Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 6,40 €
Produktdetails
  • Verlag: iudicium
  • Seitenzahl: 148
  • Abmessung: 200mm
  • Gewicht: 173g
  • ISBN-13: 9783891297728
  • ISBN-10: 3891297726
  • Artikelnr.: 12410915
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.12.2004

Unmittelbar ist gar nichts
Tieck bis Jukebox: Andrea Gnam über Medien in der Literatur
Wenn man heute beklagt, dass Schüler und Studenten immer seltener Bücher zur Hand nehmen, gerät leicht in Vergessenheit, dass es vor reichlich zweihundert Jahren noch die von uns verehrten Romane waren, die im Verdacht standen, schädlich für die Bildung junger Menschen zu sein. Erstmals hatte die Schriftkultur als Folge der Aufklärung breite Bevölkerungsschichten erreicht, und die „Lesesucht” kam als Massenphänomen in den Ruf einer Krankheit.
Die Berliner Literaturwissenschaftlerin Andrea Gnam nimmt die großen Romane der Romantik zum Ausgangspunkt einer Studie zum literarischen Umgang mit Medien. Sie reicht von der Rezeption bildender Kunst bei Tieck und E.T.A. Hoffmann über den Einfluss von Fotografie und Film auf die Literatur bis hin zu Peter Handkes „Versuch über die Jukebox”. Als literarische Form selbst Teil der „neuen Medien”, beschwört der romantische Roman auch mediale Konflikte herauf, die seine Handlung bestimmen und das Personal in Atem halten. Zur Bildungsgeschichte der hoffnungsvollen, stets männlichen jungen Helden gehört es, sich in Statuen zu verlieben oder von geheimnisvollen Gemälden in einen Bann gezogen zu werden, der die Suche nach dem Ursprung des Werkes antreibt und, wie in Hoffmanns „Elixieren des Teufels”, geradewegs in die Abgründe der eigenen Seele führt.
Ist die Wahrheit der Malerei für die Romantik vornehmlich psychologisch bestimmt, zeichnet der literarische Realismus von der Mitte des 19. Jahrhunderts an ein ganz anderes Bild. Anstelle der Leiden der Seele sind es nun die Lebensumstände des Künstlers und seine Produktionsbedingungen, die ins Blickfeld geraten und zum Gegenstand grundsätzlicher Überlegungen werden.
Keller im Kamerastil
Am Beispiel von Gottfried Kellers „Grünem Heinrich” gelingt es Gnam, diese neue Perspektive zu veranschaulichen. In der Realismusdebatte der Zeit wird der Literatur eine paradoxe Aufgabe zuteil. Sie soll die historische Situation unverstellt repräsentieren und zugleich eine vollkommenere, geschichtlich fortgeschrittene Gesellschaft vorwegnehmen. In einem unverkennbar selbstreflexiven Akt wählt Keller einen Historienmaler zum Protagonisten und Ich-Erzähler, der in tiefes Zweifeln an der Ausdrucksmacht seines Mediums verfällt.
Kellers Reflexion über die medialen Voraussetzungen von Zeitgenossenschaft ist typisch für einen Realismus, der, lange vor Bertolt Brecht, die Technik der Darstellung selbst zum Thema macht. Dass dies in Auseinandersetzung mit der Fotografie als dem großen Konkurrenten in Sachen Unmittelbarkeit geschehen muss, wird in Gnams Studie sehr eindrücklich anhand zeitgenössischer Rezensionen belegt, für die Kellers „Kamerastil” noch eine Provokation bedeutete.
Damit freilich endet der wohlbegründete Teil der Untersuchung. Was folgt, ist der Versuch, den literaturgeschichtlichen Befunden, die Gnam offenbar als unzureichend einschätzt, einen aktuell klingenden, medientheoretischen Anstrich zu geben. Da wechseln nun munter die Gegenstände von den mystisch machtvollen Fotografien bei Zola über Nam June Paiks Medienkunst bis hin zur Handkeschen Jukebox, und in dem Bemühen, von Baudelaire bis zu Godard nur gar nichts auszulassen, verschwindet die anfangs klar akzentuierte These im Dunst medienwissenschaftlicher Gemeinplätze. Dass Peter Handkes Reise auf der Suche nach alten Musikautomaten etwas mit Erinnerung zu tun hat, ist nicht sonderlich überraschend. Schade also, dass Andrea Gnam es nicht bei den interessanten Beobachtungen zu Romantik und Realismus belassen hat und ihren Lesern am Ende ein Lied vom „medienspezifischen Element der Wiederholbarkeit” vordudelt, das man schon vor Zeiten in der Jukebox hören konnte.
THOMAS WEITIN
ANDREA GNAM: Sei meine Geliebte, Bild! Die literarische Rezeption der Medien seit der Romantik. Iudicium Verlag, München 2004. 148 Seiten, 13 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Recht aufschlussreich findet der "Jdl." zeichnende Rezensent diese "präzise Studie" der Germanistin und Medientheoretikerin Andrea Gnam. Wie er berichtet, untersucht die Autorin darin die Wechselwirkung zwischen künstlerischen Bildern und inneren Bildern - von Ludwig Tiecks "Franz Sternbalds Wanderungen" über Gottfried Kellers erste Fassung des "Grünen Heinrichs" zu Oscar Wilde, Thomas Mann und Christoph Geiser und Peter Handke. Damit ist der Autorin zur Freude des Rezensenten zugleich eine "Kulturgeschichte des ästhetischen Blicks" gelungen.

© Perlentaucher Medien GmbH