Marktplatzangebote
5 Angebote ab € 22,00 €
  • Buch mit Leinen-Einband

Reiseprosa 1923-69

Produktbeschreibung
Reiseprosa 1923-69
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.12.2001

Ein Rätsellyriker auf großer Kopfreise
Guiseppe Ungaretti scheitert als Reporter / Von Dirk Schümer

Als Prosaschriftsteller ist Giuseppe Ungaretti nicht berühmt geworden, er hat es auch nicht sonderlich darauf angelegt. Der italienische Lyriker, der in den Jahren um den Ersten Weltkrieg in Paris den Aufbruch der Moderne miterlebte und diese danach als autarke Nebenlinie der Futuristen in Italien fruchtbar machte, gab erst Anfang der sechziger Jahre den Prosaband "Die Wüste und weiter" heraus. In einer Werkausgabe wurden diese Reiseberichte, die auf Artikelserien der frühen dreißiger Jahre zurückgehen, nun erstmals vollständig ins Deutsche übersetzt. Doch der Poesie des dunklen Denkers fügen diese Reiseblätter kaum Wesentliches hinzu.

Ungaretti, der lange weder als Literaturprofessor noch als Dichter sein Auskommen fand, schrieb diese Texte als Brotarbeiten für die Turiner "Gazzetta del Popolo"zur Blütezeit des Faschismus, dem sich Ungaretti mit deutlichen Lobhudeleien arg verpflichtet fühlte (1923 hatte Mussolini gar das Vorwort für seine Gedichtsammlung "Il porto sepolto" verfaßt). Es paßt gut zum Anbandeln vieler italienischer Künstler und Autoren mit dem Regime und besonders gut zur nachträglichen Verdrängung, daß Ungaretti später als berühmter Dichter und Förderer der nächsten, diesmal kommunistisch-totalitären Intellektuellengeneration diese Elaborate wieder herausgeben mochte; nur die peinlichsten Mißgriffe, etwa die Hymne auf ein Kriegerdenkmal in Bari, wurden weggestrichen.

Soviel man also, auch dank der detaillierten, manchmal die banalen Texte gründlich überinterpretierenden Edition Angelika Baaders, auch über den schlechten Charakter und die windige Biographie eines großen Dichters erfährt - so wenig weiß Ungaretti von den Ländern zu berichten, die er bereist. Mag dies bei einem egomanen Gestalter von Sprachwelten wenig überraschen, so ist der Ertrag - etwa von Ungarettis großer Niederlande-Reise des Jahres 1933 - doch arg dürftig. Weil der Dichter kaum über Land und Leute Bescheid weiß, ergeht er sich in poetischen Ausdeutungen ganzer Epochen und Mentalitäten, für die ihm die hohltönende Tradition humanistischer Rhetorik im Italienischen den passenden Werkzeugkasten bereitstellt.

Zu Rembrandt - neben Ensor der einzige niederländische Maler, der Ungaretti etwas sagt - fällt ihm ein: "Er sah, wie es von den Grausamkeiten von Blut und Pech und dem Ungestüm bis hin zum Angebot von Modellen, zerfressen in der Tiefe der Unendlichkeitsillusion der Spiegel, ging. Bedarf es nach einem so langen Weg noch mehr, um jeden Begriff von gesellschaftlichem Rang und launenhaftem Einfall zu verlieren, der seinen Zeitgenossen so teuer war, und den der Tiefe zu erobern?" Anders als in seiner verrätselten Lyrik pustet Ungaretti hier nichts als heiße Luft. Mag sein, daß solche expressiven Impressionen des Vagen, solche gefahrlose Akrobatik mit Leerformeln Lesern italienischer Feuilletons der dreißiger Jahre gefielen - heute wirkt der Stil abgestanden, der Inhalt sinnfrei. Wenn der Autor doch einfach nur hinschaute und die Welt schilderte!

Ausgerechnet in seinem Geburtsland Ägypten - Ungaretti ist der Sohn von toskanischen Auswanderern, die beim Bau des Suezkanals arbeiteten - ergeht er sich lieber in lehrbuchhaften Abrissen der Landesgeschichte von den Pharaonen bis Mohammed Ali. Das Leben der Menschen, die Farben, der Alltag, die ihn schon als jungen Auswanderersohn eher abgeschreckt hatten, kommen kaum vor und beweisen, daß wir es mit einem hochgebildeten Gedankenschreiber zu tun haben. Als Reporter war Ungaretti eine fulminante Fehlbesetzung.

Unerfreulich bleibt auch trotz der nachträglichen Selbstzensur der notorische, damals modische Patriotismus, der die flämischen Bankiers oder die Gemälde van Eycks und Memlings partout auf italienische Inspiration zurückführt. Um solche Einsichten zu gewinnen, brauchte niemand zu verreisen. Und um sie deutschen Lesern zu vermitteln, hätte es einer Edition mit hundert Seiten Apparat und einer peniblen Vermerkung von Interpunktionsänderungen vielleicht nicht unbedingt bedurft.

Am ehesten genießbar sind noch die Stimmungsbilder aus Italien, einem fremden Land, das seine Intellektuellen gerade damals erst zu entdecken begannen oder als von Mussolini Zwangsverschickte mit aller Armut, Zurückgebliebenheit und Fron überhaupt erst wahrnahmen. Bei seinen Fahrten durch Apulien oder die Sumpflandschaft um Ferrara spreizt sich unser Dichter zwar weiterhin mit literaturhistorischem Wissen, hält Zwiesprache mit Dante, Tasso oder Kaiser Friedrich II., doch scheint vor dem Leserauge wenigstens dann und wann das Bild einer unzersiedelten Landschaft mit Erntearbeitern oder radelnden Bäuerinnen auf - dem Italien dieser Jahre eben. Leider aber rutschen Ungaretti immer wieder Stilblüten heraus, etwa wenn er über Ferrara schreibt: "Der Eindruck, den diese Stadt auf mich macht, ist derjenige der Finsternis der Natur, die stets sich selbst treu und ungeduldig ist und die ihr Gleichgewicht in einem unaufhörlichen Sich-Regen und Fliegen der Phantasie findet." Wenn solche Zeilen nicht gar so wörterbuchgenau und darum holprig übersetzt wären, könnte man sie sich für die nächste Italienreise als komische Fußnote eines Mannes aufschreiben, der verreiste, um in Gedanken stets bei sich selber zu bleiben.

Giuseppe Ungaretti: "Ein Menschenleben". Werkausgabe. Herausgegeben und aus dem Italienischen übersetzt von Angelika Baader und Michael Killisch-Horn. Band 4: "Die Wüste und weiter". Reiseprosa 1931-1946. P. Kirchheim Verlag, München 2001. 454 S., geb., 98,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Als Prosaschriftsteller sei Ungaretti nicht berühmt gewesen, lästert Dirk Schümer, und seine Kritik dieser "nun erstmals ins Deutsche übersetzten" Reiseberichte legt nahe, dass Ungaretti es auch nicht mehr wird. Ungaretti, der weder als Literaturprofessor noch als Dichter ein Auskommen gefunden habe, hätte die Texte als Brotarbeiten geschrieben. In diesem Band nun könne man viel über den schlechten, mit dem Faschismus anbandelnden Charakter Ungarettis erfahren. Wenig allerdings wisse der Dichter über die bereisten Länder zu berichten, was Schümer angesichts dieses "Sprachgestalters" recht überraschend findet. Die Kommentare von Herausgeberin Angelika Baader findet Schümer ganz offensichtlich nicht ganz verdienstlos, mitunter jedoch überinterpretieren sie die für seinen Geschmack reichlich banalen Texte.

© Perlentaucher Medien GmbH"