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Kernstück bilden fast fünfhundert Stimmen, die hier mit den zwei Jahre vor seinem Tod,1966, entstandenen hundert "Neuen Stimmen" erstmalig vollständig in deutscher Übertragung vorliegen. Die Schriftsteller Rene Char, Raymond Queneau und Henry Miller verehrten sein poetisches Werk. Miller nahm es in "The books of my life" auf, während Queneau das Buch in "Pour une biblioth que ideale" empfahl. Heute gehören Schriftsteller wie Peter Handke oder Botho Strauß zu seinen Bewunderern.

Produktbeschreibung
Kernstück bilden fast fünfhundert Stimmen, die hier mit den zwei Jahre vor seinem Tod,1966, entstandenen hundert "Neuen Stimmen" erstmalig vollständig in deutscher Übertragung vorliegen. Die Schriftsteller Rene Char, Raymond Queneau und Henry Miller verehrten sein poetisches Werk. Miller nahm es in "The books of my life" auf, während Queneau das Buch in "Pour une biblioth que ideale" empfahl. Heute gehören Schriftsteller wie Peter Handke oder Botho Strauß zu seinen Bewunderern.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.10.1999

Ein Sandmann im Garten
Antonio Porchias "Stimmen" · Von Thomas Poiss

In der Erzählung "Das Sandbuch" lässt Jorge Luis Borges jemand eine black letter Wyclif-Bibel für ein Buch eintauschen, in dem er nie dieselbe Stelle ein zweites Mal finden wird. Ob Borges damit auch die "Stimmen" des ihm bekannten Antonio Porchia gemeint hat, muss offen bleiben, doch gibt es von diesem Buch eine ähnliche Geschichte.

Als der Schriftsteller Roger Callois es 1943 als Leser für sich und dann als Übersetzer für Frankreich entdeckte, bekannte er, dass er für die Verfasserschaft der "Stimmen" sein ganzes eigenes Werk gäbe. Wer Augen hat zu lesen, wird Roger Callois bestätigen, denn unerschöpflich sind die ungefähr sechshundert winzigen Prosagedichte. Oft wird in wenigen Worten eine Welt erschaffen, erhellt und in Frage gestellt: "Warum hältst du einen Augenblick inne, während du in den Abgrund stürzst?" Darauf ließe sich mit einer anderen "Stimme" antworten: "Dich erschreckt die Leere. Und doch öffnest du weiter die Augen!" Aber ist das eine Antwort? Was sehen wir, wenn wir sehen? "Mir sagt, ich sei blind, was ich sehe." Die Phantasie vermag nur wenig mehr: "Wer seine Welt nicht mit Phantasmen füllt, bleibt allein." Porchia lässt keine Illusion darüber bestehen, wie Sprache verwendet wird: "Wir geben einen Namen und wissen dann nicht, welchen Namen wir dem Namen geben sollen."

Diese radikale Negierung von Erschließungsmöglichkeiten der Welt führt konsequenterweise zu dem Satz: "Nichts ist nicht nur nichts. Es ist auch unser Kerker." Glaubt man in der Sprechpause noch an eine Öffnung, macht der zweite Teil die Leere um so bedrückender. Scheinbar. Denn dem genauen Leser fällt am Pronomen "unser" zweierlei auf: die Solidarität der Menschen und deren Teilnahme am Bau des Kerkers.

Das Unglück ist naturbedingt und selbst gemacht, ein blindes Verranntsein: "Ich verstehe nicht, wie der Mensch Mensch sein kann. Denn der Mensch ist, was in ihm steckt, und was in ihm steckt, ist nicht der Mensch." Alle Befreiungsversuche verstricken den Menschen nur tiefer: "Die Verurteilung eines Fehlers ist ein weiterer Fehler." Die einzige Möglichkeit besteht darin, unsere Prätentionen aufzugeben: "Willst du, dass die Blumen deines Gartens nicht eingehen, öffne deinen Garten." Porchia entdeckt am Ende der radikalen Kritik, die er mit der besten Moderne teilt, nicht den Zynismus, sondern dessen Umkehr: "Ja, das ist das Gute: Das Böse zu verzeihen. Es gibt kein anderes Gutes."

Diese Grundbewegung ist christlich, doch undogmatisch. Zwar gibt es Sätze, die eine religiöse Interpretation nahe legen, doch ihre Form widerspricht jeder Erbaulichkeit: "Mein Gott, ich habe fast nie an dich geglaubt, aber immer habe ich dich geliebt." Porchias appelliert nicht an Glauben oder Offenbarung, sondern er verlässt sich auf die Spontaneität: "Überzeuge mich, aber ohne Überzeugungen. Die Überzeugungen überzeugen mich nicht mehr."

Jeder Leser wird in den ohne Rubriken und Bezifferung verstreuten Gedanken eigene Wege gehen, bis er die Erfahrung des "Sandbuches" macht: "Von welchem Punkt man auch immer losgeht. Alle sind gleich. Alle führen zu einem Ausgangspunkt." So kann man Porchia auch als Psychologen und Liebenden lesen: "Ich liebe dich, wie du bist, aber sage mir nicht, wie du bist." Eine Erklärung erklärt nichts, während eine undeutbare Beobachtung alles ausdrückt: "Deine Hand genügt mir, weil sie mich ganz verdeckt und nicht durchsichtig ist." Doch bleibt die letzte Ungewissheit: "Was ich dir gegeben habe, weiß ich. Was du bekommen hast, weiß ich nicht".

Jeder Leser wird daher andere Parallelen mithören: Heraklit, Laotse, Pascal, Valéry und Karl Kraus finden sich fast wörtlich - Autoren die Porchia mit großer Sicherheit nicht gekannt hat. Jeder von diesen könnte den Satz geschrieben haben: "Der Mensch ist eine Sache, die die Kinder erlernen. Eine Kindersache." Aber bei keinem von ihnen wäre im Paradox noch die Güte zu vernehmen.

Woher kam dieser Dichter? Er wurde 1886 in Süditalien als Sohn eines ehemaligen Priesters geboren, dem er bleibendes Andenken in zwei Zeilen stiftet: "Mein Vater schenkte, als er fortging, meiner Kindheit ein halbes Jahrhundert." Die durch den Tod des Vaters weiter verarmte Familie wandert nach Argentinien aus, wo Antonio als Gelegenheitsarbeiter für die Geschwister sorgt. Als Callois Porchia trifft, betreibt er mit seinen Brüdern eine Druckerei, aus der er sich dann in immer kleinere Häuser in den Vorstädten von Buenos Aires zurückzieht. Er verkehrt mit Malern und jüngeren Dichtern, liebt seinen Garten. 1966 stirbt Porchia an den Folgen eines Sturzes.

In Argentinien liegen die "Stimmen"schon in zwölfter Auflage vor, was die nachhaltige Wirkung des leisen Buches erkennen lässt. Es wurde ins Französische und ins Englische übersetzt. Die deutsche Ausgabe präsentiert den Text im Original und in der Übertragung, eingeleitet durch einen Essay von Porchias wichtigstem Schüler, dem argentinischen Lyriker Roberto Juarroz. Einige Syntaxfehler und Flüchtigkeiten der deutschen Übersetzung sollten in einer zweiten Auflage behoben werden, damit nichts mehr die Stille der "Stimmen" trübt: "Von den Dingen kann allein das Wunder nicht sein. Nach den Dingen ist allein das Wunder gewesen."

Antonio Porchia: "Voces/Stimmen". Mit einem Essay von Roberto Juarroz. Herausgegeben und aus dem argentinischen Spanisch übersetzt von Juana und Tobias Burghardt. Tropen Verlag, Köln 1999. 132 S., br., 24,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

"Benedikt Erenz würde den Autor gerne als Aphoristiker bezeichnen - wenn man damit nicht automatisch "Lichtenberg, Jules Renard" und andere assoziieren würde. Auch der Begriff "Mystiker" gefällt ihm, aber nur, wenn man damit nicht gleich Kitsch verbindet, sondern eher an Kafka denkt. Keine Frage: Porchias sprachphilosophische Aphorismen gefallen dem Rezensenten. Anhand zahlreicher Beispiele versucht er diese Begeisterung zu vermitteln. Deutlich wird dabei, dass es häufig um die Frage geht, was der Mensch (scheinbar) besitzt, um die Täuschung, die im Haben-wollen liegt, um Paradoxien. Erenz betont jedoch ausdrücklich, dass Porchia dabei nicht in Pathos abgleitet oder eitel wirkt. Gerne hätte er auch mehr über den Autor erfahren, denn schließlich tauche dieser in den üblichen Lexika nicht auf. Leider jedoch gibt der "grottenhaft verblasene Einleitungsessay" über Porchia nur in Eckpunkten Auskunft, bemängelt Erenz, der sich ansonsten von der Aufmachung des Buchs sehr angetan zeigt.

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"Ein Riese der Verkleinerungskunst, der Unscheinbarkeit, darin anderen Reduktionvirtuosen des Jahrhunderts nahe, von Robert Walser bis Morandi." (Die Zeit) "Die 600 winzigen Prosagedichte sind unerschöpflich." (FAZ)