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Eine Kindheit wie aus dem Bilderbuch. Ein Junge wächst in den fünfziger Jahren im idyllischen Städtchen Gunzenhausen in Mittelfranken auf, als Arztsohn in einer vom Krieg scheinbar unberührten, ins Wirtschaftswunder aufbrechenden Welt. Erst Jahrzehnte später - schon als junger Mann hatte er der Provinz den Rücken gekehrt - stößt er auf ein furchtbares Kapitel der Stadtgeschichte: Am Palmsonntag 1934 fand hier das erste große Pogrom Nazi-Deutschlands statt; die SA hetzte unter Beteiligung eines erheblichen Teils der erwachsenen Bevölkerung gegen die jüdischen Bürger, zwei Männer kamen ums…mehr

Produktbeschreibung
Eine Kindheit wie aus dem Bilderbuch. Ein Junge wächst in den fünfziger Jahren im idyllischen Städtchen Gunzenhausen in Mittelfranken auf, als Arztsohn in einer vom Krieg scheinbar unberührten, ins Wirtschaftswunder aufbrechenden Welt. Erst Jahrzehnte später - schon als junger Mann hatte er der Provinz den Rücken gekehrt - stößt er auf ein furchtbares Kapitel der Stadtgeschichte: Am Palmsonntag 1934 fand hier das erste große Pogrom Nazi-Deutschlands statt; die SA hetzte unter Beteiligung eines erheblichen Teils der erwachsenen Bevölkerung gegen die jüdischen Bürger, zwei Männer kamen ums Leben. Und unversehens macht er noch eine weitere Entdeckung: Der von ihm bewunderte amerikanische Autor J.D. Salinger war, von den Erlebnissen an der Front schwer traumatisiert, nach dem Krieg als Soldat im Ort stationiert. Thomas Medicus wagt eine literarische Spurensuche in die eigene Vergangenheit. Aus Erinnerungen, Gesprächen und Dokumenten zeichnet er das sehr persönliche Porträt seiner Familie, er geht dem mörderischen Verbrechen auf den Grund und rekonstruiert Salingers Welt. Geschichte wie unter dem Brennglas - von den Anfängen der Nazizeit über Krieg und Stunde Null bis weit in die junge Bundesrepublik hinein - und eine ebenso aufrichtige wie poetische Annäherung an das, was man Heimat nennt.
Autorenporträt
Thomas Medicus, geboren 1953, schrieb u.a. für die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» und war stellvertretender Feuilletonchef der «Frankfurter Rundschau», viele Jahre arbeitete er für das Hamburger Institut für Sozialforschung. Heute lebt Thomas Medicus als freier Publizist in Berlin. 2012 veröffentlichte er die Biographie «Melitta von Stauffenberg», die NZZ dazu: «Was Medicus ausgegraben und recherchiert hat, ist sowohl bemerkenswert als auch bisweilen unglaublich. Gut geschrieben ist es zudem.» 2020 folgte die Doppelbiographie «Heinrich und Götz George», über die der «Deutschlandfunk» meinte: «Aufsehenerregend ... In der Lebensgeschichte bricht sich mehr als ein Jahrhundert deutscher Geschichte.»
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.05.2014

Wo man immer jung bleiben würde
Thomas Medicus versucht „Heimatgefangenschaft“ in eine befreite Heimatbindung zu
überführen – Eine deutsche Geschichte im mittelfränkischen Gunzenhausen
VON JOSEPH HANIMANN
Nach langer Ungenießbarkeit bekommt das allmählich wieder schmackhaft gewordene Wort „Heimat“ auch seinen leicht süßlichen Nebengeschmack zurück. Schriftsteller und Filmautoren wie Edgar Reitz haben unterschiedliche Strategien entwickelt, um diese nachträglich imaginierte, verlorene, zugleich stolz- und nostalgiedurchwirkte Gefühlsbindung an eine Ortsgemeinschaft in der Erinnerung nicht gleich wieder Fäden ziehen zu lassen.
  Der Publizist Thomas Medicus fand in seiner „Suche“ ein rabiateres Mittel. Nachdem er zu Beginn seines Buchs die Empfindung anheimelnder Rückprojektion und erinnerter Geborgenheit im mittelfränkischen Gunzenhausen seiner Kindheit mit dem achteckigen „Blastürmle“ vor dem Fenster vorsichtig zugelassen hat, bricht gleich im 2. Kapitel brutal die historische Altlast herein. „Der 25. März 1934 war einer der frühen freundlichen Tage, die dieser Monat in Mittelfranken häufig mit sich bringt“, beginnt jenes Kapitel und schildert dann im minutiös recherchierten Detail, wie die von einem SA-Obersturmführer angefeuerten Kleinstadtleute an jenem Palmsonntag wie aus heiterem Himmel die jüdischen Mitbewohner aus ihren Wohnungen prügelten, manche bis in den Tod. Das fährt in uns Leser ein. Was immer im Buch auch Nettes über Gunzenhausen noch kommen mag, ihm wird man nicht mehr so leicht verfallen.
  Der 1953 geborene Medicus gehört zu jener Generation Deutscher, die die zuhause beschwiegene Vergangenheit eigenhändig mit dem scharfen Werkzeug der Kritik freischaufelte. Provinz hieß für ihn, den es früh wegzog in die Großstadt, so viel wie Verhocktheit – und hielt ihn mit einem Gefühl wohliger Herkunftsgewissheit doch weiter im Bann. Die Suche nach Wegen, diese „Heimatgefangenschaft“ in eine befreite Heimatbindung zu überführen, ist Inhalt des vorliegenden Buchs, das als eine anregende Mischung aus Memoiren, Essay, Reportage und Recherchebericht daherkommt.
  Wie der Milieubruch durch Großstadterfahrung waren für den Autor auch gewisse Leseerfahrungen notwendig: W. G. Sebald und sein Buch „Die Ausgewanderten“, in dem das Pogrom von 1934 in Gunzenhausen erwähnt wird, und J. D. Salinger, der nach dem Krieg als amerikanischer Entnazifizierungsagent nach Gunzenhausen kam und dort wohl Teile seines Romans „Catcher in the Rye“ geschrieben hat. Dass Kindheitserinnerung, dieser Knäuel aus bedeutungslosem, aber teuer gewordenem Allerlei, bei ihm wohl den doppelten Boden aus damals unerkannter Bedeutsamkeit hatte, dämmerte schon dem Knaben Medicus. So etwa, wenn die Großmutter beim Kneten der Kartoffelklöße am Küchentisch plötzlich sagen konnte: „Hier haben viele Juden gewohnt. Da, da und da, und da auch“.
  Als Kind war der Autor oft am Zaun um die leer stehende Synagoge entlang gestrichen. „Die Synagoche habens abgrissn“, teilte ihm die Großmutter dann später einmal bei einem Besuch beiläufig mit. Was es damit auf sich hatte, wusste der junge Mann mittlerweile. Er hatte seine Forschungen angestellt und dabei auch erfahren, dass Otto Medicus senior, sein Großvater, als Arzt nach dem Pogrom 1934 die Totenscheine mit wohl von oben verordnetem Ergebnis mitunterzeichnete und dass Ottilie, seine Großmutter, kurz danach in die NS-Frauenschaft eintrat.
  Sein Elternhaus in der Burgstallstraße war kein Nazi-Nest, wohl aber ein Geisterhaus, dessen undurchsichtigem Bann er nur mit der Hilfe des Türöffners J. D. Salinger entkommen konnte. Der amerikanische Autor hat die Kleinstadt Gunzenhausen durch seine Anwesenheit weltgeschichtlich durchlüftet und ist für den Autor zur Leitfigur für eine Wiederaneignung der Heimat geworden.
  Dieses Festkrallen an der Spur des Befreiers kann akribisch werden. Manche Exkurse über das Leben Salingers sowie andere Details sind überflüssig und treiben den Fluss des Buchs in redundante Wirbelbewegungen. Die Suche wird zum Stochern, das Erklärungsmodell des mehrmals erwähnten Sigmund Freud reibt sich an lokalgeschichtlichen Anekdoten. Die spiralförmig gebaute Kapitelfolge der Vor- und Rückgriffe kommt ins Schleudern. Dennoch überzeugt der Aufhellungsversuch eines widerspenstigen Heimatgefühls, weil der Autor den auf seinen persönlichen Erinnerungsort projizierten Vorbehalt auch auf seine eigene Wahrnehmung überträgt.
  Während seiner langen Abwesenheit in der aufgeklärten Großstadt hat, von ihm unbemerkt, auch die Provinz sich aufgeklärt, wie er bereitwillig gesteht. Mit Archiven und zeitgenössischen Kunstinstallationen im Stadtraum habe Gunzenhausen Gedächtnisarbeit geleistet.
  Das Befremden des Heimkehrers über die Ölbrenner in den Kachelöfen und die hässlichen Eternitplatten über der Sandsteinfassade der Häuser findet seine Verlängerung in der entspannten Korbstuhlatmosphäre auf den Trottoirs, auf denen junge Leute plaudernd an bunten Cocktailgläsern nippen. Die Generation dieser jungen Frauen und Männer bräuchten sich nicht oder noch nicht zu fragen, was Heimat sei, meditiert der heimgekehrte Besucher und fügt hinzu: „Ich schon“.
  Sein individualistisch geprägter Begriff von Heimat – sie bestehe aus „halluzinierten Bildern einer mythischen Zeit, in der man jung war und für immer jung bleiben würde“ – fasst aber tiefer als persönliche Eigenerinnerung. Er streift das Paradox, das Jean Améry im Buch „Jenseits von Schuld und Sühne“ einmal mit der Erinnerung einer Episode von 1943 angedeutet hat. Seine Widerstandsgruppe war in ihrem Versteck von einem SS-Mann überrascht worden, der den ihm vertrauten Dialekt seiner Kindheit sprach und bei Améry kurz den absurden Wunsch aufsteigen ließ, ihm einfach in der selben Mundart zu antworten, um so die heikle Situation zu entschärfen. Diesen Funken Unvernunft kann und will auch Thomas Medicus auf seinem Heimweg nicht tilgen.
„Die Synagoche habens abgrissn“,
teilte ihm die Großmutter später
einmal beiläufig mit
Heimat besteht aus
„halluzinierten Bildern einer
mythischen Zeit“
  
  
  
  
  
Thomas Medicus : Heimat. Eine Suche. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin, 2014. 286 Seiten, 19,95 Euro. E-Book: 16,99 Euro.
„Die Verhältnisse blieben so eng, wie unsere Welt klein war. In dieser kleinen, engen und
überschaubaren Welt lebten wir Kinder voller Zufriedenheit.“ – Im idyllischen Städtchen Gunzenhausen in Mittelfranken
wuchs Thomas Medicus, Jahrgang 1953, als Arztsohn auf.
Foto: Süddeutsche Zeitung
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

J.D. Salinger kämpfte den gesamten Feldzug der amerikanischen Armee von der Landung in der Normandie bis zur Befreiung der bayrischen Konzentrationslager mit und verhörte anschließend als Mitarbeiter des Militärgeheimdienstes die gefassten Nazigrößen. Über seine Zeit im fränkischen Ort Gunzenhausen verfasst er eine Kurzerzählung. Thomas Medicus geht auf 300 Seiten in seinem Heimatort auf Spurensuche. Hier fand 1934 das erste Pogrom an jüdischen Bürgern statt, sein Großvater war Arzt und obduzierte die Opfer. Stephan Wackwitz bespricht sehr wohlwollend dieses Buch, das ihn zum Nachdenken über die Frage veranlasst, wie Kinder historische Atmosphären erspüren und verarbeiten.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.05.2014

Gottverdammtes Gunzenhausen!
Wo J. D. Salinger nach 1945 Geheimdienstoffizier war: Thomas Medicus kehrt zurück in die fränkische Provinz seiner Jugend und stößt auf lange Verschwiegenes

Lange Zeit glaubte Thomas Medicus, es habe nur ein Geheimnis in seiner Familie gegeben, nämlich den Tod seines Großvaters mütterlicherseits, der als Generalmajor der Wehrmacht in Italien von Partisanen erschossen wurde. Den Spuren dieses Todes, der einer planmäßigen Hinrichtung glich, war er in seinem ersten Buch akribisch nachgegangen und stellte damals fest: "Eine der wenigen Gewissheiten, die ich dabei hatte mitnehmen können, war die, dass sich Ereignisse nachträglich konstituierten und es mir überlassen blieb, ob ich die Deutungen sortieren oder durch neue, eigene ersetzen wollte." Ein scheinbar kühler Satz - der ein Jahrzehnt später, in seinem neuen Buch "Heimat", ein heftiges Eigenleben zu führen beginnt. Denn das zweite Familiengeheimnis, das er jetzt entdeckt, stellt alle seine Kindheitserinnerungen auf den Kopf.

Schon in den ersten Sätzen dieser autobiographischen Erzählung werden die starken Emotionen spürbar, die mit diesem Ort verbunden sind. "Goddam, Gunzenhausen" flucht der Erzähler (wie sein Lieblingsheld Holden Caulfield), aber da steckt er schon so tief im jahrelang Verschwiegenen, dass es kein Zurück mehr gibt. Angefangen hatte alles mit einem widerwilligen Besuch in dem idyllischen, im fränkischen Altmühltal gelegenen Städtchen; dem Sohn zuliebe, der das Grab des anderen Großvaters sehen wollte.

Der Geruch der Felder, das Licht, der einheimische Sprachklang schmerzen den Autor plötzlich, alte Wunden, die er längst verheilt glaubte. Kurz darauf stößt er in einer Erzählung von W. G. Sebald auf eine verstörende Schilderung: In Gunzenhausen, wo er in den fünfziger Jahren als Arztsohn behütet aufgewachsen war, hatte am Palmsonntag 1934 das erste antijüdische Pogrom Deutschlands stattgefunden. Es sorgte für einen weltweiten Skandal, sogar die "New York Times" berichtete darüber.

Mit neunzehn Jahren war Medicus aus dem Kaff geflohen, langweilig, verstockt und eng fand er es damals. Und die Rückkehr in das Labyrinth seiner Erinnerung fällt ihm schwer - das düstere, unüberschaubare Gassengewirr hinter dem geliebten "Blastürmle" verfolgt ihn noch zu Beginn seiner Recherche im Traum. Erst die Geschichte des hier stationierten Jerome David Salinger beendet seine wütende Heimatflucht und lockt ihn für Wochen hierher zurück, wo er im Stadtarchiv und in vielen Gesprächen Unglaubliches zutage fördert.

Man liest Salingers frühe Erzählungen, vor allem die berührende Geschichte "Für Esmé, mit Liebe und Unrat" anders, wenn man weiß, dass der Autor unter einem schweren Kriegstrauma litt und unmittelbar nach Kriegsende in einer Nürnberger Klinik behandelt wurde. Nur halb geheilt, wurde der Sohn einer gebildeten, jüdischen Familie als Geheimdienstoffizier nach Gunzenhausen abkommandiert, um Kriegsverbrecher ausfindig zu machen. Während seines elfmonatigen Kriegseinsatzes und der genauso langen Zeit in Mittelfranken arbeitete er, wann immer es möglich war, am "Fänger im Roggen".

Medicus las das Buch erst Jahrzehnte später, aber einen empfindsamen Beschützer wie Holden Caulfield, der alles Verlogene, Aufgesetzte hasst, hätte er sich als provinzverstörter Gymnasiast gewünscht: "Es ist verrückt sich vorzustellen, dass dieser amerikanische Schriftsteller das wusste, was seine möglichen Leser in G. nicht wissen wollten oder vielleicht gern gewusst hätten, und dass das alles irgendwie in den Roman, den er teilweise in G. geschrieben haben soll, eingeflossen ist."

Wie erzählt man von einer jahrzehntelang verdrängten Schuld? "Der Firnis der Zivilisation war in G. offenbar dünner als anderswo im weithin völkischen Mittelfranken", stellt der Autor fest und erinnert sich an die kummervolle "Bauchrednerei" seiner Großmutter, die ständig von der "Synagoche" sprach. Nichts war unschuldig an diesen scheinbar so freundlichen fünfziger Jahren: Nicht nur zwei Morde, sondern auch unzählige zerstörte Schicksale wurden verschwiegen. Sein Großvater, der stellvertretende Amtsarzt, hatte die beiden Toten obduziert und zweimal "Selbstmord" bescheinigt. Kurz darauf, auch das verstörend für den Enkel, trat die Großmutter in die Reichs-Frauenschaft ein, mit einem horrenden monatlichen Mitgliedsbeitrag

Ein so vielschichtiger Stoff und eine Recherche, die auch ein schmerzhafter Erkenntnisprozess ist, lassen sich nicht chronologisch erzählen. Medicus bewegt sich durch seine Geschichte wie durch ein Ausgrabungsfeld, findet unerwartete Koinzidenzen und überraschende Einschlüsse im historisch Versteinerten. In seinen Sätzen schwingt eine feine Ironie mit, und als glänzender Stilist schildert er seine Entdeckungsreise als überfällige, "empfindsame Reise": Sie reicht vom Hürtgenwald bei Aachen (wo die verlustreichsten Grabenkämpfe des ganzen Krieges stattfanden) bis nach New Hampshire, in jene Einöde, in der Salinger sich vor der Welt versteckte - zwischen Hügeln, die verblüffend an das Altmühltal erinnern. Und in New York, bei den Nachfahren einer vertriebenen Familie, verbringt der Reisende einen verstörenden Heimatabend - nur ein Sohn aus der großen Familie hatte überlebt, auf dem Foto sieht man sein empfindsames, innerlich abgewandtes Gesicht.

Die Bilder spielen eine erstaunliche Rolle in dieser Erzählung. Sie sind wie Widerhaken in den Text eingelassen und zeigen oft leere Räume, von denen eine eigenartige Spannung ausgeht, "als ob bald etwas geschehe oder bereits geschehen sei, das keines Bildes wert oder schlicht nicht abzubilden sei". Auch die auf grausame Weise erhellende Porträtsammlung im Stadtarchiv, die Anfang der dreißiger Jahre als "Rassensammlung" angelegt wurde und später, unter amerikanischer Regie, die Phase der Entnazifizierung dokumentiert, zeigt leere und verstörte Gesichter.

Es sind in ihrer ungeschönten Drastik lauter exemplarische Geschichten, die Medicus hier erzählt, aber er erzählt sie nicht als Albträume, sondern als Allegorien. Sein Buch erinnert uns, wie die Romane von W. G. Sebald oder die von Alexander Kluge angehäuften Lebensläufe daran, dass es vor allem die einzelnen, disparaten Ereignisse sind, die etwas vom Wesen einer Zeit oder eines Ortes verraten. Und besonders ergiebig wird dieses Verfahren, wenn der Autor sich, wie Medicus das tut, sehr privat miterzählt.

NICOLE HENNEBERG

Thomas Medicus: "Heimat". Eine Suche. Verlag Rowohlt Berlin, Berlin 2014. 288 S., geb., 19,95 [Euro].

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