Produktdetails
  • Kookbooks, Reihe Lyrik 16
  • Verlag: Kookbooks
  • Seitenzahl: 64
  • Erscheinungstermin: 21. Oktober 2009
  • Deutsch
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 132g
  • ISBN-13: 9783937445397
  • ISBN-10: 3937445390
  • Artikelnr.: 26538555

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Autorenporträt
Daniel Falb, geboren 1977 in Kassel, lebt seit 1998 in Berlin, wo er Physik, Politische Wissenschaften und Philosophie studierte. Er veröffentlichte in Zeitschriften und Anthologien, darunter 'EDIT', 'Zwischen den Zeilen' und 'Lyrik von JETZT', DuMont 2003. Nach seinem Debüt 'die räumung dieser parks', kookbooks 2003, ist 'BANCOR' Daniel Falbs zweiter Gedichtband. Seine Gedichte wurden beim Literaturpreis Prenzlauer Berg 2001 und mit dem Lyrik-Debüt-Preis 2005 von Literarischem Colloquium Berlin und Kunst:Raum Sylt-Quelle ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Lyrische Elternaustreibung

Mehrsprachig, vielseitig, spielfreudig: Zwei Bände von Uljana Wolf und Daniel Falb repräsentieren die hohe Qualität der zeitgenössischen deutschen Lyrik.

In seiner fulminanten Rede "Die Bars von Atlantis" hat Durs Grünbein gegen die Fraktion der "dichtenden Linguisten" und ihre "linguistische Selbstgenügsamkeit" vom Leder gezogen: "Sie möchte", schrieb er, "das Schreiben von jeder Äußerlichkeit befreien. Für sie gibt es nichts jenseits des Buches und der exakten Schmetterlingsflügelbewegungen jeder einzelnen ausgeklügelten Silbenkombination."

Es ist die mittlerweile in die Jahre gekommene Aversion gegen die "Labordichter", der Grünbein hier noch einmal die Lebensgeister einzuhauchen versucht, die nötig sind, damit man gegen sie polemisch zu Felde ziehen kann. Schon Gottfried Benn und Günter Grass haben mit Spott und Ironie gegen den "Labordichter" Front gemacht; der Labordichter, sagt Grass, "geht zwanglos mit immer bereitem Sprachmaterial um, spottet aller Gelegenheit, montiert und verhackstückt Beliebiges und . . . weiß nach seinem Achtstundentag . . ., was er getan hat: er hat experimentiert, und morgen darf er weiter experimentieren".

Aber der so von Grass behauptete Gegensatz zwischen einer linguistischen und einer gelegenheitlichen Lyrik ist ein Phantom: Er existiert in Wirklichkeit nicht. Ohne die Würze experimenteller Spracharbeit kommen Gedichte überhaupt nicht zustande. Das zeigen übereinstimmend die jüngsten Menü-Kreationen aus der Küche des Kookbooks Verlags, die längst zu den Favoriten der Lyrik-Gourmets geworden sind.

Uljana Wolfs Gedichtband "Falsche Freunde" kann als Paradebeispiel einer linguistischen Lyrik angesprochen werden. Schon der Titel bedient sich eines linguistischen Fachterminus: "Als falsche Freunde bezeichnet man vor allem morphologische und idiomatische Entsprechungen zwischen zwei Sprachen, wenn sich zwei Wörter oder Wendungen scheinbar entsprechen, aber unterschiedliche Referenzbereiche haben", heißt es in einem einschlägigen sprachwissenschaftlichen Lexikon.

Ins Gemeinverständliche übertragen und am Exempel erläutert, ließe sich sagen: Falsche Freunde sind solche Wörter, die in zwei Sprachen gleich oder ähnlich lauten, aber Verschiedenes bedeuten: "He becomes an ape" heißt also im Deutschen nicht, dass jemand einen Affen bekommt, sondern dass er selbst einer wird. Solche Vokabeln aus der englischen und deutschen Sprache hat Uljana Wolf mit Fleiß gesammelt und in alphabetischer Folge gewissermaßen als Leitwörter ihren Texten in einer graphischen Form vorangestellt, die an Stemmata, Stamm- oder Strukturbäume erinnern mag: Sie lassen Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den Leitwörtern vermuten, die es in Wirklichkeit natürlich nicht gibt, da es sich ja um "falsche Freunde" handelt.

Um die Ecke gedacht

Die sich an diese graphischen Gebilde anschließenden kurzen Texte umspielen die vorgegebenen Leitwörter auf eine ebenso geist- wie kunstvolle und vergnügliche Weise. Wer die Rätselform "Um die Ecke gedacht" mit ihren Aha-Effekten mag und darüber hinaus über einige Kenntnisse des Englischen verfügt, kommt hier voll auf seine Kosten und wird zusätzlich erfreut durch Wortfeld- und semantische Assoziationen, Redewendungen, Binnenreime und weitere Kunstmittel. Die "falschen Freunde" erweisen sich, im Lichte lyrischer Beleuchtung besehen, als echte, verlässliche Freunde produktiver Arbeit am Wort.

Das gilt auch für die anderen Teile des Buches, die jeweils Wort-Projekte sind. So werden im Kapitel "Subsisters" je zwei Texte einander gegenübergestellt, die sich auf die gleiche Filmszene beziehen: Links ist zu lesen, welches Verständnis die Originalversion eines Filmausschnitts dem Zuschauer vermittelt, rechts dagegen wird dargestellt, welche Verständnisveränderungen sich ergeben, wenn man die gleiche Szene mit Untertiteln zur Kenntnis nimmt. Dabei ergeben sich subtile und kapitale Transformationen und Abweichungen, die sich nicht nur auf den Wortlaut, sondern auch auf den Handlungsablauf der Szene auswirken.

Das philologische Interesse der Autorin ist unverkennbar, aber ihre Text bleiben nicht im rein Philologischen stecken. Vielmehr revitalisiert Uljana Wolf die Überlegung, ob nicht die poetische Arbeit überhaupt zu einem Gutteil als Übersetzungsarbeit bestimmt werden kann. Das legen insbesondere die beiden "Aliens"-Kapitel des Buches nahe, in denen die Probleme des Übersetzens metaphorisch an die Erfahrungen derjenigen angeknüpft werden, die früher als Auswanderer von Europa nach Amerika "übersetzten" und sich dabei den Gesundheitskontrollen der Einwanderungsbehörden unterwerfen mussten. Ein seinerzeit tatsächlich auf Long Island angewendeter Kontrollfragebogen gibt das Gerüst her für das Kapitel "Aliens I" und wird im abschließenden Kapitel "Aliens II" auf den neuesten Stand gebracht.

Uljana Wolf stellt dem Leser lösbare Denksportaufgaben und bereitet ihm Spaß. Daniel Falb dagegen macht es ihm schon schwerer. Seine Texte kombinieren höchst heterogene Sprachpartikel in grammatisch zumeist regelrechter Form zu schwer nachvollziehbaren, alogisch erscheinenden Aussagen: "das imperfekt wie einen jugendlichen straftäter auf dem arm behalten, kurz abwarten. / und dann dem unfertigen obstkorb in den kopf ballern, ihn mehrmals überfahren". Erst allmählich, bei wiederholtem Lesen mancher Gedichte, kristallisieren sich schemenhaft thematische Zusammenhänge heraus: Situationen auf der Autobahn (zwischen Krieg und Hilfeleistung bei einem Unfall) oder beim Einkauf in der Lebensmittelabteilung, wo man erfährt, dass die Natur Fertiggerichte produziert und die Ernte erst sichtbar wird nach ihrem Durchgang durch die bürokratisch verwalteten Grundsätze einer gesunden Ernährung.

Vernichtung durch Collage

Die Texte verbinden auf spielerische Weise mögliche konkrete Erfahrungshintergründe mit Andeutungen über deren gesellschaftlich-politische Bedingungen. Der spielerische Umgang mit den angesprochenen Themen rangiert aber deutlich vor der Ernsthaftigkeit ihrer "Aussage". Die beiden ersten Teile des Gedichtbandes - "New Zork" und "Carbon" - beziehen ihren Titel bezeichnenderweise aus dem Namen gängiger Computerspiele. Und auch der dritte Teil "Magna Charta" ist eher symbolisch als historisch gemeint.

Die Texte dieses Teils enthalten Zitatbruchstücke aus der "Universal Declaration of Human Rights". Man kann diese Implantate wieder herausoperieren und sie, nach Art eines Rösselsprungs, neu zusammenfügen; dann erhält man die unzerstückelte deutsche Fassung eines Artikels der Menschenrechtserklärung. So lässt sich beispielsweise aus dem letzten Gedicht des Bandes der Schlussartikel dieser Erklärung herauslesen: "Keine Bestimmung der vorliegenden Erklärung darf so ausgelegt werden, dass sich daraus für einen Staat, eine Gruppe oder eine Person irgendein Recht ergibt, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung vorzunehmen, welche auf die Vernichtung der in dieser Erklärung angeführten Rechte und Freiheiten abzielen."

Genau eine solche Vernichtung nimmt Daniel Falb mit seiner Collage auf doppelte Weise vor: Formal dadurch, dass er den Textzusammenhang der Menschenrechtserklärung zerstückelt; und inhaltlich dadurch, dass er die Menschenrechte und ­freiheiten für obsolet erklärt ("ihr seid ja im Durchschnitt auch nicht mehr lebendig") und sie der obszönen Lächerlichkeit preisgibt.

Bei aller Unterschiedenheit im Einzelnen können beide Gedichtbände als symptomatisch für den gegenwärtigen Zustand der deutschen Lyrik gelten. Beide Autoren kommen ohne Endreime, ohne Verse und ohne Strophen aus. Ihre Texte, obwohl als Gedichte deklariert, sind nicht von vornherein als Gedichte zu erkennen. Man könnte sie allenfalls Prosagedichte nennen. "Ein Prosagedicht ist ein Prosatext, der etwas zu sein scheint, was er nicht ist", sagt Uljana Wolf in ihrer "Münchner Rede zur Poesie", die unter dem Titel "Box Office" im Lyrik Kabinett München erschienen ist. Kennzeichnend für die Prosagedichte sei das Prinzip der Abweichung von ihren "Eltern, der Lyrik und der Prosa", heißt es weiter, so dass man fragen kann: "welche Strategien wenden sie an, um sich als Gegenentwürfe, als das jeweils Andere zu positionieren"?

Beide arbeiten mit "Quellen", mit Prätexten, die sie auch in Quellenverzeichnissen oder Anmerkungen ausdrücklich angeben. Beide stellen ihren Lesern diffizile Rätselsportaufgaben. In den Texten beider Autoren spielen englischsprachige Wörter und Wendungen eine maßgebliche Rolle. Sprachpuristen mögen das beklagen und Globalisierungsenthusiasten mit Genugtuung vermerken.

Jedenfalls behaupten die Gedichte beider Autoren einen in den Bereichen der Wissenschaft, der Wirtschaft, der Pop-Künste und der Computernutzer längst erreichten Zustand der Vermischung der deutschen mit der englischen Sprache nun auch für die Lyrik als verbindlich: Auch in der Lyrik wird neuerdings mit internationaler Münze gezahlt nach dem Vorbild des Ökonomen John Maynard Keynes, der schon in den vierziger Jahren die Einführung einer Weltwährung forderte. Bancor sollte sie heißen. Das greift der Titel des Gedichtbandes von Daniel Falb auf. Was man früher, vielleicht ein wenig pathetisch, die "Weltsprache der modernen Poesie" (Enzensberger) nannte, das ist heute zu einem gängigen und modischen Zahlungsmittel geworden.

WULF SEGEBRECHT

Uljana Wolf: "falsche freunde". Gedichte. kookbooks Verlag, Idstein 2009. 88 S., br., 19,90 [Euro].

Daniel Falb: "Bancor". Gedichte. kookbooks Verlag, Idstein 2010. 56 S., br., 19,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Michael Braun scheint es bei Daniel Falbs zweitem Gedichtband "Bancor" ein wenig zu frösteln, denn er stellt fest, dass hier ein äußerst distanzierter Beobachter nur mehr Fetzen mündlicher Rede mit "sprachlichen Fertigteilen" zusammenmontiert und dabei jegliche Innenschau oder Empathie verweigert. Und wenn er zugeben muss, dass dieser unsentimentale, kühle Blick durchaus reizvoll ist, so beginnt er doch, sich nach dem guten, alten lyrischen Ich zu sehnen, das mehr Subjektivität an den Tag legt.

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