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Johann Joachim Winkelmann (1717 - 1768) gilt als Begründer der klassischen Archäologie und der neueren Kunstwissenschaft. Seine Schriften waren bahnbrechend für den Geschmackswandel vom Barock zum Klassizismus. Er setzte an die Stelle der bis dahin üblichen Künstlerviten eine zusammenhängende Stilgeschichte und wurde mit seinen Schriften insbesondere über die Kunst der griechischen Antike zum führenden Kunstwissenschaftler nicht nur seiner Zeit. Aus bis heute ungeklärten Gründen wurde der international hoch geachtete Gelehrte in Triest Opfer eines Mordes. Die Nachricht von seinem Tod…mehr

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Produktbeschreibung
Johann Joachim Winkelmann (1717 - 1768) gilt als Begründer der klassischen Archäologie und der neueren Kunstwissenschaft. Seine Schriften waren bahnbrechend für den Geschmackswandel vom Barock zum Klassizismus. Er setzte an die Stelle der bis dahin üblichen Künstlerviten eine zusammenhängende Stilgeschichte und wurde mit seinen Schriften insbesondere über die Kunst der griechischen Antike zum führenden Kunstwissenschaftler nicht nur seiner Zeit. Aus bis heute ungeklärten Gründen wurde der international hoch geachtete Gelehrte in Triest Opfer eines Mordes. Die Nachricht von seinem Tod erschütterte die gebildete Welt.Wolfgang von Wangenheim vollzieht in einer intensiven, inspirierten und inspirierenden relecture den Bildungshintergrund Winkelmanns nach. Unter Einbeziehung der nachgelassenen Korrespondenz, der veröffentlichten Werke Winkelmanns und zeitgenössischer Äußerungen über den Kunstgelehrten geht er auch der Erkenntnistheoretischen Kraft seiner Homoerotik nach. Wangenheim zeigt, welch prägende Rolle sie in seiner Anschauung der Antike spielte und welchen Einfluss sie auf sein Werk hatte. Es gelingt ihm dabei zum ersten Mal überzeugend den Zusammenhang von Neigung und Theorie, von Leben und Werk Winkelmanns darzustellen.
Autorenporträt
Nach einem Studium der Germanistik in Göttingen lehrte Wolfgang von Wangenheim an den Universitäten Paris, Abidjan und Dakar. Seit 1977 lebt er als freier Schriftsteller in Berlin und publizierte zu Winckelmann und Casanova, Wilhelm Heinse, Hans Henny Jahnn und Hubert Fichte. Im Mittelpunkt seiner Beschäftigung mit Kunst und Literatur stehen zwei Themen: das Verhältnis von Mythos und Kunstwerk sowie die Rezeption der Antike seit der Renaissance bis zu Winckelmann.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.2005

Die totale Sensibilisierung preisen
Wolfgang von Wangenheim spürt Winckelmanns Leidenschaften nach / Von Henning Ritter

Eine der weitreichenden Folgen der Lehre Johann Joachim Winckelmanns hat Hans Sedlmayr einmal in denkbar knapper Form formuliert: Durch ihn habe die neue Kunstgeschichtsschreibung an direktem Interesse für die Künstlerschaft verloren. Sein berühmtes, 1764 in der "Geschichte der Kunst des Altertums" zum ersten Mal durchgeführtes entwicklungsgeschichtliches Schema erledigte nicht nur die alte Künstlerbiographie und brachte die Künstler selbst in ein vermitteltes Verhältnis zur Kunst der Vergangenheit. Der Königsweg der Annäherung an die Kunst war fortan die vergleichende und chronologische Ordnung ihrer Werke.

Der Erfolg dieser neuen Betrachtungs- und Darstellungsweise machte die Kunsthistoriker zu Souveränen im Reich der Kunst, mit einer Machtbefugnis, wie sie keiner der Kunstkenner, die ihnen vorausgegangen waren, je gehabt hatte. Der Erfinder dieser neuen Kunstgeschichte wurde dadurch zu einer Art Überkünstler. So ist es kein Zufall, daß er selbst zum Gegenstand einer dreibändigen Biographie "Winckelmann und seine Zeitgenossen" von Carl Justi wurde. Im Geiste Winckelmanns war auch dies gewesen, wie schon Goethes "Winckelmann und sein Jahrhundert".

Kanonisierung und Idealisierung taten das Ihre, um die Gestalt Winckelmanns über die armseligen und am Ende bescheidenen Lebensumstände zu erheben. Dabei sind es gerade die elenden Voraussetzungen des 1717 in Stendal geborenen Schustersohnes, die seine Biographie zu einem reizvollen Studienobjekt machen sollte. Daß einer aus der Altmark den Weg nach Rom, nach Neapel findet, daß der immer von Gönnern abhängige Hauslehrer, Bibliothekar, Fremdenführer auf eigene Faust seine Kunstforschungen betreibt, sie als unentwegt Lesender in Bibliotheken und Kunstsammlungen so weit vervollkommnet, daß er sich schließlich ganz aus eigener Kraft zu einer gesamteuropäischen Kunstautorität aufschwingen kann, all dies ist schon ein so reizvoller und ungewöhnlicher biographischer Stoff, daß es verwundert, wenn nur ein halbes Dutzend Biographien in diese Wunderwelt hineingeleuchtet haben.

Aber da ist noch Winckelmanns Ermordung im Juni 1768 in Triest, die, ob zu Recht oder Unrecht, mit seiner homosexuellen Veranlagung in Zusammenhang gebracht wurde. Dieser andere, verborgene Winckelmann, der Außenseiter, ist zum biographischen Thema geworden, nachdem der Glanz der klassischen Kunstperiode verblaßte. Nachdem Hans Mayer und Heinrich Detering sich dieses "offenen Geheimnisses" angenommen haben, ist auch die Biographie von Wolfgang von Wangenheim über weite Strecken ein Versuch, die sexuellen Antriebe der Winckelmannschen Forschungen freizulegen.

Seine Kunstforschung mit ihrer Begeisterung für das männliche "Nackende" bei den Griechen erscheint von einer Leidenschaft beflügelt, die die Impulse von Sexualität, Freundschaft, Liebe direkt in die Kunstbetrachtung lenkt. Dabei hat Winckelmann selbst, der über seine Homosexualität kaum je ein Wort verlor (und in dem Rom, in dem er lebte, auch nicht zu verlieren brauchte), dennoch in einem von Casanova überlieferten Gespräch den Zusammenhang seiner sexuellen und geistigen Konstitution unübertroffen formuliert, als von seiner Leidenschaft sprach, die er zu seinem Studium machen und niemals aus den Augen verlieren wolle: "passion qui fera mon étude unique et que je ne perdrai jamais de vue".

Auch eine der seltenen explizit autobiographischen Äußerungen Winckelmanns schlägt diesen Bogen vom Trieb zu den ihn bewegenden Lebensgedanken, wenn er anläßlich einer Betrachtung der seiner Ansicht nach ältesten griechischen Statuen, der Tyrannenmörder und Demokratiegründer Harmodios und Aristogeiton, bekennt: "denn ich bin wie ein wildes Kraut, meinem eigenen Triebe überlassen, aufgewachsen, und ich glaube im Stande gewesen zu sein, einen andern und mich selbst aufzuopfern, wenn Mördern der Tyrannen Ehrensäulen gesetzt würden." Trieb, Terror und Freiheit - nicht umsonst erkannte die Französische Revolution in Winckelmann einen ihrer Helden.

Winckelmanns Leidenschaft in einem umfassenden Sinne ist der rote Faden dieser konzentriert und ohne Verbohrtheit geschriebenen Biographie, die es trotz ihrer zeitgemäßen Betonung der Sexualität glücklich vermeidet, in einen Woodstockton zu verfallen. Sympathisch ist auch, daß der Autor keinerlei Entlarvungsprogramm folgt, daß er die Kunstpassionen Winckelmanns nicht auf seine Konstitution reduziert, es ihm vielmehr darum geht, die Struktur dieses Lebens aus seinen vitalen und intellektuellen Antrieben vorsichtig freizulegen.

Daß es möglich ist, Winckelmanns Leben so unerbittlich nachsichtig und zugleich leidenschaftlich anteilnehmend zu vergegenwärtigen, rührt an sein eigentliches "offenes Geheimnis" - seine sprachliche Präsenz. Nicht umsonst haben Wendungen wie diese Winckelmanns Zeitgenossen mehr für seine Lehre eingenommen als deren modellhafte Durchführung: "Der erste Anblick schöner Statuen ist wie die erste Aussicht auf das offene Meer, worin sich unser Blick verlieret und starr wird, aber in wiederholter Betrachtung wird der Geist stiller und das Auge ruhiger und geht vom Ganzen auf das Einzelne."

Jeder Winckelmannleser weiß, in welch barockem Gestrüpp die Perlen der ausdrucksstärksten Wendungen dieses Autors verborgen sind. Man muß nicht auf seine berühmten Kunstformeln zurückgreifen, von denen wir heute, dank der Untersuchungen von Elisabeth Décultot wissen, wie sehr sie in der Zeit bereitlagen, wie er sie sich durch Exzerpieren und Entlehnungen aneignete, man braucht nur, wie der Verfasser dieser Biographie, auf die Schätze seiner brieflichen Äußerungen zurückzugreifen. Aber auch seine publizierten Schriften enthalten, beiläufig und ohne Aplomb, einen unerschöpflichen Reichtum eigenwilliger Sprachwendungen, die den heutigen Leser ohne Umweg erreichen. So hat Winckelmann die Eigenart seiner Betrachtung von Skulpturen immer wieder in Bilder zu fassen versucht, die einen Eindruck geben von der Magie dieses Fremdenführers, der aus vielen Ländern Europas Kunstfreunde vor die Originale (oder was dafür galt) führte, um sie zu einer neuartigen Kunstanschauung zu erwecken.

Die vielleicht suggestivste dieser Formulierungen, von denen er unabsehbare viele ausprobiert haben mag, dürfte die folgende sein: "Das wahre Gefühl des Schönen gleicht einem flüssigen Gipse, welcher über den Kopf des Apollo gegossen wird und denselben in allen Teilen berührt und umgibt." Der Betrachter soll also seine Sensibilität über die Skulptur ausgießen wie eine Flüssigkeit, um das Empfinden allseitiger Berührung in sich zu erzeugen. Eine andere Schilderung gibt demselben Gedanken eine scheinbar weniger gewaltsame Fassung: "Die süße Empfindung unserer Augen bei solchen Formen ist wie das Gefühl einer zarten sanften Haut und unsere Begriffe werden leicht und faßlich."

Man kann an solchen Formulierungen ahnen, daß der ungeheure Erfolg Winckelmanns in seiner Zeit darauf beruhte, daß er neue Verhaltensweisen zu Kunstwerken lehrte: eine totale Sensibilisierung, wie wir heute sagen würden, eine Belagerung der Werke in der Betrachtung, die nicht lange genug anhalten konnte, freundschaftliche Gefühle oder gar eine Liebesbeziehung zu den vermeintlich toten Werken. Es ist das Besondere dieser Biographie, die Linie der Leidenschaften nicht nur durch das Leben Winckelmanns hindurch zu verfolgen, sondern dieselben vitalen Impulse auch im Umgang mit Kunstwerken wiederzufinden. Winckelmann gehörte durch diese mystagogischen Eigenschaften zu den großen Verführern seiner Epoche, zu ihren Cagliostros und Mesmers.

Wolfgang von Wangenheim: "Der verworfene Stein". Winckelmanns Leben. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2005. 288 S., 15 Abb., geb., 24,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Durchschlagend war der Erfolg der kunsttheoretischen Schriften Johann Joachim Winckelmanns - ein Erfolg, der ihm, aus ärmsten Verhältnissen stammend, nicht in die Wiege gelegt war. Wolfang von Wangenheims Biografie hat vor allem das eine Ziel, nach den Gründen für diesen Erfolg zu fragen. Er sieht sie vor allem, so referiert Henning Ritter, in der Leidenschaft des Autors, die sich durchaus aus seinen homosexuellen Antrieben speiste, einer Leidenschaft, die "die Impulse von Sexualität, Freundschaft, Liebe direkt in die Kunstbetrachtung lenkt". Als sehr angenehm empfindet es der Rezensent, dass von Wangenheim dabei weder reduktionistisch vorgehe noch, bei aller Betonung des Sexuellen, in einen "Woodstockton" verfalle. Besonders hebt Ritter die Bedeutung des "unerschöpflichen Reichtums eigenwilliger Sprachwendungen" bei Winckelmann hervor. Es ist, fügt er hinzu dieser Reichtum, der den Autor zu einem der "großen Verführer" seiner Zeit gemacht hat.

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