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Die Metzgereifachverkäuferin Emma Lochmüller hat nicht nur in Nattersheim ihre Anhänger, nein, im ganzen Landkreis weiß man von ihren Visionen, in Fleinheim, Dorfmerkingen und auch in Ebnat. Seit zwei Jahrzehnten ernährt sich die Emma von nichts anderem als der heiligen Kommunion, heißt es, außerdem zeigen sich an ihren Händen die Wundmale Christi, und zwar täglich, mit Ausnahme an Feiertagen. Was Pfarrer Humpf sehr gelegen kommt, werden die Gläubigen doch busweise nach Nattersheim gebracht, damit die Emma für sie beten kann. Nur der Bischof, der ist skeptisch und betraut einen gewissen Pater…mehr

Produktbeschreibung
Die Metzgereifachverkäuferin Emma Lochmüller hat nicht nur in Nattersheim ihre Anhänger, nein, im ganzen Landkreis weiß man von ihren Visionen, in Fleinheim, Dorfmerkingen und auch in Ebnat. Seit zwei Jahrzehnten ernährt sich die Emma von nichts anderem als der heiligen Kommunion, heißt es, außerdem zeigen sich an ihren Händen die Wundmale Christi, und zwar täglich, mit Ausnahme an Feiertagen. Was Pfarrer Humpf sehr gelegen kommt, werden die Gläubigen doch busweise nach Nattersheim gebracht, damit die Emma für sie beten kann. Nur der Bischof, der ist skeptisch und betraut einen gewissen Pater Dankward mit der Überprüfung der sogenannten Nattersheimer Phänomene, ausgerechnet ein Franziskaner, der als kritischer Geist bekannt ist... Martina Kieninger legt mit ihrem Roman ein fulminantes Debüt voller Sprachwitz und Fabulierfreude vor, das von den großen Sehnsüchten einer kleinen Welt erzählt und vom Eigensinn der vermeintlich Selbstlosen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.02.2006

Stigmata im Schwabenland
Aberwitzige Passionsgeschichten: Martina Kieningers Debütroman

Furios und in Zungen wie von Feuer fabuliert sich die gebürtige Stuttgarterin Martina Kieninger durch zwei oder drei verrückte Passionsgeschichten: Schon der Titel ihres Debütromans, "Die Leidensblume von Nattersheim", erzählt von seligen Boshaftigkeiten. Vielleicht muß man ganz weit weg sein, um so nah hinschauen zu können, daß die Schwierigkeiten und Schmierigkeiten einer urschwäbischen Unkenexistenz Überbrettl-Qualitäten bekommen. Und Martina Kieninger ist ganz weit weg: Seit einem Jahrzehnt lebt und arbeitet die 1966 geborene promovierte Chemikerin in Uruguay. Von Uruguay aus hat sie eine Karikatur hiesiger (Glaubens-)Verhältnisse gezeichnet, die anderswo wohl einen Proteststurm auslösen würde; in Klagenfurt im Jahr 2000 dagegen gab's viel Lob und etwas Literaturkritik.

Die selbsternannte "Heilandsemma", ein Hutzelweiblein, eine achtzigjährige Metzgereifachverkäuferin im Betrieb ihres Bruders, fühlt sich als Sprachrohr und Spiegelbild Jesu, komplett mit Stigmata, allfreitäglichen Todesqualen und wundersamen Heilkräften. Seit Jahren kämpft sie um kirchliche Anerkennung als Auserwählte, windet sich in Anfällen und verweigert alle Nahrung außer des Leibs Christi. Tschitschitsch hingegen würde alles tun, wird alles tun, um seinen "Schmuck der Gnade" - seine Stigmata - loszuwerden. Er versteckt die Hände in Plastiktüten, verscheucht adorierende Damen und will nur eines: in seiner Karriere als Schachspieler weiterkommen. Wegen der eiternden und scheußlich stinkenden Armfortsätze ist er aus der russischen Nationalmannschaft geflogen und hat nun einen Werkvertrag mit dem Ofterdinger Schachclub - dank Sponsor Büchele, dem Besitzer der lokalen Kühlschrank- und Tank-AG. Die beiden gezeichneten Gestalten und ihr "wissenschaftlicher" Gegenpart in Form der Firma HuKaTe, die ewiges Leben verspricht (die Toten werden tiefgefroren und, wenn der Fortschritt so weit fortgeschritten sein wird, wieder auferweckt), sind der Stoff, aus dem Kieningers Kabarett gemacht ist. Die erfahrene Internet-Literatur-Schöpferin treibt ihr Spiel mit den Personen und den Perspektiven - alle kommen zu Wort, von der verzweifelten, russischen Oma über eine geschäftstüchtig-geizige schwäbische "Fabrikle"-Erbin in spe bis hin zur schauenden Metzgerstochter. Die Autorin verknotet die Schnurren mit stilistischem Aplomb zum irrwitzigen Plot, nimmt dabei alle auf die Schippe, die Gläubigen, die Andersgläubigen und die Ungläubigen, und läßt doch keinen fallen. Im apostolischen Gewand orgelt sie - in frech verzerrten, aber selten falschen Tönen - die Kleinbürgerwelt des Kommerzes herauf und herunter. Und das macht, über weite Teile des Buches hinweg, schlicht Spaß.

Tschitschitsch ist es gar nicht recht, daß seine Hände wahrhaft heilen können. Und wenn dich dein Auge ärgert, reiß es aus - frei nach diesem biblischen Motto entzieht er sich schließlich der höheren, der allerhöchsten Berufung und schlägt seine Hände ab, derweil Emma sich immer noch müht, die ihren zum passenden Zeitpunkt zum Bluten zu bringen; dann zum Beispiel, wenn Skeptiker aus Kirchenkreisen zur Inspektion angereist sind. Wie etwa der todkranke Franziskanerpater Dankward, den die Heilandsemma heilt und der trotzdem, aus lauter Undank und Unglauben, an multipler Sklerose stirbt.

Es ist ein rechter katholischer Karneval, den Martina Kieninger da auf 290 Seiten veranstaltet - und wie an der Fasnet fehlt der derbe Kalauer, der plumpe Scherz nicht. Auch daß der Roman sich am Ende verläuft und nach dem langen, wilden Treiben doch ein wenig bleichgesichtig in seinem Kostüm hängt, gehört dazu. Oder wird zumindest augenzwinkernd verziehen.

ALEXANDRA KEDVES

Martina Kieninger: "Die Leidensblume von Nattersheim". Roman. Verlagsbuchhandlung Liebeskind, München 2005. 288 S., geb., 18,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.01.2006

Als Jesus am Zaun vorüberlief
Martina Kieningers „Die Leidensblume von Nattersheim”
Es ist ein Wunder. Vor 59 Jahren, als junge Frau, hat die Metzgertochter Emma Lochmüller ihre Berufung erhalten. Als sie im Garten mit der Wäsche beschäftigt war, ist auf einmal Jesus am Zaun vorübergegangen. Seitdem nimmt Emma gerne das Leid ihrer Mitmenschen auf sich, und so mancher wird in schneller, unerklärlicher Weise von seinen Gebrechen befreit. Immer wieder weiß sie zudem in detaillierten Bildern das Karfreitagsgeschehen zu schildern: „Der Herr begibt sich auf den Kreuzweg, und Emma sagt: No ganget mr halt. Das ist Hebräisch, meint der Pfarrer, aber der Bruder von Emma sagt, es sei nur Schwäbisch und bedeute: Dann gehen wir.” Hängt der Herr schließlich am Kreuz, fließt Blut auch aus den Händen und Füßen seiner Prophetin.
Ist es wirklich ein Wunder? Der „Nattersheimer Freundeskreis der Leidensblume” hat mit Hilfe eines finanzstarken Mitgliedes bereits ein „Kloster der Spätberufenen” gegründet; der begeisterte Chefredakteur des Katholischen Sonntagsblattes gibt eine Artikelserie über Emma in Auftrag. Allein der Bischof hat seine Zweifel, die auch ein Besuch vor Ort nicht zu zerstreuen vermag. Im nahe gelegenen Ofterdingen allerdings wohnt ebenfalls ein Stigmatisierter: der Russe Tschitschitsch, ein talentierter Schachspieler, der vor einigen Jahren wegen seiner Wundmale aus dem atheistisch gesonnenen Heimatverband ausgeschlossen worden ist. Als sein Sponsor tritt der Unternehmer Teilhard Büchele auf. Er beschäftigt sich gerade mit der Umwandlung seiner Kühlschrankfirma in ein sehr ungewöhnliches High-Tech-Unternehmen: In speziell konstruierten Tanks sollen die Köpfe Verstorbener konserviert und in ferner Zukunft auf neuen Körpern wieder zum Leben erweckt werden.
Diese Satire aus der schwäbischen Provinz besitzt durchaus einige witzige Details - etwa wenn Emma in einer Vision Hans Küng erblickt, der, umgeben von seinen Tübinger Jüngern, auf einer riesigen Kaugummipackung mit der Aufschrift „Weltethos” sitzt. Mit dem Versuch, gleich drei Exempel der hartnäckigen Liebe zum Irrationalen vorzuführen, hat sich Martina Kieninger in ihrem Debüt aber eindeutig übernommen. Wenn ein Autor die Kontrolle über seinen Stoff verliert, kann ein Meisterwerk entstehen - vorausgesetzt, er gewinnt sie irgendwann wieder. Das vorliegende Buch erscheint dagegen eher als Ergebnis einer bloßen Wucherung; allzu willkürlich, zu wenig reflektiert ist der Umgang mit den Figuren und der Handlung.
Besonders zu bedauern ist dies bei Pater Dankward, dem intellektuellen Franziskaner, der vom Bischof den Auftrag erhält, die Vorfälle in Nattersheim zu untersuchen. Im weiteren Verlauf gerät er immer mehr aus dem Blick; sein plötzlicher Tod gleicht der verlegenen Antwort auf eine ungelöste erzählerische Frage. Dankwart ist alt. Das holländische Kloster, in dem er lebt, hat die Sekte des Maharishi Yogi übernommen; wo früher gebetet wurde, sollen nun bald Levitationsübungen stattfinden. Die paar Seiten, die diese Situation schildern, sind von einer großen Traurigkeit erfüllt. Die restlos säkularisierte Welt, in der Dankwart leben muss, wirkt nicht weniger heillos als der religiöse Wahn, dem Emma und ihre Anhänger huldigen.
CHRISTOPH HAAS
MARTINA KIENINGER: Die Leidensblume von Nattersheim. Roman. Verlagsbuchhandlung Liebeskind, München 2005. 288 Seiten, 18,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Alexandra Kedves stockt schier der Atem angesichts der irrwitzigen "Passionsgeschichten", die die gebürtige Stuttgarterin in ihrem Debütroman entfaltet. Wahrscheinlich müsse man, um so über "Schwierigkeiten und Schmierigkeiten einer urschwäbischen Unkenexistenz" schreiben zu können einen großen Abstand haben, mutmaßt die Rezensentin, die es deshalb nicht wundert, dass die Autorin in Uruguay lebt. Im Mittelpunkt des Buches stehen eine an ihre Erwähltheit glaubende 80-jährige Metzgereiverkäuferin und ein Schachspieler, die beide mit "Stigmata" und Heilkräften gesegnet sind, der einen zur Freud, dem anderen zum Leid, erzählt die Rezensentin. Hier wird Heiliges und Profanes "auf die Schippe" genommen und in "frech verzerrten, aber selten falschen Tönen" fabuliert, so Kedves hingerissen, die sich während der Lektüre "über weite Teile" des Romans hervorragend amüsiert hat. Es ist ein "rechter katholischer Karneval", den Kieninger da inszeniert, und dazu gehören eben auch "derbe Kalauer", so die Rezensentin einsichtig, die es dem Roman gern verzeiht, dass er sich am Ende nach all dem "wilden Treiben" doch ein bisschen "verläuft".

© Perlentaucher Medien GmbH