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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.09.2001

Kleiner Mann, kleiner Mann
Was man schon weiß, macht sie nicht heiß: Uta-Renate Blumenthal kanonisiert Papst Gregor VII.

Der Investiturstreit, so heißt es oft, sei der deutschen Mediävisten liebstes Thema. Er war wesentlich mit dem Aufstieg des Papsttums verknüpft, das in der zweiten Hälfte des elften Jahrhunderts begann, sich als hierarchische Spitze der länderübergreifenden Institution Kirche neu darzustellen und Allzuständigkeit in allen Kirchen der lateinischen Christenheit zu beanspruchen. Bis dahin agierten Kleriker bis hin zu den Bischöfen vor allem im Rahmen der familiären, lokalen und regionalen Beziehungsgeflechte, die die Könige mit wechselndem Erfolg an sich zu binden versuchten. Dabei galten die Könige durch die Salbung als religiös legitimierte Herrscher und damit als gottgewollte Sachwalter der Königsherrschaft - eine Vorstellung, der Bischöfe sicher eher zugänglich waren als ihre laikalen Verwandten; sie schloß die aktive Mitwirkung in kirchlichen Belangen wie etwa bei Bischofserhebungen ein. Der wiederentdeckte Leitungsanspruch Roms kollidierte damit und führte zu Konflikten der Päpste mit Klerikern und Laien, die wiederum verschiedene, die Ständegrenzen durchkreuzende Parteiungen hervorbrachten und auch alte Feindschaften mit zusätzlichen geistlichen Argumenten versahen. Im Deutschen Reich führte das zu offenem Bürgerkrieg.

Für den großen englischen Mediävisten Karl Leyser war das "die Krise des mittelalterlichen Deutschland". König Heinrichs IV. Gang nach Canossa gehört in diesen Zusammenhang. Der Canossagang ist eines der ganz wenigen Ereignisse im deutschen Wissen vom Mittelalter, die auch außerhalb der Geschichtswissenschaft irgendwie gewußt werden und die auch noch den Weg in die Schulbücher schaffen. Kein Wunder also, daß es ganze Bibliotheken von größeren Darstellungen und Spezialstudien gibt.

Unter Historikern herrscht seit langem Einigkeit darüber, daß sich in den dramatischen Ereignissen der Zeit längerfristige geistig-religiöse, soziale und rechtliche Entwicklungen bündelten, die im wesentlichen alle Länder der lateinischen Kirche erfaßten. Zugleich gilt, daß, wenn sich denn überhaupt Entwicklungsschübe und die beschleunigte Veränderung von Vorstellungswelten und Rechtsüberzeugungen personalisieren lassen, dies bei der Konfrontation von Heinrich IV. und Gregor VII. möglich ist. So muß erstaunen, daß es bis vor kurzem keine modernen biographischen Darstellungen der beiden Kontrahenten gab. Jetzt aber wurden in kurzem Abstand beide Gegenstand von Biographien: Zunächst erschien Ian Robinsons "Henry IV of Germany" (F.A.Z. vom 22. Januar), und wenige Monate später liegt nun "Gregor VII." von Uta-Renate Blumenthal vor. Die an der Catholic University of America in Washington D.C. lehrende Forscherin ist mit einer großen Zahl von Einzelstudien, meist zu kirchenrechtlichen Themen, hervorgetreten, während ihre Überblicksdarstellung "Der Investiturstreit" zahllosen Studierenden verläßliche Orientierung in Examensnöten geboten hat. Ihr Buch über die Geschichte Gregors VII. hat nun seinerseits eine Geschichte.

Vor drei Jahren veröffentlichte ein anderer hervorragender Kenner der Zeit, H.E.J. Cowdrey, seine monumentale Gregor-Biographie in englischer Sprache. Auf fast siebenhundert Seiten breitet er umfassend und präzise die vielen Facetten von Gregors Leben und Handeln aus, des Papstes, der mit der ungeheuren Wucht seiner impetuosen Persönlichkeit die Grundfesten traditioneller Ordnungen erschütterte. Cowdrey zeigt die Komplexität der Persönlichkeit Gregors in der Verschränkung von eher theoretischen Äußerungen und politischem Handeln, ist sichtlich fasziniert von der Intensität des Auftretens und betont neben Gregors Glauben, Sprachrohr des Apostels Petrus auf Erden zu sein, die Erfahrungswelt von Mönchtum und Klosterleben als prägendes Element seines Selbstverständnisses. Insgesamt entwirft Cowdrey ein überraschend positives Bild des Papstes: Dem friedlichen Ausgleich habe er sich in pastoraler Verantwortung stets verpflichtet gefühlt, allerdings eine Beeinträchtigung der Gerechtigkeit (iustitia), so wie er sie verstand, nicht hinnehmen können. Als Cowdreys Buch erschien, hatte Blumenthal "ihren" Gregor schon längst unter der Feder. Sollte sie, wollte sie ein anderes Bild des Papstes entwerfen? Schließlich gilt Gregor seit langem als einer der kriegerischsten Päpste, die je auf dem Stuhle Petri gesessen haben.

Blumenthal hat die Herausforderung von Cowdreys Buch nicht mit einer Gegendeutung beantwortet, sondern einen anderen Weg gewählt. Sie wolle nicht, so stellt sie fest, der schier überwältigenden Flut von Publikationen zu Gregors Pontifikat eine weitere Arbeit hinzufügen. Statt dessen behandelt sie in großer Intensität Aspekte seines Lebens, für die sie Neues beizusteuern hat. Das gilt zuallererst für die Jugend des Papstes, über die sehr wenig direkt überliefert ist. Verzeichnet ist der Taufname Hildebrand, seine relativ geringe Körpergröße und die bescheidene soziale Herkunft; aber auch, daß er Mönch war, obwohl es dafür keine direkten Nachrichten gibt.

Da die mittelalterlichen Zeitgenossen allgemein der Kindheit und Jugend auch herausragender Persönlichkeiten so gut wie keine Beachtung schenken, lassen sich nicht einmal aus dem Schweigen der Überlieferung Schlüsse ziehen. Cowdrey handelt diese Phase von Gregors Leben denn auch mit wenigen Sätzen ab. Nicht so Blumenthal. Erwähnt Gregor, so fragt sie, nicht mehrmals, daß er im Lateranpalast aufwuchs und erzogen wurde? Wie aber paßt das zu der Annahme, er sei Mönch gewesen? Muß es nicht verwundern, daß sein Profeßkloster nirgendwo erwähnt wird, so daß in der Forschung mehrere Möglichkeiten erwogen wurden? Blumenthal nimmt die Spurensuche auf, nimmt ihre Leser gleichsam mit auf den Weg des Sammelns und Sichtens kleiner und kleinster Hinweise, des mühsamen Prüfens und Abwägens heterogener Überlieferungsbruchstücke, von denen schließlich nur wenige als Bausteine oder, besser, als Bausteinchen im Gebäude historischer Erkenntnis Verwendung finden dürfen.

Hildebrand-Gregor, so ihr Ergebnis, war nicht Mönch, sondern Regularkanoniker. Die These wird in der Fachwelt Aufsehen erregen und gebührend zu diskutieren sein. Ob aber Nichtspezialisten daraus nennenswerte Erkenntnis ziehen können, ist eher zu bezweifeln, denn die Autorin schränkt die Bedeutung, die das Kanonikertum Gregors für sein Selbstverständnis haben könnte, selbst erheblich ein. Es ist nämlich unbestritten, daß sich die Regularkanoniker strenger Observanz ihrerseits an mönchischen Lebensformen orientierten. Die Monastisierung des Klerikerstandes im elften Jahrhundert, die mit Gregor verbunden wird und an der sie durchaus festhält, hätte lediglich den Umweg über das Regularkanonikertum genommen. Dennoch hat Blumenthal hier wertvolle Anstöße gegeben, um Gregors Stellung innerhalb der religiösen Gruppierungen seiner Zeit kritisch zu überdenken.

So wie das erste Kapitel über Gregors Jugend ist das ganze Buch konzipiert: Es behandelt in insgesamt neun Einzelstudien einzelne, in sich abgeschlossene Themenkomplexe: die Konzilien Gregors VII., Legaten, Klosterpolitik oder Kaiser, Fürsten und andere Laien. Auch da, wo es zuerst den Anschein hat, als schildere sie einen Lebensabschnitt des Papstes, gerät ihr das Kapitel unversehens zu einer Detailstudie von Einzelfragen, in der all das, was man ohnehin schon weiß, ausgeklammert bleibt. Die akribische Ernsthaftigkeit im Umgang mit dem Detail hat durchaus eine Ästhetik und Faszination eigener Art. Allerdings ist das Buch nicht das, was es zu sein vorgibt: eine Biographie. Man kann der Verfasserin nur wünschen, daß sich potentielle Käufer nicht von der ansprechenden Aufmachung und dem Untertitel in die Irre führen lassen. Das Ereignis Canossa kommt nämlich in dem Buch gar nicht vor.

HANNA VOLLRATH

Uta-Renate Blumenthal: "Gregor VII." Papst zwischen Canossa und Kirchenreform. Primus Verlag, Darmstadt 2001. 375 S., Abb., geb., 59,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Das Buch von Uta-Renate Blumenthal ist ein ganz besonderer Zwitter, meint Hanno Helbling: Es beginnt als Biografie über Gregor VII., jenen berühmten "Canossa-Papst", und setzt als quellenkritische Studie fort. Alle Laien warnt der Rezensent davor, sich vom Untertitel zu der Vorstellung verleiten zu lassen, hier erfahre man nun wirklich alles Wesentliche über den Gang nach Canossa. Darum geht es nämlich nur am Rande. Der Rezensent ist etwas verärgert darüber, dass die Autorin vom Leser erwartet, dass er sämtliche bekannten Ereignisse kennt, illustrierende Erläuterungen daher entfallen. Im Vordergrund steht, so lässt Helbling durchblicken, eine nicht unkompliziert zu lesende Darstellung über Gregors wahre Herkunft und seine Kirchenreform.

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