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Rebecca Wests episches Meisterwerk, das drei Reisen zwischen 1936 und 1938 durch verschiedene Regionen Jugoslawiens reflektiert, zählt weithin zu den besten Büchern, die über Jugoslawien geschrieben wurden.

Produktbeschreibung
Rebecca Wests episches Meisterwerk, das drei Reisen zwischen 1936 und 1938 durch verschiedene Regionen Jugoslawiens reflektiert, zählt weithin zu den besten Büchern, die über Jugoslawien geschrieben wurden.
Autorenporträt
Rebecca West, geboren 1892 in Irland, verstorben 1983 in London, w Autorin mehrer sozialkritischer Romane, Reiseschriftstellerin und Journalistin - für den Daily Telegraph Teilnahme an den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.12.2002

Den Balkan mit der Seele suchend
Sozialromantisch zog Rebecca West einst nach Jugoslawien, um Erlösung ohne Opfer zu finden und dabei den Tod kennenzulernen

Der erste Jugoslawien-Besuch der weitgereisten britischen Journalistin und Schriftstellerin Rebecca West (1892 bis 1983) war keine touristische Laune, sondern therapeutische Maßnahme gegen eine langgehegte Angst: Durch die Ermordung der Kaiserin Elisabeth und, sechzehn Jahre später, die Schüsse von Sarajevo zu Beginn des Ersten Weltkriegs wurde der Balkan für sie zum "gewalttätigen" Ort schlechthin, "wo der Ursprung aller anderen Tode zu liegen scheint". Als der jugoslawische König Alexander I. während eines Marseille-Besuchs 1934 einem Attentat zum Opfer fiel, beschloß Rebecca West, ihrer Angst entgegenzureisen und in Südosteuropa zu ergründen, "wie ich sterben werde und warum".

Mit dieser theatralischen Verknüpfung von persönlichem Schicksal und Historie leitet die Schriftstellerin ihr Reisebuch "Schwarzes Lamm und grauer Falke" ein, das drei ausgedehnte Balkan-Aufenthalte zwischen 1935 und 1938 als eine einzige Reise inszeniert. Der "New Yorker" feierte die Neuerscheinung 1941/42 unter der Überschrift "Opus Magnum" als "eines der großen Bücher spirituellen Aufbegehrens gegen das zwanzigste Jahrhundert", obwohl sicher nicht viele Leser jede der mehr als 1100 Seiten lesen würden. Jetzt legt die Edition Tiamat eine deutsche Erstveröffentlichung vor, die aus knapp einem Viertel des Originaltexts besteht. Dabei orientierte man sich an einer von der Autorin für eine Anthologie selbst gekürzten Fassung aus den frühen achtziger Jahren.

Ein Rundumschlag ist das Buch geblieben. Wie viele literarische Reisebeschreibungen folgt es nicht nur wechselnden äußeren Stationen, sondern beschreibt ebenso ausführlich die inneren Zustände der Rebecca West, für die das Unterwegssein auf dem Balkan zu einer Reise ins Ich wird. Die Standardkategorien des Reisebuchs - Beschreibungen von Landschaft und Leuten, historischen und politischen Entwicklungen, sehenswerten Kunstschätzen - werden zu Ausgangspunkten für lange Exkurse und Einblicke in ihre religiösen, ethischen und künstlerischen Überzeugungen.

Im berühmten serbischen Epos von der Schlacht auf dem Amselfeld kommt der heilige Elias in Gestalt eines grauen Falken zu Fürst Lazar, der vor die Wahl zwischen einem mächtigen irdischen und dem himmlischen Königreich gestellt wird. Er wählt letzteres und besiegelt damit die Niederlage gegen die Türken 1389. Diese christliche Verknüpfung von Erlösung und Opfer ist West verhaßt: "Kein Mensch kann seine Erlösung herbeiführen, indem er sich weigert, Millionen Menschen vor der Sklaverei zu bewahren." Auch wecke die Tötung von Lämmern bei einem Fruchtbarkeitsritual keineswegs die "Kraft der Liebe": Wer nicht selbst als Opferlamm bereitsteht, schwingt sich zum Priester mit dem Messer auf. Keiner beendet den Kreislauf des Schlachtens und Geschlachtetwerdens, denn der Mensch ist ein zerrissenes Wesen, das neben "Freude und länger werdendem Glück . . . den Schmerz liebt und in einer Katastrophe untergehen möchte". Ihre Empörung darüber, daß sich das Gute "einem ruhigen, geheiligten Verlangen der Seele gehorchend" in seine Niederlage schickt, bezieht sich im Epilog auch auf die lange Untätigkeit Englands angesichts der wachsenden Bedrohung durch Nazi-Deutschland.

Rebecca West entdeckt auf der Reise zwar viele Bezüge zu diesem düsteren Generalthema, doch der Balkan ist nicht das erwartete Herz der Finsternis. Sie findet dort eine Seelenlandschaft, deren "Formen und Farben" ihr seit der Kindheit aus dem Zustand "zwischen Schlafen und Wachen" vertraut sind. Diese Empfindung überkommt sie vor allem in der Provinz Makedonien. Ohnehin überzeugen sie schon die ersten Eindrücke auf dem verregneten Bahnhof von Zagreb, unter Menschen zu sein, die sie im Gegensatz zu den deutschen Touristen in ihrem Abteil versteht. (Leider fehlt dieses erste Kapitel, das eine Reihe scharfer Beobachtungen zur deutschen Mentalität enthält, in der vorliegenden Ausgabe.) Daß eine befreundete einheimische Linguistin die von Rebecca West als "abscheulich" bezeichneten Riten auf dem "Schafsfeld" völlig anders bewertet als sie, tut ihrem Glauben an eine Seelenverwandtschaft keinen Abbruch.

Statt sich Individuen zu nähern, macht die Autorin aus Menschen gern archetyphafte Figuren. Frauen werden nicht im Zusammenhang ihrer Alltagswelt aufgesucht, sondern erscheinen als duldende Mütter und Philosophinnen, die auf den Trümmern ihrer Existenz deren Bedeutung zu entziffern versuchen, als puppenhafte Tänzerin oder als schlafende Gruppe im Trance eines Rituals. Von Rebecca West, die schon als halbes Kind mit den Suffragetten durch Edinburgh marschiert war, hätte man einen genaueren Blick auf das Geschlechterverhältnis erwartet, als sie ihn in diesem Buch mit Mutmaßungen über das subversive Potential weiblicher Unterwerfung liefert.

Immer wieder klingt der Topos von der Heimkehr in eine gleichermaßen schlichtere wie mystischere Welt an: "Bevor ich nach Jugoslawien fuhr, gab es nichts in meinem Leben, das mir diese Geheimnisse klargemacht hatte." Es ist jedoch typisch für den uneinheitlichen Tonfall des Buches, daß politische Kommentare einheimischer Begleiter die Natur- und Gottesdienstbeschreibungen nicht selten aus ihrer vermeintlichen Entrücktheit herausheben. Wests Abrisse historischer Zusammenhänge sind fast immer prägnante Miniaturen, etwa die Chronologie der Stadt Dubrovnik, die lakonische Schilderung der irrwitzig dilettantischen Vorbereitungen für das Attentat auf Erzherzog Franz Ferdinand 1914 oder eine beißende Beschreibung der menschenverachtenden Wiener Hofetikette.

Oft jedoch spricht die Stimme der Sozialromantikerin, die sicher ist, daß "die Menschen auf dem Balkan in Mengen haben", was der reiche Westen nicht besitzt. So löst die Begegnung mit zwei mißtrauisch-feindseligen Zigeunern die Vorstellung aus von "Bauernküchen voller Menschen, die Kleider heller als der Frühling", wo man "unter gewaltigem Gelächter Berge von gebratenem Lamm und Schwein" verzehrt und "ganze Brunnen mit Wein" leert, während Zigeuner zum Tanz aufspielen. Beschreibungen von Klöstern, blühenden Bäumen, frommen Kindern, Reitern "von legendärer Vornehmheit" und funkelnden Städten in der Ferne, die manchmal an das naiv-märchenhafte Slawentum früher Kandinsky-Bilder erinnern, münden in ein nicht weniger naives Plädoyer für einen "guten" Nationalismus auf dem Balkan. Ihre Kritik an der wachsenden Verwestlichung größerer Städte wie Zagreb ist damit nicht nur Lamento einer zivilisationsmüden Touristin, sondern Programm: Die Südslawen sollten die eigene Kultur stärken, statt den Westen zu imitieren. Daß es sich bei ihnen um mehrere Volksgruppen mit unterschiedlichen Kulturen, alten Vorurteilen und Abneigungen gegeneinander handelt, hat sie zwar immer wieder selbst erlebt, ignoriert dies aber ebenso wie das Gewaltpotential, zu dessen Erforschung sie ursprünglich in die Region aufbrach. Ihre Vorstellung, Nationalismus sei lediglich Stolz auf eigene Sprache, Brauchtum und Religion, machte der Zweite Weltkrieg endgültig obsolet.

Jeder reisende Engländer bringe sein Lieblingsvolk vom Balkan mit, um es in Zukunft gegen alle Angriffe zu verteidigen, schreibt Rebecca West. Ihre offene Vorliebe für die Serben haben Kritiker festgestellt. Sie äußert sich weniger in harschen Urteilen gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen als darin, daß sie der serbischen Sache ausgesprochen viel Raum widmet und über die Ansprüche anderer schweigt. Die hier besprochene Fassung des Buches verzichtet diplomatisch auf jene Teile des Epilogs, in denen die Autorin sich ganz auf Informationen aus zweiter Hand und eigene Vorurteile verlassen mußte, um von England aus die Situation Jugoslawiens unter Hitler und die aufreißenden Gräben zwischen Serben und Kroaten zu beschreiben.

ANNETTE ZERPNER

Rebecca West: "Schwarzes Lamm und grauer Falke". Eine Reise durch Jugoslawien. Aus dem Englischen von Hanne Gebhard. Edition Tiamat, Berlin 2002. 255 S., br., 20,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Etwas durchwachsen findet Rezensentin Anette Zerpner das erstmals 1941 erschienene jugoslawische Reisetagebuch "Schwarzes Lamm und grauer Falke" der britischen Journalistin Rebecca West, das nun in einer gekürzten Fassung auf deutsch erschienen ist. Wie viele literarische Reisebeschreibungen folge es nicht nur wechselnden äußeren Situationen, sondern beschreibe ebenso ausführlich die inneren Zustände von West, für die das Unterwegssein auf dem Balkan zu einer Reise ins Ich werde. Dabei werden ihre Beschreibungen von Landschaft und Leuten, historischen und politischen Entwicklungen, sehenswerten Kunstschätzen zu Ausgangspunkten für "lange Exkurse und Einblicke in ihre religiösen, ethischen und künstlerischen Überzeugungen", hält Zerpner fest. Typisch für das Buch ist für sie sein "uneinheitlicher Tonfall". So lobt sie die "prägnanten Miniaturen" historischer Zusammenhänge, die West lakonisch schildere. Andererseits spricht West zu Zerpners Bedauern oft mit der "Stimme der Sozialromantikerin", was manchmal in einem naiven Plädoyer für einen "guten" Nationalismus auf dem Balkan münde.

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