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Insa Wilke beleuchtet in diesem ersten biografischen Essay über Thomas Brasch die Schnittstelle von Leben und Arbeiten und ermöglicht so einen neuen Blick auf die Bedeutung seines Werkes für unsere Zeit. Auf Grundlage umfangreicher Nachlassmaterialien zeichnet sie einen bisher unbeachteten Schreib- undDenkversuch nach, der von der historischen Zäsur 1989 auf das 21. Jahrhundert ausstrahlt. Wilkes Untersuchung zeigt, wie Brasch die Grenzen zwischen Leben und Arbeiten, Ästhetik, Politik und Biografie aufhebt und so ein wildes Denken über unsere Zeit beginnt. Brasch, der derzeit auch als…mehr

Produktbeschreibung
Insa Wilke beleuchtet in diesem ersten biografischen Essay über Thomas Brasch die Schnittstelle von Leben und Arbeiten und ermöglicht so einen neuen Blick auf die Bedeutung seines Werkes für unsere Zeit. Auf Grundlage umfangreicher Nachlassmaterialien zeichnet sie einen bisher unbeachteten Schreib- undDenkversuch nach, der von der historischen Zäsur 1989 auf das 21. Jahrhundert ausstrahlt. Wilkes Untersuchung zeigt, wie Brasch die Grenzen zwischen Leben und Arbeiten, Ästhetik, Politik und Biografie aufhebt und so ein wildes Denken über unsere Zeit beginnt. Brasch, der derzeit auch als Filmemacher wiederentdeckt wird, ist eine singuläre Gestalt der deutschen Literatur seiner Zeit.Sein hinterlassenes Werk ist vielschichtig und vielseitig, schlägt neue Wege ein und sprengt den Rahmen
Autorenporträt
Wilke, InsaInsa Wilke, geboren 1978 in Bremerhaven, studierte Germanistik und Geschichte in Göttingen, Rom und Berlin. Sie schreibt als Literaturkritikerin für DIE ZEIT, die Frankfurter Rundschau und ZEITonline und lehrt an der Freien Universität Berlin und der Universität Hildesheim im Fach Neuere Deutsche Literaturwissenschaft. Von 2010 bis 2012 war sie Programmleiterin des Literaturhauses Köln. Seit 2018 ist sie Jurorin für den Ingeborg-Bachmann-Preis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.12.2010

Der Widerspenstige

Ein deutsches Schicksal: Insa Wilke hat eine fesselnde Studie über Thomas Brasch vorgelegt. Allein die Frage, warum der Dichter und Dramatiker neun Jahre nach seinem Tod nahezu vergessen ist, bleibt unbeantwortet.

Er hinterließ ein erstaunlich reichhaltiges Werk, bestehend aus Lyrik- und Prosaarbeiten, Theaterstücken und Filmen, hat während seiner Schaffensjahre Erfolge erzielt und Aufmerksamkeit erregt, und doch wird er heute nur noch selten erwähnt: Thomas Brasch, geboren im Februar 1945, gestorben im November 2001. Was hat es mit diesem Schriftsteller auf sich, dessen Lebenszeit mit der Hälfte eines besonders schicksalsträchtigen deutschen Jahrhunderts übereinstimmt? Darüber gibt uns eine umfangreiche Arbeit Auskunft, verfasst von der Literaturwissenschaftlerin Insa Wilke, Universitätsdozentin, Kritikerin und seit 2010 Programmleiterin des Literaturhauses Köln.

Ihre Studie hat die Qualität einer Dissertation, sie beeindruckt, ja überwältigt durch Ausführlichkeit und Präzision. Allerdings setzt sie Leser voraus, die sich im Metier auskennen, über Thomas Brasch wenigstens einiges und über deutsche Literaturgeschichte möglichst viel wissen. Wer diese Vorbedingungen nicht erfüllt, der ertrinkt bald im Übermaß der Mitteilungen, Untersuchungen, Verknüpfungen. Freilich ist dafür nicht nur die Autorin Wilke verantwortlich, sondern auch ihr Gegenstand. Es war nie ein Geheimnis, dass Thomas Brasch der Fülle seiner Einfälle schlecht Herr wurde und seine liebe Not damit hatte, dem, was er sagen wollte, endgültige Genauigkeit zu verleihen. Fast allen seinen Dichtungen gab er immer wieder neue Formen, bediente sich dabei ausgiebig der Hinterlassenschaften aus Deutschlands literarischer Vergangenheit. Wenn man seine Schaffensprozesse, deren Wurzeln, Ableitungen, Ergebnisse schildern und erklären will, dann kann man schon im Überangebot versinken.

Wie auch immer, es lohnt, sich mit diesem Schriftsteller zu beschäftigen, weil er geradezu musterhaft als Modell für deutsches Schicksal im zwanzigsten Jahrhundert steht. Brasch entstammte einer jüdischen Familie, die 1939 aus Hitlers Reich nach England emigrierte. Dort kam der Sohn Thomas zur Welt. 1946 kehrten die Braschs nach Deutschland zurück, und zwar in die Sowjetische Besatzungszone, denn der Vater war ein bekennender Kommunist, der in den Folgejahren allerlei ansehnliche Parteiposten inne hatte, darunter auch den des stellvertretenden Ministers für Kultur. Von den drei Söhnen erwartete man natürlich, dass sie sich am väterlichen Vorbild orientierten. Thomas musste 1956, als Elfjähriger, in die Naumburger Kadettenschule der Nationalen Volksarmee, der er nur deshalb wieder entkam, weil die Zuchtanstalt 1960 aus nicht veröffentlichten Gründen geschlossen wurde.

Dem Knaben sind jene vier Jahre offenkundig eine niederschmetternde Erfahrung gewesen, nicht nur wegen des harten militärisch-ideologischen Drills, sondern auch, weil seine Eltern offenbar keine Skrupel hatten, ihr Kind dorthin zu verstoßen. Der erwachsene Thomas Brasch wollte dieses Jugenderlebnis eigentlich nie zum Thema machen, dennoch lugt es aus allen Fugen seiner literarischen Schöpfungen. Und es machte ihn widerborstig gegenüber dem Vater DDR-Staat. Einige der Folgen: 1965 wurde der Journalistik-Student Brasch "aus politischen Gründen" exmatrikuliert. 1968 protestierte er gegen die Niederwalzung des Prager "Kommunismus mit menschlichem Antlitz", wurde verhaftet und wegen "staatsfeindlicher Hetze" zu zwei Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt. 1969 kam er auf Bewährung frei, führte danach ein ziemlich chaotisches Leben, erst als Arbeiter, dann im Theaterbereich und am Dichter-Schreibtisch. Die DDR, seiner überdrüssig, schob ihn 1976 in den Westen ab. Er lebte von da an fast durchweg in West-Berlin. Zu Hause jedoch hat er sich hier nie gefühlt, sein Traum blieb, die kommunistische Heimat möge endlich werden, was zu sein sie vorgab.

In seinen fünfundzwanzig West-Jahren schuf Thomas Brasch die Riesenmenge an Werken, mittels deren er sein Dasein, dessen Anfechtungen, unter Qualen errungene Erfolge und schmerzliche Niederlagen in den Griff zu bekommen versuchte. Eines der wesentlichen Kennzeichen seiner Arbeit war, dass seine Schöpfungen ihn nie ganz zufriedenstellten, sondern ihm stets den Eindruck vermittelten, er habe noch nicht hinreichend deutlich gesagt, was er den Menschen, was er der ganzen Welt unbedingt mitteilen wollte. Also verschaffte er seinen Themen immer wieder neue Ausdrucksformen und türmte so jene Wortgebirge auf, an denen seine Ausdeuterin Insa Wilke sich abmüht.

Kein Zweifel, ihre Präsentierung beantwortet viele der Fragen, die eine Begegnung mit Thomas Brasch aufwirft. Nicht jedoch diese: Warum versank der Wortkünstler samt seinen Schriften im Schatten der Erinnerung? Er ist doch erst neun Jahre tot, und aus seinen Dichtungen raunen wie einst die Geister, die ihn verfolgten und die zu beschwören er trachtete. Aber vielleicht sind ja jene Geister mit den Verhältnissen verschwunden, für die sie standen, die sie einst beherrschten. Sie haben anderen Dämonen Platz gemacht, mit denen Thomas Brasch nichts zu tun hatte.

SABINE BRANDT

Insa Wilke: "Ist das ein Leben". Der Dichter Thomas Brasch.

Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2010. 320 S., geb., 29,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Eine Frage bleibt für Sabine Brandt auch nach der Lektüre von Insa Wilkes, wie sie eindeutig feststellt, starker Arbeit zu, über und für Thomas Brasch: Wie konnte dieser Dichter, wie konnte so ein Riesenwerk so rasch in Vergessenheit geraten? Dass es am Untergang der DDR liegt, an der Brasch sich Zeit seines Lebens abarbeitete, kann Brandt nur vermuten. Bei Wilke findet sie indes jede Menge Material für ein literaturwissenschaftlich vorgebildetes Publikum. So umfangreich ihr das Buch mit all den Mitteilungen, Verknüpfungen und Untersuchungen auch erscheint, so sehr weiß Brandt auch, dass Brasch selbst dieses Korpus zu verantworten hat, mit dem sich die Autorin hier in aller Ausführlichkeit, mit Präzision und laut Rezensentin durchaus mit Erfolg befasst.

© Perlentaucher Medien GmbH