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Ein Kriminalfall und seine politische Karriere
Kurz nach seinem gewaltsamen Tod wurde Horst Wessel von den Nationalsozialisten zum "Blutzeugen der Bewegung" erklärt und das von ihm gedichtete "Horst-Wessel-Lied" zur offiziellen Parteihymne erhoben. Der Historiker Daniel Siemens erzählt nun die ganze Geschichte des Todes und der Verklärung Horst Wessels, die nicht mit dem Untergang des "Dritten Reichs" endete, sondern bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hineinreicht.
Am Abend des 14. Januar 1930 wurde in Berlin aus nächster Nähe auf den jungen SA-Mann Horst Wessel geschossen,
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Produktbeschreibung
Ein Kriminalfall und seine politische Karriere

Kurz nach seinem gewaltsamen Tod wurde Horst Wessel von den Nationalsozialisten zum "Blutzeugen der Bewegung" erklärt und das von ihm gedichtete "Horst-Wessel-Lied" zur offiziellen Parteihymne erhoben. Der Historiker Daniel Siemens erzählt nun die ganze Geschichte des Todes und der Verklärung Horst Wessels, die nicht mit dem Untergang des "Dritten Reichs" endete, sondern bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hineinreicht.

Am Abend des 14. Januar 1930 wurde in Berlin aus nächster Nähe auf den jungen SA-Mann Horst Wessel geschossen, der wenige Wochen später starb. Joseph Goebbels, auf Wessel bereits 1927 aufmerksam geworden, erkannte als Erster das propagandistische Potenzial des Falles: "Ein neuer Märtyrer für das Dritte Reich", notierte er am 23. Februar in sein Tagebuch. Damit hatte die Mythisierung und politische Instrumentalisierung dieses im Grunde gewöhnlichen Kriminalfalles begonnen. Horst Wessel wurde von den Nationalsozialisten zum 'Blutzeugen der Bewegung' erklärt und das von ihm gedichtete 'Horst-Wessel-Lied' zur offiziellen Parteihymne erhoben. Seine Attentäter wurden im September 1930 zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Dies war den Nationalsozialisten jedoch zu milde. Von 1933 an nahmen sie blutige Rache, liquidierten den Haupttäter und verurteilten mit Sally Epstein und Hans Ziegler zwei Randpersonen, die eventuell an dem Überfall auf Wessel gar nicht beteiligt waren, wegen Mordes zum Tode. Peter Stoll, ein dritter Angeklagter, erhielt siebeneinhalb Jahre Zuchthaus. Die Todesurteile wurden am 10. April 1935 in Berlin-Plötzensee vollstreckt.

Erst nachdem am 28. Mai 2008 der Bundestag das 'Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege und von Sterilisationsentscheidungen der ehemaligen Erbgesundheitsgerichte' beschlossen hatte, hob die Berliner Staatsanwaltschaft am 9. Februar 2009 die Verurteilung von Hans Ziegler, Sally Epstein und Peter Stoll wegen Mordes an Horst Wessel auf - also 74 Jahre nach den Hinrichtungen.

Auf der Basis bislang unberücksichtigter Quellen rekonstruiert der Historiker Daniel Siemens die Hintergründe der Ermordung Horst Wessels, er erläutert, wie die Nationalsozialisten ihn zur politischen Heldengestalt stilisierten, und er untersucht die Rachemorde, die von SA, Gestapo und Justiz nach 1933 insbesondere an Kommunisten verübt wurden. Schließlich schildert Siemens, wie unterschiedlich man nach 1945 in der Bundesrepublik und der DDR mit diesem Fall umging, und er zeigt auf, warum eine Bestrafung der nationalsozialistischen Verbrechen rund um den Mordfall Wessel scheiterte.
Autorenporträt
Daniel Siemens ist Historiker am Arbeitsbereich "Geschichte moderner Gesellschaften" der Universität Bielefeld und Mitglied des Jungen Kollegs der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Geschichte der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus. Daneben schreibt er als freier Mitarbeiter für verschiedene deutsche Tageszeitungen, unter anderen die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" und die "Süddeutsche Zeitung".
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.09.2009

Schalmeien und der Kampf um Kiez-Kneipen
Der Nazi-Heilige: Daniel Siemens hat eine große Studie über die exemplarische Randfigur Horst Wessel verfasst
Der 22-jährige SA-Mann Horst Wessel, der am Abend des 14. Januar 1930 durch einen aus nächster Nähe abgefeuerten Pistolenschuss schwer verletzt wurde und der am 23. Februar an dessen Folgen starb, ist ein bekannter Unbekannter. Der Tatort war das Untermietzimmer, in dem Horst Wessel mit seiner Verlobten Erna Jänichen, einer ehemaligen Prostituierten, in der Großen Frankfurter Straße 62, der späteren Stalin-Allee und heutigen Karl-Marx-Allee in Berlin-Friedrichshain lebte. Zu postumer Berühmtheit gelangte Horst Wessel allein dadurch, dass ihn der damalige NSDAP-Gauleiter von Berlin Joseph Goebbels wie keinen anderen der „nationalsozialistischen Märtyrer (...) zum Heldenbild emporgedichtet” hat.
So urteilte Konrad Heiden bereits in seiner 1932 veröffentlichten „Geschichte des Nationalsozialismus”, und mit diesem bis heute gültigen Befund ließ es die historische Aufarbeitung des Dritten Reichs bislang mit dem Komponisten und Lieddichter des nach ihm benannten „Horst-Wessel-Lieds”, das zur offiziellen NSDAP-Hymne wurde, ein Bewenden haben. Umso bemerkenswerter und verdienstvoller ist es deshalb, dass Daniel Siemens jetzt eine eingehende Untersuchung vorgelegt hat, die den vor allem in der chaotischen Spätphase der Weimarer Republik und in den Anfangsjahren des Dritten Reichs überaus wirkmächtigen Mythos eines „Christus-Sozialisten”, zu dem der ermordete SA-Sturmführer Wessel von Goebbels systematisch aufgebaut wurde, unter unterschiedlichen Blickwinkeln ausleuchtet.
Versäumter Krieg
Die von Siemens vorgelegte Arbeit bringt zwar keine Revision des bislang schon Bekannten, aber sie erhellt eine Fülle von Zusammenhängen und Hintergründen, die Horst Wessel, der bislang nur Stoff für Fußnoten lieferte, als geradezu phänotypischen Nazi ausweisen. Dafür steht schon ein, dass Horst Wessel zu der Generation der zwischen 1900 und 1912 Geborenen gehört, deren Alterskohorte sehr viele Angehörige der späteren nationalsozialistischen Funktionselite wie Heinrich Himmler, Adolf Eichmann, Josef Mengele, Reinhard Heydrich, Martin Bormann, Albert Speer oder Rudolf Höß aufweist, um nur einige der bekanntesten Namen zu nennen. Was Horst Wessel mit diesen Männern verband war, wie Siemens treffend schreibt, „das vermeintlich positive Kriegserlebnis der Väter versäumt” zu haben „und von der krisengeschüttelten Republik um ihre Zukunft betrogen zu sein”. Das Verlangen, dieses Bewusstsein unverschuldeten Verlusts zu kompensieren, gab für viele Angehörige dieser Generation, die aus bürgerlichen Verhältnissen stammten, den Anstoß, sich als Jugendliche nach dem Ersten Weltkrieg der extremen Rechten anzuschließen.
Ausschlaggebend für diese Entscheidung war aber nicht nur, wie Siemens am Beispiel des am 9. Oktober 1907 in Bielefeld als erster Sohn eines protestantischen Pfarrers geborenen Horst Wessel überzeugend nachweist, das Erlebnis eigener Zukunftslosigkeit in einer bürgerlichen Zivilgesellschaft, die durch die Kriegsniederlage und die daraus resultierenden schweren Wirtschaftskrisen mit Hyperinflation heillos zerrüttet war, sondern vor allem auch die im Elternhaus herrschenden und den Jugendlichen nachhaltig prägenden politischen Anschauungen. Mit seiner unbedingt völkisch-nationalistischen Überzeugung, die auch die Predigten des 1879 geborenen Pastors Dr. Wilhelm Wessel prägten, gehörte der Vater Horst Wessels fraglos zu den geistigen Wegbereitern des Nationalsozialismus, wie Klaus Mann bereits 1939 schrieb.
Wilhelm Wessel starb 1922. Das beraubte den damals 15-jährigen Horst der Chance, gegen die väterliche Autorität aufzubegehren und sich auch mit dessen Weltanschauung kritisch auseinanderzusetzen. Insofern war es nur konsequent, dass sich der Sohn die politischen Ansichten des Vaters zu eigen machte und sich als Gymnasiast in Berlin Jugendverbänden anschloss, die dem politischen Radikalismus der nationalen Rechten verpflichtet waren.
Damit begann eine politische Lehrzeit, die Horst Wessel, der Ostern 1926 sein Abitur ablegte, zur NSDAP führte, in die er am 7. Dezember 1926 eintrat. Gleichzeitig wurde er Mitglied der SA, der uniformierten Sturmabteilung der Partei, die damals im „roten” Berlin maximal 450 gewaltbereite Schläger aufbieten konnte.
Als SA-Mann fiel Horst Wessel, der in Berlin ein Jura-Studium begonnen hatte, das er aber rasch völlig vernachlässigte und schließlich abbrach, weniger durch Gewaltbereitschaft als vielmehr durch eine rastlose agitatorische Tätigkeit auf, mit der er seinem Vorbild, dem Berliner NSDAP-Gauleiter Goebbels nacheiferte. Allein im Jahr 1929 soll er, wie Siemens schreibt, als Redner auf 56 Versammlungen gesprochen haben. Dies wie sein spektakulärer Einfall, eine eigene Schalmeien-Kapelle aufzustellen, die bei SA-Umzügen aufspielte und die das bisherige Monopol der kommunistischen Kampfverbände, die dieses leicht zu spielende Instrument bei ihren Demonstrationen anstimmten, außer Kraft setzte, ließ ihn in der SA rasch Karriere machen.
Am 1. Mai 1929 erhielt er die Führung des kleinen SA-Trupps 34 im Berliner Arbeiterbezirk Friedrichshain, der wegen Wessels großer Rekrutierungserfolge schon wenig später in „SA-Sturm 5” umbenannt wurde.
Das Recht auf den Pfarrersohn
Die SA-Schalmeien wie vor allem seine Rolle als Chef der SA im Bezirk Friedrichshain, die Wessel mit einigem agitatorischen Erfolg spielte, brachten ihn zunehmend ins Visier der Kommunisten. Friedrichshain war eine der „roten Hochburgen” im damaligen Berlin, die es gegen die „braunen Bataillone” Hitlers zu verteidigen galt, die seit 1929 verstärkt dazu übergingen, Stützpunkte im proletarischen Feindesland zu erobern. Dabei handelte es sich um kommunistische Stammkneipen, die von der SA erobert und zu „Sturmlokalen”, sprich zu Versammlungsorten von SA-Leuten und Sympathisanten umfunktioniert wurden.
Diese teilweise mit großer Brutalität von beiden Seiten ausgefochtenen Kämpfe um die Kneipen des „Kiez” erklärt sich daraus, dass diese angesichts der rapide anschwellenden Arbeitslosigkeit und der damit verknüpften sozialen Verelendung der Arbeiterschaft einen Ersatz für Geborgenheit darstellten. Allein deshalb war es so eminent wichtig, wer hier das Sagen hatte und damit das ideologisch-politische Milieu bestimmte. Bei diesen Auseinandersetzungen scheint sich Horst Wessel hervorgetan zu haben. Diese Behauptung lieferte jedenfalls das Fundament des Mythos, den Goebbels nach der Ermordung Wessels sofort und mit großem Geschick in die Welt setzte.
Für dessen große propagandistische Wirkung liefert bereits die Urteilsbegründung im ersten Wessel-Prozess vom September 1930 einen Hinweis, denn sie bescheinigte allen Verurteilten, aus politischer Überzeugung gehandelt zu haben. Diese Bewertung wurde einerseits durch die politische Tätigkeit des Opfers wie andererseits dadurch nahegelegt, dass nicht nur der Haupttäter, der Zuhälter Ali Höhler, lose Verbindungen mit der KPD unterhielt. Keine Berücksichtigung hingegen fanden mögliche andere Tatmotive, die angesichts des Vorlebens von Wessels „Verlobter” Erna Jänichen nicht weniger plausibel waren und die auf Rivalitäten im Zuhältermilieu hindeuteten.
Das ganze Potential des Horst-Wessel-Mythos konnte sich aber erst nach Hitlers „Machtergreifung” Ende Januar 1933 entfalten. Besonders anfällig dafür war, wie Daniel Siemens an zahlreichen Belegen zeigt, die protestantische Kirche, in deren Kreisen dem toten Horst Wessel eine geradezu kultische Heiligenverehrung gespendet wurde. Im Oktober 1937, an Wessels 30. Geburtstag, wurde etwa in Bremen-Sebaldsbrück der Grundstein für eine evangelische „Horst-Wessel-Kirche” gelegt. Der Bremer Landesbischof der Deutschen Christen rechtfertigte diese seltsame Namensgebung damit, die Kirche habe Anspruch darauf, den Pfarrersohn „Horst Wessel als den ihrigen zu bezeichnen”. Diese Vereinnahmung des Nazi-Heiligen mochte Hitler indes nicht dulden, der es mit einem Führererlass untersagte, „dass kirchliche Gebäude nach Kämpfern und Helden der nationalsozialistischen Bewegung benannt werden”.
Dieses Beispiel, das nur eines von vielen ist, zeigt nicht zuletzt, wie mentalitätsgeschichtlich ertragreich die Auseinandersetzung mit einer exemplarischen Randfigur des Nationalsozialismus sein kann. Allein dieser Nachweis lohnt die Lektüre dieses Buchs. JOHANNES WILLMS
DANIEL SIEMENS: Horst Wessel. Tod und Verklärung eines Nationalsozialisten. Siedler Verlag, München 2009, 351 Seiten, 19, 95 Euro.
Horst Wessel auf einem Sammelbildchen aus dem Dritten Reich Abb.: Hulton Archive/Getty Images
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.02.2010

Geschichte Am Abend des 14. Januar 1930 betrat eine aufgebrachte Frau eine Gaststätte in der heutigen Max-Beer-Straße in Berlin-Mitte und beschwerte sich bei den dort Billard spielenden Rotfrontbundkämpfern über ihren zahlsäumigen Untermieter und dessen zweifelhafte Freundin. Das interessierte die kommunistischen Straßenkämpfer zunächst nicht. Und dann plötzlich sehr. Denn der Mann hieß Horst Wessel und machte den Roten mit seinen SA-Leuten ihre angestammten Gebiete im Berliner Osten streitig, er imitierte sie, er übernahm ihre Musik, ihre Kneipen und schließlich ihre Straßen. Es kamen genug Gründe zusammen, Wessel eine "proletarische Abreibung" zu verpassen. Wessel zog jedoch seine Waffe. Der Zuhälter Albrecht Höhler schoss auf ihn. Wessel, der sich von einem Arzt, der ihn vielleicht hätte retten können, nicht helfen lassen wollte, weil der Jude war, starb einige Wochen später, am 23. Februar vor achtzig Jahren an einer Blutvergiftung. Das ist die Version der Polizei. Es gibt andere. Die KPD hatte lange versucht, es als Streit unter Zuhältern hinzustellen und die Täter entweder außer Landes zu bringen oder zu beseitigen. Der Fall Wessel ist bis heute ein Mythos, weil er damals gezielt dazu gemacht wurde. Der junge Historiker Daniel Siemens ("Horst Wessel - Tod und Verklärung eines Nationalsozialisten", Siedler, 19,95 Euro) erzählt jetzt, wie Goebbels den toten Pfarrerssohn mit allen Regeln der Hagiographie zum Märtyrer machte. Wer wie viel am sogenannten "Horst-Wessel-Lied" verdiente. Was aus den Tätern wurde und was aus denen, von denen sie dann getötet wurden. Und was schwer tätowierte Zuhälter dazu treibt, in den Hinterzimmern von Eckkneipen gottesdienstliche Handlungen vor Lenin-Bildern vorzunehmen. Ohne Übertreibung: Das interessanteste, spannendste Buch, das es zurzeit gibt!

ripe

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Spannend, zuverlässig und dringend notwendig findet Rezensent Manfred Gailus diese erste echte historische Aufarbeitung des Horst-Wessel-Stoffes - also der Geschichte des 1930 von seinen politischen Gegnern getöteten Rechtsextremisten Horst Wessel. Und zwar schafft aus Sicht des Rezensenten diese Arbeit des Bielefelder Historikers Daniel Siemens nicht nur Aufklärung über die Biografie die 22-jährigen Berliner Pfarrersohns, SA-Führers und Dichters der nach ihm benannten Nazi-Hymne, sondern über den gesamten Wessel-Stoff samt der "skurrilen Ausprägungen des NS-Heldenmythos'". Erstmals werde auch die Spur seiner Angehörigen bis in die Gegenwart verfolgt.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Ohne Übertreibung: Das interessanteste, spannendste Buch, das es zurzeit gibt!" Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung