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Produktdetails
  • Verlag: Babel, München
  • 1., Aufl.
  • Seitenzahl: 88
  • Deutsch, Englisch
  • Abmessung: 245mm x 167mm
  • Gewicht: 270g
  • ISBN-13: 9783931798215
  • ISBN-10: 3931798216
  • Artikelnr.: 11413674
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.06.2003

Der Zähigkeit des Landpfarrers
Eine Auswahl aus dem Werk des englisch-walisischen Dichters R.S. Thomas
Die Szene ist idyllisch: „Gegen Ende des Ersten Weltkriegs, auf der Halbinsel Wirral, Cheshire: Ein kleiner Junge spielt am Strand. Über dem Meer kann man im Südwesten große, blau-graue Hügel sehen. Sein Vater deutet auf die Hügel: ‚Das ist Wales‘, sagt er, in Englisch. Der Junge hebt seinen Kopf für einen Augenblick und starrt die Hügel an, bevor er wieder im Sand zu spielen beginnt.”
Der kleine Junge heißt R.S.Thomas, und die Sätze stehen in seiner autobiografischen Skizze „Alte Wege”. Thomas ist 1913 in der walisischen Hauptstadt Cardiff geboren. Sein Vater ist ein von ihm bewunderter, ständig abwesender Seemann. R.S. lebt mit seiner sehr fürsorglichen Mutter, bis er sechs Jahre alt, ist in verschiedenen englischen Häfen. Er wird zum Stadtkind, das seine ersten Erinnerungen mit Liverpooler Parks verknüpft. Seine ersten Gedichte, die er 1946 in „The Stones of the Field” veröffentlicht, gelten dennoch der walisischen Landschaft. Er wird in ihr bis zu seinem Tod im Jahre 2000 leben wird; als Pfarrer der anglikanischen Kirche, unter anderem in Manafon, Eglwys-fach, Aberdaron, zuletzt in Llanfair-yng-Nghornwy.
Doch der Landpfarrer, mit dessen Gedichten Kevin Perryman den zwanzigsten Geburtstag seines kleinen Verlages feiert, hat Gedichte geschrieben, die in England zurecht mit T.S. Eliot und Yeats verglichen werden. Einen anheimelnd-idyllischen Glauben gibt es bei ihm nicht. Schon die erste Zeile von „Wie es ist” („As it is”), gibt jede Hoffnung auf: „It will always win”. „Es” wird immer gewinnen, und wenn jemand bei diesem „Es” anklopft, as on a door, and ask for love,/ for compassion, for hatred even, for hatred even, for anything, dann wird sich nur „this blank indifference”, das reine Desinteresse zeigen: diese grauen Himmel, diese nassen Wiesen/ mit dem Leichentuch des Windes darauf. Gott interessiert sich nicht für den Menschen, And endlessly the days go on/ with their business. Lovers ake their appearance/ and vanish. The germ finds its way/ from the grass/ to the snail to the liver to the grass.
R.S.Thomas, dessen Eltern sich – so das Gedicht „Autobiography” – „vom Leben angespült” und mit „leeren Taschen” in einem gemieteten Zimmer trafen, um Liebe zu machen, wobei der Dichter entstand, hat dem Himmel gegenüber oft eher den Blick eines Matrosen auf See, als den eines im Glauben geborgenen Menschen. Auch hat das Meer für ihn nichts Urlaubshaftes. Es ist, wie in dem Gedicht „The Sea”, „kein Kinderspiel”: Es hat harte Peitschen,/mit denen es knallt, und Knöchel,/um auf dich einzudreschen. Es schrubbt und scheuert; es zerkaut Felsen zu Sand; seine Umarmungen/rauben dir den Atem. Meistens ist es ein Magen, der Knochen,/ Wracks und Kontinente verdaut. (It has hard whips/ That it cracks, and knuckles/ To pummel you. It scrubs/ And scours; it chews rocks/ To sand; ist embraces/ Leave you without breath. Mostly/ It is a stomach, where bones,/ wrecks, continents are digested.)
Glücklose Astronauten
Die spürbare Abwesenheit Gottes ist für Thomas nicht nur dauerhafter Anlass zur Klage, sie ist zugleich die Grundspannung zwischen Ich und Welt, von der seine Gedichte leben: It is this great absence/ that is like a presence, that compels/ me to address it without hope/ of a reply. Immer wieder umkreist Thomas dieses Thema. Auch die Astronauten versuchen ihr Glück, suchen die Mondgöttin, aber kehren ohne Erfolg zurück: „An absence of beauty/ oppressed them”. Immerhin sendet die Mondgöttin Zeichen: Sie ist ein ersticktes/ Feuer, ein heller Himmelskörper, dessen/ verloschenes Licht uns noch immer erreicht.
Mit dem gekreuzigten Christus, der „unvergänglichen Vogelscheuche” („imperishable scarecrow”), nimmt sie es jederzeit auf. Wenn Gott sich positiv zeigt, dann oft in der Gestalt von Vögeln, die singen, schnell wieder wegflattern. Oder auch nicht: Der Schatten des Baumes fällt/ auf unsere Fluren wie eine Kreuzigung,/ mit einem Vogel im Geäst, der singt,/ was seine schrille Art schon immer sang,/ und seine Töne fest einhämmert/ Schlag für Schlag in unser kurzlebiges Fleisch.
R. S. Thomas ist ein Gottesdichter, ein Landschaftsdichter, ein Menschendichter, dessen Gedichte nie abgelebt erscheinen. Sie überstehen sogar den direkten Eingriff in die Gegenwart: Im Gedicht „Capitalism” mischen sich Sozialkritik, Spott und Selbstironie: „Come out and fight!” rufen wir und ballen zerfurchte Fäuste; er lacht/ uns als altmodisch aus/ und geht zum Schein auf uns ein: Er schickt/ uns seine Sekundanten in der tadellosen/ Tracht ihrer Rechnungen und Vorladungen.
Seine in 28 Einzelbänden veröffentlichten Gedichte (bis auf die letzten sind sie in den 1993 in London erschienenen „Collected Poems” enthalten) hat Thomas in englisch geschrieben. Walisisch hat er erst mit dreißig Jahren gelernt. Als Lyriker konnte er nicht mehr zurück, doch in walisischer Prosa klagt er über seine „diabolische Zweisprachigkeit”. Ein letzter, achtzig Seiten starker autobiografischer Versuch des Fünfundsiebzigjährigen heißt „neb”, was walisisch „niemand” und „jemand” zugleich meint. Auf Englisch wird daraus „no-one”. Doch am besten vermittelt die Spannung zwischen dem walisischen Wort und diesem Leben und Werk das Paul Claudel-Zitat im Untertitel: „et de ce néant indestructible, qui est moi” („und über dieses unzerstörbare Nichts, das ich bin”).
Die Aufgabe des zähen Reverend ist, die Welt auszuhalten und in seinen Gedichten zu zeigen, „wie es ist.” In ihrer nie nachlassenden Energie und Sprödigkeit ähneln sie „Liebesliedern im Alter”, sie „haben die Schärfe von trockenen Blättern.”
HANS-PETER KUNISCH
R.S. THOMAS: Die Vogelscheuche Nächstenliebe. Gedichte aus fünf Jahrzehnten. Zweisprachige Ausgabe. Aus dem Englischen von Kevin Perryman. Babel Verlag, Denklingen 2003. 81 Seiten, 22 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Wales war R.S. Thomas' Herkunfts- und Herzenslandschaft, erklärt Angela Schader, dennoch habe der Dichter aus einer Art Respekt vor dem Idiom sich in seinen Gedichten nie des Walisischen bedient, da er selbst aus dem englischsprachigen Cardiff stammte. Das angelernte Walisisch gebrauchte er ausschließlich in autobiografischen Prosatexten, so Schader, wo Thomas oft nur in der dritten Person über sich sprach - ein seltsames "Nicht-bei-sich-Sein" merkt die Rezensentin an. Das Englisch seiner Gedichte sei überhaupt sehr karg und nüchtern, was die Hintergründigkeit der scheinbar so geradlinigen Gedanken um so irritierender mache, bemerkt Schader. Der vorliegende zweisprachige Band, von Kevin Perryman zusammengestellt und übersetzt, ist lose thematisch sortiert; die deutschen Übertragungen verlangen vom deutscher Leser etwas mehr an Interpretationsleistung als das Original, vermutet Schader. Eine Herausforderung, der sie sich gerne unterzogen hat und die zu neuen Einsichten führt wie etwa, dass Thomas, der als Technikfeind und Fortschrittskritiker gilt, teilweise recht originelle Gedanken zu diesem Thema entwickelt habe.

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