Marktplatzangebote
7 Angebote ab € 2,00 €
  • Gebundenes Buch

Einer der unterhaltsamsten argentinischen Intellektuellen schreibt die Autobiographie eines modernen Menschen: Dami ist ein karrieresüchtiger Marketingspezialist, der davon träumt, als perfektes Rädchen die Spitze der Karriereleiter zu erklimmen und die modernste Version des globalisierten Turbokapitalismus voranzutreiben. Dumm nur, dass jedes Mal, wenn die Karriere Fahrt aufnimmt, Probleme von einer vollkommen unberechenbaren Seite kommen: dem eigenen Körper. Der funktioniert nicht so wie das Bild, das Dami von sich selbst macht: Augen, Bandscheiben, Herz, Magengeschwür, Allergien etc. - er…mehr

Produktbeschreibung
Einer der unterhaltsamsten argentinischen Intellektuellen schreibt die Autobiographie eines modernen Menschen: Dami ist ein karrieresüchtiger Marketingspezialist, der davon träumt, als perfektes Rädchen die Spitze der Karriereleiter zu erklimmen und die modernste Version des globalisierten Turbokapitalismus voranzutreiben. Dumm nur, dass jedes Mal, wenn die Karriere Fahrt aufnimmt, Probleme von einer vollkommen unberechenbaren Seite kommen: dem eigenen Körper. Der funktioniert nicht so wie das Bild, das Dami von sich selbst macht: Augen, Bandscheiben, Herz, Magengeschwür, Allergien etc. - er ist ein menschliches Wesen, obwohl er gerade das gern vermeiden würde. Ein sehr komisches, sehr kluges, sehr zeitgenössisches Buch, das sich mit beißender Ironie der condition humaine des modernen Stadtmenschen widmet: entwurzelt, modern, ehrgeizig, krank und alles andere als perfekt.
Autorenporträt
Damián Tabarovsky, geboren 1967 in Buenos Aires, ist Schriftsteller, Übersetzer, Verleger und Kolumnist verschiedener Tageszeitungen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.03.2011

Der Mini-Musil unserer Zeit stammt aus Argentinien

Damián Tabarovskys "Medizinische Autobiographie" ist ironisch-pointierte Reflexionsprosa, in der vom Bandscheibenvorfall bis zur Mediensatire fast alles vorkommt.

Was erwartet man von einem Buch, das so beginnt: "Ein windiger, sehr windiger Abend. Kein Lüftchen regte sich." Landläufigen Realismus und herkömmliche Logik jedenfalls nicht. Und schon im nächsten Satz springt der Erzähler von der Ebene der Darstellung auf eine der tieferen Bedeutung: "Plötzlich ein Satz von John Donne: ,Veränderlich und elend lebt der Mensch; eben noch ging es mir gut, jetzt bin ich krank.' Woher kommt dieser Satz? Bestimmt nicht aus Damis Kopf. Dami hatte noch nie von John Donne gehört, Poesie interessierte ihn nicht besonders, vor allem aber erfreute er sich ausgezeichneter Gesundheit."

Dami ist die Hauptfigur der "Medizinischen Autobiographie", einer Erzählung des 1967 geborenen Argentiniers Damián Tabarovsky. Aber müsste eine Autobiographie nicht einen Ich-Erzähler haben? Wieso ist von Dami in der dritten Person die Rede? Das ist so merkwürdig wie ein windiger Abend, an dem sich kein Lüftchen regt.

Dami lebt in Buenos Aires und arbeitet in einer Consulting-Firma. Er ist stellvertretender Leiter der Abteilung zur Erforschung soziokultureller Tendenzen - ein moderner Niemand, eine Großstadtmonade ohne Freunde und Familie, ein ratloser Berater. Dass er sich "bester Gesundheit" erfreue, ist nichts als erlebte Rede, auf die kein Verlass ist. "Man ist gesund, wenn die Organe schweigen." Bei Dami quatschen sie ständig dazwischen. Sein Körper sabotiert den Karrierewillen. Er gibt ständig Informationen preis, die gegen Dami verwendet werden können. Es beginnt mit Dichromasie, einer leichteren Form der Farbenblindheit. Das haut einen Soziologenschnösel zwar nicht aus der Spur. Aber seine verkappte Hypochondrie findet Nahrung, denn: "Sehen gilt normalerweise als dominierende Sinnesempfindung der modernen Ära." Dami erleidet die Rot-Grün-Schwäche als Modernitätsdefizit.

Seine früheste Erinnerung ist der Ausruf einer Erzieherin im Kindergarten: "So ein schlaues Kerlchen." Der auf locker machende Turnschuhträger ist in Wahrheit ein zeitgemäßer Streber. Seine Intelligenz ist "eine hyperschnelle Form der Anpassung". Seine neueste Präsentation soll den Karrieresprung in den Chefsessel bringen. Da passiert es: "Ein heftiger, unbekannter Schmerz fuhr in Höhe der Taille wie ein Strahl durch seinen Körper, raste wie Feuer die Leistengegend entlang, um wie ein Blitzstrahl in der kleinen Zehe beider Füße zu landen." Bandscheibenvorfall. Eben noch ging es mir gut, jetzt bin ich krank. Dami ist außer Gefecht gesetzt; die Erzählung räsoniert derweil über die Behandlung von Bandscheibenvorfällen im Besonderen und diverse Krankheitskonzepte der Menschheitsgeschichte im Allgemeinen, bis hin zum heroischen Schmerzbegriff Ernst Jüngers. Für Dami ist der Schmerz eher "eine Art unpolitische Folter". Er versucht mit dem Taxi zu seiner lebenswichtigen Präsentation zu kommen. Der Fahrer hält ihn wegen seiner gekrümmten Haltung für einen Verrenkungsakrobaten. "Und? Wie läuft's im Zirkus?"

Von den Schmerztabletten bekommt er ein Zwölffingerdarmgeschwür und noch mehr Schmerzen. Ihm wird "absolute Ruhe" verordnet - die Firma kommt dem ärztlichen Rat mit fristloser Entlassung entgegen. Dami kann nun an sich selbst Feldforschung zum Thema der abstiegs- und armutsbedrohten Mittelklasse treiben. Er schlägt sich als ambulanter Händler für gefälschte Marken-Socken durch. Mit seinem systematischen Beraterverstand verbessert er den eigenen Umsatz rapide - bis ihn ein entzündeter Zehnagel lahmlegt. Am Ende eines längeren Heilungsprozesses muss er feststellen, dass die anderen Sockenverkäufer seine innovativen Methoden inzwischen kopiert haben und die Ausgangslage wiederhergestellt ist.

Ein Zufall katapultiert Dami wieder nach oben. Er wird Redakteur einer Fernsehsendung für Senioren. Seine Reportagen setzen Trends, gerade weil er die Wirklichkeit nicht abfilmt, sondern die Themen kreiert. Dass zum Beispiel ältere Menschen neuerdings bunte Sportkleidung bevorzugen, belegt man dadurch, dass man die in Apfelgrün oder Kükengelb phosphoreszierenden Trikots selbst verteilt und dann einen Sozialpsychologen herbeischafft, der über den Zusammenhang von Selbstwertgefühl und Farbe zu schwadronieren weiß. Und bald schon beschäftigen sich die Magazine mit dem "neuen" Phänomen. So gelingt Tabarovsky nebenbei eine schön trockene Mediensatire. Dami allerdings erleidet im Zuge des neuen Höhenflugs eine komplizierte Viruserkrankung mit "tonnenschwer" lastender Müdigkeit, kurz bevor sein Sender Einsparungen zum Opfer fällt. Zwischenzeitlich gelangt er immerhin zu einem erhabenen, erwartungsfreien Gefühl existentieller Banalität.

Tabarovskys minimalistisch-ironische Reflexionsprosa geht ständig in Seitwärtsbewegung, liest Theoriekrümel auf und übt sich in Gedankenspielen. Lakonische Beschreibung, narzisstische Selbstbehauptungsprosa, soziokulturelle Befunde, Zitate schwerkalibriger Denker und Dichter - vieles kommt hier zusammen, und die Erzählstimme ist reizvoll, gerade weil sie polyphon und schwer dingfest zu machen ist. Jedes Dami-Malheur wird von hallenden Echos aus dem soziologisch-philosophischen Diskurs begleitet; umgekehrt finden die großen, brillanten Ideen, die in einem geradezu zwanghaften Parlando aus den Reservoiren von Philosophie, Soziologie, Biowissenschaften oder Medizin aufgeboten werden, lächerliche Rückkopplungen in Damis Existenz und seinen Selbstvergewisserungen. So gelingt etwas Seltenes: ein eigenwilliger Ton, wie man ihn noch nicht vernommen hat. Diese Erzählung bietet die Darstellung eines denkenden Menschen, was im strengen Sinn ja eher selten in der Literatur vorkommt. Denken wird meist ergebnisorientiert eingebracht: als Gedanke. Es gibt bloß kurz gefasste Ergebnisberichte der ständigen inneren Konferenz im Kopf, die bei Tabarovsky zum Vehikel der Dami-Darstellung wird.

Ständig geht Damis Leben in Stücke, um sich anders wieder zusammenzusetzen. Die "Medizinische Autobiographie" ist ein Mini-Musil für unsere Zeit - und Dami der Mann ohne Eigenschaften, wie er heute als Consulter unterwegs ist. Allerdings möchte sich die exemplarische Biographie zugleich "jeglicher Klassifizierung" entziehen. Dami lehnt es entschieden ab, in seiner Geschichte einen Sinn zu finden. Krankheit ist keine Metapher, Krankheit ist ein Kaktus: "Sie verweigert sich dem Dialog, dem Konsens, der Argumentation."

Man mag die kleine Form und das Thema als ungewöhnlich für die lateinamerikanische Literatur empfinden: keine Militärdiktatur, keine Tango, kein magisch-vollsaftiges Fabulieren. Gerade deshalb aber ist diese feine, vom Verleger selbst sorgfältig übersetzte Groteske charakteristisch für eine neue argentinische Autorengeneration, die gegen jene Konventionen und Klischees anschreibt.

WOLFGANG SCHNEIDER

Damián Tabarovsky: "Medizinische Autobiographie".

Aus dem Spanischen von Heinrich von Berenberg. Berenberg Verlag, Berlin 2010. 93 S., geb., 19,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Als angenehm beiläufige Schilderung des argentinischen Alltags schätzt Eva-Christina Meier diesen Roman des Exverlegers und Provokateurs Damian Tabarovsky. Darüber hinaus verschaffte er ihr den Einblick in neue, manchmal verwegene Zusammenhänge zwischen großen und kleinen Fragen des Lebens und seiner täglichen Bewältigung. Sie mochte auch das Muttersöhnchen im Anzug, das Tabarovsky zum Protagonisten seines literarischen Kosmos' erkor, und freut sich, beim Lesen mit dem Autor die Erfahrung teilen zu dürfen, das Literatur eine intensive und radikale Angelegenheit sein kann.

© Perlentaucher Medien GmbH