Warum nichts so bleibt, wie es ist - Die persönliche Rückschau des großen Naturforschers Josef H. Reichholf
Vögel, die sich in Wasserfälle stürzen, Ameisen, die unterirdische Pilzgärten anlegen, Jaguare, die ursprünglich in Italien und auf dem Balkan lebten, bevor sie nach Nord- und Südamerika wanderten. Kaum jemand hat so viele Tiere beobachtet - seltene und weitverbreitete - wie der große Naturforscher und bekannte Autor Josef H. Reichholf. Basierend auf der Vielfalt seiner Erfahrungen und Forschungen entwickelte er seine viel diskutierten Thesen zur Ökologie, Evolution und zum Naturschutz. Nach einem halben Jahrhundert blickt er zurück und zieht Bilanz: In der Natur gibt es keinen besten oder einzig richtigen Zustand, Stabilität bedeutet Stillstand und führt zum Niedergang. Leben ist steter Wandel, nichts bleibt so, wie es ist.
Vögel, die sich in Wasserfälle stürzen, Ameisen, die unterirdische Pilzgärten anlegen, Jaguare, die ursprünglich in Italien und auf dem Balkan lebten, bevor sie nach Nord- und Südamerika wanderten. Kaum jemand hat so viele Tiere beobachtet - seltene und weitverbreitete - wie der große Naturforscher und bekannte Autor Josef H. Reichholf. Basierend auf der Vielfalt seiner Erfahrungen und Forschungen entwickelte er seine viel diskutierten Thesen zur Ökologie, Evolution und zum Naturschutz. Nach einem halben Jahrhundert blickt er zurück und zieht Bilanz: In der Natur gibt es keinen besten oder einzig richtigen Zustand, Stabilität bedeutet Stillstand und führt zum Niedergang. Leben ist steter Wandel, nichts bleibt so, wie es ist.
buecher-magazin.deDie Iguazú-Wasserfälle in Brasilien sind fast drei Kilometer breit. Am sogenannten Teufelsschlund sind sie bis zu 80 Meter hoch. Jeden Abend fliegen Hunderte kleine Vögel - nicht einmal 100 Gramm schwer - inmitten der ohrenbetäubenden Wasserfluten. Allerdings werden die Winzlinge nicht mitgerissen oder zerquetscht. Sie schaffen es tatsächlich auf die andere Seite des Wasserfalls. Dort haben sie ihren Schlafplatz - und sind vor Feinden sicher. Über die kleinen Greisensegler entführt Josef H. Reichholf seine Leser bereits auf den ersten Seiten in die unglaubliche Tier- und Pflanzenwelt. Obgleich der Zoologe und Ökologe betont, er schreibe keine Autobiografie, lernt man im Laufe des Buches nicht nur Erstaunliches wie Wunderbares über die Natur, sondern bekommt auch ein Bild von dem Autor. Der Leser erfährt etwa, wie Reichholf bereits als Teenager Kontakt mit der Ornithologischen Gesellschaft in Bayern aufnahm und den Austausch mit Experten suchte. Auch seinem Frust über engstirnige Naturschutzverbände und kurzsichtige Politiker macht der Autor Luft. Sein Buch bleibt interessant, denn Reichholf stellt zwei Fähigkeiten unter Beweis: Er weiß, wie er die Aufmerksamkeit seiner Leser fesselt - und wie viele Details nötig sind, um sie zu halten. Nur an wenigen Stellen wird er dogmatisch.
© BÜCHERmagazin, Anna Gielas
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.06.2016Alt und jung
zugleich
Josef H. Reichholf skizziert eine
kurze Geschichte von Mensch und Natur
VON FRITZ GÖTTLER
Eine atemraubende Vision – die Geburt des Lebens auf der Erde aus gewissermaßen höllischen Bedingungen: So wie sie bei den „Schwarzen Rauchern“ herrschen, in der Tiefe des Meeres. Das sind vulkanartigen Schlote, aus denen heißes Wasser mit Schwefeldämpfen und allen möglichen Mineralien austritt, die also dem Umfeld ähneln, in dem chemische Reaktionen die einfachsten frühen Lebensformen hervorbrachten. An diesen Rauchern „wird intensiv geforscht, seit es möglich ist, mit Tauchbooten und automatischen Greifern Proben aus diesen ‚Höllenschlünden‘ entnehmen zu können. Dort liefern rein chemische Vorgänge die Energie und es herrscht, je nach Tiefe des Meeres, sehr hoher Druck. Das begünstigt schwierige chemische Reaktionen, denen Energie zugeführt werden muss, damit sie ablaufen.“ Von diesen Reaktionen aus entwickeln sich dann – über Bakterien, Zellteilungen, Fotosynthese und Atmungsprozesse – in Millionen Jahren die Lebensformen, wie wir es heute kennen.
Ein Moment von Jules Verne spielt durchaus mit, wenn der Evolutionsforscher Josef H. Reichholf aus der Geschichte von Mensch und Natur berichtet, unterstützt von den Bildern von Johann Brandstetter. Wissenschaftsgeschichte als Expedition, als erzählerischer Trip. Souverän wechselt er zwischen den diversen Wissenschaften, Chemie, Genforschung, Biologie, aber auch Anthropologie und Soziologie. Es ist noch vieles in der Schwebe in den in diesem Band dargestellten Forschungsergebnissen, geklärte Fragen und Ergebnisse führen schnell zu neuen Fragen. Das schöne Gefühl des Dabeigewesenseins entsteht beim Lesen dieses Buches, das uns in ferne Welten und lang vergangene Zeiten führt – zu unseren Vorgängern wie dem Australopithecus oder dem Homo sapiens, zur Herausbildung von Pflanzen und Tieren, Zivilisierung und Kultivierung, die Erfindung von Waffen und Gerätschaften. „Zwei Millionen Jahre Evolution formten uns im Allgemeinen, die letzten 200 000 Jahre aber im Speziellen. Die genetischen Befunde stimmen mit den physikalischen Zeitmessungen bestens überein. Wir Menschen sind also alt und jung zugleich.“ Reichholf verweigert den eindimensionalen Blick, er stellt immer wieder in Frage und nimmt gern ungewohnte Perspektiven ein. Ist der treue Hund wirklich eine Züchtung des Menschen, oder hat er womöglich selbst sich ans Leben mit den Menschen angepasst, weil er halt zahlreiche Vorteile davon hat?
Den großen Vereinfachern mit ihrer Sehnsucht nach Ordnung und Dauer, Volk und Nation könnte man Reichholfs Befund entgegenhalten, „dass die Menschen sehr viel umherwanderten und nur ausnahmsweise über längere Zeiten sesshaft geblieben waren“. Die Natur- und die Menschengeschichte bleiben ein Abenteuer. – Auch und gerade das unerhörte Abenteuer der Identität. Das letzte Wort lässt Reichholf dem großen Lewis Carroll und dessen Alice hinter den Spiegeln, die der Roten Königin erklärt: „Hierzulande musst du so schnell rennen, wie du kannst, wenn du am gleichen Fleck bleiben willst.“ (ab 14 Jahre)
Josef H. Reichholf: Evolution. Eine kurze Geschichte von Mensch und Natur. Mit Illustrationen von Johann Brandstetter. Carl Hanser Verlag 2016. 239 Seiten, 22,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
zugleich
Josef H. Reichholf skizziert eine
kurze Geschichte von Mensch und Natur
VON FRITZ GÖTTLER
Eine atemraubende Vision – die Geburt des Lebens auf der Erde aus gewissermaßen höllischen Bedingungen: So wie sie bei den „Schwarzen Rauchern“ herrschen, in der Tiefe des Meeres. Das sind vulkanartigen Schlote, aus denen heißes Wasser mit Schwefeldämpfen und allen möglichen Mineralien austritt, die also dem Umfeld ähneln, in dem chemische Reaktionen die einfachsten frühen Lebensformen hervorbrachten. An diesen Rauchern „wird intensiv geforscht, seit es möglich ist, mit Tauchbooten und automatischen Greifern Proben aus diesen ‚Höllenschlünden‘ entnehmen zu können. Dort liefern rein chemische Vorgänge die Energie und es herrscht, je nach Tiefe des Meeres, sehr hoher Druck. Das begünstigt schwierige chemische Reaktionen, denen Energie zugeführt werden muss, damit sie ablaufen.“ Von diesen Reaktionen aus entwickeln sich dann – über Bakterien, Zellteilungen, Fotosynthese und Atmungsprozesse – in Millionen Jahren die Lebensformen, wie wir es heute kennen.
Ein Moment von Jules Verne spielt durchaus mit, wenn der Evolutionsforscher Josef H. Reichholf aus der Geschichte von Mensch und Natur berichtet, unterstützt von den Bildern von Johann Brandstetter. Wissenschaftsgeschichte als Expedition, als erzählerischer Trip. Souverän wechselt er zwischen den diversen Wissenschaften, Chemie, Genforschung, Biologie, aber auch Anthropologie und Soziologie. Es ist noch vieles in der Schwebe in den in diesem Band dargestellten Forschungsergebnissen, geklärte Fragen und Ergebnisse führen schnell zu neuen Fragen. Das schöne Gefühl des Dabeigewesenseins entsteht beim Lesen dieses Buches, das uns in ferne Welten und lang vergangene Zeiten führt – zu unseren Vorgängern wie dem Australopithecus oder dem Homo sapiens, zur Herausbildung von Pflanzen und Tieren, Zivilisierung und Kultivierung, die Erfindung von Waffen und Gerätschaften. „Zwei Millionen Jahre Evolution formten uns im Allgemeinen, die letzten 200 000 Jahre aber im Speziellen. Die genetischen Befunde stimmen mit den physikalischen Zeitmessungen bestens überein. Wir Menschen sind also alt und jung zugleich.“ Reichholf verweigert den eindimensionalen Blick, er stellt immer wieder in Frage und nimmt gern ungewohnte Perspektiven ein. Ist der treue Hund wirklich eine Züchtung des Menschen, oder hat er womöglich selbst sich ans Leben mit den Menschen angepasst, weil er halt zahlreiche Vorteile davon hat?
Den großen Vereinfachern mit ihrer Sehnsucht nach Ordnung und Dauer, Volk und Nation könnte man Reichholfs Befund entgegenhalten, „dass die Menschen sehr viel umherwanderten und nur ausnahmsweise über längere Zeiten sesshaft geblieben waren“. Die Natur- und die Menschengeschichte bleiben ein Abenteuer. – Auch und gerade das unerhörte Abenteuer der Identität. Das letzte Wort lässt Reichholf dem großen Lewis Carroll und dessen Alice hinter den Spiegeln, die der Roten Königin erklärt: „Hierzulande musst du so schnell rennen, wie du kannst, wenn du am gleichen Fleck bleiben willst.“ (ab 14 Jahre)
Josef H. Reichholf: Evolution. Eine kurze Geschichte von Mensch und Natur. Mit Illustrationen von Johann Brandstetter. Carl Hanser Verlag 2016. 239 Seiten, 22,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
Die im ersten Satz des Buches explizit formulierte Absicht, keine Autobiografie schreiben zu wollen, könne der Evolutionsbiologe Josef H. Reichholf nicht einlösen, urteilt Cosima Lutz. Trotzdem oder gerade deshalb erfreut sich die Rezensentin an der geschilderten Entwicklung vom naturinteressierten Jugendlichen zum Uniprofessor. Dabei ist Reichholf in Lutz' Augen nicht gerade ein versierter Stilist, sondern "schreibt lieber bedächtig, ja altertümlich". Insgesamt fällt das Fazit der Kritikerin ambivalent aus: Sie schätzt manch hellsichtige Darlegung und wichtige Einsicht zum Thema Ökologie, zeigt sich aber auch irritiert vom "rhetorischen Holzhammer" des Autors, wenn es um Naturschutz und die Rolle der Medien geht: "Das nimmt stellenweise marottenhafte Züge an", findet Lutz, "da verlässt ihn die Sorgfalt, da lügt die Presse ein bisschen zu pauschal".
© Perlentaucher Medien GmbH
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Reichholf schafft es, dass man beim Lesen wieder lernt, über die Natur zu staunen. Fritz Habekuß Zeit Wissen 20160201
Schöner, aufschlussreicher kann Empirie nicht sein. Christopher Schwarz Wirtschaftswoche 20160129