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Die dänische Ethnologin Inger Sjírslev, die in Kopenhagen an der Universität lehrt und mehrere Jahre die ethnographische Abteilung des Nationalmuseums in Kopenhagen leitete, gibt in einem sehr persönlichen Bericht Einblick in ihre Feldforschungen während eines zweijährigen Aufenthaltes in Brasilien. Im Laufe ihrer Begegnungen mit Priestern, Priesterinnen und Adepten der Candomblé-Religion sammelte sie reichhaltiges Material über die brasilianische Variante des Voodoo-Glaubens. Nach dem großen Erfolg unseres Bandes "Voodoo in Haiti" von Alfred Métraux stellen wir mit diesem Werk eine Arbeit der nachfolgenden Ethnologen-Generation vor.…mehr

Produktbeschreibung
Die dänische Ethnologin Inger Sjírslev, die in Kopenhagen an der Universität lehrt und mehrere Jahre die ethnographische Abteilung des Nationalmuseums in Kopenhagen leitete, gibt in einem sehr persönlichen Bericht Einblick in ihre Feldforschungen während eines zweijährigen Aufenthaltes in Brasilien. Im Laufe ihrer Begegnungen mit Priestern, Priesterinnen und Adepten der Candomblé-Religion sammelte sie reichhaltiges Material über die brasilianische Variante des Voodoo-Glaubens. Nach dem großen Erfolg unseres Bandes "Voodoo in Haiti" von Alfred Métraux stellen wir mit diesem Werk eine Arbeit der nachfolgenden Ethnologen-Generation vor.
Autorenporträt
Sjørslev, Inger
Nach ihrem Studium war Inger Sjorselv (Jg. 1948) lange Zeit Kuratorin an der ethnografischen Abteilung des Nationalmuseums in Kopenhagen. Sie war für mehrere Jahre Direktorin der International Work Grup for Indegenous Affairs. Sie lehrt Ethnologie an der Universität Kopenhagen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.04.2000

Kult mit Exú
Inger Sjorslev treibt Ethnologie
mit Selbsterkenntnis
Das Buch einer anerkannten Ethnologin, das schon bald ein Klassiker über einen der großen afroamerikanischen Kulte werden könnte, in der „Bibliothek der Geheimen Wissenschaften und magischen Künste” herauszubringen, ist ein Etikettenschwindel des Merlin Verlags. Aber ein sinnvoller – ein Moment der Selbsterkenntnis, ein Verfremdungseffekt gleichsam. Statt zur hermetischen Lektüre, für die Initiation ins exotische Mysterium, wird man eingeladen, die Mühen selbstreflexiver Ethnografie und der Arbeit am Mythos (Hans Blumenberg) mit zu vollziehen. Dass Inger Sjorslev, die zum ersten Mal vor 20 Jahren aus Dänemark mit Karl Poppers Hauptwerk im Gepäck nach Bahia aufbrach und als – vielleicht noch kritischere – Rationalistin mit einer Fülle von Erkenntnissen von dort wieder zurück kehrte, läuft dem üblichen Gemunkel über den irrationalen Magnetismus dieses „schwarzen Rom” (Umberto Eco) zuwider. (Wie übrigens einst schon Hubert Fichtes gradliniger Lakonismus. )
Für Roger Bastide beinhaltete der Götterglaube der nach Amerika verschleppten Afrikaner eine Metaphysik, die derjenigen Spinozas und Platons das Wasser reichen konnte. Sjorslev gelangt zu einer ähnlichen Schlussfolgerung, ausgehend von einer spezifischen Fragestellung – ob der Camdomblé eine Freistatt für Außenseiter und eine Form der Therapie für seelisch und physisch Kranke sei – und in dem Maß, wie sie durch typische Schwierigkeiten der Beobachtungssituation gezwungen ist, auf sich als „Instrument” der Forschung zu reflektieren. Die Struktur des Buches, das den ethnografischen Bericht neben die verallgemeinernden Reflexionen stellt, lässt den Leser an diesem Erkenntnisprozess teilnehmen.
Die täglichen Begegnungsschocks, denen Sjorslev als Nordeuropäerin mit protestantischer Erziehung ausgesetzt war, hat sie produktiv zu machen verstanden für den Blick auf das Fremde als Variante des Allgemeinen und mithin des Eigenen. Wie kann eine Frau einen Mann heiraten wollen, dessen Zuneigung sie sich durch magische Praktiken ermogeln muss, wo wir doch gelernt haben, dass Liebe, die nicht „von innen kommt”, keine sein kann? Um verstörende Fragen dieser Art zu beantworten, macht Sjorslev ethnologische Erkenntnisse von Durkheim bis Evans-Pritchard fruchtbar – etwa die Magie als eine von allen durchschaute Praxis, die den unausgesprochenen Regeln einer Gemeinschaft folgt, oder das Halbbewusste, ja artistisch Spielerische der Trance: Phänomene, die sie auf eine anders geartete Sprache hinweisen, eine Sprache vornehmlich der Handlungen und der Bewegungen, mit der die Bahianer nicht weniger komplizierte Seelenzustände artikulierten, die aber, wie Sjorslev hervorhebt, der prärationalen „Chora” Julia Kristevas näher steht als die „abstrakte” europäische.
Der Candomblé ist keine afrikanische Religion, sondern ein gelebter Synkretismus von christlichen, afrikanischen und indianisch-heidnischen Elementen. Anknüpfend an Überlegungen Michael Taussigs verdeutlicht Sjorslev den kreativen Mimetismus, der in dieser Melange wirksam ist. So sind die indianischen Geister, die Caboclos, zugleich als Persiflage und Heiligung des Primitiven, Ursprünglichen anzusehen.
Technik des Tricksters
Anschaulich verdeutlicht Sjorslev auch die rasante Karriere des Tricksters Exú, des für sie wichtigsten, weil dynamischsten Orixás, der phallische Fruchtbarkeit repräsentiert und christlicherseits mit dem Teufel identifiziert wurde. Exú, der den Menschen die Technik des Wahrsagens beibrachte, um die Götter vor dem Hunger zu bewahren, ist der Verkünder des Schicksals. Seine Geschmeidigkeit und „individualistische” Gewitztheit haben ihm als einziger Yoruba-Candomblé-Gottheit in den Kulten der Großstädte zur Ubiquität verholfen. Solcher Synkretismus, zeigt Sjorslev, funktioniert nur, weil in der afrikanischen Weltsicht das „Außen” gegenüber der Innenwelt die maßgebliche Instanz ist. Darum konnten die Camdomblé-Priester noch die strengsten christlichen Heiligen für eine Philosophie einspannen, in der es nur auf das irdische Leben ankommt, wir hienieden glücklich werden sollen.
Ausgerechnet das principium individuationis – diese eifersüchtig gehütete Domäne des Abendlands – gilt der afrikanisch-bahianischen Weltsicht als Grundbedingung das Glücks, sofern der Initiierte nämlich das damit verbundene Leid – die schmerzvolle Scheidung aus der kollektiven pränatalen Ureinheit – symbolisch auf sich nimmt. Die Besessenheit der „Söhne” und „Töchter” des Candomblé – das war für Sjorslev der Schlüssel, um die Therapiefunktion des Rituals für psychisch Kranke einerseits und „Andersartige” wie Frauen und Homosexuelle andererseits zu erklären. Das Leiden wird erträglich, indem es in einem symbolisch verbindlichen Rahmen vorgeführt, getanzt und beherrscht wird. Die Initiation ist der Versuch, den eigenen Seelenanteil am kosmischen Ganzen zurückzuerlangen, um dadurch auch psychisch wieder eins zu werden. Entsprechend schließt Sjorslev kategorisch aus, dass die Besessenheit – wie das Klischee es will – als „dionysisches Außer-sich-Sein” erfahren wird. Der apollinischen Regelhaftigkeit im Ritual entspricht in der Kosmologie der Wille zu Klarheit und Versöhnung.
HANNO ZICKGRAF
INGER SJORSLEV: Glaube und Besessenheit. Ein Bericht über die Candomblé-Religion in Brasilien. Aus dem Dänischen von Kerstin Schöps. Merlin Verlag, Gifkendorf 1999. 622 S. , 48 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Da sich der Rezensent Hanno Zickgraf meist in der komplexen Begrifflichkeit der Ethnologie bewegt, soll sein entscheidender Satz zur Methode der dänischen Autorin, die sich mit der Bedeutung der afro-amerikanischen Religionen als „Freistatt für Außenseiter und Form der Therapie für seelisch und psychisch Kranke“ beschäftigt hat, hier ganz zitiert werden: „Die täglichen Begegnungsschocks, denen Sjorslev als Nordeuropäerin mit protestantischer Erziehung ausgesetzt war, hat sie produktiv zu machen verstanden für den Blick auf das Fremde als Variante des Allgemeinen und mithin des Eigenen.“ So ist auch sein Satz zu verstehen, dass die Lektüre des Buches durchaus ein Gang durch die „Mühen selbstreflexiver Ethnografie“ ist, und jedes „Gemunkel“ über Magie und Mythos verschmäht. So liegt die Erkenntnisskraft dieses Buches vor allem im Begreifen einer uns Europäern fremden Praxis als einer Sprache „von Handlungen und Bewegungen“, die komplexe Seelenzustände artikuliert. Wer diese Sprache entziffert, kann sehen, dass selbst das Individuationsprinzip, „diese eifersüchtig gehütete Domäne des Abendlandes“, den Anhängern der Candomblé-Praxis „Grundbedingung des Glücks“ ist, soweit der Einzelnen im Ritual der „Besessenheit“ seine Trennung vom Kollektiv als zwar leidvoll aber dennoch im Konsens mit allen tanzend akzeptieren kann. Und insofern ist „Besessenheit“, so referiert Zickgraf, dann eben kein „Außer-Sich-Sein“ sondern vielmehr Darstellung und Beherrschung einer Regel, die auf „Klarheit und Versöhnung“ aus ist.

© Perlentaucher Medien GmbH
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