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Ob das die hohe Kunst des Flanierens ist oder nicht: Peter Hein pflegt es zu tun. Er streift durch die Städte, in die es ihn aus irgendwelchen Gründen verschlägt, und studiert von der Bahnhofskaschemme bis zum Alten Meister im Museum alles, was zwischen den nächsten ungenehmen Aufenthalt bei Espresso und Bier paßt. Von A wie Augsburg und Asbestsanierung bis Z wie Zürich und Zechpreller hat er viel gesehen, viel zu erinnern, viel zu loben und vieles zu benörgeln. Seine schweifenden Texte und sein persönlicher Blick sind sicherlich als Reiseführer unbrauchbar, aber der Flaneur steht eben im…mehr

Produktbeschreibung
Ob das die hohe Kunst des Flanierens ist oder nicht: Peter Hein pflegt es zu tun. Er streift durch die Städte, in die es ihn aus irgendwelchen Gründen verschlägt, und studiert von der Bahnhofskaschemme bis zum Alten Meister im Museum alles, was zwischen den nächsten ungenehmen Aufenthalt bei Espresso und Bier paßt. Von A wie Augsburg und Asbestsanierung bis Z wie Zürich und Zechpreller hat er viel gesehen, viel zu erinnern, viel zu loben und vieles zu benörgeln. Seine schweifenden Texte und sein persönlicher Blick sind sicherlich als Reiseführer unbrauchbar, aber der Flaneur steht eben im Widerspruch zum Prinzip der geführten Reise: Er geht bewußt ins Blaue, um das Kleine, das Individuelle und das Geheime zu finden. Oder auch einfach nur den besten Platz zum "Bohemisieren".
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Autorenporträt
Peter Hein, Jahrgang 1957, gehört zu den Pionieren der deutschen Punkbewegung. Er wurde als Sänger und Texter von Mittagspause, den Fehlfarben und später Family 5 bekannt. Die Qualität seiner Songtexte und sein eigen-einzigartiger Gesangsstil beeinflussen die Pop- und Rockmusik bis heute. Von Fans wird Peter Hein als Punklegende und Erfinder des deutschen Songtextes kultisch verehrt und zahlreiche Bands und Musiker (Campino, Blumfeld u.v.a.) berufen sich immer wieder auf seine Kunst. Nach der Jubiläumsplatte ("26 1/2"), auf der zahlreiche Fehlfarben-Fans aus der deutschen Musikszene (u. a. Herbert Grönemeyer, Tocotronic, Helge Schneider, Francoise Cactus) ihre Interpretationen von Fehlfarben-Songs präsentierten, hat Peter Hein mit den Fehlfarben dieses Jahr wieder eine von der Presse vielbeachtete neue Platte ("Handbuch für die Welt") herausgebracht. Peter Hein lebt in Wien und Düsseldorf.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.2007

Immer bei den kleinen Gleisnummern raus

Fremdenführer im Eigenen: Peter Hein, bekannt als Sänger der Band Fehlfarben, reist durch Deutschland und schreibt ein Wintermärchen im Geist der Popliteratur.

Darf man das denn? Das darf man doch nicht: ein Buch über deutsche Orte schreiben und erklärtermaßen nichts dafür recherchieren wollen. In einer unbekannten Stadt nette Lokale suchen und keinen Einheimischen um Auskunft bitten: "Wer fragt, hat Angst", schreibt Peter Hein einmal und schlägt sich mit Bordmitteln durch, in Augsburg beispielsweise: "Erster Eindruck durchs Busfenster: ein trostlos überdimensioniertes Proberaum-Gelände. Kaum noch Spuren der ,verdammten Besatzer', außer der endlosen Weite, die die Truppen der Schutzmacht wohl an die Heimat erinnern sollte."

Der Sänger der Band Fehlfarben hat nichts als seine Vorurteile und sein allerdings ziemlich gutes Gedächtnis im Gepäck, wenn er sich auf den Weg macht und, learning by doing, sich ein eigenes Bild von der Baumarkt- und Bahnhofsstraßenhölle deutscher Klein- und gelegentlich auch Großstädte macht: "Mit steigender Hoffnung an einer nahegelegenen Bushalte eine gewisse Vorstadtbahnhofsnähe eruiert, eine am Ende der Straße querende Straßenbahn verbessert die Aussichten erheblich (Strabaregel. Viel Bahn, gut Stadt), dann einmal unter der Eisenbahn durch und schon geht es los mit der Urbanität."

Heins Navigationssystem ist eher eine Wünschelrute, Hunger und Durst wollen gestillt sein. "Es wird wärmer. Der Weg ins Unbekannte wird zur Wanderung, kein erkennbares Ziel. Es droht Unterhopfung." Daher gibt Hein auch nicht den Flaneur, wie der Klappentext meint, sondern eher den Orientierungsläufer bei der Bundeswehr, der am Ende doch zielsicher auf Erfrischendes (Brauhaus) und Schönes stößt: "Alte Meister, allerlei schwäbische Dynasten und Kaufherren. Ein paar Flamen, also Gemüse und Häfen."

Was vielleicht als Tourtagebuch begann, wird erst durch diese selbstauferlegten Beschränkungen zu einem höchst lesenswerten Buch über Deutschland, in dem sich ein "fremder", fast stadtsoziologisch kühler Blick mit Geschichtsbewusstsein verbindet. Denn Hein ist trotz seines schnoddrigen Tonfalls alles andere als ein Kulturbanause, Sehenswürdigkeiten will er wirklich sehen und auf seine Art in Besitz nehmen, die Residenz in Würzburg zum Beispiel: "Innen dann das weltberühmte Treppenhaus, nun ja, eine Baustelle. Fresken verhüllt, Geländer mit Bauholz verkleidet, kann passieren auf Reisen. Trotzdem, nicht übel; kann man bestimmt mit dem Moped locker in den zweiten Stock hochfahren. Ansonsten Museum, logisch, wie immer schöne Innenräume, Möbel, Öfen etc."

Dabei läuft Hein, ganz New Waver, dort zur Bestform auf, wo er Hasslieben freien Lauf lassen kann, zu den "alternativ-kreativen Kapitalisten" im Hamburger Schanzenviertel: "So überhaupt nichts dazugelernt, alles Brache und spekulationsverhinderthabenwollende Ex-Entmietungen. Und im Erdgeschoss und Tiefparterre die Wortspielhölle, selbstgestrickt, drittgeweltet, Eigenimport, Mondpreise. Aber kein Schlecker."

Hein, der 1980 mit dem bahnbrechenden Fehlfarben-Album "Monarchie und Alltag" die deutschsprachige Popmusik, nach Udo Lindenberg, noch einmal neu erfunden hat, ist in diesem Jahr fünfzig geworden. Das Risiko, sich als Poplegende, zumal nach zwei erfolgreichen und ganz unpeinlichen Comeback-Alben, mit einem Buch zu blamieren, war ihm bewusst, wie er im Nachwort gesteht. Doch hat er einen eigenen Ton gefunden, der das von den Popliteraten der Neunziger erreichte Niveau in der Alltagsbeschreibung locker hält und dabei sehr bewusst Manierismen und geschraubte Wendungen mit Slang kollidieren lässt. Ein bisschen Stuckrad-Barre, ein bisschen "Abfall für alle" oder, dem Genre entsprechend, eine Art Antwort auf Krachts "Faserland", ins Proletarische und Antielitäre gewendet. Berlin ist passenderweise nur als nackte Liste von Clubs vertreten, in denen Hein mal gespielt hat.

Sonst dagegen macht er es sich nicht leicht. Einer billigen Überheblichkeit gegenüber provinziellem Spießertum steht Heins entwickelter Sinn für das Simple und Volkstümliche entgegen, das gerade - etwa im Auftaktstück über eine Bahnfahrt am Rhein - die Zersiedelung und Uniformisierung alter Kulturlandschaften beklagt. Bös-komische Glanzstücke des Bandes sind daher Kapitel wie "Bad Salzungen" oder das aufs Exemplarische zielende "Irgendeine", das mit dem hilfreichen Rat beginnt: "Wichtig ist, bei den kleinen Gleisnummern rausgehen." Zu kulturkritischer Hochform läuft Hein in der Beschreibung von Nicht-Orten auf, von toten Fußgängerzonen, Industriegebieten, Bahnhofsvorplätzen. Wie ein Hans Jürgen von der Wense der Punkgeneration durchwandert er Suburbia und Stadtplanungssünden, stets im Bewusstsein, dass vieles früher einmal schöner war, aber alles auch noch viel hässlicher sein könnte.

"Zu allem Dafür gibt es immer auch ein Dagegen", lautet die Dialektik der heinschen Geschichtsphilosophie, die sich im konkreten Fall über Rockmusik freut, die in Salzburg während der Festspielzeit gegeben wird. Gerade an diesem Stadtporträt überrascht dann auch das ehrliche Eingeständnis contre coeur: "Da hilft nix. Das ist schon blöd, dass die meisten sogenannten Touristenfallen ja an den schönsten Gegenden dieser Welt sind." Inkonsequenz ist eher ein Vorzug des Buches, so finden auch eine sehr komische Erinnerung an eine Italien-Tournee 1984 und ein Ausflug des bekennenden Rennwagen-Narren nach Silverstone Eingang. Alles in allem: ein kleines, feines Gegenwartsbuch, ein lehrreicher Cicerone in rheinisch-antikapitalistischer Lo-Fi-Ästhetik, die glossa continua eines Zeitgenossen im wahren Sinne des Wortes.

RICHARD KÄMMERLINGS

Peter Hein: "Geht so". Wegbeschreibungen. Lilienfeld Verlag, Düsseldorf 2007. 128 S., geb., Abb., 16,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die Rechercheträgheit und die eher prosaische Triebkraft der "Unterhopfung" lässt Richard Kämmerlings dem Autor gerne durchgehen, genau wie den "schnoddrigen" Ton. Schließlich hat es der Rezensent nicht mit Kulturbanausentum zu tun, sondern mit einer "fast stadtsoziologisch kühlen", mitunter aber auch in Hassliebe getränkten Perspektive auf deutsche (Un-)Orte. Dass der Fehlfarben-Frontmann Peter Hein der Blamage (Poplegende schreibt Buch) mittels geschickter, popliterarisch gefärbter Beschreibung, spezieller geschichtsphilosophischer Dialektik und unbilliger Haltung auch dem Hässlichen und Provinziellen gegenüber entgeht, rechnet der Rezensent ihm hoch an. Und findet diesen "Lo-Fi Cicerone" noch in seiner Inkonsequenz "lehrreich".

© Perlentaucher Medien GmbH