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Die Entdeckung aus Frankreich: Annie Saumont, die Grande Dame der Novelle, vereint in ihren Erzählungen den Schwarzen Humor einer Patricia Highsmith mit der knappen Sprache Raymond Carvers.
Eine kleine Schachtel hat Onkel Jean ihr vom Schwarzmarkt mitgebracht, „Seife aus Paris“ steht da in deutsch auf dem rosa Karton – die verkehrte Welt der deutschen Besatzung von Paris. Und wenn man ein kleines Mädchen ist und schon verliebt, ist es nicht immer einfach, zwischen gut und böse zu unterscheiden. Die Novellen Annie Saumonts bergen Dramen des Alltags. Plötzlich ist das Leben aus den Fugen…mehr

Produktbeschreibung
Die Entdeckung aus Frankreich: Annie Saumont, die Grande Dame der Novelle, vereint in ihren Erzählungen den Schwarzen Humor einer Patricia Highsmith mit der knappen Sprache Raymond Carvers.

Eine kleine Schachtel hat Onkel Jean ihr vom Schwarzmarkt mitgebracht, „Seife aus Paris“ steht da in deutsch auf dem rosa Karton – die verkehrte Welt der deutschen Besatzung von Paris. Und wenn man ein kleines Mädchen ist und schon verliebt, ist es nicht immer einfach, zwischen gut und böse zu unterscheiden.
Die Novellen Annie Saumonts bergen Dramen des Alltags. Plötzlich ist das Leben aus den Fugen geraten. Es herrscht unterschwellige Gewalt und heftige, fast verzweifelte Zärtlichkeit. Heimliche Liebe, heimlicher Hass, Angst oder Sehnsucht treiben die Protagonisten an, bis sie plötzlich vor einem Abgrund stehen. Da schließlich lockt der Verrat: Was tun, wenn einem in Gegenwart eines Offiziers der deutschen Wehrmacht einfällt, dass Henriette, die jeden Tag mit perfider Hingabe die Gänse stopft, gar nicht Henriette heißt, sondern eigentlich Sarah? Was tun, wenn während zwei Minuten Aufenthalt das eigene Leben zerbricht, warum nicht in zwei Minuten Aufenthalt auch das der anderen zerstören? Oder aber man verschließt vor der unerträglichen Wahrheit ganz einfach die Augen. Wie jener Mann, der sein Leben lang auf der Suche nach seinem verschwundenen Freund ist, „Hat denn niemand Bertrand gesehen?“, und der nun endlich die Antwort greifen könnte...
Annie Saumont ist eine Meisterin der kurzen Form. In nur wenigen Sätzen vermag sie ein Leben aufzureißen, denn mehr als sie ausspricht, verschweigt sie.
Autorenporträt
Annie Saumont, 1927 geboren, lebt in Paris, schreibt seit vielen Jahren Novellen und wurde mit den höchsten Literaturpreisen Frankreichs - Prix Goncourt de la Nouvelle, Grand Prix de la Nouvelle, Prix Renaissance de la Nouvelle und im Juli des Jahres 2003 mit dem Prix da la Nouvelle de l' Academie Française - ausgezeichnet. Mit "Seife aus Paris" liegt nun erstmals ein Band der Autorin in deutscher Übersetzung vor.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.07.2003

Neuigkeiten vom Unerhörten
Schuld ohne Ursprung: Die französische Erzählerin Annie Saumont

Nur weil der Mensch auf beiden Seiten hinkt, geht er zuletzt gerade. Sooft auch Glaube, Liebe oder Hoffnung schon an der Trägheit des Herzens scheiterten, so oft bot ebendiese einen wirksamen Schutz vor Passion und Fanatismus des Todestriebs. Sache der Dichter und Literaten ist es jedoch seit je, Partei zu ergreifen gegen solche Behäbigkeit des Gutmenschentums. Für die französische Schriftstellerin Annie Saumont, geboren 1927, gilt das nicht. Sie blickt auf die menschlichen Schwächen mit einer schier unmöglichen Brille. Zwei Brenngläser orbitanten Ausmaßes im Horngerüst, damit sieht sie in fremde Köpfe hinein, sieht durch das Gewirr obskur alltäglicher Gedanken bis zu den Bedingungen ihrer Unmöglichkeit hinab. Kein Entwurf hält stand vor dieser Optik, jede Ausflucht löst sich in ihrem Fokus auf.

Saumont ist eine Meisterin der Konzentration: Ihre sorgfältig komponierten Novellen laufen zu auf eine jähe Erkenntnis, auf ein gelöstes Rätsel, ein kurzes Aha, das schnell verstummt vor dem Aufschein der tödlichen Verstrickung. Doch bevor sich ein Urteil bilden könnte, hebt in aller Harmlosigkeit bereits die nächste Novelle an. Leise kommen sie daher, kein großes Personal wird aufgewandt, oft stehen Frauen und Kinder im Mittelpunkt. Deportation, Kollaboration, Resignation: Der Zweite Weltkrieg bildet den Horizont dieser Novellen. Als Vater aller Dinge und Figuren senkt er ungefragt seine muskulösen Arme in die Geschichte hinein, hilflos und obszön in seiner Gewalt: Trägt er auch zum Leben nichts bei, so hinterläßt er doch seine Wunden. Wieviel menschlicher erscheinen da die Einbrecher, die in der gesammelten Habe einer gebrochenen Mutter vergeblich nach Wertsachen suchen, während sie ihre Erinnerungen an einem "Montagmorgen im Café de Commerce" in Rum auflöst.

Nicht immer sind Saumonts Texte geprägt von der zielstrebigen Geradlinigkeit, welche die orthodoxe Novellendefinition verlangt: Auch Nebenarme gibt es, die sich schützend oder würgend um Nebenhälse legen. Aber doch werden ihre Texte meist von einem zentralen Konflikt her lesbar als Fallstudien im literalen Sinn, als Zusammenbrüche des Gewohnten. Saumont ist fasziniert vom Übertritt des Geschehens aus dem Stand der Unschuld in den der Erkenntnis: Hier beginnen und hier scheitern ihre Figuren. Dabei wird die Welt nicht von einer apokalyptischen Grausamkeit bedroht, sie besteht vielmehr in einer unauflöslichen Verflechtung der Schuld: weniger eine ererbte Sünde als ein sündhaftes Erbe.

"Seife aus Paris", die hervorragende, in der Du-Perspektive erzählte Titelgeschichte, verfolgt eine solche Fatalität. Ein Mädchen, dessen Vater im Stalag verschwand, ist geradezu verliebt in den Onkel Jean, der die Mutter des Mädchens mit seinen guten Kontakten zu beruhigen versucht und ihr eines Tages eine Kostbarkeit vom Schwarzmarkt mitbringt: eine Schachtel mit dem deutschen Aufdruck "Seife aus Paris". Das Mädchen wird älter, verschenkt mit seinem Herz die Besatzerseife an einen jungen Mann, den sie für eine Nacht versteckt hält, und dieser wiederum trifft schließlich im befreiten Paris auf Jean, just im Moment seiner Hinrichtung. Der Gesetzesbruch scheint bei Saumont jedoch keine revolutionäre Tat zu sein, sondern schlichte Unvermeidbarkeit. Oft auch sind es Momente unerlaubter Liebe, die als Schnitte durch das Leben laufen, wie die Erinnerung des Jungen an seinen plötzlich aus dem Sanatorium verschwundenen Freund, den er sein Leben lang sucht, obwohl er längst die Wahrheit ahnt.

Die Schuld ist ohne Ursprung in Saumonts Kosmos, aber sie lauert den Figuren auf: Man muß mit ihr rechnen. Ein gerufener Name, Sarah, kommt, nur weil es ein jüdischer ist, einem Todesurteil gleich. War das die Absicht des beleidigten Jungen? Bis zur Grenze der Logik des Feindes stoßen Saumonts Ermittlungen vor: Der aus einer blinden Hoffnung heraus nicht getötete Fremde verrät im undankbaren Gegenzug die Partisanen. Immer liegt der Verrat näher als die Utopie. Trotz aller äußeren Übermacht des Brachialen aber stehen die Novellen doch auf der Seite der Zärtlichkeit des Moments, spüren das Innen im Außen auf. Hier verwischen die Profile von Opfern und Tätern. Was ist mit dem Fotograf, der einen Film unbrauchbar macht, auf dem er nicht nur fünfzig Schulkinder, sondern zufällig auch einen Widerstandskämpfer gegen die deutschen Besatzer abgelichtet hatte? Ist er ein Täter, weil er den Aushang gesehen hat, daß bei Nichtergreifen des Mörders fünfzig Geiseln hingerichtet würden? Es muß nicht entschieden werden, der Mensch lebt auf der Grenze.

Formal steht Saumont deutlich in der Tradition des Nouveau roman, der in Frankreich maßgeblich von Alain Robbe-Grillet und Nathalie Sarraute geprägten literarischen Nachkriegsströmung im Zeichen der Objektivität. Auch Saumonts Sätze entspringen den Taten, sind selbst oft nichts weiter als Gesten, und von keiner erhobenen Erzählerposition aus wird gerechtet oder geordnet. Die Beschreibungsdichte rangiert höher als das grammatische System: Subjekte, Zeiten, Prädikate gehen durcheinander, die Sätze gefrieren zu Ellipsen. Aber doch bleibt nichts unverständlich: Im Gegenteil, das Verstehen überragt alle (auch formalen) Nöte und weist dem Schmerz seinen subalternen Platz zu: Verstehen, warum die Menschen voneinander gehen, verstehen, daß ebendarin ihre Freiheit besteht.

In ihrem Heimatland mit den höchsten Literaturpreisen bedacht, war Annie Saumont bislang über die Grenzen Frankreichs hinaus nur wenig bekannt. Erstmals ist nun einer ihrer Novellenbände ins Deutsche übertragen worden. Spät vielleicht, aber keineswegs antiquiert.

OLIVER JUNGEN

Annie Saumont: "Seife aus Paris". Novellen. Aus dem Französischen übersetzt von Barbara Heber-Schärer, Susanne Nadolny u. a. edition ebersbach, Berlin 2003. 168 S., geb., 19,- [Euro]..

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»Annie Saumonts Sprache trifft mit der Zärtlichkeit eines Hackebeils.«
(L`Evenement du Jeudi)

»Jede ihrer Geschichten ist eine Welt für sich, manchmal lauscht man mit einem Lächeln, aber alsbald zeigt die Autorin die Welt in ihren grausamen Zügen.«
(Frankfurter Rundschau)

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

In Frankreich ist Annie Saumont eine Art ewiger "Geheimtipp", schreibt Rezensent Thomas Laux und vermutet, dass sich diese Randstellung sowohl dem noch weitgehend unterschätzten Genre der Erzählung verdankt als auch Saumonts ganz eigenem Stil. In der Tat, so der Rezensent, zeichnen sich Saumonts "überwiegend krude Geschichten", von denen zum ersten Mal eine Auswahl im Deutschen erscheint, durch eine äußerst knappe und lakonische Sprache aus. Ihre Figuren, so der Rezensent, beenden ihre Sätze auf halber Strecke, und diese stehen dann "punkt- und kommalos" im Raum. Diese Lakonik, die psychologische Leerstellen in den Figuren lasse, werfe somit ein "krasses Licht auf spezifische Merkmale, auf Risse und Verwerfungen". Zumeist sind die Geschichten in einer "schmucklosen sozialen Realität" angesiedelt, die wie der Rezensent findet, bestens geeignet sind für "Traumabbildungen jeglicher Art". Alleinerziehende Mütter, in Zügen verlassene Kinder, sich rächende Ehefrauen, bei all diesen "personifizierten Einsamkeiten" könne es einem vorkommen, als sei eine grausame "Kälte" am Werk, doch für den eingenommenen Rezensenten postiert sich Saumont abseits der "großen Gefühle" und lässt ihre Figuren "kryptische Signale an eine Welt der Gleichgültigkeit" senden.

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