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In Doris Konradis Roman "Fehlt denn jemand" spielt die Zeitgeschichte eine große Rolle: Juliane ist Theaterregisseurin und arbeitet an einem Stück über Ulrike Meinhof. Gleichzeitig kämpft sie mit dem Schweigen der Familie über die Vergangenheit ihres geliebten Großvaters. Doch nicht ihr, die die Wahrheit sucht, sondern ihrem Bruder gelingt es, das Geheimnis zu lüften. Justin, der mit seiner schwangeren Geliebten Nelly aus Amerika in Nellys Heimat, nach Amsterdam, zurückgekehrt ist, wird am Tage der Geburt seines ersten Kindes die Geschichte seines Großvaters erzählt. Doris Konradi schildert…mehr

Produktbeschreibung
In Doris Konradis Roman "Fehlt denn jemand" spielt die Zeitgeschichte eine große Rolle: Juliane ist Theaterregisseurin und arbeitet an einem Stück über Ulrike Meinhof. Gleichzeitig kämpft sie mit dem Schweigen der Familie über die Vergangenheit ihres geliebten Großvaters. Doch nicht ihr, die die Wahrheit sucht, sondern ihrem Bruder gelingt es, das Geheimnis zu lüften. Justin, der mit seiner schwangeren Geliebten Nelly aus Amerika in Nellys Heimat, nach Amsterdam, zurückgekehrt ist, wird am Tage der Geburt seines ersten Kindes die Geschichte seines Großvaters erzählt. Doris Konradi schildert die Entwicklung des ungleichen Geschwisterpaares in ruhigem erzählerischen Fluss. Dabei gelingt es ihr, in dichter Folge Situationen zu schaffen, deren wechselvolle Stimmung die Stärke und Überzeugungskraft ihres Romandebüts ausmacht. "Fehlt denn jemand" steht in der Tradition des Familienromans, geschrieben mit dem Können einer Autorin, die genau weiß, wie man große Stoffe entwickelt.
Autorenporträt
Doris Konradi, geboren 1961 in Köln, studierte Volkswirtschaft, Germanistik, Romanistik und Niederlandistik. Seit 1997 Arbeit an literarischen Texten. 2003 Auszeichnung mit dem Bettina-von-Arnim-Preis für die Kurzgeschichte "Freunde von Lula". Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Köln.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als schmerzhaften und klugen Roman über die mythenbildende Kraft des Nationalsozialismus bis in die Biografien der dritten Generation hinein lobt Rezensent Kolja Mensing dieses Debüt. In vierzehn Kapiteln, alle spielen laut Mensing am gleichen Tag, erzähle Doris Konradi darin die Geschichte einer Familie, die von den Geistern des Nationalsozialismus verfolgt wird. Durch das "neurotische Geflecht" dieser Familie arbeite sich die Autorin mit Hilfe von Rückblenden vor. Als Personal zählt der Rezensent einen vor der Vergangenheit in die Demenz geflüchten Großvater auf, Eltern, die sich in Affären flüchten sowie Kinder, die sich "der Fortpflanzung verweigern". Die vielen Stränge des Romans lasse die Autorin einem familiären Martins-Gans-Essen gekonnt zusammen laufen. Hier sieht Mensing sich schließlich die Wahrheit der Familie offenbaren. Allerdings, wie er mit leichtem Bedauern zu Protokoll gibt, findet er das Ende nicht ganz eindeutig. Insgesamt würdigt der Rezensent, dass hier nicht platt mit großelterlichen Verbrechen abgerechnet wird, sondern vielmehr deren unterschwellige Nachwirkung auf die Nachgeborenen beschrieben wird.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.06.2005

Die Wahrheit unter dem Eßtisch
Vergangenheitsbewältigung als Mythos: Doris Konradis Debütroman

Eigentlich müßte es ein glücklicher Tag sein. Doch als Justin das Einwohnermeldeamt von Amsterdam betritt, um seinen neugeborenen Sohn anzumelden, holt ihn die Vergangenheit ein. "Ich benötige einen gültigen Ausweis Ihres Herkunftslandes", erklärt ihm die Beamtin. Damit beginnen die Probleme. Justin hat zwar einen Paß, aber der ist abgelaufen - und außerdem ist es nicht einmal sein eigener. Um den Nachforschungen seiner besorgten Eltern zu entkommen, hatte er sich nach seiner Flucht aus einem deutschen Vorstadtidyll vor dreizehn Jahren als Teenager mit falschen Papieren ausgestattet. Die Situation ist nicht ohne Ironie, findet der alte Mann, den Justin später um Hilfe bitten wird: "Ein illegaler Deutscher in den Niederlanden am Ende des 20. Jahrhunderts", lacht er und erinnert sich, wie er vor langer Zeit für den Widerstand Dokumente gefälscht hat.

So wird die Vergangenheit zur Gegenwart: Das Romandebüt "Fehlt denn jemand" ist voll von solchen Zeitsprüngen. In vierzehn kurzen Kapiteln, die alle an einem einzigen Tag spielen, erzählt die Schriftstellerin Doris Konradi die Geschichte einer Familie, die von den Geistern des Nationalsozialismus verfolgt wird. Es ist der 11. November, der Martinstag, und während Justin durch Amsterdam streift, folgt seine ältere Schwester Juliane der traditionellen Einladung in das Haus ihrer Eltern. Die Gans ist gerade im Ofen, als sich bereits die vertrauten Gefühle "wie ein fettiger Film" über die Anwesenden legen. Mit Hilfe von Rückblenden arbeitet Doris Konradi sich nun durch das neurotische Geflecht einer ganz "normalen Familie" - mit einem Großvater, der vor der eigenen Vergangenheit in die Demenz flüchtet, Eltern, die sich mit Affären trösten, und erwachsenen Kindern, die sich entweder "der Fortpflanzung verweigern" oder mit falschen Papieren der familiären Zwangsgemeinschaft entziehen.

Der Roman löst sich in einzelne Erzählungen auf, die schon bald über den Kreis der Familie hinausreichen. Justin besucht einen in die Jahre gekommenen Linken in seiner Wohnung, in der "Bierflaschen unter dem vergilbten Che-Guevara-Poster" stehen, und Juliane erinnert sich an "Onkel Fritz", der immer ihr Haar bewundert hat, weil es "so schwarz war wie das von den kleinen Jüdinnen", die er in den Tod getrieben hat: Doris Konradi hat viel hineingelegt in ihr Debüt, und zunächst einmal ist es bemerkenswert, daß sie nicht nur jeden einzelnen Faden im Netzwerk ihrer Geschichten sicher in der Hand hält, sondern sie darüber hinaus, als die Gans dann aufgetragen ist, zu einem einzigen, sorgfältig vorbereiteten Strang zusammenführt: Die Wahrheit über die Familie verbirgt sich zuletzt unter dem makellosen Furnier des Eßzimmertisches, den Julianes Großvater aus dem Krieg mitgebracht hat.

Vielleicht ist es auch nur ein Teil der Wahrheit. Ganz eindeutig ist das Ende des Romans nämlich nicht. Ähnlich wie Tanja Dückers in ihrem Roman "Himmelskörper" (2003) oder Olaf Müller in "Schlesisches Wetter" (2003) hat sich auch die 1961 geborene Doris Konradi von dem einst hochgehaltenen Glauben an die "Bewältigung" der Vergangenheit durch die Literatur abgewandt. "Fehlt denn jemand" ist keine Abrechnung mit den Verbrechen der Großeltern, sondern ein schmerzhaft kluger Roman über die mythenbildende Kraft des Nationalsozialismus, die bis in die Biographien der dritten Generation hinein Wirkung zeigt.

Justin, der eigentlich nur vor der "gleichmütigen Sicherheit" seines langweiligen Elternhauses geflohen war, glaubt mittlerweile selbst, "daß er Deutschland verlassen hat, weil sein Großvater ein Nazi war", und auch Juliane weiß im Grunde genommen nicht, was sie ohne die vermeintlich dunklen Stellen der Familiengeschichte "mit ihrem Haß" anfangen soll. Einen Ausweg gibt es nicht. "Das Schweigen macht alles so unendlich groß", sagt Julianes Mutter, und ihre Tochter ahnt, daß das Reden es auch nicht besser macht. Aber natürlich kann man darüber schreiben.

KOLJA MENSING

Doris Konradi: "Fehlt denn jemand". Roman. Verlag Tisch 7, Köln 2005. 221 S., geb., 24,50 [Euro].

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