Produktdetails
  • Lyrik Edition Bd.24
  • Verlag: zu Klampen Verlag
  • Seitenzahl: 47
  • Erscheinungstermin: 12. März 2007
  • Deutsch
  • Abmessung: 245mm
  • Gewicht: 250g
  • ISBN-13: 9783933156884
  • ISBN-10: 3933156882
  • Artikelnr.: 22489463
Autorenporträt
Nora Bossong, geboren1982, lebt in Berlin und wurde bereits mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Stipendium der Stiftung Niedersachsen und dem Bremer Autorenstipendium. Für ihren Debütroman "Gegend" erhielt sie das Leipziger Literaturstipendium und das Prosawerk-Stipendium der Jürgen-Ponto-Stiftung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.07.2007

Die Ruhe vor dem Schuss
Nora Bossongs Poeme nehmen Gefühle ins Sprachvisier

Hunde, Katzen, Fische, ein Fuchs, Krokodile, Marder und Läuse - rund zwanzig verschiedene Tiere in 39 Gedichten. Dazu Frühling, Sommer, Herbst und Winter, zweimal Schneewittchen und einmal die sieben Berge. Sonne und Mond, die Sterne finden im Kompositum "Sternburg Export", einer Biermarke, Erwähnung. Kann es gutgehen, einen Gedichtband im neuen Jahrhundert mit so konventionellem Natur- und Märcheninventar zu bestreiten? Ja, es kann, und das nicht nur, weil die Lyrik, wie es sich inzwischen herumgesprochen hat, gerade Konjunktur hat.

Nora Bossong hat einen Weg gefunden, mit dem Vokabular prototypischer Lyrik auszukommen, die sich nicht in den Bereich des Experimentellen vorwagt. Ihr Gedichtband "Reglose Jagd" ist einer jenseits der Mode, in gewissem Sinn ist er einfach. Hier finden keine Formzertrümmerungsfeiern statt, überlagern nichtmediale die realen Welten, werden keine intertextuellen Bildungsspielchen ausgetragen.

Bossong, die gerade einmal fünfundzwanzigjährige Absolventin des Leipziger Literaturinstituts, studiert derzeit Kulturwissenschaften, Philosophie und Komparatistik in Berlin und Potsdam und gibt sich gelassen, was ihr Schreiben angeht. In einem Interview hat sie einmal gesagt, sie wolle später gerne für das Goethe-Institut arbeiten, vielleicht gar nicht unbedingt zur professionellen Autorin werden. Das braucht sie auch nicht mehr. Weit entfernt von literarischem Fräuleinwundertum, ist sie es inzwischen geworden, hat in renommierten Literaturzeitschriften Gedichte veröffentlicht und beim diesjährigen literarischen März in Darmstadt den Wolfgang-Weyrauch-Förderpreis gewonnen. Mit "Gegend" hat sie zudem im vergangenen Jahr ein so knappes wie enigmatisches Romandebüt vorgelegt, das in seiner kühlen sprachlichen Klarheit und der Rätselhaftigkeit des Erzählten verstörend wirkt.

"Reglose Jagd" demonstriert erneut, dass Nora Bossong unzweifelhaft über eine erstaunliche Beobachtungsgabe und ein immenses Schreibtalent verfügt. Der Titel des Bandes ist klug gewählt. Wie der Jäger Ruhe bewahren muss, um Beute zu machen, braucht auch der Lyriker Ruhe, um Beobachtungen, Gedanken und Gefühle ins Visier zu nehmen, um im entscheidenden Moment präsent zu sein und sie einzufangen. Diese "Ruhe vor dem Schuss", Spannungsmomente der Beobachtung ohne erkennbare äußere Bewegung, auch eine gewisse Kaltblütigkeit und Reglosigkeit wohnt Bossongs szenischen Gedichten inne.

So heißt es etwa in "Hinterhof": "Am Fenster jene Frau, die seit drei Jahren / mit gepackten Kisten lebt, späht in den Hof, / ob dort nicht grad der Umzugswagen einfährt. / Nur Plastiktonnen und die Vorkriegsbirken / erster Mieter. Zwischen Unkraut kopulieren Katzen." Die Verse machen eine Stimmung von Einsamkeit, Trauer, Stagnation und Sehnsucht plastisch und halten dabei die Gefühle auf Distanz. Weiter liest man dann den Vers: "Die Sonne wechselt über auf die andere Fensterfront." Das Festhalten einer langsamen Bewegung eröffnet einen weiten Assoziationsraum im Gedicht. Am Ende steht eine Frage: "Was / ist es dann gewesen? Nur Sommer." Die Wehmut, Agonie und Vergeblichkeit, von denen das Gedicht erzählt, werden noch einmal auf die Spitze getrieben. Mögen die Verse auch leicht zu lesen sein, so muss man doch erst einmal so beobachten, so schreiben können: kühl, genau, uneitel und einfühlsam.

Man kann Bossongs Gedichte lesen als Gebrauchsanweisungen einer genauen Wahrnehmung, als Mantren auf die Irritationen des Alltäglichen, als Zeugnisse einer geformten Sprache, die sich nicht davon korrumpieren lässt, gefallen zu wollen. Dabei sind sie, auch wenn es um Märchen, um Natur, um verlorene Kindheit geht, nie sentimental. Nach der Lektüre von "Reglose Jagd" wünscht man der Autorin viele Leser, Zuspruch und Förderung, damit sie weiter entfaltet, was jetzt schon so eigenständig und unbestechlich ist: ihre eigene Sprache. Das Goethe-Institut hat auch so genug Bewerber.

BEATE TRÖGER

Nora Bossong: "Reglose Jagd". Gedichte. zu Klampen Verlag, Springe 2007. 48 S., geb., 17,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Angesichts derartiger Konventionalität der Motivik wird Beate Tröger misstrauisch. Nora Bossongs Dichtung jenseits von Experiment und Intertextualität aber gelingt, wie die Rezensentin staunend zugeben muss. Bei Tröger evoziert das gelassene auf sie bisweilen kaltblütig wirkende Ausschreiten des Natur- und Märchenbildraums "eine Stimmung von Einsamkeit, Trauer, Stagnation". Dass die Gedichte dabei nicht gefühlsselig werden, rechnet Tröger Nora Bossong hoch an. Der jungen Autorin attestiert sie eine ungewöhnliche sprachliche Eigenständigkeit und Unbestechlichkeit und wünscht ihr viele Leser.

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