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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.10.2000

Nur Nixen haben nix zu lachen

In der Hitliste der humorverdächtigsten Völker dieser Erde rangiert, noch weit vor dem englischen, das jüdische. Sein Humor gilt als hintersinnig, verschmitzt, weise, vieldeutig, philosophisch und so weiter - und all dies ist mit schönsten Exempeln beleg- und beweisbar. Der israelische Mediziner und Sprachwissenschaftler Ezra BenGershôm hat nun den Versuch unternommen, dieses in vieler Hinsicht komische Phänomen einer kulturgeschichtlichen Deutung zu unterziehen ("Der Esel des Propheten". Eine Kulturgeschichte des jüdischen Humors. Primus Verlag, Darmstadt 2000. 277 S., geb., 78,- DM). Bereits im überaus lesenswerten Vorwort stellt BenGershôm klar: "Was Humor ist, entzieht sich der Definition, und was jüdisch ist, auch." Zwar sei es üblich, die Besonderheit des jüdischen Humors in dem "Gegensatz zwischen dem Erwähltheitsglauben der Juden und ihrem Los" zu sehen; die eigentliche Problematik liege aber darin, "zwischen jüdischem Humor und Humor von Juden" zu unterscheiden. Doch läßt sich der Autor nicht entmutigen und breitet eine so überreiche Auswahl an Humorfundstücken und -definitionen aus, daß dem Leser schwindelt. Ein gewaltiger Bogen wird geschlagen, von frühen talmudischen Legenden, den Aggadóth, über die hebräische Poesie des Mittelalters, über russische, deutsche, spanische und amerikanische Schriftsteller bis hin zum Kapitel "Lachen während der Shoa - Lachen nach der Shoa". Für diesen heiklen Bereich ist der Autor selbst ein eindrucksvolles Beispiel, denn Ezra BenGershôm, 1922 in Würzburg geboren, überlebte im "judenfreien" Berlin der frühen vierziger Jahre, indem er sich als "Hitlerjunge" verkleidete. Diese Beispiele sind grundverschieden, und leider hat der Autor den Ehrgeiz, von allem und jedem etwas präsentieren zu wollen. Hier ein komischer Roman, da eine ironische Parabel, dort ein Scherzgedicht nebst einer Anmerkung zur Biographie des Dichters. Gerne hätte man auf die eine oder andere verzichtet und sich dafür ein wenig mehr Systematik und argumentative Struktur gewünscht. Und da sich über Geschmack kaum streiten läßt, müssen wir auch des Autors Vorlieben akzeptieren: "Satire und bitteres Lachen" mag er nicht, Äußerungen, die einer "antihuman zynischen Lebenshaltung" entspringen, soll gar in toto der Humor abgesprochen werden. Da bleibt es bei lediglich namentlicher Erwähnung der Marx Brothers oder der "Sexkomik von Woody Allen". Was letztere genau sein soll, wie Komik überhaupt funktioniert, wie sie im jüdischen Kulturkreis und dort im Gegensatz zu anderen generiert und rezipiert wurde - dies erklärt der ansonsten definitionsfreudige Autor zwar nicht, dafür erfahren wir aber viel über "Gottes Humor" und "Menschenhumor" und den von BenGershôm entwickelten Begriff des "kosmischen Humors", der offenbar dann vorliegt, wenn sich der Mensch "zu humorvollem Ernst über die Grenzen menschlichen Ernstes" erhebt. Dies führt zu prekären Fragen: "Soll ,Tewje, der Milchmann' dem ,Humor der Juden als Unterdrückte' zugeordnet werden oder dem ,Jüdischen kosmischen Humor'?" Eine gute Frage, die auch BenGershôm nicht beantworten kann. Da er gleichwohl sich selbst schon die Sichtweise des kosmischen Humors zu eigen gemacht beziehungsweise den Ernst seines Lebens "transzendiert" hat, kommt er zu einer verblüffend einfachen Lösung: "Beinahe alles kann den Menschen komisch anmuten." Komisch, kosmisch - Humor ist, wenn man immer lacht. Etwa über die Bemühung des Autors, "kosmischen Humor" am Beispiel der Tierwelt zu verdeutlichen, angesichts eines "Stelldicheins in den Tiefen des Indischen Ozeans": "Was für ein buntes Durcheinander von Zackenbarschen, Dicklippigen, Seebadern und anderen freß- und raubgierigen Fischen neben harm- und wehrlosen Fischen!" Wer so tief geht, muß schließlich alles komisch finden. Das mag Taucher erfreuen, läßt den Humorforscher jedoch ratlos zurück.

OLIVER MARIA SCHMITT

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Oliver Maria Schmitt ist etwas ratlos angesichts dieses Versuchs einer Kulturgeschichte des jüdischen Humors. In seinem "überaus lesenswerten Vorwort" gestehe der israelische Autor ein, weder "Humor" noch das "Jüdische" definieren zu können. Der Rezensent stellt fest, dass Ben-Gershom sich davon nicht "entmutigen" lässt und unverzagt eine große Anzahl von "Humorfundstücken und -definitionen" ausbreitet, die zeitlich vom frühen Talmud bis zum Humor nach der Shoa reicht. In der weiten Spannbreite der Beispiele sieht er denn auch das Hauptproblem des Buches, denn bei den vielen Details vermisst der Rezensent "Systematik und argumentative Struktur". Zudem werde vieles ausgespart, was den Vorlieben des Autors nicht entspricht und so manches an Begriffen nicht geklärt, tadelt Schmitt. So wundert er sich beispielsweise über die ominöse "Sexkomik", die der Autor bei Woody Allen feststellt, ohne sie näher zu definieren. Am Ende komme Ben-Gershom zu dem "verblüffend einfachen" Schluss, fast alles könne dem Menschen komisch erscheinen. Das kommt dem Rezensenten dann doch etwas komisch vor.

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