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"Mord bleibt Mord - auch wenn er befohlen wird!" Mit diesem Satz hatte der Berliner Senat in den sechziger Jahren gegen die Todesschüsse an der Mauer protestiert. Doch nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 endeten die meisten Prozesse gegen DDR-Grenzschützen mit Bewährungsstrafen oder Freisprüchen. Roman Grafe, der bereits mit "Die Grenze durch Deutschland" eine "faszinierende Chronologie" ("Neue Zürcher Zeitung") der Jahre 1945 bis 1990 an der innerdeutschen Grenze vorlegte, geht den Verhandlungen nach: Anklageschriften, Erklärungen, Urteile und historische Dokumente, Interviews mit…mehr

Produktbeschreibung
"Mord bleibt Mord - auch wenn er befohlen wird!" Mit diesem Satz hatte der Berliner Senat in den sechziger Jahren gegen die Todesschüsse an der Mauer protestiert. Doch nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 endeten die meisten Prozesse gegen DDR-Grenzschützen mit Bewährungsstrafen oder Freisprüchen.
Roman Grafe, der bereits mit "Die Grenze durch Deutschland" eine "faszinierende Chronologie" ("Neue Zürcher Zeitung") der Jahre 1945 bis 1990 an der innerdeutschen Grenze vorlegte, geht den Verhandlungen nach: Anklageschriften, Erklärungen, Urteile und historische Dokumente, Interviews mit polizeilichen Ermittlern, Staatsanwälten und Richtern, mit Tätern und Opfern und deren Angehörigen, Fotos und die Gerichtszeichnungen von Christine Böer lassen ein beklemmendes Bild entstehen. Selbst oberste Befehlshaber verurteilte man wegen Totschlags an "Republikflüchtlingen" nur zu milden Haftstrafen. Kaum einer von ihnen übernahm die juristische oder moralische Verantwortung für sein Handeln. Was sich nicht leugnen ließ, wurde ideologisch verklärt oder verharmlost. Rechtsanwälte verteidigten nicht die Täter, sondern die Taten.
Grafe zeigt auf, was getan und was unterlassen wurde bei dem Versuch, die Toten und Verletzten an der Westgrenze der DDR zu sühnen, und er macht deutlich, wo nach dem 9. November 1989 - fernab der politischen Rhetorik - die eigentlichen "Deutschstunden" stattfanden: in den Gerichtssälen.

Autorenporträt
Roman Grafe, geboren 1968 im Nordosten der DDR, reiste nach mehreren vergeblichen Anläufen im Januar 1989 nach Bayern aus. Nach einem Journalistikstudium in der Schweiz dokumentierte er seit 1995 für den Hörfunk und die "SDZ" Prozesse gegen DDR-Grenzschützen und ihre Befehlsgeber.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2004

Innerdeutsches Schußfeld
Eindrucksvolles Geschichtsbuch über Prozesse gegen Grenzschützer und ihre Befehlshaber

Roman Grafe: Deutsche Gerechtigkeit. Prozesse gegen DDR-Grenzschützen und ihre Befehlshaber. Siedler Verlag, München 2004. 352 Seiten, 24,90 [Euro].

Wenn da nicht auch noch das Volk gewesen wäre, hätte es sich für die kommunistische Nomenklatura und ihre Mitläufer ganz gut in dem "Ländchen" (Christa Wolf) zwischen Elbe und Oder leben lassen, welches sie sich in einem günstigen historischen Augenblick mit fremder Hilfe, reichlich Geschichtsphilosophie und Terror unterworfen und mit dem irreführenden Namen Deutsche Demokratische Republik geschmückt hatten. Doch leider liefen ihr die Menschen, die bei dem Gesellschaftsexperiment der SED gefälligst im Mittelpunkt zu stehen hatten, in stetem Strome fort. Knapp 2,7 Millionen waren es in den ersten zehn Jahren. Da so viel Volkssouveränität in der Parteidiktatur nicht vorgesehen war, erkämpfte sich Walter Ulbricht in Moskau die Genehmigung, seine Untertanen im Sommer 1961 mittels einer Beton- und Stacheldrahtbarriere zum Ausharren zu zwingen.

Sein Nachfolger versuchte das eingesperrte Staatsvolk nicht länger mit kühnen Verheißungen für den utopischen Kollektivismus einzunehmen. Da aber auch Erich Honecker die Machtfrage sicherheitshalber nicht von seinen Bürgern beantworten lassen wollte, versuchte er das Politbüroregime durch den Ausbau des zweiten deutschen Staates zu einem geheimpolizeilich durchwirkten Disziplinierungsstaat mit sozialer Hängematte für alle zu zementieren. Das war eine ausgesucht kostspielige Variante unlegitimierter Herrschaft, weil sie die Menschen demoralisierte und das Ländchen an den Tropf des westlichen Finanzkapitals brachte, ohne jedoch das Grundgebrechen der DDR zu heilen: die Sehnsucht ihrer Menschen nach Freizügigkeit.

Der Druck auf die Mauer durch Deutschland blieb deswegen immer immens. In den siebziger Jahren kehrten dem Honecker/Mielke-Sozialismus jährlich etwa 10000 Bürger den Rücken. Je mehr Menschen die SED nach drüben ziehen ließ, desto mehr "Antragsteller" - zu Hause schikaniert und kriminalisiert - wollten diesen Weg gehen. Fast eine Viertelmillion waren es in der zweiten Hälfte der Honecker-Zeit, ehe dieser Exodus 1989 mit den "Botschaftsflüchtlingen" außer Kontrolle geriet und das Ende des erzwungenen Staatssozialismus einläutete. Die Ungeduldigsten, Wagemutigsten und Verzweifeltsten versuchten seit 1961 den direkten Weg durch die Sperranlagen an der Ostsee, in Mitteldeutschland und Berlin zu nehmen.

Da die Sicherung ihrer Macht die Sicherung der DDR-Grenze voraussetzte, lauteten die Anweisungen der SED-Spitze entsprechend. Nach dem jährlich erneuerten Befehl an die Grenztruppen waren "Grenzverletzer festzunehmen oder zu vernichten". Überdies sei der "pioniermäßige Ausbau" der Grenze unter anderem mit der berüchtigten Selbstschußanlage SM 70 planmäßig fortzusetzen, verlangte Honecker bald nach seinem Machtantritt. "Überall muß einwandfreies Schußfeld gewährleistet werden." Gegen Grenzverletzer sei "rücksichtslos" von der Schußwaffe Gebrauch zu machen, erfolgreiche Todesschützen waren zu belobigen.

Vom Politbüro ging diese Anweisung über das Ministerium für Nationale Verteidigung und das Kommando der Grenztruppen die ganze Befehlskette hinunter bis zu den Soldaten an den Befestigungsanlagen. Hinzu kam eine sorgfältige Erziehung zum "Haß" und die unablässige Indoktrination, die unbewaffneten Flüchtenden nicht zu "unseren Menschen" zu zählen, sondern sie als "Verbrecher" zu vernichten. Es wären auch humanere Formen der Grenzsicherung möglich gewesen, doch so starben die jungen Männer und Frauen in den Splittergarben der Minen, die ihnen verheerende Wunden rissen, oder in Feuerstößen aus Maschinenpistolen. Der lähmende Beinschuß gehörte nicht zum Ausbildungsprogramm.

Diese Form der Menschenvernichtung zum Zwecke maximaler Grenzsicherung und Abschreckung, der mindestens 400 Personen zum Opfer fielen, war mit der Verfassung und den Gesetzen der DDR nicht vereinbar, auch nicht mit dem von ihr ratifizierten "Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte", in dem das Menschenrecht auf Leben und Freizügigkeit garantiert ist. Und auch in der DDR war es verboten, Befehle auszuführen, die gegen die Grund- und Menschenrechte verstießen. Als ob es die epochale juristische Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen und die normativen Konsequenzen daraus niemals gegeben hätte, setzte die SED-Führung das elementare Lebensrecht jedes Bürgers an ihrem "antifaschistischen Schutzwall" jedoch außer Kraft, setzte damit selber Unrecht und nahm es bis zum Zusammenbruch selbstverständlich von der Strafverfolgung aus.

Die Verfolgung dieser meist als Totschlag eingestuften Verbrechen übertrug die erneuerte DDR 1990 noch selbst den Justizorganen des vereinten Deutschlands. In einer historisch achtenswerten Anstrengung, bei der sich der Berliner Generalstaatsanwalt Christoph Schaefgen große Verdienste erworben hat, klagten die bundesdeutschen Gerichte nach etwa 3000 Ermittlungsverfahren ungefähr 450 Beschuldigte auf allen Stufen der Befehlsleiter wegen der Grenzdelikte an - Politbüromitglieder, Generäle, Postenführer, einfache Mauerschützen. Etwa ein Drittel von ihnen wurde freigesprochen, über die Hälfte bekam Bewährungsstrafen, doch es ergingen auch empfindliche Urteile. Jedenfalls wurden die Kleinen nicht gehängt und die Großen nicht laufengelassen.

In seiner nuancierten analytischen Collage führt Roman Grafe dieses beinahe zehn Jahre währende juristische Geschehen kunstvoll und nüchtern vor Augen: öde Gerichtsroutine und beharrlicher Wahrheitswillen, zynische Filibusterei und forensische Sternstunden. Doch dies ist nur die Bühne für ein eindrückliches Panorama ideologisch bemäntelter Unrechtsentfaltung und die vom Autor kühl sezierte Armseligkeit angemaßter Macht: bis auf wenige Ausnahmen Flucht in die Krankheit, Erinnerungsschwäche, groteske Lügen; die alberne Delegierung der eigenen Verantwortung für die Toten an der Staatsgrenze an den Kalten Krieg, an den Kreml oder die Bundesrepublik, obwohl Politik und Militärführung bei der Ausgestaltung der Abschottung einen weiten eigenen Regulierungsspielraum hatten; Einfältigkeit, Kaltschnäuzigkeit und, wie im Falle des famosen Grenztruppenchefs Baumgarten (sechseinhalb Jahre wegen Totschlags in erster Instanz), vollständige moralische Fühllosigkeit. Dasselbe absonderliche Gerede wie fünfzig Jahre zuvor in Nürnberg, wo es freilich weniger um Menschenrechtsverletzungen, als um Menschheitsverbrechen ging. Noch im nachhinein ist man erleichtert, daß der Radius dieser proletarischen Avantgarde auf ihr eigenes Territorium beschränkt blieb.

In Grafes eindringlicher Deutschstunde begegnen uns aber nicht nur die Richter und die Täter, vielmehr bezieht sich alles, was wir lesen, direkt auf die Dramen im Todesstreifen. Wir sehen das Mädchen, das getroffen wird, Sekunden bevor ihr Verlobter es über die Mauerkrone gezogen hat; den Jungen, der zusammenbricht, bevor er von der "Räuberleiter" seines Freundes den kurzen Sprung in den Westen machen kann; den Mann, den man mit abgerissenen Gliedmaßen ausbluten läßt; ruhelose Eltern, deren Kinder konspirativ eingeäschert wurden oder die erst nach der Aktenöffnung vom tatsächlichen Schicksal ihrer Angehörigen erfuhren.

Das mit "Deutsche Gerechtigkeit" etwas unglücklich betitelte Werk ist ein eindrucksvolles Geschichtsbuch. Es führt geradewegs in den bösen Kern eines kleinen Ländchens, in dem seine Herren sich nur so lange hielten, wie sie es "freundwärts" sichern konnten. Selten ist ihnen der Spiegel juristisch, historisch und persönlich so blendend vorgehalten worden wie in der Urteilsbegründung von Friedrich-Karl Föhrig, dem Vorsitzenden Richter im Prozeß gegen die Grenztruppenführung - ein großer Text als Schlußwort an eine gescheiterte Kaste und zu einer außergewöhnlichen Lektion DDR-Geschichte.

KLAUS-DIETMAR HENKE

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Klaus-Dietmar Henke feiert diese Studie als "eindringliche Deutschstunde" und nuancierte analytische Collage, die dem Leser kunstvoll und nüchtern das beinahe zehnjähriges juristische Geschehen um die Prozesse gegen DDR-Grenzschützer und ihre Befehlshaber vor Augen führt. Es verdichten sich darin für ihn öde Gerichtsroutine und beharrlicher Wahrheitswillen, zynische Filibusterei und forensische Sternstunden zum eindrücklichen Panorama ideologisch bemäntelter Unrechtsentfaltung. Beeindruckt zeigt sich der Rezensent auch von der, in dieser Studie kühl sezierten "Armseligkeit angemaßter Macht". Ihre Eindringlichkeit bezieht diese Darstellung für den Rezensenten auch aus der Tatsache, dass sich darin nicht nur Richter und Täter begegnen, sondern alles auch direkt auf die Dramen im Todesstreifen bezogen ist. Als großen Text lobt der Rezensent auch die Urteilsbegründung des Vorsitzenden Richters im Prozess gegen die Grenztruppenführung. Lediglich den Titel findet er für dieses eindrucksvolle Geschichtsbuch unglücklich gewählt.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Das Buch ist eine eminent wichtige Hilfe beim Versuch, das innerdeutsche Drama zu verstehen."
(NZZ)

"Klar, packend und spannend."
(Die Welt)

"Lest dieses Buch!"
(Frankfurter Allgemeine Zeitung)