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1962 wurde Peter Huchel als langjähriger Chefredakteur von "Sinn und Form" aus politischen Gründen abgelöst und vom literarischen Leben der DDR isoliert. Der "Fall Huchel" blieb bis zur Ausreise des Dichters 1971 Gegenstand kulturpolitischer Spekulationen in Ost und West. Im Abstand zur Rezeption vor 1989 zeichnet TEXT+KRITIK die Spuren von Huchels Wirken als Lyriker und Literaturvermittler nach.

Produktbeschreibung
1962 wurde Peter Huchel als langjähriger Chefredakteur von "Sinn und Form" aus politischen Gründen abgelöst und vom literarischen Leben der DDR isoliert. Der "Fall Huchel" blieb bis zur Ausreise des Dichters 1971 Gegenstand kulturpolitischer Spekulationen in Ost und West. Im Abstand zur Rezeption vor 1989 zeichnet TEXT+KRITIK die Spuren von Huchels Wirken als Lyriker und Literaturvermittler nach.
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Autorenporträt
Heinz Ludwig Arnold ist Herausgeber der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK, des Kritischen Lexikons zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, des Kritischen Lexikons zur fremdsprachigen Gegenwartsliteratur sowie zahlreicher weiterer Publikationen, u. a. der 10-bändigen Anthologie "Die deutsche Literatur seit 1945" (1995-2000). Heinz Ludwig Arnold ist Honorarprofessor der Universität Göttingen. Er lebt als Schriftsteller und Publizist in Göttingen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.05.1996

Gestürzte Engel unter sich
Alles durchlitten, alles durchdacht: Materialien zu Peter Huchel

Das im Auftrag des Brandenburgischen Literaturbüros herausgegebene Buch zu Leben und Werk Peter Huchels ist vorzüglich nicht nur wegen seiner wohlüberlegten Komposition. Es ist, ohne erregt darüber zu sprechen, eine politische Gedächtnisstütze für all jene, denen die DDR-Diktatur heute moderat erschienen sein möchte und die sie im Rückblick verklären. Im ersten Teil kommen Zeitzeugen zu Wort, Freunde Huchels in den schwierigen Jahren der Isolation bis zur Ausreise aus der DDR 1971. Der zweite Teil faßt die wichtigsten literarischen und biographischen Stationen zusammen und vereint Aufsätze über Huchel. Neben zahlreichen Abbildungen und Dokumenten sind Kopien aus Huchels Stasi-Akten in die Berichte und Texte gestreut, die andeuten, aus welcher Perspektive der Dichter von der Macht angeschaut wurde: aus der des Schlüssellochs, der Intrige und Denunziation.

Dieser institutionalisierte Blick ist so lächerlich wie der Staat, dem er gehörte. Aber in dieser Lächerlichkeit steckt eine geschichtliche Tragik, die zu vergessen verhängnisvoll wäre: die des totalen Ausgeliefertseins eines einzelnen an ein willkürlich über Menschen herrschendes System. Insofern ist das Schicksal Huchels exemplarisch dafür, wie eine zum geistigen Suizid verurteilte Gesellschaft mit jenem Teil ihrer Intelligenz umgeht, die diesen Namen verdient. Man kann nur bestürzt sein, wie sich ein Land an seinen besten und fähigsten Leuten derart vergehen konnte. "Was man ihm angetan hat, kann nicht verziehen werden", bemerkte Hans Mayer bereits 1968 zur Lebensgeschichte Huchels.

Aber nicht nur die Insignien einer dummen, ungebildeten Kulturbehörde zeigen sich in den Schikanen gegen einen Mann, "der sich", wie Durs Grünbein sagt, "geschämt hätte, die Namen seiner Feinde auch nur zu nennen". Diese platte und auf Personalisierung der Widersprüche hinauslaufende Deutung ließe Korrekturen zu und führte beiläufig den Gedanken von Reformierbarkeit ein. Tatsächlich aber, und so belegen es auch die Dokumente in aller Eindringlichkeit, war das Scheitern des auf Universalität und Internationalismus gerichteten Entwurfs, wie ihn Huchel als Dichter und als Herausgeber von "Sinn und Form" in den Jahren 1949 bis zum erzwungenen Rücktritt 1962 für die DDR etablieren wollte, zwangsläufig. Kein Irrtum eines restriktiven Klüngels talentloser Funktionäre, sondern Systemimmanenz.

Die Führungselite ist mit der Verwaltung des Durchschnitts beschäftigt und nicht mit Ideen: So lautet der Schluß, zu dem Huchel erst noch gelangen wird. Wie für viele in antifaschistischer Tradition stehende Intellektuelle, so verbindet sich auch für den 1903 geborenen Huchel mit der Gründung der DDR die Hoffnung auf eine radikale Neuorientierung. In einem Interview mit Hermann Kasack zur Gründung von "Sinn und Form" behauptet Huchel noch entschieden eine marxistische Position: "Wir werden uns nicht uniformieren. Wir werden aber auch keine literarischen Moden unterstützen, die aus den Überresten einer bürgerlichen Ästhetik kommen. Für bloßes Virtuosentum, für einen extremen Subjektivismus haben wir keinen Raum." Ihm geht es um jene littérature engagée, die moralische Grundwerte mit höchster literarischer Qualität zu verteidigen sucht. Aber genau dieser Weg, da er nun einmal in die Welt und nicht nach Bitterfeld führte, mußte unbegehbar bleiben. Schon wenige Jahre später wurde Huchels Zeitschrift genau das vorgeworfen, was er selbst, in freilich anderem Sinnzusammenhang, programmatisch verwarf: Elitarismus und, wie Rolf Schneider schreibt, "ideologische Koexistenz".

Die Idee einer völkerverbindenden, universalen dichterischen Sprache und ein wahrhafter Internationalismus, der im Unterschied zum proletarischen nicht stumm blieb: das waren die Koordinaten eines konsequenten Denkens, dessen konsequente Antwort vor dem Hintergrund eines totalitären Staatsapparates nur Feindschaft sein konnte. Anders als der um vieles jüngere Uwe Johnson, der seine Literatur mit der öffentlichen DDR als unvereinbar erkannte und nach West-Berlin ging, beharrte Huchel bis zuletzt auf seinem Konzept.

Vergeblich. In ein an Uwe Grüning gerichtetes Bekenntnis fließt alle Trauer darüber ein: "Jahre meines Lebens habe ich mich damit gequält, an der eigenen Erfahrung und Einsicht zu zweifeln und zu überlegen, ob die nicht doch recht hätten. Sparen Sie diese Zeit, glauben Sie mir, ich habe es durchdacht und durchlebt. Die haben nicht recht." Die in der DDR zu Lohn und Ehre gekommene Kulturprominenz hat zu Peter Huchel - ähnlich wie zu Walter Janka und anderen - geschwiegen. Mit dem Tod Bertolt Brechts 1956 wurde Huchel quasi mit all den Abuschs und Bredels allein und im Stich gelassen, mit seiner Absetzung als Chefredakteur von "Sinn und Form" 1962 so gut wie gemieden. Wer jetzt noch zu ihm kam, kam aus dem Westen oder aus jenen schönen Versenkungen einer anderen, schattenhaften DDR. Die gestürzten Engel blieben unter sich, wie es sich gehörte. Wenn Peter Huchel heute geehrt wird, dann mögen die Ehrenden auch die Verdienstvollen sein. Die Lektüre trägt dazu bei, das im Blick zu behalten. KURT DRAWERT

"Peter Huchel". Leben und Werk in Texten und Bildern. Hrsg. von Peter Walther im Auftrag des Brandenburgischen Literaturbüros. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 1996. 335 S., br., 24,80 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wolfgang Schneider würdigt mit dem 157. Heft von "Text und Kritik", das diesmal Peter Huchel gewidmet ist, zugleich den vierzigsten Geburtstag dieser Literaturzeitschrift, die sich der deutschen Gegenwartsliteratur verschrieben hat. Nie hätten die Herausgeber danebengegriffen, lobt Schneider. Wer als Autor gewürdigt wurde, zähle heute unzweifelhaft zum Kanon. Doch auch mit der "Kanonbildung" habe man sich in einem der Sonderhefte beschäftigt. Um Autoren wurde viel und gerne gestritten, erinnert sich Schneider und erzählt von einem Sonderband über Thomas Mann aus dem Jahr 1976, in dem dieser von Walser, Boehlich und Karsunke niedergemacht wurde. Die aktuelle Ausgabe gilt Peter Huchel, dem einstigen Chefredakteur von "Sinn und Form", der Literaturzeitschrift der DDR. Ihm darf man ruhig ein wenig huldigen, findet Schneider; Christoph Meckel, Elisabeth Borchers und Henning Ahrens haben kleine Hommagen beigesteuert, Peter Walther gibt eine Einführung in Leben und Werk Huchels, Lothar Müller, Adolf Endler und Lutz Seiler sind auch vertreten. Besonders gefällt Schneider der Text von Seiler, der Huchels "Lebensbibliothek" beschreibt, die sich aus einer ererbten Geschichte des preußischen Forst- und Jagdarchivs zusammensetzt. Wie immer, schließt Schneider, enthält der Band auch einen bislang unveröffentlichten Text Huchels, in dem dieser verrät, wie Brecht ihm einmal das Wort "Gnade" verbieten wollte.

© Perlentaucher Medien GmbH
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