Produktdetails
  • Justizkritische Buchreihe
  • Verlag: Verlagsges. Tischler
  • Seitenzahl: 480
  • Deutsch
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 860g
  • ISBN-13: 9783922654667
  • ISBN-10: 3922654665
  • Artikelnr.: 20789745
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.08.2007

Alles wie gehabt
Hermann Weinkauff als erster Präsident des Bundesgerichtshofs

Der potentielle Leser möge das Buch nicht alsbald wieder zuklappen. Obwohl durchaus Anlass besteht, zunächst verärgert zu reagieren. Denn was draufsteht, steht nicht drin. Anders als der Buchtitel verspricht, ist sein Thema nicht "Der Bundesgerichtshof" - vielmehr vor allem dessen erster Präsident Hermann Weinkauff. Auch der Untertitel führt den Leser in die Irre. Denn entgegen der Ankündigung geht es nicht um "Justiz in Deutschland". Und schon gar nicht wird "eine kritische Situationsanalyse" geboten. Selbst in Mogelpackungen ist etwas drin. Nur eben weniger. Und das lohnt hier durchaus, kritisch gelesen zu werden. Zumal vieles den meisten, zumal jüngeren Juristen bislang unbekannt sein dürfte. Auch der "rechtsunterworfene" Normalbürger möchte vielleicht gern wissen, wer in den ersten Jahren seines Bestehens an der Spitze des obersten Zivil- und Strafgerichts stand.

Weinkauff gehörte zu den vehementen Verfechtern eines christlich grundierten Naturrechts. Sein Denken beherrschte nicht wenige Urteile aus den Gründerjahren des BGH. Mit einer metaphysisch-theologischen Anmaßung sondergleichen. So nahmen etwa die Richter des Großen Senats in Strafsachen für sich in Anspruch, die Gebote und Verbote eines ewig geltenden Sittengesetzes naturgetreu nachzubuchstabieren. Jeder konnte und kann nachlesen, dass sie den Geschlechtsverkehr zwischen Verlobten unter Unzucht subsumierten. Der unvergessene Wilhelm Weischedel, dem wir das herrliche Werk "Der Gott der Philosophen" verdanken, hat seinerzeit die von ethischen Begriffen und metaphysischen Vorstellungen wie "Sittengesetz" oder "Ordnung der Werte" geprägte Rechtsprechung eingehend analysiert, mit der versucht wurde, die gescheiterte materiale Wertethik zwar nicht zur Evidenz zu bringen, sondern - weitaus schlimmer - mit Rechtskraft zu versehen. Im besten christlichen Glauben. Vor allem aber auch, um nicht die "schöne Sicherheit" aufzugeben, "im vermeintlichen Besitz absoluter Normen" zu sein. Dem allen hat Weinkauff in vielbeachteten Aufsätzen Vorschub geleistet. Man könnte vermuten: Er hatte es nötig. Denn der erste Präsident des BGH war vordem - genau: von 1935 bis 1945 - Mitglied des Reichsgerichts gewesen, ganz gewiss kein Hort des Widerstandes, ebenso wenig freilich die juditielle Speerspitze nationalsozialistischer Unrechtsideologie und des widerlichen Rassenwahns. Von allem etwas. Ohne dass bekannt wäre, er hätte an einem der Schandurteile mitgewirkt. Ein Mitläufer in roter Richterrobe, das war Weinkauff.

Und nach dem Kriege einer, der jede Gelegenheit nutzte - nicht selten selbst erst schuf - zur Weißwäsche und Schönfärberei. Jetzt machte er sich eindeutig schuldig, indem er - und noch dazu in naturrechtschristlichem Mäntelchen - alles daransetzte, die Unrechtsentwicklung und schließlich dessen Herrschaft zu verharmlosen und zu verdrängen. Stattdessen wurde der Eindruck erweckt, "der Alltag des Juristen" - sieht man einmal von den Sondergerichten, vor allem dem Volksgerichtshof ab - sei doch "eigentlich ganz unpolitisch und ,normal' gewesen". So steht es freilich nicht bei Godau-Schüttke, sondern bei Bernd Rüthers. In einem jedoch sind alle juristischen Alltage geradezu erschreckend "normal", gestern wie heute. Stets wurde und wird "normalerweise" nach derselben Methode Recht gesprochen. Oder Unrecht. Einer Methode, die es den Richtern ermöglicht, ihre "eigene Entscheidung . . . als Auslegung und Anwendung des geltenden Rechts darzustellen" (Niklas Luhmann). Und die mit jedem Naturrecht kompatibel ist - sei dieses nationalsozialistisch verseucht oder christlich geprägt. Die es aber auch erlaubt, ohne Rekurs auf ein Naturrecht zu richten. Das geschieht gegenwärtig. Jedenfalls offiziell. Eine Situationsanalyse hätte dies alles nicht aussparen dürfen.

Die Vorzüge des Buches liegen anderswo. Godau-Schüttke hat nämlich nicht allein die Personalakten Weinkauffs ausgewertet und dessen Werdegang geschildert, sondern obendrein auch die Akten anderer Richter des 1. Zivilsenats am Reichsgericht - ihm gehörte Weinkauff die längste Zeit an - gründlich studiert. Danach entstammte nur ein Richter einer Arbeiterfamilie. Die anderen kamen aus "bürgerlichen Kreisen". Der einzige Katholik hat am Ersten Weltkrieg nicht teilgenommen. Wiederum lediglich einer von ihnen hatte es "nur zum Gefreiten gebracht, während seine Kollegen Offiziere der Reserve waren". Bemerkenswert ferner: "Vor und nach 1933 waren jeweils 50 Prozent der acht Senatsmitglieder Mitglied einer Partei". Vorher war das die DVP oder die DNVP.

Für den Autor sagt die bloße NSDAP-Mitgliedschaft allein zu Recht wenig über die innere Einstellung der Richter. Er gewichtet anders: "Das Berufs-Offizierskorps des kaiserlichen Heeres, das im 1. Weltkrieg die Führung innehatte, dachte antidemokratisch, antibolschewistisch und antisemitisch." Das prägte auch die "Zivilisten, die nur auf Zeit den ,Rock' trugen". Der Autor hält es für plausibel, dass auch die Parteilosen "ihren Beruf damals in völliger Übereinstimmung mit den nationalsozialistischen Zielen ausübten". Hier schließt sich der Kreis: Am Ende entscheidet die Richterpersönlichkeit. In jedem Wortsinn. Dem entkommen wir nie.

WALTER GRASNICK

Klaus-Dieter Godau-Schüttke: Der Bundesgerichtshof. Justiz in Deutschland - eine kritische Situationsanalyse. Verlagsgesellschaft Tischler GmbH, Berlin 2006. 480 S., 24,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Durchaus mit Gewinn hat Walter Grasnick dieses Buch von Klaus-Dieter Godau-Schüttke gelesen, auch wenn Titel und Untertitel völlig in die Irre führen. Weder geht es in seinen Augen um den Bundesgerichtshof noch wird eine kritische Situationsanalyse geboten. So gesehen hält er das Buch schlicht für eine "Mogelpackung". Allerdings für keine uninteressante. Im Mittelpunkt des Buchs sieht er den ersten Präsidenten des Bundesgerichtshofs Hermann Weinkauff, dessen von einem christlich grundierten Naturrecht geprägtes Denken zahlreiche Urteile aus den Gründerjahren des BGH prägte. Grasnick wirft einen kritischen Blick auf Weinkauff, der von 1935 bis 1945 Mitglied des Reichsgerichts war und nach dem Krieg jede Gelegenheit nutzte, Weißwäsche und Schönfärberei zu betreiben. Die Stärke von Godau-Schüttkes Buch sieht Grasnick vor allem in der Auswertung der Personalakten Weinkauffs und der Schilderung von dessen Werdegang. Er hebt hervor, dass der Autor darüber hinaus auch die Akten anderer Richter des 1. Zivilsenats am Reichsgericht, dem Weinkauff die längste Zeit angehörte, sorgfältig studiert hat.

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