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"Feuer" beschreibt eine Gruppe verschiedener Menschen, die nach einer Katastrophe zusammenfindet. Sie werden durch das Unglück nicht zusammengeschweißt - es gibt Missgunst, Hinterhältigkeiten, Drohungen. Dennoch müssen sie sich gemeinsam auf den Weg machen, um aus dem Katastrophengebiet herauszukommen, Rettung scheint nicht in Sicht, die Medien schweigen ...Ungemein spannend schildert Chaim Noll den Weg dieser Gruppe durch eine Gefahrenzone, zugleich bietet ihm das Thema die Möglichkeit, unsere heutige Medienwelt und das Miteinander der Menschen zu hinterfragen. "Feuer" ist ein ebenso kluger…mehr

Produktbeschreibung
"Feuer" beschreibt eine Gruppe verschiedener Menschen, die nach einer Katastrophe zusammenfindet. Sie werden durch das Unglück nicht zusammengeschweißt - es gibt Missgunst, Hinterhältigkeiten, Drohungen. Dennoch müssen sie sich gemeinsam auf den Weg machen, um aus dem Katastrophengebiet herauszukommen, Rettung scheint nicht in Sicht, die Medien schweigen ...Ungemein spannend schildert Chaim Noll den Weg dieser Gruppe durch eine Gefahrenzone, zugleich bietet ihm das Thema die Möglichkeit, unsere heutige Medienwelt und das Miteinander der Menschen zu hinterfragen. "Feuer" ist ein ebenso kluger wie mitreißender Roman, den die Leserinnen und Leser so schnell nicht wieder aus der Hand legen werden.
Autorenporträt
Chaim Noll wurde 1954 in Ostberlin geboren. Sein Vater ist der Schriftsteller Dieter Noll. Er verweigerte den Wehrdienst in der DDR. 1983 reiste er nach Westberlin aus, 1991 verließ er mit seiner Familie Deutschland und lebte in Rom. Seit 1995 lebt er in Israel. Er veröffentlichte unter anderem: "Der Abschied", Roman (1985); "Berliner Scharade", Roman, (1987); "Die Wüste lächelt", Gedichte (2001) und "Meine Sprache wohnt woanders. Gedanken zu Deutschland und Israel" (mit Lea Fleischmann, 2006).Im Verbrecher Verlag erschien 2008 sein Roman "Der Kitharaspieler" und 2009 der Roman "Der goldene Löffel".
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.02.2011

Motel der Angst
Der deutsch-israelische Schriftsteller Chaim Noll lotet in seinem Roman „Feuer“ die Grenzen der Humanität aus
„Feuer“, so nennen die Menschen das Unbeschreibliche, das, wovor sie fliehen. Doch es ist nur ein Hilfswort, keiner weiß, was wirklich geschehen ist. Einige berichten von einer Explosion im Kraftwerk, andere vermuten einen Unfall in der Chemiefabrik. Chaim Noll lässt in seinem Roman „Feuer“ offen, was es war, das eine ganze Stadt, vielleicht sogar einen ganzen Landstrich, ausgelöscht hat. Wichtiger ist ihm der Umgang mit dem unfassbaren Ereignis. Da sind einerseits die Männer und Frauen, die er auf ihrer zunächst kopflosen, später straff organisierten Flucht durch strömenden, schwarz verfärbten Regen begleitet. Und da ist andererseits eine demokratische Öffentlichkeit, die ihren ganz eigenen, erschreckenden Umgang mit dem Geschehen findet. „Feuer“ hat etwas von einem Endzeitthriller, kann aber zugleich als Studie über eine Gesellschaft am Rande des Abgrunds gelesen werden.
17 Menschen sind gemeinsam unterwegs, nach und nach werden es weniger. Der Zufall hat sie zusammengebracht, die Angst oder die Vernunft lässt sie zusammenbleiben. Andere Gruppen sieht man aus der Ferne, meidet sie aber, überall kann Gefahr lauern. Wie die Katastrophe tragen auch die Personen nur vorläufige Namen: Das Mädchen in Grün ist dabei, der Polizei-Offizier, der Bischof, der mit der schwarzen Lederjacke, der Gymnasiast, die Rothaarige – fast kindlich wirken diese Bezeichnungen, wie der Versuch, mit altbekannten Labels ein bisschen Struktur in die haltlos gewordene Welt zu bringen. Das erzwungene Vagabundenleben hat wenig von Lagerfeuerromantik: Es kommt zu Übergriffen in der Gruppe, Machtspiele entwickeln sich, der Ruf nach Selbstjustiz wird laut, und nur wenige versuchen, zivilisatorische Standards hochzuhalten. Dazu die quälende Ungewissheit, ob es überhaupt noch unverseuchtes Gebiet gibt, ob die eingeschlagene Richtung die richtige ist, ob Angehörige oder Freude noch leben können.
Immer wieder wechselt Noll beiläufig die Erzählperspektive, während die Gruppe von Fremden ins Ungewisse zieht, blickt mal diesem, mal jenem über die Schulter. Hat der Gymnasiast das Wort, erfährt man vor allem, dass er sich von „Pennern“ umgeben fühlt und die anwesenden Frauen als Freiwild betrachtet. Fällt der Blick des Hinkenden auf ein Ortsschild, ist sein erster Gedanke der, dass der örtliche Fußballverein in der zweiten Liga spielte. Der Professor wiederum verstrickt sich zusehends in Versuchen, angesichts der erlebten Brutalität seine Theorie von der Postmoderne als einem „schöpferischen, kreativen Durcheinander“ zu retten. Nolls Stil wechselt mit der Perspektive. Seine Beschreibungen bleiben jedoch durchweg intensiv und psychologisch genau.
Immer wieder schafft er Szenen von fast filmischer Bildhaftigkeit. Wie diesen eigenartig schillernden Moment, als der alte, gebrechliche Bischof in einem verlassenen Motel, in dem die Flüchtenden für eine Nacht Schutz suchen, zufällig auf den grobschlächtigen Gangster Rocco trifft. Automatisch macht er eine segnende Geste, sieht zu Rocco auf und fühlt sich unvermittelt an einen Wikinger erinnert. „Er muss lächeln, trotz seiner Schmerzen, über diese Vision. Rocco grinst zurück. Gibt dem Bischof im Weitergehen einen Klaps auf die Schulter, die einzige Geste des Respekts, die er kennt.“
Es ist, als wäre man Zeuge eines Laborexperiments über die Grenzen der Humanität, dokumentiert von einem verständigen und gerade deshalb verzweifelnden Kenner der Menschen und ihrer Schwächen. Doch es gibt innerhalb der Romanhandlung auch den kalten Blick auf das Geschehen in der Gefahrenzone, den Blick von außen. Dort wirken Kräfte, die eine heile Welt zu bewahren versuchen. Mit diesen konfrontiert, wird noch einmal jeder Einzelne der Gruppe eine schwerwiegende Entscheidung treffen müssen.
Ungewöhnlich und berührend ist die Ernsthaftigkeit, die Beharrlichkeit, mit welcher der Autor existentielle Fragen diskutiert. Dass das Nachdenken über Wahrnehmung und Wahrheit, über Erinnerung und Manipulation an einigen Stellen etwas ausschweifend gerät, soll für diesmal den Protagonisten angelastet werden. Chaim Noll dagegen ist ein im besten Sinne irritierender Roman gelungen. CORNELIA FIEDLER
CHAIM NOLL: Feuer. Roman. Verbrecher Verlag, Berlin 2010. 377 Seiten, 24 Euro.
E rzähler aus der Gefahrenzone: Chaim Noll. Alexander Janetzko
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.06.2011

Dem technischen Supergau folgt die Katastrophe in den Köpfen

Unheilvolle Prophetie: Mit "Feuer" hat der in Israel lebende Chaim Noll einen Roman geschrieben, der die Tragödie von Fukushima auf erschreckende Weise vorwegnimmt.

Dass sie sich zwar Gegenwartsliteratur nenne, tatsächlich aber gegenwärtigen Gehalt, geschweige denn eine Auseinandersetzung mit sozialen oder politischen Themen der Zeit scheue, wird allenthalben aufs Neue diagnostiziert. Zweifelsohne ist das ein Vorwurf, dem Chaim Noll sich nicht aussetzen muss. Im Gegenteil scheinen die Romane Nolls, der Anfang der achtziger Jahre die DDR verließ, seinen Vornamen von Hans in Chaim änderte und seit Mitte der neunziger Jahre in Israel lebt, sogar bisweilen auf unheimliche Weise die Gegenwart vorwegzunehmen. "Der goldene Löffel", erstmals im Spätsommer 1989 erschienen und vor zwei Jahren wieder aufgelegt, prophezeit den baldigen Untergang des maroden Systems DDR.

Nolls jüngster Roman "Feuer" erzählt von einem technischen Kollaps, der eine ganze Stadt innerhalb kürzester Zeit vollkommen zerstört. Was genau sich ereignet hat, bleibt im Unklaren, setzt sich aus den Beobachtungsbruchstücken der Figuren zusammen, mal ist von einem Störfall in einem Atomkraftwerk die Rede, mal von einer Explosion in einer Chemiefabrik. Das Szenario, das Noll entwirft und das mit Verkehrschaos und Stromausfall beginnt und sich zum Inferno ausweitet, changiert zwischen zivilem Super-GAU und biblischer Apokalypse.

Feuer nennt es in Ermangelung anderer Informationen eine Gruppe von Menschen, die es geschafft hat, aus der Stadt in die umliegenden Wälder zu flüchten, und nun versucht, in ein von der Katastrophe verschontes Gebiet zu gelangen. Allen ist nur geblieben, was sie bei sich hatten, als das Leben kollabierte, mehr aufeinander geworfen sind sie als zusammengekommen. Zwangsläufig heterogen sind die Biographien, die Noll beinahe wie in einem Kammerspiel zusammenprallen lässt.

Zu dieser kleinen geschlossenen Gesellschaft gehören unter anderem ein beständig dozierender Professor samt Gattin, eine wohlhabende jüdische Dame, ein Bischof und eine junge Kosmetikfachverkäuferin, die sich im Sekundentakt einem der Männer an den Hals schmeißt. Dazu kommen der smarte, aber skrupellose Collande, den auch nach ein paar Tagen im Wald noch ein Hauch von Eleganz umweht, der sich aber zu seinen Verflechtungen in politischen Kreisen nur nebulös zu äußern gewillt ist, und der Abiturient Sebastian, der aus seiner rechten Gesinnung keinen Hehl macht und beständig einen vorzeitig gealterten Studenten malträtiert, der wegen seines konstanten Alkoholpegels nur "der Penner" genannt wird.

Nicht nur innerhalb der Gruppe haben sich die Abgründe vermeintlicher Zivilisiertheit schnell aufgetan. Innerhalb von Stunden ist das Leben einer mittelgroßen deutschen Stadt umgeschlagen in einen bürgerkriegsähnlichen Zustand in einem verwüsteten Niemandsland. Die Gruppe passiert ausgestorbene, verkohlte Dörfer, verwaiste Autos, Leichen am Straßenrand. Wenn sich doch einmal ein Auto nähert, verbirgt man sich im Unterholz, im Wissen darum, dass es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um plündernde Banden handelt. Mit Anteilnahme oder Solidarität untereinander ist hier nicht zu rechnen. Das scheint so klar, dass noch nicht einmal darüber gesprochen werden muss.

Das wahre menschliche und politische Ausmaß der Katastrophe aber wird erst deutlich, als die Gruppe nach Tagen oder Wochen - das Zeitgefühl ist allen verloren gegangen, seit die Akkus der Handys aufgebraucht sind - auf staatliche Hilfe in einer Art Auffanglager trifft. Denn hier müssen sie erleben, dass die Regierung ganz offenbar alles daransetzt, die Ausmaße des Vorfalls zu vertuschen. Kein Fernsehsender, keine Zeitung berichtet von der Katastrophe, allenfalls von einer unbegründeten Hysterie ist die Rede, von haltlosen Gerüchten, die in der Bevölkerung kursieren. Während die Flüchtlinge äußerlich von ihren zerlumpten Sachen befreit und mit neuer Kleidung ausgestattet werden, werden sie in einen vermeintlichen Rehabilitationsapparat eingespannt, der schlussendlich auch sie selbst davon überzeugen soll, dass sie Opfer einer "epidemisch auftretenden psychischen Beeinträchtigung" sind, die zur Folge hat, dass ihre Wahrnehmungs- und Urteilsfähigkeit nur mehr noch sehr eingeschränkt funktioniert.

In diesen Tagen kann man Nolls Roman über den Super-GAU der hochtechnisierten Informationsgesellschaft gar nicht anders als vor dem grauenhaften Hintergrund Fukushima lesen. Aber auch wenn Noll vordergründig so fatal nah dran ist am Zeitgeschehen, dann ist doch sowohl seine Medienkritik als auch seine Kritik der politischen und zwischenmenschlichen Verhältnisse mehr parabolisch als tatsächlich der Beobachtung der Gegenwart entnommen. Zu sehr erinnert sein düster eindimensionales Bild eines Überwachungsstaates, in dem die Medien gleichgeschaltet sind und in dem individuelle Störfälle mit aller Selbstverständlichkeit ausgeschaltet werden, an Antiutopien im Stile Orwells oder Huxleys. Zu modellhaft und stereotyp ist auch das Figurenensemble, das Noll entwirft. Kaum überraschend, dass gerade die beiden Figuren, die am widerspenstigsten und am wenigstens konform auftreten, nicht nur ein Liebespaar werden, sondern am Ende auch diejenigen sind, die die oktroyierte Wiedereingliederung in das soziale System verweigern und damit fortan auf die Privilegien des Bürgerseins verzichten. Sie sind die einzigen, das erzählt das fast märchenhafte, wenngleich trotzdem resignierte Ende Chaim Nolls, denen in dieser Gesellschaft die Empathie nicht abhandengekommen ist. "Keine Frage", heißt es an einer Stelle, "die Katastrophe hat sich zuerst in den Köpfen abgespielt. Sie ist im Keim nichts anderes als der Verlust der Menschlichkeit."

Das ist der moralische Kern dieses Buches, der sich zweifelsohne auf eine Gesellschaft applizieren lässt, in der Wohlstandsanspruch mit einer Fahrlässigkeit einhergeht, deren Folgen nicht mehr zu kontrollieren sind. Aber gleichsam ist es eben auch ein Kern - gerade durch seine religiöse Konnotation, die sich bei Noll immer wieder mit einem regelrecht appellativen Impuls verbindet - den man auf fast alle Zeiten anwenden kann. Dass Nolls Deutsch ein wenig altmodisch gefärbt ist, mag zum Eindruck des Unzeitgemäßen beitragen.

Womöglich aber wird die Suche nach unmittelbarer Gegenwärtigkeit diesem Roman gar nicht gerecht. Womöglich ist es in Zeiten des medialen Overloads sogar zuträglicher, Literatur in gewisser Weise als etwas anderes, bisweilen Fremdes sich gegenübergesetzt zu sehen. Dann wiederum ließe sich die unwillkürliche Irritation über die ungebrochene und umfassende Moralität, die Chaim Nolls Roman grundiert, als eine wesentliche Signatur unserer Zeit lesen.

WIEBKE POROMBKA

Chaim Noll: "Feuer". Roman.

Verbrecher Verlag, Berlin 2010. 377 S., geb., 24,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Den nach Fukushima sich aufdrängenden Gegenwartsbezug hat der Katastrophen-Roman des aus der DDR stammenden, Mitte der 90er nach Israel übergesiedelten Chaim Noll gar nicht nötig, findet Wiebke Porombka nach reiflicher Überlegung schließlich. So richtig fremd und also erkenntnisfördernd jedoch, wie sie sich das wünscht, kann das postapokalyptische Szenario mitsamt seiner menschlichen Abgründe gar nicht werden. Bekannt, stereotyp sogar, wie Porombka meint, ist das Figurenensemble, sind die von Noll gezeichneten Züge des gleichgeschalteten Überwachungsstaates. Orwell und Huxley lassen schön grüßen. Moralität strahlt der Text für die Rezensentin dennoch aus. Für Porombka nicht die schlechteste Konstante beziehungsweise Signatur unserer Zeit.

© Perlentaucher Medien GmbH