Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 18,00 €
Produktdetails
  • Die Verschwiegene Bibliothek
  • Verlag: Edition Büchergilde
  • Seitenzahl: 260
  • Erscheinungstermin: November 2007
  • Deutsch
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 474g
  • ISBN-13: 9783940111395
  • ISBN-10: 3940111392
  • Artikelnr.: 22915798
Autorenporträt
Bereska, Henryk
Henryk Bereska, geboren 1926 in Kattowitz, wuchs zweisprachig auf und studierte Germanistik und Slawistik. Er war Redakteur des Aufbau-Verlages, bis er 1955 aus politischen Gründen ausschied. Er zog ins märkische Kolberg und übersetzte die polnischen Schriftsteller Andrzejeweski, Rozewicz, Witkiewicz, Zagajewski und Milosz. Bereska gehörte zu den Unterzeichnern gegen die Ausbürgerung Biermanns. Für seine Verdienste um die polnische Literatur in Deutschland erhielt er zahlreiche Preise und Auszeichnungen. Bereska starb 2005 in Berlin.

Geipel, Ines
Ines Geipel, auch Ines Schmidt ( 7. Juli 1960 in Dresden), ist eine ehemalige deutsche Leichtathletin und heute Professorin an der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" Berlin. Sie betätigt sich als Schriftstellerin und Publizistin, besonders in der Aufarbeitung ihrer Erfahrungen als Opfer der DDR-Diktatur, vor allem des staatlich verordneten Dopings im DDR-Leistungssport. Als Themenfeld ergab sich in der DDR unterdrückte Literatur. Sie war maßgeblich daran beteiligt, die Schriftstellerin Inge Müller (1925-1966) bekannt zu machen.

Walther, Joachim
Joachim Walther ( 6. Oktober 1943 in Chemnitz; gest. 18. Mai 2020 in Berlin) war ein deutscher Schriftsteller.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.03.2008

Wer ist hier unnormal?

In Polen trinkt sich's am besten: Der polnische Übersetzer Henryk Bereska hält den Alltag und die große Politik in seinen Tagebüchern fest; der Blick ist oft getrübt.

Der Übersetzer ist der Schattenmann der Literatur. Anders als der Autor, der sein Buch vor einer lesenden Öffentlichkeit zu verantworten haben wird, bleibt er im Hintergrund. Fühlt er sich zu Höherem berufen, dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder ergeht er sich im Minderwertigkeitskomplex des zu Unrecht unterschätzten Underdogs, oder er wird selbst zum Autor. Henryk Bereska, dieser zu DDR-Zeiten wichtigste deutsche Übersetzer polnischer Literatur, hat sich in dreierlei Genres versucht: dem Gedicht, dem Aphorismus und einem Tagebuch, das nun unter dem Titel "Kolberger Hefte" herausgekommen ist.

Von 1967 bis 1990 reicht die Spanne seiner persönlichen Aufzeichnungen, die die Herausgeberin Ines Geipel ausgewählt hat. Eine Zeit also, in die die wichtigsten Daten zum Verständnis der deutsch-deutschen Geschichte fallen, und eine Zeit, in der Bereska als Schattenmann des ostdeutschen Literaturbetriebs unterwegs war. Der 2005 verstorbene Bereska kannte alle, er schrieb Briefe und bekam welche und hörte sich um, wobei die Debattierclubs, die er besuchte, oft in informellem Rahmen abgehalten wurden. Dass Bereska gewissermaßen investigativ recherchierte, macht seine Notate aber leider nicht zwangsläufig brisanter. Ein tagebuchschreibender Autor im Überwachungsstaat hatte schließlich die Putzfrau und jeden anderen zu fürchten, dem diese Blätter einmal in die Hände geraten mochten.

Und so sind die "Kolberger Hefte" voller rätselhafter Lücken und Oberflächlichkeiten - man kann das Schnappen der Schere im Kopf ihres Autors geradezu hören. Wer sich also auf die Spurensuche in Bereskas Tagebüchern macht, wird sich insbesondere an jenen historischen Zäsuren orientieren, die über den Alltag des Autors zwischen seiner Stadtwohnung in Berlin-Mitte und der Datsche im brandenburgischen Kolberg hinausweisen: 1968, Deutscher Herbst, Solidarnosc, 1989 - um nur die augenfälligsten zu nennen. Oftmals bleibt Bereska dabei eine eigene Einschätzung des Erlebten schuldig. Ein typischer Eintrag vom 22. April 1968: "Ein Haufen Leute und ein ess- und trinklustiger Huchel. Später Hussel und Stötzer. Sindermann erklärt vor den versammelten Hallenser Schriftstellern die Ereignisse in der Tschechoslowakei als konterrevolutionär." Mehr nicht.

Oder vom 29. Januar 1969: "In der CSSR hat es etwa ein Dutzend Selbstverbrennungen gegeben. Die dortige Presse behauptet, es lägen außerpolitische Motive vor. Trinker, Asoziale, Liebesenttäuschte. Radio Warschau meint, Jan Palach sei von Provokateuren eingeflüstert worden, die Flüssigkeit, mit der er sich übergieße, werde nicht brennen." Auch dazu kein weiterer Kommentar. Auffällig oft verzeichnet Bereska einfach Nachrichtensplitter, die er dem Radio oder Fernsehen entnommen hat. Erst im Deutschen Herbst kommt er wirklich aus der Deckung und verweigert der RAF nicht nur die Sympathie, die man von einem linientreuen Intellektuellen aus Ostdeutschland vielleicht hätte erwarten können - Bereska ist voller Abscheu und spricht dem westdeutschen Durchschnittsbürger aus der Seele: "Das Programm ist schön pervers; ein demokratisches System durch mörderische Herausforderung zur Repressivität zwingen und es dann an den Pranger stellen, am besten liquidieren. Hitler hätte sich keine besseren Erben wünschen können." Bereska wagt es aber auch drei Jahre später nicht, sich einen Reim auf die Aufstände in der Danziger Werft zu machen. Hartgesottene Arbeiter, denen beim Anblick des Papstes die Tränen in die Augen schießen, kostspielige Kirchenneubauten, die geradezu mystischen Erwartungen, die der Aufstieg der Solidarnosc im Nachbarland schürt - von all diesen Dingen zeigt sich der Polnischübersetzer befremdet, obwohl er mit den führenden Literaten des Nachbarlandes, wie Tadeusz Rózewicz und Zbigniew Herbert, persönlich verkehrt und seit seiner Geburt in einem Vorort von Kattowitz eigentlich in beiden Kulturen zu Hause ist. Immerhin das: "In Polen ist das Trinken am vergnüglichsten. Man hat Partner, die gerne mithalten."

Die höchste Dichte an Tagebucheinträgen findet sich schließlich 1989, nun schreibt Bereska beinahe täglich. Wie Falschgeld spaziert der Dreiundsechzigjährige auf beiden Seiten des Mauerstreifens entlang, freut sich über die Gastfreundschaft der Westler, schüttelt angesichts eines Begrüßungsgeldes, das schnell in die Millionen geht, aber auch mit dem Kopf. Nicht, dass er sich gegen die Entwicklung auflehnte; Bereska steht zum Lauf der Zeit in einem eher melancholischen Verhältnis. "Normalität wie überall. Nur ich bin unnormal", konstatiert der Entwurzelte und stellt eine elegische Frage: "Und was, wenn die mageren Jahre die fetten waren?"

Wer also war Henryk Bereska? Sicherlich kein Revoluzzer und auch kein messerscharfer Analytiker seiner Zeit. Über weite Strecken seiner Notate berichtet der Autor über einen Hang zum Alkohol, so dass der Verdacht naheliegt, dass das Tagebuch nicht zuletzt der Selbstdisziplinierung dient. Bereska erzählt von Krankheiten und Versorgungsengpässen, von der Landschaft und den Tieren, die ihm das Landleben in der Mark vor Augen führt. Im Kontext der deutsch-deutschen Rezeption polnischer Literatur ist er natürlich das Gegenstück zu Karl Dedecius, der ungezählte Anthologien herausgegeben und über viele Jahre die "Polnische Bibliothek" des Suhrkamp-Verlages betreut hat.

Was die Übersetzungskunst betrifft, reichte Bereska wohl nicht an Dedecius heran. Dass die beiden sich auch persönlich kaum sympathisch waren, ist zwischen den Zeilen zu lesen, wenn Bereskas Tagebuch 1985 einen besonders dürren Eintrag zu einem Besuch in Darmstadt verzeichnet. Nicht im Tagebuch steht, dass Bereska noch zu DDR-Zeiten davon überzeugt war, dass Dedecius hinter den Kulissen einen Preis für seinen ostdeutschen Kollegen verhinderte. Und dass er glaubte, Dedecius sei chronisch eifersüchtig auf ihn gewesen.

Alles in allem lässt sich das Bild der beiden Übersetzter vielleicht auf dasjenige eines ungleichen Bruderpaars verengen: Dedecius, schöngeistiger Leiter des renommierten Polen-Instituts in Darmstadt, eher der aristokratische Typ; Bereska, der übellaunige Prolet aus dem Osten. Ganz bestimmt hätte man mit Henryk Bereska einen guten Kneipenabend verbringen können. Was bleibt, sind aber seine Übersetzungen, die Lyrik und die "Kolberger Hefte".

STEFANIE PETER

Henryk Bereska: "Kolberger Hefte". Die Tagebücher von Henryk Bereska 1967-1990. Mit einem Nachwort von Ines Geipel. Edition Büchergilde, Frankfurt am Main 2007. 364 S., geb. 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Verhalten äußert sich Rezensentin Stefanie Peter über diese Tagebücher 1967-1990 des 2005 verstorbenen Henryk Bereska, den zu DDR-Zeiten "wichtigsten deutschen Übersetzer polnischer Literatur". Die Eintragungen erstrecken sich zwar über einen Zeitraum voller einschneidender Ereignissen. Aber darüber findet sich zu Peters Bedauern in Bereskas Tagebüchern nur selten Substanzielles. Auch wenn ihr die Berichte über Alltag, Versorgungsengpässe, Landschaften, Hang zum Alkohol gelegentlich durchaus interessant scheinen, fehlen ihr allzu oft "eigene Einschätzungen" des Autors zum politischen Zeitgeschehens.

© Perlentaucher Medien GmbH