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Zum hundertsten Geburtstag des Dichters, Essayisten, Übersetzers und Literaturwissenschaftlers Max Kommerell (1902-1944) am 25. Februar legt die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung seine "Kasperle-Spiele für große Leute" vor. Die Erstausgabe erschien postum 1948 und ist seit langem vergriffen.In einer Rezension der "Welt" war - unter der Überschrift "Weisheit des Narren - Kommerells "Kasperlespiele"" damals zu lesen: "Nur ein so stiller und dabei großer Kenner der deutschen und europäischen Literatur wie Max Kommerell konnte auf den Einfall kommen, die göttliche Komödie des zwanzigsten…mehr

Produktbeschreibung
Zum hundertsten Geburtstag des Dichters, Essayisten, Übersetzers und Literaturwissenschaftlers Max Kommerell (1902-1944) am 25. Februar legt die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung seine "Kasperle-Spiele für große Leute" vor. Die Erstausgabe erschien postum 1948 und ist seit langem vergriffen.In einer Rezension der "Welt" war - unter der Überschrift "Weisheit des Narren - Kommerells "Kasperlespiele"" damals zu lesen: "Nur ein so stiller und dabei großer Kenner der deutschen und europäischen Literatur wie Max Kommerell konnte auf den Einfall kommen, die göttliche Komödie des zwanzigsten Jahrhunderts Kasperle in die Hand zu drücken. Sobald man nicht den Menschen, sondern den Kasperle zum Maß aller Dinge erhebt, rückt in der Tat vieles auf den Platz, wo es hingehört. Die Weisheit Kommerells ist in drei Kasperlespielen niedergelegt, sie heißen: "Das verlassene Biribi", "Kasperle als Einsiedler" und "Die rote Hand". In Paris wären sie längst vom Grand Guignol in den ständigen Abendspielplan aufgenommen."Die Kasperle-Spiele erlebten von allen Bühnenwerken Kommerells - abgesehen von den Aufführungen seiner Calderón-Nachdichtungen - den größten Bühnenerfolg. Die Uraufführung fand am 19. November 1953 in Darmstadt statt, Regie führte Gustav Rudolf Sellner.Der Band präsentiert die Texte der Erstausgabe und vermittelt einen lebendigen Eindruck von der Uraufführung durch Szenenfotos, ausgewählte Kritiken und die originellen Entwürfe für Bühnenbild und Kostüme.Der Autor: Das Werk Max Kommerells (1902-1944) ist durch seine wissenschaftliche und literarische Doppelbegabung geprägt; sein OEuvre umfaßt - neben zahlreichen philologischen Essays - Szenisches, Erzählprosa und Lyrik. Als Literaturwissenschaftler trug er wesentlich zur Entwicklung der modernen Textinterpretation bei.Der Herausgeber: Joachim W. Storck (geb. 1922) ist Honorarprofessor für Neuere deutsche Literaturgeschichte an der Universität Mannheim. Seine Spezialgebiete sind Lyrik von Hölderlin bis Celan, österreichische Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts und Exil-Literatur. Er lebt in Freiburg i. Br.
Autorenporträt
Max Kommerell (1902-44), zuletzt Ordinarius der deutschen Philologie an der Universität Marburg, hat als Literaturhistoriker und Essayist in der Geistesgeschichte der dreißiger und vierziger Jahre eine überragende Rolle gespielt und ist auch als Lyriker, Dramatiker und Erzähler hervorgetreten. Bedeutend ist vor allem seine Leistung als Methodiker seiner Wissenschaft und als Begründer der sogenannten 'reinen' Interpretation. Das Kernstück seines Werkes bildet eine Gruppe von drei Essaybänden, die sich vornehmlich mit den Dichtern der deutschen Klassik beschäftigen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.02.2002

Der gestirnte Schinken über mir
Kinderlogik und Philosophenulk: Max Kommerells Kasperle-Spiele

Die Vertreibung Harlekins vom deutschen Theater im Jahre 1737 war ein Schock. Lange konnte die volkstümliche Lachkultur sich davon nicht erholen. Auch von den josephinischen Bühnen wurden die Lustigmacher natürlich verbannt, doch sorgte man dort rascher für Ersatz. Bereits eine Generation später führte der Schauspieler Johann Laroche auf dem Leopoldstädter Theater die Kasperlefiguren ein, denen bald neue Stücke auf den Leib geschrieben wurden. Doch im 19. Jahrhundert blieben sie weitgehend in ihrer Kiste, der Münchner Marionettenautor Graf Pocci gehört zu den wenigen, der sie hervorholte. Ihre Chancen stiegen erst wieder mit der Renaissance der Commedia dell'arte und eines stilisierten Körpertheaters um 1900. Viele Autoren des Jungen Wien versuchten sich etwa in der Kunst der Pantomime.

Einen geeigneteren Neuentdecker dieser Tradition als Max Kommerell, den Meister der gestischen Sprache des Unaussprechlichen, konnte es kaum geben. Seine drei "Kasperle-Spiele für große Leute" entwickeln zum einen das Genre naiver Einfalt und kindlicher Unlogik weiter zu einer höheren Form sinnreichen Unsinns. Zum anderen offenbaren sie eine unerwartet andere, überaus sympathische Seite eines der großen Geister unserer Zeit. Seine "unbändige Freude am Spaß", die ihm nicht nur der Philosoph Karl Schlechta attestierte, war die Kehrseite seines tiefen Ernstes. Für Egon Vietta, den Dramaturgen der Kasperle-Spiele von 1953, fügte Schlechta über diese sonst nur im kleinen Schülerkreis aufgeführten Stücke hinzu: "Wen sie nicht hinreißen, der ist für alle Maske und Mimik verloren!"

Als hinreißende Unterhaltung empfehlen sich diese Spiele bereits bei der Lektüre. Aber wie werden sie erst auf der Bühne wirken, gespielt von leibhaftigen Schauspielern statt bloßen Holzfiguren? Bei der Darmstädter Uraufführung von 1953 war nicht nur der Kritiker dieser Zeitung begeistert davon, wie sich in den Stücken "hintergründig Allegorisches, Komisches und Schauriges, geistreiche Anspielung, purer Unsinn, blühende Phantasie, witzige Persiflage, Gemeines und Geheimnisvolles in der alogischen Turbulenz eines unausdeutbaren Traumes" mischen. Auch wenn Kommerells Kaspereien vorerst nicht wieder zu sehen sein werden, so vermittelt die vorzüglich dokumentierte Neuausgabe jetzt doch so etwas wie einen Theatereindruck. Denn Fotos der Bühnenbilder von Willi Baumeister sind ebenso zu sehen wie Kostümentwürfe von Carola Tolkmitt. Und die als Aufbruch gefeierte extravagante Formensprache des Regisseurs Gustav Rudolf Sellner läßt sich aus den abgedruckten Pressestimmen und den Beiträgen aus dem Programmheft zumindest erahnen.

Der Titelzusatz "für große Leute" verrät Kommerells tiefere Faszination, die über seine Leidenschaft für Mimisches und Pantomimisches noch hinausweist. Sie entzündet sich an der für Erwachsene kaum zugänglichen kindlichen Phantasie und belauert jenes Geheimnis der Präexistenz, das eben nicht nur für Hofmannsthal zu einer Voraussetzung tiefster Dichtung und Deutung wird. Auch Kommerell wittert diesen Zustand, dem er sich im Gedicht "Unterweisung durch das Märchen" annähert: "Weihen haben auch die Kleinen, / Die du Großer niemals lernst / Und von denen streng und ernst / Sie dich auszuschließen scheinen." In dieses Reich "schwerer Rätsel" dringen auch die Kasperle-Spiele vor. Wenn Kasperle in "Das verbesserte Biribi" und "Kasperle wird Einsiedler" sich viel eher für schöne Prinzessinnen als seine alternde Frau Schlampampe interessiert oder dem König das Regieren "allmählich sauer" wird, so dürften die Großen das billigen. Und imponieren wird ihnen wohl das beschleunigte Leben im Reiche Dallifax, wo Schnelldenker, Schnellsprecher und Schnellbeamte Jagd auf "Langsamkeitsverbrecher" machen. Daß aber ein Krokodil mit "Wawiluwatsch Wiluwahuhu" droht, falls es die Prinzessin Bibi nicht fressen darf, oder lebensgefährliche Wunden durch Auflegen seiner Zunge heilt, um sich dann in einen Prinzen zu verwandeln, wird bloß den Kleinen einleuchten.

Doch auch Kommerell wechselt behende die Rollen. Hat er hier gerade noch die starke Affinität zur Kinderlogik gesucht, überschüttet er dort schon wieder die philosophische Zunft mit Spott, zur Erheiterung von Schülern und Kollegen. Die geistige Moderne beginnt mit des Teufels "Ich stinke, mithin bin ich" und setzt sich mit Kasperles Rückkehr vom metaphysischen Himmel zur Erde fort: "Der gute Schinken über mir und das gute Gewissen in mir, welch ein erhabenes Gefühl!" Mit "Ich wese" oder "Ich bin nicht mehr ich" erreicht das Krokodil Biribi die Gegenwart, und nicht minder fundamentalontologisch empfiehlt der Chinese: "Denke das Wesen - dann denke das Nichts." Im dritten Spiel über das metaphysische Luftschiff "Die rote Hand" verirrt selbst Kasperle sich auf Schwarzwälder Holzwege: Als "Zeitweiser" soll er das "Seinsrätsel" lösen, die "bedrängende Frage nach dem, was wir eigentlich sind". Hinter den märchenhaften Vorwürfen von listig bezwungenen Untieren, glücklich erretteten Prinzessinnen und schlauen Zauberern verbirgt sich also ein feinerer, manchmal auch vertrackt räsonierender Witz, Büchners "Leonce und Lena" oder Grabbes "Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung" oft nahe verwandt. Kommerell wollte sich mit solchen Späßen vielleicht vom zunehmend lästigen Professorenalltag, wenn nicht sogar endgültig vom heiligen Ernst des George-Kreises lossagen. Gern hätte er dann wohl in die Klage der Pastorenfrau Rabe im zweiten Spiel eingestimmt, die einer von Erinnerungen geplagten Eule vorkrächzt: "Aber im Alltag ist es oft gar nicht leicht. Das Erhabene ist nicht immer umgänglich."

ALEXANDER KOSENINA.

Max Kommerell: "Kasperle-Spiele für große Leute". Hrsg. von Joachim W. Storck. Wallstein Verlag, Göttingen 2002. 236 S., geb., 28,- .

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Alexander Kosenina ist hingerissen von dem Buch, in dem neben drei Kasperle-Theaterstücken auch Bühnenbilder, Kostüme und Pressestimmen der Aufführung von 1953 enthalten sind. Der Rezensent rühmt den Autor als "Meister der gestischen Sprache des Unaussprechlichen" und hat neben dem Spaß an "kindlicher Unlogik" auch eine "höhere Form des sinnreichen Unsinns" entdeckt. Dabei bieten die Stücke aber auch richtig gute Unterhaltung, selbst wenn sie nicht auf der Bühne gesehen, sondern zu Hause gelesen werden, schwärmt Kosenina. Ihn erinnert der "vertrackt räsonierende Witz" der Kasperle-Stücke an Büchner und Grabbe. Er sieht in dem Buch eine "unerwartete" und dabei sehr "sympathische Seite" des Philologen und Dichters Max Kommerell demonstriert.

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