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Es sind grosse Namen der Literaturgeschichte, die über Stefan Ripplingers Aufsätzen stehen. Der Titel seines Buches aber ist ein kleines Wort: Auch. Es sind Kleinigkeiten, denen Stefan Ripplinger seine Aufmerksamkeit widmet, es sind die Details, in denen er die Werke der Grossen erkennt, und es sind Marginalien, Feuilletons im besten Wortsinne, für die er seine Feder ansetzt. Ein anderes kleines Wort, das in seinen Aufsätzen häufig fällt, ist 'nicht'. An Dieter Roth interessiert ihn das Nicht-Werk, bei Leopardi das dunkle Nicht-Licht des Mondes, bei Stendhal die Nicht-Erfüllung der Liebe…mehr

Produktbeschreibung
Es sind grosse Namen der Literaturgeschichte, die über Stefan Ripplingers Aufsätzen stehen. Der Titel seines Buches aber ist ein kleines Wort: Auch. Es sind Kleinigkeiten, denen Stefan Ripplinger seine Aufmerksamkeit widmet, es sind die Details, in denen er die Werke der Grossen erkennt, und es sind Marginalien, Feuilletons im besten Wortsinne, für die er seine Feder ansetzt. Ein anderes kleines Wort, das in seinen Aufsätzen häufig fällt, ist 'nicht'. An Dieter Roth interessiert ihn das Nicht-Werk, bei Leopardi das dunkle Nicht-Licht des Mondes, bei Stendhal die Nicht-Erfüllung der Liebe ('Diese Liebe zeigt eine -erstaunliche Ähnlichkeit mit dem poetischen Verstehen, wie es Valéry beschrieben hat: Die Signifikation, die Erfüllung der Bedeutung, wird durch 'unnötige Elemente' verzögert oder gehemmt. Aber diese 'Verzögerung oder Erschwerung des Verstehens, die gegenläufig zur Sprache ist, ist es nicht zur Poesie''), bei Juan Carlos Onetti die Unmöglichkeit von Handlung und Person, bei Emily Dickinson die Gedankenstriche und Leerstellen, bei Dante das Schweigen. Man ahnt, was Ripplinger alles weglässt, und genießt diesen Raum, der durch einen zweiten, entsagenden Blick eröffnet wird. Im Verzicht auf besseres Wissen und besseres Können entsteht Raum für Zartheit.
Autorenporträt
Stefan Ripplinger lebt in Berlin und arbeitet als Journalist, Herausgeber und Übersetzer für Zeitschriften wie "Schreibheft" und "konkret" sowie für "Die Andere Bibliothek".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.03.2006

Fromme Trauer
Stefan Ripplingers literarischer Aufsatzband "Auch"

"Seine Niederlage aber", schreibt Stefan Ripplinger über den erfundenen Dichter Niels Lyhne, der einem kaum bekannten Roman von Jens Peter Jacobsen den Namen geschenkt hat, "ist zugleich ein Sieg der Literatur." Diese Sorte Sieg ist die einzige, die Ripplinger gutheißen mag, "eine der Gesellschaft abgetrotzte Anti-Kommunikation", wie er sie auch in Stendhals "Lucien Leuwen" findet. Das Motiv des ehrenvollen Scheiterns wird in Ripplingers erstem Buch über mehrere Aufsätze hinweg langsam und zwingend zur Grundmelodie: "Im Schreiben erscheint das Scheitern", wandelt der Kritiker einen Jaspers-Satz zum Lob Juan Carlos Onettis ab. An anderer Stelle preist er die Selbstbehauptung der Entscheidungsverweigerung in einer "übererklärten, sinnversuppten Welt" an Emily Dickinson. Und eine der höchsten Anerkennungen, die er einem Text zu spenden gewillt ist, sieht so aus: "Bossuets Rede über Henriettes Katastrophe ist eine Rede über die Katastrophe dieser Rede selbst."

Die zuvor meist in linken Zeitungen und Zeitschriften wie "Konkret" oder "Jungle World" erschienenen literaturhistorischen Arbeiten, die das schmale Büchlein mit dem trügerisch anschlußsuchenden Titel "Auch" versammelt, sind mal parlando gehalten - die erste, über Dieter Roth und Joseph Joubert, wendet sich sogar an die Leser, wenn auch alles andere als "unmittelbar" -, dann spröde. Mal ist ihr Fortgang bedächtig, dann wieder flink; Ripplinger ist jederzeit imstande, faserfeine philologische Einzeluntersuchungen, die sich Zeile für Zeile an einem Gedicht entlangtasten, in elliptische Anrufungen eines unnennbar furchtbaren Schicksals der Sprache kippen zu lassen. Berichtet wird hier davon, wie Texte an der Welt irre werden, von der sie nach dem Willen gewöhnlicher Hermeneutikspießer an den Universitäten und in den Redaktionen gefälligst eine feine Erzählung oder eine dekorative lyrische Vignette liefern sollen.

Ripplinger gehört zur selten gewordenen Gattung der Moralisten, die sich als Ästheten verkleiden. Ohne sie wäre die Moderne eine unerträglich selbstgefällige Veranstaltung geworden - irgend etwas zwischen Fahrschule und Verwaltungsakt, ohne Herz und deshalb, Wissenschaft hin oder her, auch ohne Verstand.

Zum Glück aber gab und gibt es jene Wanderprediger der Kunst, die eine Religion erfunden haben, deren Trost auch ausgeleierte Streiter für Vernunft und Wahrheit stärken kann, wenn rings der Wahnwitz einer in den Mythos zurückschnappenden Aufklärung überhandnimmt. Die Offenbarung, an der Leute wie Ripplinger festhalten, hat kanonische Gestalt angenommen in Adornos Schriften über Beckett: Wo andere Glaubenssysteme, die sich auf heilige Texte berufen - von der Edda bis zur Apokalypse des Johannes -, ein Ende vorhersagen, das die Dinge richten wird, hat in dieser modernen Literaturreligion der Weltuntergang bereits stattgefunden. Fromm leben heißt für ihre Priester und Gläubigen deshalb, den Ausweg zu verschmähen, daß man sich in Kunst und Leben trotz diverser stattgehabter Zivilisationsdesaster irgendwie einrichten kann.

Drei Einwände gegen die elegische Stimmung und die ethische Strenge, mit der Ripplinger in Sätzen wie "Mit dem Mond versinkt auch der Sinn" seine Welt- und Literaturtrauer selbst in Literatur verwandelt, lassen sich formulieren. Der erste sagt: Das alles klingt etwas arg nach sauren Trauben - sollte es nicht auch möglich sein, Literatur zu machen und zu lieben, die das Geglückte, das Gelungene will und vollbringt? Darauf würde Ripplinger vermutlich reagieren, indem er auf die süßen Trauben deutet, die in den Buchhandlungen ausliegen - wem dieses Zeug genügt, der richtet sich selbst.

Der zweite Einwand zeigt auf das Leben und sagt: Baby, don't cry. Aber dieser Hinweis hat, könnte Ripplinger ihn abfertigen, nichts mit Literatur zu tun, sein Ort in der Kunst, wenn er da überhaupt einen hat, ist die Musik. So bleibt als letzte Widerrede gegen Ripplingers postapokalyptische Lesepredigten nur die, daß auch eine schöne Religion am Ende bloß eine Religion ist. Mit dieser Einschränkung also mag man auch als Agnostiker, der die Schicksale von Text und Welt für weitaus offener und vielleicht sogar günstiger hält, als Ripplinger beide darstellt, an Ripplingers Gottesdienst mit Gewinn teilnehmen und das, was dieser da anbetet, sowohl Allah, dem Rachegötzen der Erniedrigten und Beleidigten, wie dem christlich-abendländischen Katechismus vorziehen.

DIETMAR DATH

Stefan Ripplinger: "Auch". Aufsätze zur Literatur. Edition Urs Engeler, Basel/Weil am Rhein 2006. 160 S., br., 19,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Durchaus angetan zeigt sich Dietmar Dath von diesen Band mit literaturhistorischen Aufsätzen Stefan Ripplingers. Er zählt den Autor zur "selten gewordenen Gattung der Moralisten, die sich als Ästheten verkleiden" und würdigt ihn als "Wanderprediger der Kunst". Im Motiv des ehrenvollen Scheiterns sieht Dath die Grundmelodie der Aufsätze, die mal "parlando", mal "spröde", mal "bedächtig", mal "flink" gehalten sind. Er verortet Ripplinger in der Tradition Adornos und Becketts. Die Einwände, die Dath gegen die "elegische Stimmung" und "ethische Strenge" der Aufsätze möglich scheinen, wischt er gleich selbst wieder vom Tisch. Nur eines scheint ihm sicher: dass auch eine schöne Religion wie die Kunst bloß eine Religion sei. Jedenfalls nimmt Dath lieber an "Ripplingers Gottesdienst" teil als Allah oder dem christlich-abendländischen Katechismus zu folgen.

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