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Produktdetails
  • Verlag: Satzwerk
  • Originaltitel: A Cure for Gravity
  • Seitenzahl: 335
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 520g
  • ISBN-13: 9783930333332
  • ISBN-10: 3930333333
  • Artikelnr.: 08349763
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.04.2000

Ein Pianist in besten Jahren
Tag und Nacht: Joe Jacksons kluge Autobiographie

Mit fünfundvierzig seine Autobiographie schreiben: Ist das nicht ein bisschen arg früh? Oder sogar ein bisschen verdächtig? Sollte mit fünfundvierzig nicht noch etwas kommen? Vielleicht sogar - mit Verlaub - das Wesentliche? Ja, vielleicht. Aber im Verlauf dieses einundzwanzigsten Jahrhunderts werden immer mehr von denen, die ihre Autobiographie schreiben, das Wesentliche in ihrem Leben als junge, manchmal sogar als ganz junge Leute erlebt und geschaffen haben. Das sind die Helden der Popkultur. Popkarrieren sind laut, wüst, weltumspannend und finanzintensiv - und sie sind kurz. Schon jetzt geht eine ganze Generation von Ex-Popgrößen unter uns umher, Männer und Frauen in den "besten Jahren", Stars von gestern, die heute allenfalls noch in Rubriken wie "Was macht eigentlich . . .?" erscheinen.

Die Popkultur hat das Spektrum bedeutender Lebensläufe erweitert. Zwischen zwanzig und fünfunddreißig sein großes Ding zu machen und später etwas ganz anderes, etwas Unauffälliges oder schlicht gar nichts - das muss nicht mehr unbedingt eine Scheiternsgeschichte sein. Im Gegenteil: Nicht der Entertainer, der nach den großen Welttourneen bis hinunter ins letzte mögliche Bierzelt tingelt, hat den Pop verstanden, sondern der, der sich mit fünfunddreißig klaglos aufs Immobiliengeschäft verlegt. Wenn wir uns also die Idee des wie auch immer heroisch-besonderen Lebens bewahren wollen, dann müssen wir uns an solche Lebensläufe gewöhnen. In der Musikbranche allemal. Im Sport sowieso. Demnächst vielleicht sogar in der Literatur.

Ende der theoretischen Vorrede. Joe Jackson ist fünf und Popmusiker. Seine Kurzbiographie liest sich wie die eines brasilianischen Fußballstars: vom Gassenkicker zum Nationalspieler. David Ian Jackson wird 1954 geboren und wächst in Pourtsmouth, in einem altenglisch-proletarischen Umfeld auf. Er ist ein schwieriges, in sich gezogenes, kränkliches Kind, er ist ganz anders als die anderen, so anders, dass er fest glaubt, seine Eltern seien nicht seine Eltern. Mit zehn Jahren flüchtet er sich endlich in die Musik, um dem Schulsport und den Schulsportlern zu entgehen. Dabei bleibt er unentschieden, ob er sich ganz der ernsten, der klassischen Musik widmen und so seine proletarische Lebenswelt vollkommen verlassen oder ob er sich als Popmusiker dieser Lebenswelt ganz zuwenden soll. Mit achtzehn studiert Jackson drei Tage in der Woche an der Königlichen Musikakademie in London, während er in den restlichen vier mit drittklassigen Bands durch Diskos und Kleinstadtkneipen tourt oder in einem "Playboy"-Club die musikalische Untermalung liefert. Dann enden seine musikalischen Wanderjahre.

Als "Joe" Jackson veröffentlicht er 1979 sein erstes Album "Look Sharp". Der zeitgemäß reduzierte New Wave Sound macht den schmächtigen Mann, der alles andere ist als ein Entertainer, schnell berühmt. Es folgen in den üblichen Abständen neue Alben, und mindestens bei "Steppin' Out" von der LP "Night and Day" könnt auch ihr, geneigte Mittvierziger, wenn ihr in den achtziger Jahren auf diesem Planeten gelebt habt, mit Sicherheit ganz passabel mitsummen. In den neunziger Jahren verschwindet Joe Jackson dann aus dem Aufmerksamkeitszentrum der Popmusik. Das geschieht, teils weil er selbst mehr oder minder schöpferische Pausen einlegt, teils weil Jugend und Neuheit im Popsektor beinahe zwingende Bestandteile des Erfolgs sind.

Bis hierhin eine typische - oder wenigstens eine verbreitete - Geschichte. Doch nun folgen zwei Besonderheiten. Zum Ersten versucht Joe Jackson seit Mitte der neunziger Jahre einen eigenen musikalischen Weg zwischen Pop und klassischer Musik zu gehen, einen Weg abseits der Hitparaden und Welttourneen. Unlängst ist sogar seine CD "Symphonie No. 1" erschienen. Und zum anderen hat Joe Jackson mit "Ein Mittel gegen die Schwerkraft" eine Autobiographie geschrieben, die keineswegs - wie es nahe gelegen hätte - eine Summe seiner (natürlich schlechten) Erfahrungen im Big Show Biz ist. Vielmehr schreibt er ausschließlich über seine Kindheit und seine musikalischen Versuche bis zum Durchbruch mit "Look Sharp". Und damit liefert er neben verqueren Storys aus der Jugend- und Musikkultur der siebziger Jahre tatsächlich so etwas wie den exemplarischen Entwurf einer ästhetischen Bewusstseinsbildung in der Epoche des Pop.

Schwere Worte, zugegeben, aber ich stehe dazu. Denn Jacksons Autobiographie ist nicht nur eine mit sorgfältiger Leichtigkeit und trockenem Humor erzählte Musikergeschichte. Sie kreist auch, ohne prätentiös grüblerisch zu sein, dauernd um ein zentrales Thema von wahrhaft allgemeinem Belang: Wie, so fragt sich darin ein musikinteressierter Junge in den Siebzigern, wie verhält man sich zu dem Umstand, dass die ernsthafte, die klassische Musik in eine unemotionale (und unerotische) Avantgarde gemündet ist, während andererseits gewaltige Menschenmassen auf der ganzen Welt von der simplen, um nicht zu sagen primitiven Popmusik bis ins Innerste bewegt werden? Was tun? Jackson kennt die Alternativen, er lebt sie. Er sieht, wie die Zöglinge der Königlichen Musikakademie intellektuelle Spielereien auf Notenpapier veranstalten, und er spielt im Hintergrund Keyboards, wenn sein Frontmann auf irgendeiner Bühne mit ein paar Standardakkorden die Halle zum Toben bringt.

So wie Jackson seine Jugend erzählt, ist sie eine Allegorie dieses Zwiespalts. Als Arbeiterkind müsste er ein waschechter Poptyp sein, als geborener Außenseiter ein Avantgardist. Doch auf der Akademie fühlt er sich als Punk und in den Vorstadtlokalen als Intellektueller. Er ist nirgendwo zu Hause - nur in der Musik, aber in der Musik als ganzer, als Lebensentwurf gegen die bürgerlichen Entwürfe. Seine musikalischen Wanderjahre sind eine einzige Suche nach seiner Musik als einem "Mittel gegen die Schwerkraft". "Musik war so gut wie jede Religion", lautet der letzte Satz seiner Autobiographie. Jackson ist ein zutiefst Gläubiger, der zu intellektuell und aufgeklärt ist, um irgendeiner Religion oder gar einer Kirche angehören zu können. Sein Leben in der Musik war und ist ein aktives, aber durch sein Leiden an den zwei Kulturen U und E schlägt er die Brücke zu den Musikkonsumenten. Laut und verständlich spricht seine Autobiographie zu einer Generation, die ihre CDs mittlerweile alphabetisch sortiert und es eigentlich furchtbar findet, wenn dadurch die Beatles und Beethoven direkt nebeneinander stehen. Furchtbar - und irgendwie richtig.

BURKHARD SPINNEN

Joe Jackson: "Ein Mittel gegen die Schwerkraft". Musikalische Wanderjahre. Aus dem Englischen von Andreas Wostrack und Ursula Barth. Satzwerk Verlag, Göttingen 1999. 333 S., geb., 45,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Laut Burkhard Spinnen ist Jacksons Autobiografie mehr als die üblichen Erinnerungen eines Popmusikers an das "Big Show Biz". Sie zeichne die paradigmatische Entwicklung einer "ästhetischen Bewusstseinsbildung in der Epoche des Pop" nach und sei damit von weitreichendem Interesse. So schätzt Spinnen gleichermaßen die Leichtigkeit und die Tiefe, den Humor und den darin enthaltenden Ernst dieser Lebenserinnerungen. In ihnen würde der Zwiespalt des zwischen klassischer und Popmusik schwankenden Musikers festgehalten, der sich in beiden Welten als Außenseiter empfinde. Eine "kluge", "laut und verständlich sprechende" Autobiografie sei das Buch, lautet das Urteil des Rezensenten.

© Perlentaucher Medien GmbH