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Produktdetails
  • Libri Vitae Bd.11
  • Verlag: Conte
  • Seitenzahl: 171
  • Erscheinungstermin: Oktober 2006
  • Deutsch
  • Abmessung: 225mm
  • Gewicht: 298g
  • ISBN-13: 9783936950458
  • ISBN-10: 3936950458
  • Artikelnr.: 20886021

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Autorenporträt
Dieter Gräbner, Jahrgang 1939, ist Journalist und Autor. Er arbeitete als Reporter und Redakteur in verschiedenen Funktionen für namhafte Zeitungen und Magazine (Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurter Rundschau, Abendpost/Nachtausgabe, Quick, Stern, Der Spiegel, Die Zeit, Allgemeine Jüdische Wochenzeitung u.a.m.). Von 1992 bis 2004 war er Leitender Redakteur und Ressortchef der Ausgabe Stadtverband Saarbrücken der Saarbrücker Zeitung, für die er auch heute noch als Serien-Autor und Kolumnist tätig ist. Er schrieb als Ghostwriter Reden und Beiträge für Politiker, Manager und internationale Künstler und entwickelte PR-Strategien für Verbände und Institutionen. Als Buchautor beschäftigte er sich vor allem mit zeitgeschichtlichen Themen. 2002 und 2003 wurde er mit dem Lokaljournalistenpreis der Konrad Adenauer Stiftung ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.09.2007

NS-Gegner in SS-Uniform
Das widersprüchliche Leben von Kurt Gerstein
Er war rastlos, erfüllt von einer Aufgabe: die Weltöffentlichkeit aufzuklären über die Verbrechen der Nazis. Aber einsam, allein mit seinem Gewissen und wohl in dem Gefühl, dass keiner ihm glaubt, starb Kurt Gerstein am 25. Juli 1945 in einer Einzelzelle des Militärgefängnisses Cherche-Midi der Franzosen in Paris, denen er sich gestellt hatte. Eingesperrt mit SS-Männern, die in einer Gemeinschaftszelle saßen. Man fand ihn an einem Strick, bis heute gelten die Umstände seines Todes als ungeklärt.
Gerstein war der Sohn eines Landgerichtspräsidenten. Er selbst wurde Bergbauingenieur. Sein eigentlicher Inhalt aber war die Jugendarbeit in der evangelischen Kirche – wie sowieso sein Glaube das Wichtigste für ihn war. Er kritisierte aus diesem Grund das NS-Regime wiederholt öffentlich, was schließlich zu seiner Internierung in dem KZ Welzheim führte. Und trotzdem trat er der Waffen-SS bei und gelangte in der schrecklichen SS-Hierarchie recht weit nach oben – bis hin zur Verwicklung in den Massenmord, den er zu sabotieren versuchte.
„Es ist nach der Forschung vielfach belegt, dass Kurt Gerstein Widerstandskämpfer war. Selbst wenn er ihr bis heute Fragen aufgibt. Einer, der lange verkannt worden ist, weil er sich die schwarze Uniform der Täter angezogen hat”, sagt der Gerstein-Kenner Bernd Hey, der eine Wanderausstellung über Gerstein organisiert hat. Doch Gerstein ist jemand, der weithin unbekannt geblieben ist.
Wenige Bücher sind über ihn erschienen. Am bekanntesten geworden ist Gerstein durch das Hochhuth-Drama „Der Stellvertreter”. Und erst jüngst hat Thomas Keneally, bekannt geworden als Autor von „Schindlers Liste”, ein Theaterstück über ihn geschrieben.
Der Journalist Dieter Gräbner und der Jurist Stefan Weszkalnys bemühen sich in ihrem Buch vor allem, die Jugendjahre Gersteins, der in Münster geboren wurde, in Saarbrücken aufzuhellen. Ein Buch, derart intensiv, dass es gilt, nach der Lektüre erst einmal Abstand zu gewinnen. Es ist voller Details und auch reich illustriert mit Fotos, aber etwas zu knapp gehalten und für das schwierige Thema etwas zu routiniert geschrieben. Wie mag es in diesem Mann ausgesehen haben, als er versuchte, Mächtige auf den Völkermord, von dem er als Augenzeuge wusste, aufmerksam zu machen? Welche Szenen spielten sich vor seinem inneren Auge ab? Er sprach mit Schweden, suchte Kontakt zum Vatikan, informierte den holländischen Widerstand.
Kurt Gerstein hat Morde in Belzec und Treblinka gesehen und beschrieben: verzweifelte Mütter, die nackt da standen, ihre Kinder stillend an ihre Brüste haltend. Behinderte, Ältere, Frauen, Männer und viele Kinder warteten in Reih und Glied auf ihren Tod in der Gaskammer. Wenn er Widerstandskämpfer war, welchem Grauen musste er standhalten? Noch dazu in der schlimmsten Uniform des verbrecherischen NS-Staates, der der SS.
Es war das Schicksal einer Verwandten, das ihn auf die systematischen Morde der Nazis aufmerksam machte. Er vermutete, sie sei in Hadamar – einem zentralen Ort der Euthanasie – vergast worden. Und Gerstein hatte recht. Seine Verwandte war – wie die Gedenkstätte nahe Limburg in Hessen bestätigt – tatsächlich in Hadamar ermordet worden.
Der nach Kriegsende von Gerstein verfasste Bericht über die Massenmorde gehörte zwar zum Beweismaterial in den Nürnberger Prozessen, fand aber dort keine Verwendung. Gerstein hat den Bericht in französischer Internierung am 4. Mai 1945 im Gasthof „Mohren” in Rottweil niedergeschrieben. Darin heißt es: „Noch im Tode erkennt man die Familien, die sich an der Hand halten. Man hat Mühe, sie zu trennen, um die Kammern für die nächste Ladung zu leeren. Man wirft die Leichen hinaus: blau, nass von Schweiß und Urin, die Beine voller Kot und Menstruationsblut. Überall dazwischen Babys, Kinderleichen.”
Zur Gegenwart: Die rechtsextremistischen Straf- und Gewalttaten nehmen laut Bundesinnenministerium seit geraumer Zeit zu. Das macht Sorgen in Berlin. Andreas Marneros, ein Gerichtsgutachter aus Halle, der diese Straftäter seit Jahren analysiert, sagt aber immerhin, voll Hoffnung auf eine weitere demokratische Entwicklung: „Wissen hilft, auch wenn diese Täter emotional und intellektuell schwer erreichbar sind.”
Protokolle seiner bedrückenden Gespräche mit ihnen sind nachzulesen in seinen Büchern „Hitlers Urenkel. Rechtsradikale Gewalttäter – Erfahrungen eines wahldeutschen Gerichtsgutachters” und „Blinde Gewalt. Rechtsradikale Gewalttäter und ihre zufälligen Opfer” (beide Scherz Verlag, Frankfurt am Main, 2002 und 2005). URSULA FREY
DIETER GRÄBNER / STEFAN WESZKALNYS: Der ungehörte Zeuge. Kurt Gerstein, Christ, SS-Offizier, Spion im Lager der Mörder. Conte Verlag, Saarbrücken 2006. 171 Seiten 14,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Berührt zeigt sich Rezensentin Ursula Frey von Dieter Gräbners und Stefan Weszkalnys Buch über den lange verkannten NS-Widerstandskämpfer Kurt Gerstein. Ausführlich berichtet sie über das widersprüchliche Leben des Bergbauingeneurs, der sich stark in der Jugendarbeit der evangelischen Kirche engagierte, das Nazi-Regime wiederholt öffentlich kritisierte, dafür im KZ Welzheim interniert wurde, aber nach seiner Entlassung dennoch der Waffen SS beitrat und dort zügig die Karriereleiter aufstieg. Dabei habe Gerstein immer wieder Mächtige auf den sich vor seinen Augen abspielenden Völkermord aufmerksam gemacht. Frey nennt unter anderem Kontakte nach Schweden, im Vatikan und zum holländischen Widerstand. Das Buch empfindet sie als sehr "intensiv", derart, dass man nach der Lektüre erst einmal einen gewissen Abstand gewinnen müsse. Gleichwohl scheint es ihr für die schwierige Thematik fast ein wenig zu routiniert geschrieben.

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