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Dass eine mit Gewalt imprägnierte Gesellschaft zu gegebener Zeit eine Eigendynamik entfalten, dass sie sich sogar als ein Treibhaus für Katastrophen erweisen kann, diese uns heute einleuchtend erscheinende Einsicht musste im 20. Jahrhundert teuer erkauft werden. Der deutsche Militarismus hat seine Ursprünge in der altpreußischen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts. Wolfram Wette, einer der wichtigsten - kritischen - Militärhistoriker, macht mit seinem neuesten Werk deutlich, wie tief das Militär in Struktur und Mentalität der deutschen Gesellschaft verwurzelt war. Einflüsse des Militärs auf die…mehr

Produktbeschreibung
Dass eine mit Gewalt imprägnierte Gesellschaft zu gegebener Zeit eine Eigendynamik entfalten, dass sie sich sogar als ein Treibhaus für Katastrophen erweisen kann, diese uns heute einleuchtend erscheinende Einsicht musste im 20. Jahrhundert teuer erkauft werden.
Der deutsche Militarismus hat seine Ursprünge in der altpreußischen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts. Wolfram Wette, einer der wichtigsten - kritischen - Militärhistoriker, macht mit seinem neuesten Werk deutlich, wie tief das Militär in Struktur und Mentalität der deutschen Gesellschaft verwurzelt war. Einflüsse des Militärs auf die Politik, die Wissenschaft und die Wirtschaft, sozialer Militarismus, Gewaltverherrlichung, Kriegsideologien, Freund-Feind-Denken, nationalistische und rassistische Ideologien, militaristische Erziehung, Interessen der Rüstungsindustrie und andere Erscheinungen sind als Bestandteile eines größeren Ganzen aufzufassen.
Autorenporträt
Wolfram Wette, geboren 1940, studierte Politikwissenschaft, Geschichte und Philosophie, 1971 Dr. phil., 1991 Habilitation, 1971-1995 am Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA) in Freiburg i. Br.; seit 1998 apl. Professor für Neueste Geschichte am Historischen Seminar der Universität Freiburg i. Br.. Mitbegründer und mehrfach Sprecher des Arbeitskreises Historische Friedensforschung (AHF), Mitherausgeber der Reihe "Geschichte und Frieden" und des Jahrbuchs "für Historische Friedensforschung"
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.12.2009

Kriegerische Kultur
Militarismus in Deutschland: Ursprünge und Wandlungen

Militarismus: Das war und ist ein politischer Kampfbegriff, der Eingang fand in die historische und politologische Wissenschaft. Infolge seiner Unschärfe wurde er Anlass zu mannigfaltigen Definitionsversuchen. Wolfram Wette, der sich durch zahlreiche Veröffentlichungen als dezidiert militärkritischer Historiker einen Namen gemacht hat, kennt diese Problematik genau. Sinnvollerweise verzichtet er auf weitere begriffstheoretische Glasperlenspiele, bevorzugt vielmehr einen pragmatischen Ansatz mit dem Ziel, "eine neue empirisch fundierte Gesamtschau" des Militarismus-Phänomens in Preußen-Deutschland vorzulegen.

Wette will die "kriegerische Kultur" in ihren Ursprüngen und Wandlungen erfassen. Diese sieht er in Deutschland nicht erst mit der Restaurationsphase nach 1848 beginnen, sondern schon im Preußen des 18. Jahrhunderts. Von diesem Ausgangspunkt her zeichnet er engagiert und bisweilen mit zupackend-kritischen Formulierungen die tiefe Verwurzelung des Militärs in Struktur und Mentalität der deutschen Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert umfassend nach. Im Wechsel von chronologischer Darstellung und struktureller Analyse beschreibt er nicht nur die unmittelbaren Einflüsse des Militärs auf Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, sondern auch die tiefgehende Adaptation militärischer Wert- und Verhaltensweisen in der Gesellschaft, den "Militarismus der kleinen Leute", die Kriegsideologie und die Verherrlichung der Gewalt sowie die allmähliche Amalgamierung militaristischer Denkschemata mit rassistischen Ideologie-Elementen.

Seine historische Synthese erfolgt in engem Anschluss an die einschlägige Fachliteratur, so dass der Leser einen guten Einblick in Forschungsentwicklung und Forschungsstand bekommt. Neu ist die Einbeziehung von Ergebnissen der historischen Friedens- und Genderforschung in die Militarismusdiskussion. Das ermöglicht eine eingehende Analyse nicht nur des Komplexes "Frau und Militär" von "Frauen im Kriegsdienst" bis zu Frauen als "Protestpotential gegen den Krieg", sondern auch der Gegner jener "kriegerischen Kultur", der zeitgenössischen Militärkritik und der Friedensbewegungen. Diese blieben indes immer eine Minderheit. Selbst eine im Kaiserreich zeitweilig breiter entfaltete Militarismuskritik vermochte sich gegen die vorherrschende kriegerische Kultur nicht durchzusetzen. In diesem Zusammenhang betont Wette auch die Ambivalenzen der bürgerlich-liberalen und der sozialdemokratischen Militär-Reformvorstellungen. In differenzierter Betrachtung zeigt er, wie es seit Ende des 19. Jahrhunderts zu einer Formveränderung des Militarismus kam und wie alle Schichten bis in die Arbeiterschaft hinein von der gesellschaftlichen Militarisierung erfasst wurden.

Im "Dritten Reich" sieht Wette einen neuen Typ des Militarismus entstehen. Der wurde gekennzeichnet durch Hitlers Akkumulation von politischer und militärischer Macht, durch einen tiefgreifenden Wandel der Sozialstruktur der Militärelite, deren gesellschaftliche Rolle sich im Zuge einer tendenziellen Egalisierung veränderte, sowie durch einen von der Partei und ihren Organisationen getragenen, zuvor nie erreichten Militarisierungsgrad der Bevölkerung und durch eine am Ende selbstzerstörerische Gewaltsamkeit.

Das Denken in Kategorien des heroischen Unterganges sei zwar seit dem frühen 19. Jahrhundert immer "fester Bestandteil der militärischen Traditionen" gewesen; das NS-Regime habe jedoch solche "selbstmörderischen Handlungsgesetze" durch sozialdarwinistisches Denken verschärft und versucht, sie dem gesamten deutschen Volk aufzuzwingen. Ob diese "1945 staatlich inszenierte Politik der Selbstzerstörung" wirklich "eine im militärischen Denken der Deutschen bereits angelegte, aber erst unter dem Hypermilitarismus der NS-Zeit tatsächlich praktizierte Konsequenz des kriegerischen Systems" gewesen ist, bleibt angesichts der Feststellung Wettes, dass am Ende die Bevölkerung dem Untergangsbefehl nicht folgte, eine offene Frage.

Über das politische Gewicht der im Schlusskapitel "Militarismus nach 1945 in Westdeutschland" ausführlich dargestellten diversen Bundeswehrskandale und Wehrmachts-Traditionstendenzen ließe sich gewiss diskutieren angesichts der vom Verfasser konstatierten Herausbildung einer "zivilen Gesellschaft, die sich durch Friedfertigkeit auszeichnet" und die keinen "Humus für die Entwicklung eines neuen Militarismus" enthält. Heikler ist dagegen die Frage, ob es sich angesichts der Auslandseinsätze der Bundeswehr und der Debatte um die Verwendung der Streitkräfte im Inneren wirklich um "weitere Facetten im Prozess einer schleichenden Militarisierung der deutschen Außen- und Innenpolitik" handelt. Vielleicht ist hier der Historiker überfragt.

Schließlich bliebe angesichts der Arbeiten des Potsdamer Militärgeschichtlichen Forschungsamtes und anderer Institutionen auch zu fragen, ob die Ausklammerung des "linken Militarismus" in der DDR mit der angeblich noch unzureichenden Literaturbasis zu rechtfertigen ist. Sehr erfreulich ist im Übrigen, dass der Verfasser generell die Notwendigkeit eines globalen Vergleichsansatzes bei der Behandlung des Militarismusthemas hervorhebt, auch wenn er diese Einsicht leider nur punktuell umsetzt. Immerhin kann er zeigen, wie sehr ein internationaler Vergleich die Spezifika des preußisch-deutschen Beispiels deutlicher macht, diese jedoch keinesfalls, wie von politisch allzu korrekten Geistern oft befürchtet, relativiert. Wie auch immer: Wette hat eine breit angelegte, auf dem neuesten Stand der Forschung befindliche, ebenso engagierte wie bemerkenswerte und zum Nachdenken anregende Analyse des Militarismusproblems in Preußen-Deutschland vorgelegt.

KLAUS-JÜRGEN MÜLLER

Wolfram Wette: Militarismus in Deutschland. Geschichte einer kriegerischen Kultur. Primus Verlag, Darmstadt 2008. 309 S., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als bemerkenswerte, zum Nachdenken anregende Arbeit bezeichnet Klaus-Jürgen Müller die Arbeit des militärkritischen Historikers Wolfram Wette, der mit diesem Buch versucht, sich dem politischen Kampfbegriff des Militarismus auf pragmatische Weise zu nähern. Dem selbst gesetzten Ziel, dem Leser empirisch fundiert einen Überblick zum Thema zu vermitteln und die kriegerische Kultur in Preußen-Deutschland in ihren Ursprüngen und Wandlungen zu erfassen, wird der Autor laut Rezensent durchaus gerecht. Müller findet die Umsetzung engagiert, die Formulierung zupackend-kritisch und die Berücksichtigung der Forschung vorbildlich. Wettes Kombination aus chronologischer Darstellung und struktureller Analyse zeigt ihm die Einflüsse des Militärs auf Politik und Wirtschaft sowie auf die Werte und Verhaltensweisen in der Gesellschaft. Wirklich neu erscheint ihm die Berücksichtigung von Ergebnissen der Friedens- und Genderforschung in den Diskussionszusammenhang. Ausführungen zum "linken Militarismus" in der DDR hat er dagegen vermisst.

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