hat ein lesenswertes Buch über Selenskyj und den Krieg Russlands gegen die Ukraine geschrieben. Der Journalist ist für das amerikanische Magazin "Time" tätig; er begegnete Selenskyj 2019 zum ersten Mal. Im Krieg bekam er Zugang zum innersten Kreis in Kiew: zum Kriegspräsidenten und seiner Frau Olena, zu Armeechef Walerij Saluschnyj und vielen anderen. Shuster hat etwas zu erzählen, und er kann erzählen.
Er behandelt die Vorgeschichte des Krieges, für dessen Heraufziehen es über drei Monate hinweg Anzeichen gab, die weltweit diskutiert wurden. Letzte Anrufe, etwa von Olaf Scholz bei Wladimir Putin, ergaben von russischer Seite nur die Auskunft: "Niemand hat die Absicht, die Ukraine zu überfallen." Dem Bundeskanzler blieb nicht viel anderes übrig, als diese Lüge im nächsten Telefonat nach Kiew weiterzuleiten. Dann, am Tag des Kriegsausbruchs, die erste Videokonferenz der EU-Staats- und Regierungschefs mit Selenskyj. Mehrere boten sich der Ukraine am ersten Tag als Vermittler an, um mit Russland die Bedingungen für eine Kapitulation auszuhandeln. Sanktionen? Deutschland und Österreich wollten die Verbindungen zum russischen Bankensystem nicht kappen, um den Öl- und Gashandel aufrechtzuerhalten. Dann sprach Selenskyj, nur fünf Minuten lang: "Dies ist vielleicht das letzte Mal, dass Sie mich lebend sehen." Seine Worte hätten in Brüssel mehr verändert als die jahrelangen Debatten über Russland, schreibt der Autor. Ähnliche Sätze, Abschiedsworte von Kiewer Ministern an ihre Familien, ehe diese zur Flucht nach Polen aufbrechen, werden im Buch noch wiederkehren. Aber Shuster drückt nicht auf die Tränendrüse. Wenn er Angst und Mut, Verzweiflung oder hoffnungslose Dilemmata schildert, bleibt er bei den führenden Akteuren, bei ukrainischen und ausländischen Politikern, hohen Militärs, Diplomaten. Wichtige Aussagen beglaubigt er mit Fußnoten und Quellen.
Wer den Ukrainekrieg verfolgt hat und jetzt dieses Buch liest, dürfte auf einiges Neue stoßen; oder auf Bekanntes, das aber von der nachfolgenden Informationsflut überspült worden war. Zum Beispiel, dass Selenskyj im Schock der ersten Wochen, als seine Delegation an der polnisch-belarussischen Grenze mit den Russen verhandelte, bereit war, das Verfassungsziel des NATO-Beitritts aufzugeben; woran der "Blitzkrieg" von angeblich 7000 gepanzerten Fahrzeugen, die auf Kiew vorrückten, scheiterte; wie (streckenweise holprig) die Zusammenarbeit des Generals Saluschnyj mit US-Generalstabschef Mark Milley und mit Selenskyj verlief - das sind wichtige Bausteine für eine Geschichte dieses größten Krieges in Europa seit 1945. Hinzu kommen farbige Schilderungen, etwa von der gemeinsamen Zugfahrt in die gerade durch die ukrainische Armee befreite Großstadt Cherson; Shuster darf das Abteil Selenskyjs betreten, und dieser liest gerade ein Buch über Hitler und Stalin, "eine vergleichende Studie über die beiden Tyrannen, die die Ukraine am übelsten gequält hatten". Auch eine Churchill-Biographie hat der David von Kiew während seines Kampfes gegen den russischen Goliath gelesen. Doch würde er sich lieber an Charlie Chaplin orientieren, sagte Selenskyj zu Shuster, "weil er während des Zweiten Weltkrieges Information als Waffe einsetzte, um gegen den Faschismus zu kämpfen". Olaf Scholz, der amüsant beschrieben wird, ist ein kleines Kapitel gewidmet, weil Shuster Gelegenheit hatte, gemeinsam mit "Time"-Kollegen den Kanzler zu interviewen. Selenskyj glaube, Scholz habe eine "strategische Entscheidung" getroffen, bestimmte Waffen nicht zu liefern; darüber seien die beiden "mehrmals aneinandergeraten", so fasst der Autor seine Eindrücke aus seinen Gesprächen auch mit Selenskyj zusammen.
Das große Rätsel bleibt: Wie konnte David gegen Goliath so lange so erfolgreich sein? Aussprüche des Präsidenten lassen durchscheinen, dass dieser - manchmal an der Grenze zu Naivität oder Größenwahn - vor allem von dem Gefühl beseelt war, mit seinem Abwehrkampf im Recht zu sein. "Russland kann gar nicht so viele Raketen haben, wie unser Volk Überlebenswillen hat", sagte er einmal. Allerdings kann das Buch nur kursorisch auf die Entwicklung im zweiten Kriegsjahr eingehen. Doch die Triebfeder Selenskyjs, wie Shuster sie beschreibt, ist geblieben: "Er hatte sich vorgenommen, den Kreislauf imperialer Unterdrückung zu durchbrechen." Diese wichtige Aufgabe in der Geschichte seines Landes habe er noch nicht erfüllt. GERHARD GNAUCK
Simon Shuster: "Vor den Augen der Welt: Wolodymyr Selenskyj und der Krieg in der Ukraine". Goldmann, aus dem Englischen von Henning Dedekind, Karsten Petersen, Thomas Stauder. 528 Seiten, 26 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Simon Shuster, dessen Vater aus der Ukraine und dessen Mutter aus Russland stammt - die Familie emigrierte 1989 mit dem Jungen nach Amerika - hat ein lesenswertes Buch über Selenskyj und den Krieg Russlands gegen die Ukraine geschrieben. Der Journalist ist für das amerikanische Magazin "Time" tätig; er begegnete Selenskyj 2019 zum ersten Mal. Im Krieg bekam er Zugang zum innersten Kreis in Kiew: zum Kriegspräsidenten und seiner Frau Olena, zu Armeechef Walerij Saluschnyj und vielen anderen. Shuster hat etwas zu erzählen, und er kann erzählen.
Er behandelt die Vorgeschichte des Krieges, für dessen Heraufziehen es über drei Monate hinweg Anzeichen gab, die weltweit diskutiert wurden. Letzte Anrufe, etwa von Olaf Scholz bei Wladimir Putin, ergaben von russischer Seite nur die Auskunft: "Niemand hat die Absicht, die Ukraine zu überfallen." Dem Bundeskanzler blieb nicht viel anderes übrig, als diese Lüge im nächsten Telefonat nach Kiew weiterzuleiten. Dann, am Tag des Kriegsausbruchs, die erste Videokonferenz der EU-Staats- und Regierungschefs mit Selenskyj. Mehrere boten sich der Ukraine am ersten Tag als Vermittler an, um mit Russland die Bedingungen für eine Kapitulation auszuhandeln. Sanktionen? Deutschland und Österreich wollten die Verbindungen zum russischen Bankensystem nicht kappen, um den Öl- und Gashandel aufrechtzuerhalten. Dann sprach Selenskyj, nur fünf Minuten lang: "Dies ist vielleicht das letzte Mal, dass Sie mich lebend sehen." Seine Worte hätten in Brüssel mehr verändert als die jahrelangen Debatten über Russland, schreibt der Autor. Ähnliche Sätze, Abschiedsworte von Kiewer Ministern an ihre Familien, ehe diese zur Flucht nach Polen aufbrechen, werden im Buch noch wiederkehren. Aber Shuster drückt nicht auf die Tränendrüse. Wenn er Angst und Mut, Verzweiflung oder hoffnungslose Dilemmata schildert, bleibt er bei den führenden Akteuren, bei ukrainischen und ausländischen Politikern, hohen Militärs, Diplomaten. Wichtige Aussagen beglaubigt er mit Fußnoten und Quellen.
Wer den Ukrainekrieg verfolgt hat und jetzt dieses Buch liest, dürfte auf einiges Neue stoßen; oder auf Bekanntes, das aber von der nachfolgenden Informationsflut überspült worden war. Zum Beispiel, dass Selenskyj im Schock der ersten Wochen, als seine Delegation an der polnisch-belarussischen Grenze mit den Russen verhandelte, bereit war, das Verfassungsziel des NATO-Beitritts aufzugeben; woran der "Blitzkrieg" von angeblich 7000 gepanzerten Fahrzeugen, die auf Kiew vorrückten, scheiterte; wie (streckenweise holprig) die Zusammenarbeit des Generals Saluschnyj mit US-Generalstabschef Mark Milley und mit Selenskyj verlief - das sind wichtige Bausteine für eine Geschichte dieses größten Krieges in Europa seit 1945. Hinzu kommen farbige Schilderungen, etwa von der gemeinsamen Zugfahrt in die gerade durch die ukrainische Armee befreite Großstadt Cherson; Shuster darf das Abteil Selenskyjs betreten, und dieser liest gerade ein Buch über Hitler und Stalin, "eine vergleichende Studie über die beiden Tyrannen, die die Ukraine am übelsten gequält hatten". Auch eine Churchill-Biographie hat der David von Kiew während seines Kampfes gegen den russischen Goliath gelesen. Doch würde er sich lieber an Charlie Chaplin orientieren, sagte Selenskyj zu Shuster, "weil er während des Zweiten Weltkrieges Information als Waffe einsetzte, um gegen den Faschismus zu kämpfen". Olaf Scholz, der amüsant beschrieben wird, ist ein kleines Kapitel gewidmet, weil Shuster Gelegenheit hatte, gemeinsam mit "Time"-Kollegen den Kanzler zu interviewen. Selenskyj glaube, Scholz habe eine "strategische Entscheidung" getroffen, bestimmte Waffen nicht zu liefern; darüber seien die beiden "mehrmals aneinandergeraten", so fasst der Autor seine Eindrücke aus seinen Gesprächen auch mit Selenskyj zusammen.
Das große Rätsel bleibt: Wie konnte David gegen Goliath so lange so erfolgreich sein? Aussprüche des Präsidenten lassen durchscheinen, dass dieser - manchmal an der Grenze zu Naivität oder Größenwahn - vor allem von dem Gefühl beseelt war, mit seinem Abwehrkampf im Recht zu sein. "Russland kann gar nicht so viele Raketen haben, wie unser Volk Überlebenswillen hat", sagte er einmal. Allerdings kann das Buch nur kursorisch auf die Entwicklung im zweiten Kriegsjahr eingehen. Doch die Triebfeder Selenskyjs, wie Shuster sie beschreibt, ist geblieben: "Er hatte sich vorgenommen, den Kreislauf imperialer Unterdrückung zu durchbrechen." Diese wichtige Aufgabe in der Geschichte seines Landes habe er noch nicht erfüllt. GERHARD GNAUCK
Simon Shuster: "Vor den Augen der Welt: Wolodymyr Selenskyj und der Krieg in der Ukraine". Goldmann, aus dem Englischen von Henning Dedekind, Karsten Petersen, Thomas Stauder. 528 Seiten, 26 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schließen
»Das Buch von Shuster ist brillant. Denn es ist mit seinem echten und ambivalenten Helden tatsächlich wie wahrhafte und große Literatur.« Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Anna Prizkau
Churchill oder Chaplin?
Der "Time"-Reporter Simon Shuster erzählt in seinem brillanten Buch vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und davon, was Krieg mit Menschen macht.
Von Anna Prizkau
Ja, Sie werden ihn lieben, und Sie werden ihn verfluchen. Und, ja, das muss so sein. Denn der Protagonist in jedem guten Buch ist nie einfach gut: Er verletzt Menschen, die er liebt, hat Abgründe, macht Fehler.
Das Buch, um das es hier geht, ist große Literatur - und ist es nicht. Es folgt nur allen Regeln der Fiktion: Es gibt einen Konflikt und einen guten, bösen Helden, und genug Liebe gibt es auch. Und Krieg.
Der Held: Wolodymyr Selenskyj. Das Buch: "Vor den Augen der Welt". Der Plot: Aus
Der "Time"-Reporter Simon Shuster erzählt in seinem brillanten Buch vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und davon, was Krieg mit Menschen macht.
Von Anna Prizkau
Ja, Sie werden ihn lieben, und Sie werden ihn verfluchen. Und, ja, das muss so sein. Denn der Protagonist in jedem guten Buch ist nie einfach gut: Er verletzt Menschen, die er liebt, hat Abgründe, macht Fehler.
Das Buch, um das es hier geht, ist große Literatur - und ist es nicht. Es folgt nur allen Regeln der Fiktion: Es gibt einen Konflikt und einen guten, bösen Helden, und genug Liebe gibt es auch. Und Krieg.
Der Held: Wolodymyr Selenskyj. Das Buch: "Vor den Augen der Welt". Der Plot: Aus
Mehr anzeigen
einem ahnungslosen und einnehmenden Charmeur, der gegen eine Welt von Oligarchen und Ganoven kämpfen will, wird einer, der seine Unschuld mit der Zeit verliert, um sich am Ende in den "Kriegspräsidenten" zu verwandeln, der "schonungslos gegenüber allen", die ihm im Weg sind, "mutig" und "rachsüchtig" den Widerstand der Ukrainer lenkt.
Der Autor Simon Shuster trifft Wolodymyr Selenskyj zum ersten Mal vor dessen Präsidentschaft. Und danach immer wieder. Er ist Reporter beim US-Magazin "Time". "Sei nicht zu nachsichtig mit ihm. (...) Du weißt nicht, zu was er sich noch entwickeln wird", sagt später, mitten im großen Krieg, eine ukrainische Journalistin dem amerikanischen Reporter. Im Buch ist Shuster nie nachsichtig, deshalb ist es so gut. Und auch, weil Simon Shuster zwischen den Seiten immer wieder selbst auftaucht, mit seinen Zweifeln, seinen Fragen. Er ist hier der Ich-Erzähler.
Selenskyjs Politstory beginnt nach einer Reise in den Donbass. Es ist 2014, der Präsident ist damals noch ein Fernsehproduzent, ein Komiker. Mit seiner Gruppe fährt er durchs Kriegsgebiet, tritt vor Soldaten auf. Die Tour wird ein Erfolg. Als Dank schenken die Soldaten der Selenskyj-Gruppe das, was sie besitzen: eine Flasche Shampoo, das Rangabzeichen eines toten russischen Separatisten, eine Handgranate.
"Sie schützen unsere Zukunft. (...) Und sie haben nicht das Gefühl, dass wir alle stolz auf sie sind", erzählt Selenskyj gleich nach seiner Reise. Jetzt hat er die Idee, als Präsident zu kandidieren. Fängt zuerst aber an zu schreiben: das Drehbuch für die Sitcom "Sluha narodu" ("Diener des Volkes"), wie die Partei Selenskyjs später heißen wird. Es geht um einen ehrlichen, einfachen Lehrer, der aus Versehen der Präsident der Ukraine wird und alles besser macht. Selenskyjs Frau schreibt am Skript mit. "Es war eine völlig fiktive Phantasiefigur", sagt Olena Selenska zu Simon Shuster Jahre später. Es ist der Standardsatz der Literaten, die in Wahrheit nicht sagen wollen, wie viel Reales in ihrer Fiktion am Ende steckt. Doch Shuster glaubt ihr. Er ist zu mild mit der First Lady. Mit ihrem Mann ist er es nie. "Das Finale der Serie war keineswegs Selenskyjs beste Arbeit (...), und das märchenhafte Ende roch nach propagandistischem Machwerk, was es wohl auch sein sollte", schreibt der nicht nachsichtige Ich-Erzähler.
Im Mai 2019 wird Wolodymyr Selenskyj Präsident.
Doch Shusters Buch - voller boulevardesker, historischer Zeitsprünge, voller scheinseriöser, bitterernster Wendungen - fängt später an: am Tag der Invasion, am 24. Februar 2022. Man wacht mit Wolodymyr Selenskyj auf, mit seinem Schäferhund, der unruhig wird, mit dem nervösen Kesha, dem Familienpapagei. Der Präsident zieht einen Anzug an, ein weißes Hemd, sagt seiner Frau: "Es hat begonnen." Und sie versteht. Er fährt in sein Büro in die Bankova-Straße 11. Dort taucht das wahre Böse auf dem Bildschirm auf. Putin. Seine Ansprache zum großen Kriegsbeginn. Shuster beschreibt alles so rau und nüchtern, dass es im Kopf zum Film wird. Vielleicht der Anfang einer guten Serie? Klar, so was zu schreiben ist makaber.
Von da an lebt Selenskyj in der Bankova-Straße und im Bunker darunter. Doch das Problem: Den Bunker hatten die Sowjets gebaut, und "irgendwo in den Archiven des KGB hatten die Russen höchstwahrscheinlich Grundrisse davon, bis hin zur Position der Präsidententoilette."
Im Bunker gibt es nur Dosenfleisch und Schokoriegel. Erst Wochen nach der Invasion wird warm gekocht. Ein kleines Gym wird eingerichtet in einem engen Korridor: ein paar Gewichte, eine Bank. Der Präsident trainiert spätnachts. Manchmal gibt es im Bunker Filmvorführungen. Selenskyj sucht die Filme aus. Sucht einmal "13 Hours" aus, den Hollywood-Blockbuster über das Konsulat der Amerikaner in Benghasi, das 2012 belagert worden war. Gewalt, Blut, Horror - im Film und in der Wirklichkeit.
Einen Horror durchlebt auch Olena Selenska am Anfang der Invasion. Sie flieht mit ihren Kindern unter strengen Protokollen: kein Telefon, kein Internet, kein Kontakt zu niemandem. Sie wechselt ständig ihre Unterkünfte. Die Frau des Präsidenten weiß, wenn Russen sie und ihre Kinder kriegen, hat Putin genug Macht, um ihren Ehemann zu erpressen. Olena und Wolodymyr Selenskyj haben eine komplexe, komplizierte Liebe. Haben aber auch gewöhnliche, ermüdende Prenzlauer-Berg-Probleme: Du arbeitest zu viel, du bist nie mit den Kindern, du musst verstehen und so weiter und sogar im Krieg. Das aber müssen Sie selbst lesen.
Und jetzt fragen Sie sich sicher: Warum denn, bitte, dieses müssen? Die erste, eher abstrakte Antwort ist: Sie leben auch im Krieg. Denn hört man Putin richtig zu, führt er einen Krieg gegen den Westen, gegen die Demokratie, gegen das freie Leben, gegen Sie. Aber die feuilletonistische und andere Antwort ist: Das Buch von Shuster ist brillant. Denn es ist mit seinem echten und ambivalenten Helden tatsächlich wie wahrhafte und große Literatur. Es zeigt den Lesern eine Welt, die fremd und fern ist, doch es zeigt durchs Erzählen des Menschlichen auch Universelles, das jeder kennt. Denn jeder hat schon mal geliebt, gefürchtet und gehasst - und log und irrte sich.
Selenskyj irrte sich so sehr, dass Menschen starben. Schnitt. Und der Auftritt des Antagonisten Walerij Saluschnyj. Am Anfang ist Selenskyj begeistert von seinem Gegenspieler. In der Armee ist Saluschnyj als "Spaßvogel" bekannt, beliebt. Im Juli 2021 wird er - damals noch Generalmajor - zum Präsidenten einbestellt, einen Tag vor der Geburtstagsfeier seiner Frau, die Walerij Saluschnyj schon groß und lang geplant hatte. Er redet Stunden mit Selenskyj und Selenskyjs Team. Es geht um nichts Konkretes. Man sagt ihm, er solle am nächsten Tag wieder in die Bankova-Straße kommen. Saluschnyj stellt sich jetzt den Zorn seiner Ehefrau vor, kriegt Angst, sagt, er könne morgen nicht. Selenskyjs Entourage muss zur Geburtstagsfeier von Saluschnyjs Frau anreisen und ihm, der Bier trinkt und Shorts trägt, ausrichten, dass er der Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte werde.
"Als er auf die Party zurückgekehrt sei, habe er ausgesehen, als hätte man ihm gerade eine verpasst, (...) 'nicht nur unter die Gürtellinie, sondern mit einem Schlag k. o.'", erzählt Saluschnyj Shuster.
Das militärische Auftreten der Ukraine wird härter, selbstbewusster mit dem Kommando von Saluschnyj. Schon seit November 2021 weiß er - und weiß Selenskyj - von einer russischen Invasion. Die Amerikaner warnten sie. Selenskyj glaubt nicht an einen großen Krieg. Saluschnyj hält heimliche Manöver ab. Bewegt das militärische Gerät nur nachts. "Wir mussten den Feind glauben lassen, dass wir alle in unseren üblichen Stützpunkten saßen, Gras rauchten, fernsahen und auf Facebook posteten", sagt General Saluschnyj, den spätestens jetzt jeder, der das Buch liest, lieben wird, weil er so klar, einfach und ehrlich spricht. Er erzählt Shuster, dass er dann doch mobilisieren wollte. Der Präsident verbietet es.
Selenskyj fliegt am 19. Februar 2022 zur Münchner Sicherheitskonferenz. Verhandelt, redet, bekommt nichts. Er ist frustriert. Westliche Staatschefs fordern ihn auf, nicht mehr zurückzukehren, eine Regierung im Exil zu bilden. "Ich habe in Kyjiw gefrühstückt. (...) Und ich werde dort zu Abend essen", sagt er und fliegt zurück.
Am Dienstag, am 22. Februar, verspricht der Präsident den Ukrainern noch: "Es besteht kein Anlass für eine schlaflose Nacht."
"Bis zum Schluss ging er davon aus, dass der Angriff nur ein begrenztes Ausmaß hätte", schreibt Schuster.
Ein Fehler. Der dunkle Donnerstag bricht an. Butscha, Mariupol, Isjum werden zu Todesstätten. Und andere Städte, Dörfer. Viele. Jetzt ist man wütend auf den Helden. Menschen hätten gerettet, Krankenhäuser evakuiert werden können, und Waisen- und Altenheime auch.
Selenskyj bettelt um Waffen in der Welt. Sie reagiert rasant. Zuerst. Dann nicht mehr. Zögert. Deutschland zögert auch. Der Ich-Erzähler soll für sein Magazin den deutschen Kanzler interviewen. Fährt nach Berlin. Der Fotograf der "Time" hat diese Angewohnheit, die Menschen, die er porträtiert, nach ihren Lieblingssongs zu fragen. Spielt sie während der Shootings. Und Olaf Scholz? Er schweigt. Er zögert, als ginge es um eine Million Leopard-2A4-Panzer. Sagt irgendwann, dass er als Kind Oboe gespielt habe. Der Fotograf legt elektronische Musik auf, weil die Situation zu peinlich wird - für ihn, für Scholz, für Schuster. Klar, das ist eine egale, kleine Anekdote. Und klar, es geht jetzt um viel mehr. Es geht ums Überleben.
Die Rollen sind verteilt, zumindest anfangs noch: Saluschnyj verantwortet die Taktik der Streitkräfte, Selenskyj die des Medienkriegs. Doch das verändert ihn, schreibt Shuster, beschreibt ein Treffen im April 2022. Als "er mir gegenüber Platz nahm, bewegte er sich wie ein Herrscher, der seinen Thron besteigt".
Selenskyjs neues Selbstbewusstsein ist - keine Frage - der Grund für die siegreiche, große Gegenoffensive der Ukraine im Nordosten.
Aber von Anfang an: Sommer 2022, Selenskyj will einen schnellen Erfolg, er will die Oblast Charkiw wiederhaben. Saluschnyj weigert sich, er will im Süden vorstoßen, hält das taktisch für wichtiger. Selenskyj setzt sich durch. Und hisst Mitte September die Ukraineflagge über Isjum. Warum ihm das so wichtig war?
Oleksij Resnikow, der Ex-Verteidigungsminister, erklärt es kurz nach der Befreiung des Nordostens: "Psychologisch gesehen, gehört es zur Überlebensstrategie des Menschen, sich auf die Seite des Siegers zu schlagen. (...) Heute demonstrieren wir der Welt die Antwort auf die wichtigste Frage: Können die Russen geschlagen werden? Wir haben gezeigt: Ja, sie können geschlagen werden."
Und, ja, die Welt sieht das. Versteht. Neue, große Militärhilfen werden versprochen. Kommen. Saluschnyj wird dagegen "aus der Öffentlichkeit verbannt", ihm wird verboten, an die Front zu reisen. Shuster erzählt das alles sachlich, schnell. Er wertet nicht, macht keine Psychogramme, was eine scharfe Spannung schafft. Manchmal ist sie so schneidend, dass man vergisst zu atmen. Besonders auf der Reise ins befreite Cherson. Der Ich-Erzähler begleitet Wolodymyr Selenskyj, dessen Sicherheitsleute die Fahrt verbieten wollten. Zu gefährlich. Wieder wird aus dem Buch ein Film: Mürrische Wachposten. Ackerland, aufgerissen von Geschossen. Grimmige Soldaten, die auf den Türmen der Panzer herumklettern. Explosionen. Selenskyj mittendrin - waghalsig wie zu oft, ohne Schutzweste, ohne Helm.
Es ist verrückt, denkt man beim Lesen: Macht Mut wahnsinnig? Oder macht Wahnsinn mutig?
Warum denn diese Reise?, das denkt auch Shuster. Er fragt Selenskyj. "Es geht um die Menschen. (...) Ich sehe es als meine Pflicht an, dorthin zu gehen und ihnen zu zeigen, (...) dass ihr Land sie unterstützt. Vielleicht wird ihnen das genug Auftrieb geben, um noch ein paar Tage durchzuhalten. Aber ich (...) mache mir keine Illusionen", sagt er im Zug zurück nach Kiew. Er hält ein Taschenbuch in seiner Hand. Selenskyj liest auf Reisen, wenn er Zeit hat, Historisches, Biographien. Die von Winston Churchill hatte er kurz nach der Invasion gelesen, weil man die beiden oft verglichen hatte. Doch Charlie Chaplin wäre dem Ex-Comedian Selenskyj lieber, weil Chaplin mit der Waffe der Information gegen das Böse, gegen den Faschismus kämpfte: "Es gab solche Menschen, solche Künstler (...) Und oft war ihr Einfluss stärker als Artillerie." Das sagt Selenskyj gegen Ende dieses Buchs, das in Wahrheit kein Ende hat. Denn dieser Krieg geht immer weiter. Hört nicht auf. Drohnen, Beschuss, Raketen - so läuft das Leben, Sterben in der Ukraine jeden Tag.
Im sicheren und warmen, kalten Deutschland sitzt man am Abend auf seinem Sofa. Sitzt da mit den fünfhundert Seiten Selenskyj-Überdosis und ist verwirrt, verstört, verloren. Denn diese vielen Seiten waren Unterhaltung, Action, Liebe. Doch helfen der Ukraine Unterhaltung, Action, Liebe? Helfen Emotionen? Hilft so ein Buch? Ja! Denn nach Gefühlen kommen Erkenntnisse. Das macht Literatur aus. Sie zeigt ihren Lesern eine Wahrheit, die sie vorher nicht sahen und nicht kannten. Und genau das schafft "Vor den Augen der Welt" - die wahre, große Nichtliteratur über den echten, großen Krieg.
Simon Shuster: "Vor den Augen der Welt: Wolodymyr Selenskyj und der Krieg in der Ukraine" erscheint am 24. Januar bei Goldmann (übersetzt von Henning Dedekind, Karsten Petersen, Thomas Stauder. 528 Seiten, 26 Euro).
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Autor Simon Shuster trifft Wolodymyr Selenskyj zum ersten Mal vor dessen Präsidentschaft. Und danach immer wieder. Er ist Reporter beim US-Magazin "Time". "Sei nicht zu nachsichtig mit ihm. (...) Du weißt nicht, zu was er sich noch entwickeln wird", sagt später, mitten im großen Krieg, eine ukrainische Journalistin dem amerikanischen Reporter. Im Buch ist Shuster nie nachsichtig, deshalb ist es so gut. Und auch, weil Simon Shuster zwischen den Seiten immer wieder selbst auftaucht, mit seinen Zweifeln, seinen Fragen. Er ist hier der Ich-Erzähler.
Selenskyjs Politstory beginnt nach einer Reise in den Donbass. Es ist 2014, der Präsident ist damals noch ein Fernsehproduzent, ein Komiker. Mit seiner Gruppe fährt er durchs Kriegsgebiet, tritt vor Soldaten auf. Die Tour wird ein Erfolg. Als Dank schenken die Soldaten der Selenskyj-Gruppe das, was sie besitzen: eine Flasche Shampoo, das Rangabzeichen eines toten russischen Separatisten, eine Handgranate.
"Sie schützen unsere Zukunft. (...) Und sie haben nicht das Gefühl, dass wir alle stolz auf sie sind", erzählt Selenskyj gleich nach seiner Reise. Jetzt hat er die Idee, als Präsident zu kandidieren. Fängt zuerst aber an zu schreiben: das Drehbuch für die Sitcom "Sluha narodu" ("Diener des Volkes"), wie die Partei Selenskyjs später heißen wird. Es geht um einen ehrlichen, einfachen Lehrer, der aus Versehen der Präsident der Ukraine wird und alles besser macht. Selenskyjs Frau schreibt am Skript mit. "Es war eine völlig fiktive Phantasiefigur", sagt Olena Selenska zu Simon Shuster Jahre später. Es ist der Standardsatz der Literaten, die in Wahrheit nicht sagen wollen, wie viel Reales in ihrer Fiktion am Ende steckt. Doch Shuster glaubt ihr. Er ist zu mild mit der First Lady. Mit ihrem Mann ist er es nie. "Das Finale der Serie war keineswegs Selenskyjs beste Arbeit (...), und das märchenhafte Ende roch nach propagandistischem Machwerk, was es wohl auch sein sollte", schreibt der nicht nachsichtige Ich-Erzähler.
Im Mai 2019 wird Wolodymyr Selenskyj Präsident.
Doch Shusters Buch - voller boulevardesker, historischer Zeitsprünge, voller scheinseriöser, bitterernster Wendungen - fängt später an: am Tag der Invasion, am 24. Februar 2022. Man wacht mit Wolodymyr Selenskyj auf, mit seinem Schäferhund, der unruhig wird, mit dem nervösen Kesha, dem Familienpapagei. Der Präsident zieht einen Anzug an, ein weißes Hemd, sagt seiner Frau: "Es hat begonnen." Und sie versteht. Er fährt in sein Büro in die Bankova-Straße 11. Dort taucht das wahre Böse auf dem Bildschirm auf. Putin. Seine Ansprache zum großen Kriegsbeginn. Shuster beschreibt alles so rau und nüchtern, dass es im Kopf zum Film wird. Vielleicht der Anfang einer guten Serie? Klar, so was zu schreiben ist makaber.
Von da an lebt Selenskyj in der Bankova-Straße und im Bunker darunter. Doch das Problem: Den Bunker hatten die Sowjets gebaut, und "irgendwo in den Archiven des KGB hatten die Russen höchstwahrscheinlich Grundrisse davon, bis hin zur Position der Präsidententoilette."
Im Bunker gibt es nur Dosenfleisch und Schokoriegel. Erst Wochen nach der Invasion wird warm gekocht. Ein kleines Gym wird eingerichtet in einem engen Korridor: ein paar Gewichte, eine Bank. Der Präsident trainiert spätnachts. Manchmal gibt es im Bunker Filmvorführungen. Selenskyj sucht die Filme aus. Sucht einmal "13 Hours" aus, den Hollywood-Blockbuster über das Konsulat der Amerikaner in Benghasi, das 2012 belagert worden war. Gewalt, Blut, Horror - im Film und in der Wirklichkeit.
Einen Horror durchlebt auch Olena Selenska am Anfang der Invasion. Sie flieht mit ihren Kindern unter strengen Protokollen: kein Telefon, kein Internet, kein Kontakt zu niemandem. Sie wechselt ständig ihre Unterkünfte. Die Frau des Präsidenten weiß, wenn Russen sie und ihre Kinder kriegen, hat Putin genug Macht, um ihren Ehemann zu erpressen. Olena und Wolodymyr Selenskyj haben eine komplexe, komplizierte Liebe. Haben aber auch gewöhnliche, ermüdende Prenzlauer-Berg-Probleme: Du arbeitest zu viel, du bist nie mit den Kindern, du musst verstehen und so weiter und sogar im Krieg. Das aber müssen Sie selbst lesen.
Und jetzt fragen Sie sich sicher: Warum denn, bitte, dieses müssen? Die erste, eher abstrakte Antwort ist: Sie leben auch im Krieg. Denn hört man Putin richtig zu, führt er einen Krieg gegen den Westen, gegen die Demokratie, gegen das freie Leben, gegen Sie. Aber die feuilletonistische und andere Antwort ist: Das Buch von Shuster ist brillant. Denn es ist mit seinem echten und ambivalenten Helden tatsächlich wie wahrhafte und große Literatur. Es zeigt den Lesern eine Welt, die fremd und fern ist, doch es zeigt durchs Erzählen des Menschlichen auch Universelles, das jeder kennt. Denn jeder hat schon mal geliebt, gefürchtet und gehasst - und log und irrte sich.
Selenskyj irrte sich so sehr, dass Menschen starben. Schnitt. Und der Auftritt des Antagonisten Walerij Saluschnyj. Am Anfang ist Selenskyj begeistert von seinem Gegenspieler. In der Armee ist Saluschnyj als "Spaßvogel" bekannt, beliebt. Im Juli 2021 wird er - damals noch Generalmajor - zum Präsidenten einbestellt, einen Tag vor der Geburtstagsfeier seiner Frau, die Walerij Saluschnyj schon groß und lang geplant hatte. Er redet Stunden mit Selenskyj und Selenskyjs Team. Es geht um nichts Konkretes. Man sagt ihm, er solle am nächsten Tag wieder in die Bankova-Straße kommen. Saluschnyj stellt sich jetzt den Zorn seiner Ehefrau vor, kriegt Angst, sagt, er könne morgen nicht. Selenskyjs Entourage muss zur Geburtstagsfeier von Saluschnyjs Frau anreisen und ihm, der Bier trinkt und Shorts trägt, ausrichten, dass er der Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte werde.
"Als er auf die Party zurückgekehrt sei, habe er ausgesehen, als hätte man ihm gerade eine verpasst, (...) 'nicht nur unter die Gürtellinie, sondern mit einem Schlag k. o.'", erzählt Saluschnyj Shuster.
Das militärische Auftreten der Ukraine wird härter, selbstbewusster mit dem Kommando von Saluschnyj. Schon seit November 2021 weiß er - und weiß Selenskyj - von einer russischen Invasion. Die Amerikaner warnten sie. Selenskyj glaubt nicht an einen großen Krieg. Saluschnyj hält heimliche Manöver ab. Bewegt das militärische Gerät nur nachts. "Wir mussten den Feind glauben lassen, dass wir alle in unseren üblichen Stützpunkten saßen, Gras rauchten, fernsahen und auf Facebook posteten", sagt General Saluschnyj, den spätestens jetzt jeder, der das Buch liest, lieben wird, weil er so klar, einfach und ehrlich spricht. Er erzählt Shuster, dass er dann doch mobilisieren wollte. Der Präsident verbietet es.
Selenskyj fliegt am 19. Februar 2022 zur Münchner Sicherheitskonferenz. Verhandelt, redet, bekommt nichts. Er ist frustriert. Westliche Staatschefs fordern ihn auf, nicht mehr zurückzukehren, eine Regierung im Exil zu bilden. "Ich habe in Kyjiw gefrühstückt. (...) Und ich werde dort zu Abend essen", sagt er und fliegt zurück.
Am Dienstag, am 22. Februar, verspricht der Präsident den Ukrainern noch: "Es besteht kein Anlass für eine schlaflose Nacht."
"Bis zum Schluss ging er davon aus, dass der Angriff nur ein begrenztes Ausmaß hätte", schreibt Schuster.
Ein Fehler. Der dunkle Donnerstag bricht an. Butscha, Mariupol, Isjum werden zu Todesstätten. Und andere Städte, Dörfer. Viele. Jetzt ist man wütend auf den Helden. Menschen hätten gerettet, Krankenhäuser evakuiert werden können, und Waisen- und Altenheime auch.
Selenskyj bettelt um Waffen in der Welt. Sie reagiert rasant. Zuerst. Dann nicht mehr. Zögert. Deutschland zögert auch. Der Ich-Erzähler soll für sein Magazin den deutschen Kanzler interviewen. Fährt nach Berlin. Der Fotograf der "Time" hat diese Angewohnheit, die Menschen, die er porträtiert, nach ihren Lieblingssongs zu fragen. Spielt sie während der Shootings. Und Olaf Scholz? Er schweigt. Er zögert, als ginge es um eine Million Leopard-2A4-Panzer. Sagt irgendwann, dass er als Kind Oboe gespielt habe. Der Fotograf legt elektronische Musik auf, weil die Situation zu peinlich wird - für ihn, für Scholz, für Schuster. Klar, das ist eine egale, kleine Anekdote. Und klar, es geht jetzt um viel mehr. Es geht ums Überleben.
Die Rollen sind verteilt, zumindest anfangs noch: Saluschnyj verantwortet die Taktik der Streitkräfte, Selenskyj die des Medienkriegs. Doch das verändert ihn, schreibt Shuster, beschreibt ein Treffen im April 2022. Als "er mir gegenüber Platz nahm, bewegte er sich wie ein Herrscher, der seinen Thron besteigt".
Selenskyjs neues Selbstbewusstsein ist - keine Frage - der Grund für die siegreiche, große Gegenoffensive der Ukraine im Nordosten.
Aber von Anfang an: Sommer 2022, Selenskyj will einen schnellen Erfolg, er will die Oblast Charkiw wiederhaben. Saluschnyj weigert sich, er will im Süden vorstoßen, hält das taktisch für wichtiger. Selenskyj setzt sich durch. Und hisst Mitte September die Ukraineflagge über Isjum. Warum ihm das so wichtig war?
Oleksij Resnikow, der Ex-Verteidigungsminister, erklärt es kurz nach der Befreiung des Nordostens: "Psychologisch gesehen, gehört es zur Überlebensstrategie des Menschen, sich auf die Seite des Siegers zu schlagen. (...) Heute demonstrieren wir der Welt die Antwort auf die wichtigste Frage: Können die Russen geschlagen werden? Wir haben gezeigt: Ja, sie können geschlagen werden."
Und, ja, die Welt sieht das. Versteht. Neue, große Militärhilfen werden versprochen. Kommen. Saluschnyj wird dagegen "aus der Öffentlichkeit verbannt", ihm wird verboten, an die Front zu reisen. Shuster erzählt das alles sachlich, schnell. Er wertet nicht, macht keine Psychogramme, was eine scharfe Spannung schafft. Manchmal ist sie so schneidend, dass man vergisst zu atmen. Besonders auf der Reise ins befreite Cherson. Der Ich-Erzähler begleitet Wolodymyr Selenskyj, dessen Sicherheitsleute die Fahrt verbieten wollten. Zu gefährlich. Wieder wird aus dem Buch ein Film: Mürrische Wachposten. Ackerland, aufgerissen von Geschossen. Grimmige Soldaten, die auf den Türmen der Panzer herumklettern. Explosionen. Selenskyj mittendrin - waghalsig wie zu oft, ohne Schutzweste, ohne Helm.
Es ist verrückt, denkt man beim Lesen: Macht Mut wahnsinnig? Oder macht Wahnsinn mutig?
Warum denn diese Reise?, das denkt auch Shuster. Er fragt Selenskyj. "Es geht um die Menschen. (...) Ich sehe es als meine Pflicht an, dorthin zu gehen und ihnen zu zeigen, (...) dass ihr Land sie unterstützt. Vielleicht wird ihnen das genug Auftrieb geben, um noch ein paar Tage durchzuhalten. Aber ich (...) mache mir keine Illusionen", sagt er im Zug zurück nach Kiew. Er hält ein Taschenbuch in seiner Hand. Selenskyj liest auf Reisen, wenn er Zeit hat, Historisches, Biographien. Die von Winston Churchill hatte er kurz nach der Invasion gelesen, weil man die beiden oft verglichen hatte. Doch Charlie Chaplin wäre dem Ex-Comedian Selenskyj lieber, weil Chaplin mit der Waffe der Information gegen das Böse, gegen den Faschismus kämpfte: "Es gab solche Menschen, solche Künstler (...) Und oft war ihr Einfluss stärker als Artillerie." Das sagt Selenskyj gegen Ende dieses Buchs, das in Wahrheit kein Ende hat. Denn dieser Krieg geht immer weiter. Hört nicht auf. Drohnen, Beschuss, Raketen - so läuft das Leben, Sterben in der Ukraine jeden Tag.
Im sicheren und warmen, kalten Deutschland sitzt man am Abend auf seinem Sofa. Sitzt da mit den fünfhundert Seiten Selenskyj-Überdosis und ist verwirrt, verstört, verloren. Denn diese vielen Seiten waren Unterhaltung, Action, Liebe. Doch helfen der Ukraine Unterhaltung, Action, Liebe? Helfen Emotionen? Hilft so ein Buch? Ja! Denn nach Gefühlen kommen Erkenntnisse. Das macht Literatur aus. Sie zeigt ihren Lesern eine Wahrheit, die sie vorher nicht sahen und nicht kannten. Und genau das schafft "Vor den Augen der Welt" - die wahre, große Nichtliteratur über den echten, großen Krieg.
Simon Shuster: "Vor den Augen der Welt: Wolodymyr Selenskyj und der Krieg in der Ukraine" erscheint am 24. Januar bei Goldmann (übersetzt von Henning Dedekind, Karsten Petersen, Thomas Stauder. 528 Seiten, 26 Euro).
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schließen
Für dieses Produkt wurde noch keine Bewertung abgegeben. Wir würden uns sehr freuen, wenn du die erste Bewertung schreibst!
Eine Bewertung schreiben
Eine Bewertung schreiben
Andere Kunden interessierten sich für