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Ist er nun einer der ganz Großen oder nicht? An der Bedeutung Helmut Kohls scheiden sich die Geister. Warum eigentlich? Für seine Kritiker war Helmut Kohl der Kanzler des Aussitzens. Im entscheidenden Moment aber hat er Geschichte gemacht. Als die Wiedervereinigung möglich schien, hat er die Chance erkannt und entschlossen gehandelt. Das Deutschland, in dem wir heute leben, unser Europa, hat er ganz wesentlich geprägt. Später geriet er wegen der Spendenaffäre in Misskredit. Wer also ist dieser Mann? Eine Neubewertung.

Produktbeschreibung
Ist er nun einer der ganz Großen oder nicht? An der Bedeutung Helmut Kohls scheiden sich die Geister. Warum eigentlich? Für seine Kritiker war Helmut Kohl der Kanzler des Aussitzens. Im entscheidenden Moment aber hat er Geschichte gemacht. Als die Wiedervereinigung möglich schien, hat er die Chance erkannt und entschlossen gehandelt. Das Deutschland, in dem wir heute leben, unser Europa, hat er ganz wesentlich geprägt. Später geriet er wegen der Spendenaffäre in Misskredit. Wer also ist dieser Mann? Eine Neubewertung.
Autorenporträt
Dr. phil. Henning Köhler, geboren 1938 in Berlin, ist Professor für Moderne Geschichte an der Freien Universität seiner Heimatstadt. Er war nach dem Studium der Geschichte, Germanistik und Philosophie und seiner Habilitation 1972 Gastprofessor an der Stanford University (1981/82) und Visiting Member am Institute für Advanced Study in Princeton (1987/88). Neben zahlreichen anderen Veröffentlichungen erschienen von ihm eine "Geschichte der Weimarer Republik" (1981), eine Studie über "Adenauer und die Rheinische Republik" (1986) und eine großangelegte "politische Biographie" über Adenauer (1994).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.12.2014

Der gute Mensch von Oggersheim
Opferte sich Helmut Kohl für die CDU? Seine große politische Leistung würdigt Kanzlerbiograph Henning Köhler

Helmut Kohls Bild in der Geschichte steht seit einigen Jahren unter keinem guten Stern. Dabei hatte es zunächst gut für ihn begonnen. Noch zu Zeiten seiner Kanzlerschaft initiierte er eine Sonderedition zur deutschen Einheit aus vorzeitig freigegebenen Akten des Kanzleramtes, eine vierbändige Geschichte der Wiedervereinigung und ein Gesprächsbuch unter dem Titel "Ich wollte Deutschlands Einheit". Damit etablierte sich der "Kanzler der Einheit" in der Spitzengruppe einer internationalen Erinnerungskonkurrenz um die historische Bedeutung in der Zeitenwende von 1989/90.

Nach dem Ende seiner Kanzlerschaft hingegen geriet er in schwere Turbulenzen. Erst beschädigte die Parteispendenaffäre seinen Nachruhm, der bald nach der Wahlniederlage vom Herbst 1998 zunächst schwindelnde Höhen erreicht hatte. Wenig später folgten der erschütternde Freitod seiner ersten Frau Hannelore und darauf familiäre Verwerfungen. Ein schwerer Sturz im Jahr 2008 hatte schließlich zur Folge, dass Kohl sich seitdem kaum mehr öffentlich artikulieren kann. Darüber ist auch der vierte Band seiner Memoiren nicht erschienen, nachdem er sich mit dem Ghostwriter der ersten drei Bände überworfen hatte. Die Vorgespräche dazu hat Heribert Schwan kürzlich in einem Buch publiziert, das historisch weniger bedeutsam ist als behauptet und das zugleich einen ressentimentgeladenen Altkanzler präsentiert, der die Welt in Freund und Feind einteilt. Dies prägt das öffentliche Bild ebenso wie die Meldungen darüber, dass Kohl seine persönlichen Akten aus dem Archiv der Konrad-Adenauer-Stiftung zurückholen ließ.

Vor diesem Hintergrund ist es hilfreich, wenn die Wissenschaft Ordnung in die Dinge bringt. Nachdem Hans-Peter Schwarz vor zwei Jahren seine wohlwollend-kritische Kohl-Biographie vorgelegt hat, sind nun, inclusive Register, exakt tausend Seiten aus der Feder des Berliner Historikers Henning Köhler erschienen, der zuvor unter anderem eine umfangreiche Adenauer-Biographie verfasst hat. Es mag nichts weiter bedeuten, und doch fällt auf, dass der Untertitel nicht den Anspruch formuliert, "eine" (so Schwarz), sondern "die Biografie" zu sein. Welchen Helmut Kohl also präsentiert "die Biografie"?

Der erste Satz setzt die Vorzeichen: "Helmut Kohls Lebensweg ist von Gradlinigkeit bestimmt." Seine "vielleicht größte Leistung" sieht Köhler im "unablässigen Bemühen um den deutschen Einigungsprozess". Hinzu kam das Ziel der politischen Union Europas. Ansonsten geht Köhlers Biographie davon aus, dass Kohl "lange unterschätzt worden" ist - und es geht ihm darum, zeitgenössische, vor allem von den Medien verbreitete Fehlurteile aus historischer Sicht zu hinterfragen.

So legt Köhler seiner Biographie, was die Quellen betrifft, in extensivem Maße zeitgenössische Presseberichterstattung zugrunde. Hinzu kommen ausgewählte publizierte Akten sowie die ausgiebig genutzten Fraktionsprotokolle der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Archiv für Christlich-Demokratische Politik. Akten aus staatlichen Archiven oder Nachlässe beziehungsweise persönliche Papiere (auch die Akten Helmut Kohls) wurden nicht ausgewertet, dafür hat Köhler eine Reihe von Zeitzeugengesprächen geführt.

Das Buch liest sich flüssig, es beschreibt viel Parteipolitik und konzentriert sich auf politische Ereignisse, persönliche Beziehungen und Wahlen. Übergreifende sachthematische Zusammenhänge und Probleme werden demgegenüber eher kursorisch verhandelt. Die Frage, ob der Regierungswechsel von 1982 die vielzitierte "Wende" darstellte, wird mit einem knappen "Ja" beantwortet: Die Regierung Kohl/Genscher wendete die Sicherheitspolitik zurück zur Bündnisloyalität, drehte die Wirtschafts- und Finanzpolitik in Richtung Haushaltskonsolidierung und förderte eine Kultur des "Leistung muss sich wieder lohnen". Das ist nicht falsch, und doch ist diese Frage schon differenzierter beantwortet und in den gesellschaftlich-politischen Zusammenhängen der Bundesrepublik in den achtziger Jahren verortet worden.

Dies gilt auch für Kohls Regierungsstil und das so genannte "System Kohl", das Köhler über den Begriff der "Loyalität" - ein "zentraler Begriff seines Politikverständnisses" - versteht. Das ist sicher richtig, und doch möchte man bei diesem Befund nicht stehenbleiben. Wenn persönliche Beziehungen Vorrang gegenüber staatlichen Institutionen genießen, dann wirft dies systemische Fragen zum politischen System, zum Verhältnis von Staat und Parteien, aber auch zur Entwicklung der CDU auf, die sich unterschiedlich beantworten lassen, die allerdings nicht weiterverfolgt werden.

Ähnlich verhält es sich mit der Parteispendenaffäre. Köhler hat den Mut zu einer besonders unpopulären Position entgegen dem Mainstream, und zugleich verhandelt er sie ganz auf der persönlichen Ebene. Er interpretiert diese Affäre als eine "fulminante Entlastungsoffensive für eine durch eigene Unfähigkeit in Bedrängnis geratene Regierung" (unter Gerhard Schröder und Joseph Fischer), die zugleich "das ganze Ausmaß an Ablehnung und Verbitterung der Kohl-Gegner" zeigte. "Die Spendenaffäre erscheint bei genauer, historischer Betrachtung in einem anderen Licht." Kohl habe sich "für seine Partei geopfert. Er hat Verstöße gegen das Parteiengesetz zugegeben. Indem er aber die Namen der Spender verweigerte, lenkte er von den Spendern ab und zog die Ächtung auf sich." Nichts gegen eine unkonventionelle Lesart, im Gegenteil, und nichts gegen Mitgefühl für persönliche Härten und Enttäuschungen. Aber die persönliche Ebene ist nicht alles. Vielmehr stellen sich grundsätzliche Fragen in der Sache, und wenn persönliche Loyalitäten bewusst über Recht und Gesetz gestellt werden, darf man sich über die Konsequenzen eigentlich nicht wundern.

Solche Irritationen hängen nicht zuletzt damit zusammen, dass die Kategorien der Darstellung und der Interpretation wiederholt nicht ganz klar werden. Im Zusammenhang der europäischen Integrationspolitik zum Beispiel wird wiederholt kaum zwischen politischer Union und Währungsunion unterschieden - darum drehte sich aber eine der großen Kontroversen im Vorlauf zum Vertrag von Maastricht, wobei Kohl sein Ziel der politischen Union gegenüber Mitterrands primärem Interesse an der Währungsunion gerade zurückstellen musste. Überhaupt bleibt die Komplexität dieser Problemlagen eher blass, und Köhlers Argumentation erschließt sich auch nicht unmittelbar, wenn er schreibt, der Vertrag von Maastricht "war kein Schönwettervertrag, sondern wie immer auf europäischer Ebene ein mühsam zustande gekommener Kompromiss" - das ist kein Widerspruch -, "dessen Defizite in der Eurokrise dramatisch zutage treten sollten". Also doch ein Schönwettervertrag? Kryptisch bleibt auch der anschließende Befund: "Dieser europäischen Währung in Maastricht und auf den Folgekonferenzen zuzustimmen war für die Mitglieder leichter, als der Kritik zu folgen und die Verantwortung für das Scheitern zu übernehmen."

"Es ist endlich an der Zeit", so schließt er sein Buch, "die grandiose politische Leistung dieses Mannes zu würdigen." Köhler ist nicht unkritisch, und doch macht er sich in hohem Maße die Perspektive Kohls zu eigen, auch in den Bewertungen und Werturteilen ("richtige Richtung", "größte Leistung", "Verwilderung der Sitten"), nicht zuletzt über Kohls Kritiker und Widersacher. Auch Kohls Persönlichkeit erscheint glatter, als es die von Heribert Schwan publizierten O-Töne erscheinen lassen und als es bei einer so durch Machtkonflikte und durch öffentliche Anfeindungen gegangenen Persönlichkeit zu erwarten ist.

Was ist dem Leser angesichts der unterschiedlichen Publikationen über den Kanzler der Einheit und des Euro zu empfehlen? Die Einschätzung hängt von den Erwartungen ab. Wer eine flüssig geschriebene, wenig kritische Biographie sucht, wird mit Köhlers Kohl gut bedient. Im Vergleich zu der kraftvollen Biographie von Hans-Peter Schwarz hakt Köhler nicht nach. Es ist nicht die Biographie der Ecken und Kanten, der Ambivalenzen und der Widersprüche, auch nicht die einordnende Gesamtinterpretation der Person in ihre Zeit. Köhlers Ausgangspunkt sind Fehlurteile der zeitgenössischen Medienberichterstattung, die er widerlegen will. Man kann das machen. Aber es bleibt ein Spiegelgefecht.

ANDREAS RÖDDER

Henning Köhler: Helmut Kohl. Ein Leben für die Politik. Die Biografie. Quadriga Verlag, Köln 2014. 1001 S., 32,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nur bedingt glücklich zeigt sich Andreas Rödder mit Henning Köhlers Biografie über den Altkanzler. Was der Autor anstellt, ist für ihn ein Spiegelgefecht - machbar, aber nicht wirklich ergiebig. Lieber als die Widerlegung zeitgenössischer Berichterstattung über Kohl wäre dem Rezensenten eine Biografie mit Ecken und Kanten gewesen, eine, die Widersprüche und Ambivalenzen offenlegt. Kritisch aber scheint ihm der Autor kaum vorzugehen, komplexe Probleme, wie die Währungsunion, bleiben eher blass, meint er. Zudem scheint ihm der Autor ohne klare Darstellungs- und Interpretationskategorien zu verfahren und seiner Sympathie für Kohl allzu sehr die Sporen zu geben, so wenn er persönliche Härten über Recht und Gesetz setzt. Die immerhin 1000 vor allem auf zeitgenössischer Presseberichterstattung, Fraktionsprotokollen der CDU/CSU und Zeitzeugengesprächen basierenden Buchseiten lassen den Rezensenten trotz flüssiger Schreibe eher unbefriedigt zurück.

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