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Der Roman entwirft ein Panorama deutscher Geschichte zwischen den beiden Weltkriegen des zwanzigsten Jahrhunderts. Ausgehend von Nürnberg erreicht die Handlung bald Berlin, Wien, Paris und andre Spielorte. Eine gleich zweifache Verdoppelung der Hauptfiguren - das Zwillingspaar Primula und Uli Kaiser sowie Primulas Zwillingssöhne Caesar und Alexander - ermöglicht es dem Autor, das Geschehen im Dritten Reich und im Exil parallel zu gestalten, wobei die Schilderung des Exils deutlich autobiographische Züge Kestens trägt. Die Schicksale der Hauptfiguren sind verknüpft durch leidenschaftliche Liebe…mehr

Produktbeschreibung
Der Roman entwirft ein Panorama deutscher Geschichte zwischen den beiden Weltkriegen des zwanzigsten Jahrhunderts. Ausgehend von Nürnberg erreicht die Handlung bald Berlin, Wien, Paris und andre Spielorte. Eine gleich zweifache Verdoppelung der Hauptfiguren - das Zwillingspaar Primula und Uli Kaiser sowie Primulas Zwillingssöhne Caesar und Alexander - ermöglicht es dem Autor, das Geschehen im Dritten Reich und im Exil parallel zu gestalten, wobei die Schilderung des Exils deutlich autobiographische Züge Kestens trägt.
Die Schicksale der Hauptfiguren sind verknüpft durch leidenschaftliche Liebe und persönliche oder politische Abneigungen. An ihrer Geschichte wird wie in einem Spiegel die Doppelrolle der Deutschen zwischen den Jahren 1919 und 1945 vorgeführt. Die, welche im Lande blieben, wurden nicht selten zu Bestien; jene, die das Land verließen, hörten nicht auf, sich für das Wohl aller Bürger und gegen das NS-Regime einzusetzen.
Die zwei Aspekte Deutschland, das Gute und das Böse, der Zivilisierte und der Neandertaler, waren Gegenstand deutscher Klagen seit Generationen. Mit kühner Kraft hat Kesten Elemente der Phantasie, der Symbolik und des brutalsten Realismus in einer Allegorie über die deutsche Nation und ihre katastrophale Schizophrenie kombiniert.

Der Roman wird als Buch seit 1947 erstmals wieder aufgelegt.
Autorenporträt
Hermann Kesten, geb. 1900 in Podwoloczyska, Ukraine, zog 1904 mit seiner Familie nach Nürnberg. Er studierte Jura und Nationalökonomie in Erlangen und Frankfurt am Main. Zunächst arbeitete er im Trödelhandel seiner Mutter und reiste durch Europa und Nordafrika. 1928 wurde er Lektor beim Kiepenheuer-Verlag in Berlin. 1933 floh er nach Frankreich, lebte in Paris, Sanary-sur-Mer, Nizza, Ostende, Brüssel und Amsterdam. Dort arbeitete er für den holländischen Exilverlag Allert de Lange. Als feindlicher Ausländer wurde er 1939 in Paris und in Südfrankreich interniert. Im Jahr darauf gelang ihm die Flucht in die USA. Dort rettete er von 1940-42 als Berater eines Komitees zur Rettung politisch Verfolgter Schriftsteller und Künstler vor dem NS-Regime. 1949 erhielt er die amerikanische Staatsbürgerschaft. 1950 siedelte er nach Rom über, wo er bis 1977 überwiegend wohnte. Von 1972-76 war Hermann Kesten Präsident des PEN-Zentrum Bundesrepublik Deutschland. 1977 zog er nach Basel, wo er 1996
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.11.2004

Moral in Ruinen
Wieder da: Hermann Kestens Exilroman „Die Zwillinge von Nürnberg”
Ein später Gedichtband von Hermann Kesten, sein einziger, trägt den Titel „Ich bin der ich bin”. Er war, der er war - Zeit seines Lebens, das sein ungemütliches Jahrhundert fast ganz ausfüllte: Kesten, 1900 in Galizien geboren, in Nürnberg aufgewachsen, starb 1996 in Basel. Seit der Emigration aus Deutschland im März 1933, die über Holland und Frankreich nach Amerika führte, war die Unsesshaftigkeit zu seiner Existenzform geworden.
„Josef sucht die Freiheit”, der erste Roman des Siebenundzwanzigjährigen, in nur zwei Wochen niedergeschrieben, 1928 mit dem Kleistpreis ausgezeichnet, wurde vielfach übersetzt und immer wieder neu aufgelegt, zuletzt vor wenigen Jahren bei Steidl: ein Debüt, das Thematik und Machart der folgenden dreizehn Romane und dreißig Erzählungen vorwegnahm. Das Buch gab den Ton an, der als „Neue Sachlichkeit” in die Literaturgeschichte einging.
Tempo, Reiz der Oberfläche, die Techniken der Reportage kennzeichnen auch Kestens umfangreichsten Roman „Die Zwillinge von Nürnberg”, der 1946 als „The Twins of Nuremberg” zunächst in Amerika herauskam. Die deutsch-sprachige Erstausgabe erschien im Jahr darauf bei Querido, dem Emigrantenverlag in Amsterdam; nochmals ein Jahr später verlegte S.Fischer das Buch. Der Neudruck des 600 Seiten starken Bandes macht das Hauptwerk des Büchnerpreisträgers von 1974 wieder zugänglich.
Es handelt sich um ein mit schwungvollem Pinsel angefertigtes Panorama der deutschen Geschichte zwischen 1919 und 1945, das alle Tugenden und Untugenden des Schriftstellers Hermann Kesten zur Schau stellt. Zu den Untugenden zählt das Konstruierte der Handlung, die ihren paradigmatischen Charakter allzu deutlich verrät. Die Personen agieren und fungieren als Rollenträger in einem vom Autor arrangierten Spiel. Primula und Uli, die Titel-Zwillinge, entziehen sich durch Flucht der Gewalt eines sein Richteramt in Aschaffenburg gnadenlos ausübenden Vaters. Zufällig treffen sie mit dem Kriegsheimkehrer Ferdinand Lust zusammen, der 1919 aus einem französischen Gefangenenlager nach Nürnberg unterwegs ist. Warum gerade nach Nürnberg? Weil er der Einladung eines Kriegskameraden folgt, der ihm seine Nürnberger Adresse gab.
Dieser gute Mensch von Nürnberg kommt aber schon auf Seite 40, bei der ersten Massendemonstration von Arbeitern, die sich wie eine Karikatur der Prügelszene aus den „Meistersingern” ausnimmt, um sein papierenes Leben. Lust und die Zwillinge verdanken den Aufenthalt in dieser Stadt wohl hauptsächlich der Tatsache, dass sich ihr Name 1946 vorzüglich als plakatives Aushänge-schild für einen Zeitroman eignete. Im übrigen spielt sie für das Geschehen keine Rolle. Berlin und Paris, zeitweise auch Wien sind die eigentlichen Schauplätze. Lust heiratet Primula, die in Berlin eine Karriere als Schauspielerin beginnt, gerät ins Lager der konservativen Revolution und beteiligt sich mit seinem Schwiegervater, dem Richter aus Aschaffenburg, am kläglich scheiternden Kapp-Putsch, um es nach der „Machtergreifung” umso weiter zu bringen. Der Ministerialrat im Propagandaministerium endet allerdings als Opfer der Gestapo; wie so oft in Diktaturen, werden auch hier aus Hunden Hasen.
Der etwas billige Kunstgriff der Verdoppelung der Hauptfiguren erlaubt es dem Autor, die beiden grundverschiedenen Wege zu demonstrieren, die aus dem Zerfall der deutschen Gesellschaft nach dem Ersten Weltkrieg einerseits in den Faschismus, andererseits in die Freiheit führten. Wobei der letztere nur um den Preis von Verfolgung und Vertreibung durchgehalten werden konnte. Es gibt zweierlei Deutschland. Das gute geht mit der jüngeren Zwillingsschwester und ihrem Mann, dem linken Dramatiker Richard Musiek, ins Exil: zuerst nach Wien, dann nach Paris.
Aber mit nur einem Zwillingspaar ist es nicht getan. Die Schwestern müssen sich noch einmal verdoppeln: Primula wird die Mutter von einander zum Verwechseln ähnlichen Söhnen, die beizeiten getrennt werden. Denn einer wächst als Kind der Schwester und Musieks auf. Es gelingt dem SS-Offizier Cäsar, seinen Bruder Alexander 1938 bei einem Besuch des deutschen Außenministers in Paris zum Mitkommen zu überreden; er lebt dann also neben dem hochrangigen Nazi-Buder inmitten seiner braunen Familie - der Großvater ist inzwischen Hitlers Justizminister - in Berlin, ohne sich freilich selbst die Hände schmutzig zu machen. Seine Haltung bringt ihn nach Buchenwald.
Ein Berliner Sarghändler
Soviel Fiktion zur Beförderung des doch seinerseits reichlich turbulenten Faktischen weckte den Wunsch, die Lektüre nach zwei Dritteln abzubrechen. Wie gut, dass ich ihm nicht nachgab. Denn mit dem 17. Kapitel, dessen Überschrift auf den Namen von Alexanders französischer Freundin Claire lautet, nimmt das Buch eine Wendung zum großen Zeitroman. Claire ist Alexander nach Deutschland gefolgt, um Kontakte mit dem kommunistischen Untergrund zu knüpfen. Unversehens haben sich die Schnittmuster-Figuren in Menschen aus Fleisch und Blut verwandelt. Und die ganze schauerliche Wirklichkeit und Wahrheit von Hitler-Deutschland nimmt nun literarische Gestalt an. Die ebenso drastische wie glaubwürdige Schilderung von Gestapo-Verhören und KZ-Szenarien (Claire wird von einem Nazi-Schergen ermordet, Alexander kommt nach Buchenwald) prägt sich unvergesslich ein.
Bei soviel sprachlich gemeistertem Realismus verzeiht man dem Autor gerne gelegentliche satirische Akzente, etwa wenn er einen Berliner Sargladen-Inhaber Gottfried Benn nennt oder SS-Sturmführer mit den Namen von ehemaligen Neue-Sachlichkeits-Kollegen versieht, die ihren Frieden mit dem Terror-Regime gemacht haben, wie Glaeser, Süskind und Ebermayer.
Ebenso bewundernswert, wenn auch weniger erstaunlich sind die aus unmittelbarer Erfahrung hervorgegangenen Bilder des französischen Exils. Wir sitzen mit Joseph Roth im Deux Magots, der alte Zahlkellner Victor beobachtet mit einem belustigten Glitzern in den Augen den „größten Trinker seiner Zeit” und „meisterlichen Flucher”, die Professoren aus der nahen Universität grüßen die emigrierten Literaten aus Berlin und Wien, spanische Republikaner diskutieren mit Antifaschisten aus Italien. Chagall und Giraudoux, Honegger und Maillol, Gregor Strasser und Rauschning gehen ein und aus. Wir werden Zeugen vom Ende Joseph Roths in einem Armenkrankenhaus, sehen uns mit den KZ-ähnlichen Zuständen in französischen Internierungslagern konfrontiert und irren mit jüdischen Kindern und ihren Fluchthelfern durch dichtes Gehölz einer rettenden Grenze entgegen.
Am Schluss siegt wieder die Konstruktion; aber das fällt kaum mehr ins Lektüregewicht: Uli stirbt als Heilige der Résistance, die Ex-Staatsschauspielerin Primula begegnet ihrem in amerikanischer Leutnantsuniform heimgekehrten Sohn Alexander (er ist aus Buchenwald auf abenteuerliche Weise entkommen) in den Ruinen von Nürnberg. Sie gehen bald auseinander, die eine, um dem untergegangenen Deutschland eine nekrophile Treue zu halten, der andere, um in Amerika ein neues Leben zu beginnen. Der Geist der Unruhe hat von der ersten bis zur letzten Seite diesen Roman diktiert, aber die Moral, die er propagiert, ist die der revolutionären Geduld.
ALBERT VON SCHIRNDING
HERMANN KESTEN: Die Zwillinge von Nürnberg. Roman. Verlag W. Tümmel, Nürnberg 2003. 597 Seiten, 26 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.02.2004

Lust im Sog der Bewegung
Hermann Kestens "Zwillinge von Nürnberg" in einer Neuausgabe

Als jüdischer Lektor und Schriftsteller vom Hitlerregime vertrieben, wurde Hermann Kesten zum Anwalt und Helfer vieler exilierter Kollegen. Der Romanautor Kesten war, auch nach der Rückkehr aus den Vereinigten Staaten, von fast beängstigender Produktivität. Den noch in den Vereinigten Staaten entstandenen und 1946 in New York, in deutscher Sprache 1947 erschienenen Roman "Die Zwillinge von Nürnberg" präsentiert nun ein Nürnberger Verlag in einer Neuausgabe. Mit dem Erfolg der amerikanischen Ausgabe hatte die deutsche nicht mithalten können, obwohl Kesten selbst diesen "Roman über Deutschland und Frankreich zwischen 1919 und 1945" als sein bisher bestes Buch anpries.

Thomas Mann, in seinen Dankschreiben an Kollegen immer huldreich, hatte auch Kesten Talent und seinem Roman Ereignisfülle bescheinigt, eine faszinierende Mischung phantastischer, grotesker und märchenhafter Elemente. Vielleicht kennen wir inzwischen zu viele Romane über die politische Geschichte der zwanziger Jahre und des "Dritten Reiches", um als Leser von diesem Sturzbach der Ereignisse noch hingerissen zu sein. Die Lebensgeschichten der Familie eines verhinderten Malers Ferdinand Lust, der sich nach dem Ersten Weltkrieg der nationalen und dann der nationalsozialistischen Bewegung anschließt und am Ende von der SS liquidiert wird, gerät zunehmend in den Sog der Kolportage.

Auch der Erzähler Hans Fallada kommt in seinen Romanchroniken der zwanziger Jahre ohne Kolportageelemente nicht aus, doch sind sie bei ihm in einen realistischen Stil eingebunden. Kesten entwickelt die Romanhandlung auf dem Grundriß zweier altbewährter literarischer Motive, die offenbar nicht unterzukriegen sind: des Zwillingsmotivs, das verwechslungsreiche und pikante Situationen garantiert und das hier noch einmal verdoppelt wird, und des Kindestauschsmotivs. Die Ereignisse jagen einander, aber die Romankonstruktion knirscht in den Scharnieren. Am besten, man beginnt die Lektüre mit dem Nachwort von Wolfgang Buhl.

WALTER HINCK

Hermann Kesten: "Die Zwillinge von Nürnberg". Roman. Herausgegeben im Auftrag des Arbeitskreises Hermann Kesten von Wolfgang Buhl und Ulf von Dewitz. W. Tümmel Verlag, Nürnberg 2003. 597 S., geb., 26,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Diesem Roman von Hermann Kesten, der 1946 in Amerika und 1947 erstmals auf Deutsch erschien, kann Walter Hinck nicht viel abgewinnen. In seiner Kurzkritik vermutet er, dass seine Ablehnung nicht zuletzt darin begründet liegt, dass man bereits zu viele Romane über die Zeit der Weimarer Republik und die Nazizeit gelesen hat. In diesem Buch, in dem ein "verhinderter Maler" sich den Nationalsozialisten anschließt und am Ende von der SS "liquidiert" wird, sieht sich der Rezensent mit einem "Sturzbach" von Geschehnissen konfrontiert, den er zunehmend in den "Sog der Kolportage" abdriften sieht. Auch die Schlüsselmotive - das Zwillingsmotiv und der Kindertausch - ist Hinck schon ein bisschen zu abgedroschen, um dem Roman Spannung zu verleihen und er kritisiert, dass die Konstruktion des Romans "in allen Scharnieren" knirscht. Der Rezensent rät, das Buch mit dem Nachwort von Wolfgang Buhl zu beginnen, aber ob es die Lektüre wirklich erfreulicher macht, bleibt in seiner Kritik zweifelhaft.

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