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In seinem Roman, angesiedelt im Istanbul der Gegenwart, portraitiert Arslanoglu die türkischen Linksintellektuellen zwischen Angst, Orientierungslosigkeit und der Suche nach (meist individuellen) Perspektiven.Sercan, Dozent für Literatur sowie Schriftsteller und Kritiker, ist ein angepaßter Linksintellektueller, der "plumpe Linkslogik haßt", und scheinbar ganz in seiner wissenschaftlichen Tätigkeit aufgeht. Er steht zwischen zwei Frauen: Nilüfer, eine bis zur Selbstzerstörung lebenshungrige Frau, die er einst heiratete um anschließend an ihren "psychopatischen Tendenzen" fast zu zerbrechen.…mehr

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Produktbeschreibung
In seinem Roman, angesiedelt im Istanbul der Gegenwart, portraitiert Arslanoglu die türkischen Linksintellektuellen zwischen Angst, Orientierungslosigkeit und der Suche nach (meist individuellen) Perspektiven.Sercan, Dozent für Literatur sowie Schriftsteller und Kritiker, ist ein angepaßter Linksintellektueller, der "plumpe Linkslogik haßt", und scheinbar ganz in seiner wissenschaftlichen Tätigkeit aufgeht. Er steht zwischen zwei Frauen: Nilüfer, eine bis zur Selbstzerstörung lebenshungrige Frau, die er einst heiratete um anschließend an ihren "psychopatischen Tendenzen" fast zu zerbrechen. Nachdem sie mehrfach seine Bitten, sich scheiden zu lassen, abgelehnt hat, versucht er sie mit Gewalt zur Einwilligung zu zwingen. Schließlich treibt er sie bewußt in den Tod. Mittlerweile hat er sich ein weiteres Mal verliebt: in Sibel, eine seiner Studentinnen, die vom Lande kommt und eine ehemalige "revolutionäre Aktivistin" ist. Aus Angst hat sie die Bewegung verlassen und sich anschließend von ihrem Freund Umut getrennt, der, ebenfalls zur Bewegung gehörend, nicht zu ihr hielt und das ganze Leben nur als revolutionäre Pflicht ansieht. Umut, der bei seinem Vater, einem frustrierten Revolutionär der 68er Generation, lebt, verliert durch diese Trennung seinen letzten Halt. Er "will nicht mehr in so einer Welt leben" und "nutzt" eine Polizeiaktion gegen eine konspirative Wohnung, um in den "heldenhaften" Tod zu gehen. Ein zweiter Erzählstrang, der sich im letzten Kapitel als neuer Roman Sercans entpuppt, schildert die Geschichte von Sinan, einem Erfolgsjournalisten und Frauenhelden. Von den Linken wegen seiner Artikel geachtet, von den Fundamentalisten bedroht, lebt er in einer Welt, die sich im Romanverlauf zunehmend als durch Oberflächlichkeiten sowie Prestige- und Machtdenken korrumpiert entlarvt. Auch er steht zwischen zwei Frauen: Filiz, unpolitisch und auf ihre Karriere bedacht, das neueste Objekt seiner Begierde, und Hülya, einer alten Bekannten, die ihn nach 5 Jahren dringend zu sich bestellt. Wie sich herausstellt, ist Hülya unheilbar krebskrank. Sie ist bestens über Sinan informiert und "errät" seine Gedanken, was Sinan zuerst reizt, dann zunehmend erschreckt. Sie treffen sich fortan regelmäßig. Hülya erzählt ihm ihre meist morbiden Träume und beginnt, Sinans egoistischen und oberflächlichen Charakter aggressiv anzugreifen. Sinan fühlt sich von ihr erniedrigt und angezogen zugleich. Einerseits lebt er in der ständigen Angst, von Hülya erschossen zu werden, andererseits schläft er mit ihr. Seine Welt gerät aus den Fugen. Erst durch ihren Selbstmord und ihren Abschiedsbrief wird ihm deutlich, daß er eine Freundin verloren hat, und über seine Trauer entdeckt er ein Gefühl, daß er schon seit langer Zeit nicht mehr wahrgenommen hat: Glück.
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.02.2001

Aushöhlung der Charaktere
Menschentest im Roman: Der türkische Autor Kaan Arslanoglu

Am Ende sind zwei tot, und zwei andere haben sich gefunden. Für Kaan Arslanoglu, einen in der Türkei sehr erfolgreichen, im deutschen Sprachraum bisher unbekannten Autor und Psychiater aus Istanbul, ist der Roman so etwas wie ein Labor, in dem mit verschiedenen Lebensläufen experimentiert wird. Dem einen wird probeweise eine private Krise ins geordnete Dozentenleben, dem anderen die Polizei ins Haus geschickt, die eine trifft ein Schicksalsschlag, die andere einen interessanten Mann. Im Labor beobachtet der Autor, was aus den Leuten wird, wenn er sie einem bestimmten Druck aussetzt: Wie lange halten sie stand, wann beginnen sie sich zu ändern, in welche Richtung entwickeln sie sich fort? An ihren Reaktionsweisen sucht der Erzähler als Laborleiter Aufschluß nicht allein über die Individuen zu gewinnen, sondern darüber, wie sie sich zueinander verhalten, also Gesellschaft bilden, und ob sie, indem sie sich und ihr Verhalten zueinander ändern, gegebenenfalls auch diese umzugestalten wissen.

Kaan Arslanoglu sucht die Prämissen seines Erzählens nicht zu verbergen, sondern im Roman selbst zu reflektieren. Diese Reflexionen sind keine theoretische Fleißübung, die er unternimmt, sondern über zwei Protagonisten, die ihrerseits jeder für sich an einem Roman schreiben, in das Geschehen verwoben. Das ergibt einen mitunter reichlich verschachtelten, aber kompositorisch doch so klug gebauten Roman, daß man lesend nicht die halbe Zeit damit zubringen muß zu klären, auf welcher Ebene des Romans man sich gerade befindet. Zwei Paare mit ihren Trabanten, alles in allem zwei Handvoll "Charaktere" bringt der Erzähler auf verschlungenen Wegen zusammen, um zu erkunden, was die türkische Gesellschaft der achtziger Jahre bestimmt hat.

1980 hatte das Militär geputscht und über das Land seine Friedhofsruhe verhängt. Sercan ist Dozent für Literatur und grübelt, was der "Charakter" für eine Bedeutung in der erzählenden Literatur und in der politischen Wirklichkeit hat. Da trifft er auf Sibel, eine Studentin vom Land, Abkömmling der lasischen Minderheit, einer Ethnie aus dem Kaukasus, die im georgischen und armenischen Grenzgebiet siedelt. Sibel kommt aus einer "Welt der Verbote", im Haus des Großvaters, eines starrsinnigen, jähzornigen Grundbesitzers, war alles untersagt, was nach Leben klang: "Solange mein Großvater lebte, durfte in diesem Haus nicht laut gelacht werden. Seid ihr denn schon über die Brücke zwischen Himmel und Hölle geschritten, und habt ihr den Engeln am Grab schon Rede und Antwort gestanden? ereiferte er sich ... Alles war ungehörig, alles sündhaft. Die Furcht, für etwas Ungehöriges getadelt zu werden, von der Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden, hat sich in meine Seele eingegraben, und selbst Jahrzehnte später habe ich mich nicht ganz davon befreien können."

Sibel, auf halbem Wege zu einem selbstbestimmten Leben, will schreibend über sich, die Familie, die Last der Traditionen Klarheit gewinnen. Auf andere Weise tut dies auch Sercan, ihr Lehrer an der Universität. Beide ringen sie darum, Charakter in der Ära der Repression zu zeigen und eine Literatur zu entwickeln, in der "Charaktere" repräsentativ für ihre Epoche stehen. Sibel geht es zunächst durchaus schematisch an. Sie liest Dostojewskis "Brüder Karamasow" und überträgt die Personenkonstellation auf ihre Familie. Das paßt zwar ungefähr, aber ergibt seltsamerweise trotzdem "keinen Roman von universeller Geltung". Warum? Die Charaktere, die sie in ihrer Familie findet, mögen zwar ungewöhnliche Provinzoriginale sein, aber in ihren Lastern und Tugenden finden sich trotzdem nicht die Grundkonflikte der Epoche zugespitzt.

Das zweite Paar des Romans bilden Sinan und Hülya: er ein gelangweilter Starjournalist, sie eine schöne Freundin von früher, die er seit Jahren aus den Augen verloren hatte und die ihn eines Tages anruft und zu sich nach Hause bittet. Er findet sie todkrank, und in den Wochen, die ihr noch bleiben, konfrontiert sie den Erfolgreichen, der es zu Wohlstand und Ansehen brachte, während seine Freunde von der Universität politisch verfolgt werden oder wie Hülya elend zugrunde gehen, mitleidlos mit seiner eigenen Vergangenheit: Was hat er in seiner Jugend nicht alles kühn entworfen und doch verpaßt, und an wie vielen Menschen ist er schon damals schuldig geworden!

Um diese beiden Paare, die keine Liebespaare im engeren Sinne sind, aber unverkennbar unter dem erotischen Gesetz von Anziehung und Abstoßung agieren, kreisen ein paar andere "Charaktere": Umut, Sibels früherer Freund, der in den Untergrund geht und im Kampf gegen das Militär fällt; Meral, die schon vergessene Geliebte Sinans, deren Schicksal er gründlich verdrängt hat.Die Diktatur verändert jeden: "Die Zeit hat etwas aus uns herausgelöst. Sie hat uns zur Hälfte ausgeleert", verteidigt sich Sinan. Kaan Arslanoglu fragt nach beiden Hälften: Was ist aus jener besseren Hälfte eines jeden geworden, und was kann er immerhin mit der einen, die ihm geblieben ist, noch Sinnvolles anfangen?

KARL-MARKUS GAUSS

Kaan Arslanoglu: "Charaktere". Roman. Aus dem Türkischen übersetzt von Sabine Adatepe. Unrast-Verlag, Münster 2000. 350 S., geb., 48,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der Rezensent Karl-Markus Gauss findet sich im "Labor" des Autors und entdeckt als Ergebnis der Arbeit des "Laborleiters" Arslanoglu einen "mitunter reichlich verschachtelten, aber kompositorisch doch klug gebauten" Roman. Arslanoglu experimentiert mit seinen Figuren und beobachtet, was passiert "wenn er sie einem bestimmten Druck aussetzt", so der Rezensent. Der Druck ist in diesem Fall die Militärdiktatur in der Türkei der achtziger Jahre, unter der zwei mehr oder weniger so zu bezeichnende Liebespaare zu leiden haben. Ob das Experiment gelingt, können wir allerdings nur vermuten. Einzig die hingebungsvolle Wiedergabe des Inhalts durch den Rezensent deutet darauf hin.

© Perlentaucher Medien GmbH