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Im 19. Jahrhundert noch ein Skandalon, scheint die Vorstellung vom 'Affen in uns' heute eher faszinationsbesetzt. Die Soziobiologie und die Evolutionspsychologie reduzieren menschliches Verhalten auf ein genetisches Erbe aus der Evolution. Wohl keine Ikone der Populärkultur kündigte diese Wendung so plakativ an wie Tarzan, der von Edgar Rice Burroughs 1912 erstmals in Szene gesetzte Affenmensch.Die interdisziplinären Beiträge in diesem Band orientieren sich an der seither in zahllosen Variationen repräsentierten Figur. Sie streben eine kritische Auseinandersetzung mit den Diskursen um und den Bildern von Menschenaffen und Affenmenschen an.…mehr

Produktbeschreibung
Im 19. Jahrhundert noch ein Skandalon, scheint die Vorstellung vom 'Affen in uns' heute eher faszinationsbesetzt. Die Soziobiologie und die Evolutionspsychologie reduzieren menschliches Verhalten auf ein genetisches Erbe aus der Evolution. Wohl keine Ikone der Populärkultur kündigte diese Wendung so plakativ an wie Tarzan, der von Edgar Rice Burroughs 1912 erstmals in Szene gesetzte Affenmensch.Die interdisziplinären Beiträge in diesem Band orientieren sich an der seither in zahllosen Variationen repräsentierten Figur. Sie streben eine kritische Auseinandersetzung mit den Diskursen um und den Bildern von Menschenaffen und Affenmenschen an.
Autorenporträt
Krüger, GesineGesine Krüger (Prof. Dr.) ist Professorin für Neuere Geschichte an der Universität Zürich. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Afrikanischen Geschichte und der Historischen Anthropologie.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.11.2008

Sein Schrei klingt immer gleich
Ich Tarzan, du Jane: Ein Sammelband trommelt an die Brust des Dschungelhelden

So einen wie ihn fanden wir schon lange nicht mehr. Einen, der die Kluft zwischen Natur und Kultur nicht nur emblematisch verkörpert, sondern sich zugleich kühn über sie hinwegschwingt. Tarzan, der Affenmensch und Dschungelheld, mit dem sein Schöpfer Edgar Rice Burroughs 1914 eine beispiellose Erfolgsserie startete, war die Hauptfigur einer populärwissenschaftlichen Versuchsanordnung im trivialen Gewand: Würde sich die menschliche Natur bei einem Säugling, der ohne Kontakt zu seinen Artgenossen im afrikanischen Dschungel von Affen aufgezogen wird, durchsetzen können? Diskussionen um die Evolutionstheorie, deren Verballhornung in der Formel vom "Überleben des Stärkeren", populäre Rassetheorien und noch einige Versatzstücke mehr standen im Hintergrund dieser Frage.

Ein findiger Killer

In einem Sammelband haben sich nun Kultur- und Wissenschaftshistoriker des brusttrommelnden Helden angenommen. Bei der Lektüre der Aufsätze wird schnell klar: Auf einen ideologischen Leisten lässt sich Burroughs' Tarzanfigur nur schwer spannen. Erkennbar sollte der verwaiste Spross eines englischen Adelspaars, dessen menschliche Herkunft sich allmählich auch inmitten seines Affenclans zur Geltung bringt, die zivilisatorische Überlegenheit des weißen Mannes illustrieren. Gleichzeitig war Tarzan eine Folie für die Degenerationstheorien seiner Zeit, die unter den Bedingungen des aufblühenden Industrie- und Bürokapitalismus eine zunehmende Verweichlichung und Verweiblichung des kraftvoll-männlichen Eroberers befürchteten, der an der amerikanischen Pazifikküste auf ein Ende seines Zugs gen Westen gestoßen war.

Im Roman ist Tarzan ein findiger und kraftvoller Killer, der seine natürlichen Feinde auch aufisst; nur dass ein ererbter Instinkt ihn daran hindert, dies auch mit seinen Artgenossen so zu halten. Tarzan tötet "businesslike", wie Burroughs in einer bezeichnenden Metapher schreibt, aber auch mit einem Vergnügen an der Sache, die den Tieren im Überlebenskampf abgeht. Zugleich erlaubt es ihm sein überlegener Intellekt, auf einigermaßen wundervolle Weise durch das bloße Studium einer Abc-Fibel Englisch lesen zu lernen. "Er ist abwechselnd ein englischer Lord mit Zartgefühl und ein Tier, das ohne Hast und Hysterie tötet. Fröhlich rumpeln die Begriffe und Attribute durch die Geschichte, ohne jede Systematik", wie Gesine Krüger in ihrem Beitrag mit einem kleinen Seufzer feststellt.

Dass Kulturwissenschaftler vor allem den Ambivalenzen und Widersprüchen dieser erfolgreichen Projektionsfigur nachspüren, versteht sich von selbst. Am ertragreichsten scheint das, wenn die Aufsätze der Burroughsschen Fantasieproduktion gar keine allzu große Konsistenz abringen wollen, sondern die Realien ihrer Wirkungsgeschichte beleuchten. Zu dieser gehören natürlich in erster Linie die Filme. Vor allem mit der Darstellung des zigfachen Weltrekordschwimmers Johnny Weissmüller wurde die Figur populär. Wie Shane Denson zeigt, prägte der Übergang vom Stumm- zum Tonfilm den ersten Weissmüller-Streifen "Tarzan, der Affenmensch" von 1932 auf signifikante Weise. Während sich Tarzan im Roman nicht zuletzt durch seine - höhere Herkunft verratende - Sprachbegabung auszeichnet, ist er im neuen Medium des Tonfilms vor allem durch seinen berühmt gewordenen Jodelschrei charakterisiert.

Nachdem es mit der Lichttontechnik gerade gelungen war, den Ton bruchlos mit der Bildsequenz zu synchronisieren, wird er im Tarzanfilm zwar regelrecht vorgeführt - durch Nilpferdbrüllen, Elefantentrompeten und Tarzans Schrei. Zugleich haftet diesem aber etwas Technisches, von außen Kommendes an. Tarzans Schrei klingt immer gleich und passt auch nur ungefähr zu den Lippenbewegungen des Schauspielers. Er ist ebenso merklich ein Element der Aufnahmetechnik wie die Szenen, die Tarzans athletische Physis unter Beweis stellen sollen, dabei aber schlichtweg beschleunigt projiziert wurden. Der edle Wilde, gleichzeitig der durch die Gesetze des Dschungels im Überlebenskampf gestählte englische Lord, um dessen Doppelidentität als Mensch und Tier die filmische Phantasmagorie kreist, ist vor allem ein technisches Artefakt. "Im Herzen des ikonischen Naturmenschen lebt ein Cyborg", stellt Denson bündig fest.

Wurde in den Tarzanfilmen einerseits teuer produziertes Dokumentarfilmmaterial einer Afrika-Expedition verwertet, so wirkte andererseits die Fiktion auch auf die Wissenschaft zurück. Nach Meinung Vinzenz Hedigers hat Tarzan zur Formung des Feldes der Primatenforschung beigetragen. Wie die Schimpansenforscherin Jane Goodall mehrfach bekannte, wurde ihre Afrika-Sehnsucht durch Eifersucht auf Tarzans "erbärmliche" und "schwächliche" Gefährtin Jane geprägt: Sie selbst wäre dem Affenmenschen die bessere Frau gewesen. In ihren Feldforschungen über frei lebende Schimpansen von den sechziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts an brach Goodall gleich mit mehreren wissenschaftlichen Tabus: Sie gab den von ihr beobachteten Tieren Eigennamen (statt Nummern), und sie sprach ihnen Gefühle zu. Damit wurden die Schimpansen zu möglichen Figuren einer Erzählung, Individuen mit Charaktermerkmalen und Biographien, die sich ideal für eine filmische Narration eigneten.

Auch der von Goodall betonte Umstand, dass die Interaktion in der Affengruppe in hohem Maße über Blickkontakte läuft - ob eine Hierarchie hergestellt, Kontrolle ausgeübt oder der Zusammenhalt gestärkt wird -, macht die Schimpansen für Hediger besonders "filmaffin". Denn wenn wir einen Film sehen, beobachten wir unter anderem Menschen beim Sehen, wir beobachten, was sie sehen und wie sie es sehen - die Bedeutung der Dramaturgie der Blicke für den Erzählfilm hat die Filmtheorie immer wieder herausgearbeitet. Was auf diese Weise Goodalls Schimpansen zu prototypischen Darstellern macht, entdeckt Hediger auch in W. S. van Dykes Tarzanfilm von 1932: Als Tarzans spätere Gefährtin Jane erstmals auf den zunächst Furcht einflößenden Affenmenschen trifft, beschränkt sich der sprachliche Austausch zwischen den beiden auf das berühmte: "Ich Tarzan, du Jane." Wie aber kommt die Tochter eines Großwildjägers und Elfenbeinhändlers dazu, in dem Halbwilden ein fühlendes Menschenherz zu entdecken, wenn es doch an Möglichkeiten der Kommunikation gebricht? Indem sie Tarzan beobachtet und, ganz Primatologin, am Verhalten des Affenmenschen dessen soziale Empathie feststellt.

Primatologische Anreicherungen

Jane Goodall und Tarzans Jane: Beide verstricken den Zuschauer demnach in eine Beobachtung von Beobachtungen, die die Gattungsgrenzen verwischt. Mit der zusätzlichen Pointe, dass die Affenforschung ihrerseits wieder ins Tarzanuniversum zurückschwappt: In der Verfilmung, "Greystoke" von Hugh Hudson aus dem Jahr 1986 stattet Hauptdarsteller Christopher Lambert die Figur - völlig entgegen Burroughs' ursprünglicher Romanbeschreibung - mit einem gestischen Repertoire aus, das den primatologischen Forschungsfilmen abgeschaut ist. Womit der Affenmensch zu guter Letzt, als Stichwortgeber für speziesübergreifendes Einfühlungsvermögen wie als Alphabetisierungsmaskottchen, in die Zivilisation eingewildert ist. Zumal in ihm, der uns zivilisationsverweichlichten Büromenschen mit den Gesetzen des Dschungels bekannt machen sollte, doch wohl immer schon, zumindest in der James-Bond-Version, das Ideal des englischen Gentleman steckte.

MICHAEL ADRIAN

"Ich Tarzan". Affenmenschen und Menschenaffen zwischen Science und Fiction. Hrsg. von Gesine Krüger, Ruth Mayer und Marianne Sommer. transcript Verlag, Bielefeld 2008. 180 S., Abb., br., 22,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Angeregt hat Michael Adrian im Sammelband mit kulturwissenschaftlichen und wissenschaftshistorischen Beiträgen zur Primatenforschung und der Figur des Tarzans in Literatur und Film geblättert. Darin erscheint Tarzan, der von Edgar Rice Burroughs 1914 erfundene Affenmensch, als "erfolgreiche Projektionsfläche", die die Primatenforschung inspiriert hat und deren Adaption im Film wiederum von der Primatenforschung beeinflusst war, erklärt der Rezensent. Interessiert folgt der Rezensent insbesondere den Ausführungen Shane Densons, die schlüssig belegt, dass der berühmte Tarzan-Film von 1932 mit Johnny Weissmüller in der Hauptrolle vor allem ein "technisches Artefakt" ist, der neben der "Doppelidentität" Tarzans als "Mensch und Tier" vor allem die bahnbrechenden Errungenschaften des Tonfilms demonstrieren sollte. Nach Vinzenz Hediger hat sich die Primatenforschung aber auch mithilfe des Tarzan-Films entwickelt, nicht zuletzt weil damit das Interesse der Primatenforscherin Jane Goodall an Schimpansen geweckt wurde, referiert der Rezensent. Interessant fand er offenkundig auch Hedigers Ausführungen zum Aspekt des Sehens beziehungsweise des Beobachtens, das sowohl in der Hierarchie der Schimpansen wie bekanntermaßen auch im Film eine herausragende Rolle spiele.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Bei der Lektüre der Aufsätze wird schnell klar: Auf einen ideologischen Leisten lässt sich Burroughs' Tarzanfigur nur schwer spannen.« Michael Adrian, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.11.2008 Besprochen in: Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte, 31 (2008), Hans Werner Ingensiep