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Etwas verbindet die Mitglieder der Familie Hagebucher über alle Generationen hinweg: ihre rastlosen Beine, mit denen sie, so heißt es, nicht nur begnadet laufen und tanzen, sondern sogar träumen können. Und so laufen und tanzen sie träumend durch Sohlingen-Ohligs, springen über Kontinente und Zeiten hinweg. Mal entdecken sie Wuppertal, Berchtesgarden oder München, mal reisen sie zum empfindlichsten Punkt auf dem Körper der Geliebten, mal sehnen sie sich nach Mkumbara, in die Schluchten des Usambaragebirges oder auf den schneebedeckten Kilimandscharo, der um 1900 als höchster Berg des Deutschen…mehr

Produktbeschreibung
Etwas verbindet die Mitglieder der Familie Hagebucher über alle Generationen hinweg: ihre rastlosen Beine, mit denen sie, so heißt es, nicht nur begnadet laufen und tanzen, sondern sogar träumen können. Und so laufen und tanzen sie träumend durch Sohlingen-Ohligs, springen über Kontinente und Zeiten hinweg. Mal entdecken sie Wuppertal, Berchtesgarden oder München, mal reisen sie zum empfindlichsten Punkt auf dem Körper der Geliebten, mal sehnen sie sich nach Mkumbara, in die Schluchten des Usambaragebirges oder auf den schneebedeckten Kilimandscharo, der um 1900 als höchster Berg des Deutschen Reiches galt.Damals, mit Leonhard Hagebuchers waghalsigen Afrika-Expeditionen, fing alles an. Sein Urenkel Fritz Binder, Postbote im Bergischen Land, folgt ihm, von den Erzählungen seiner Mutter auf die Spur gesetzt, mit Begeisterung nach. Zunächst nur in Gedanken, mit Hilfe von faszinierenden Wortketten und geschönten Erinnerungen; doch dann stellt auch Frotz sich, angetrieben von seinem besten Freund, einer ganz realen Herausforderung: Der sagenumwobene Kibo ruft.Usambara ist ein atemberaubender Abenteuerroman über lebenslang verdrängte Probleme und ein betörendes Pflänzchen, das der Urgroßvater pflückte, ein wunderschönes Veilchen, das den Nachgeborenen noch über hundert Jahre später in seinen Bann zieht.
Autorenporträt
Hamann, ChristofChristof Hamann, wurde 1966 am Bodensee geboren. Seine mehrfach ausgezeichneten Romane Seegfrörne (2001), Fester (2003) und Usambara (2007) sind ebenfalls bei Steidl erschienen. Christof Hamann lebt bei Köln.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.2007

Der Berg des Schicksals

Der lange Marsch zu sich selbst: Christof Hamann sucht das Usambaraveilchen auf dem Kilimandscharo und klettert über die Abgründe deutscher Kolonialgeschichte.

Leonhard Hagebucher hieß der verkrachte Theologiestudent aus Wilhelm Raabes Roman "Abu Telfan oder Die Heimkehr vom Mondgebirge": ein entgleister, entwurzelter, "fabelhafter" Träumer, der nach zwölf Jahren Gefangenschaft nicht mehr Fuß im heimischen Bumsdorf bei Nippenburg fassen kann. Dennoch: lieber Sklave am Fuße der Mondberge als eine gesicherte Existenz im "germanischen Spießbürgertum".

Wenn Christof Hamann von einem gewissen Leonhard Hagebucher erzählt, der um 1890 im Gefolge der Afrika-Reisenden Hans Meyer und Oscar Baumann den Kilimandscharo bestiegen und das Usambaraveilchen nach Deutschland gebracht haben soll, ist also Vorsicht geboten. Zumal sein Urenkel, der Wuppertaler Postbote Fritz Binder, seine generationenübergreifende Abenteuergeschichte als sesshafter "Sitzzwerg" beginnt: "Von den Hagenbuchers sagte man von Anfang an, dass sie es vor allem mit den Beinen hatten. Sie konnten, so hieß es, träumen mit ihren Beinen. Sich wegträumen an Orte, die noch kein Mensch gesehen hatte. Vom Lehnstuhl zum Krater ist es nur ein kleiner Schritt. Also los."

Meyer hat tatsächlich am 2. Oktober 1889 als Erster den Kilimandscharo, den damals höchsten Berg des Deutschen Reiches, bestiegen und nach Kaiser Wilhelm benannt. Von einem Gärtner mit dem Restless-Legs-Syndrom und dem geflügelten Wort "Nur mal langsam" ist in Meyers "Ostafrikanischen Gletscherfahrten" (1890) freilich keine Rede. Hagebucher ist so frei erfunden wie sein Urenkel, der angeblich beim "Kilimandscharo Benefit Run 2006" zugunsten der letzten afrikanischen Gletscher und des Weltfriedens überhaupt Achtundsiebzigster wurde.

Wahr ist dagegen, dass der Tourist Christof Hamann den Kilimandscharo bestiegen hat, und weil es vom Berg zum Schreibtisch, von der deutschen Vergangenheit zur Gegenwart nur ein kleiner Schritt ist, haben wir jetzt, nach etlichen innerfamiliären Spurensuchen, afrikanischen Auto- und postkolonialen Entdeckerbiografien, den ersten Afrikafamilienroman: Abu Hamann oder Die Vermessung des Mondgebirges.

Was Uwe Timm einst in "Morenga" für Deutsch-Südwest, tut Hamann in seinem dritten Roman für Deutsch-Ostafrika: Er verknüpft Fakten mit Fiktionen, historische Dokumente wie Meyers "Gletscherfahrten" und Baumanns "In Deutsch-Ostafrika während des Aufstandes" mit einer Geschichte von Hier und Heute zu Kippbildern deutscher Abenteuerlust und Afrika-Sehnsucht. Hagebucher lief mit der Botanisiertrommel die Kaiser-Wilhelm-Spitze hinauf und die Usambaraberge hinunter. Er verlor das unscheinbare Veilchen, das er nach seiner Verlobten benennen wollte, als die Forscher von dem arabischen Warlord Buschiri entführt wurden, und als er es im zweiten Anlauf endlich nach Hause bringt, hat ein Baron Saint Paul ihn um Entdeckerruhm und Namensrecht betrogen. So heißt das Pflänzchen vom Mondberg heute weder Hagebucheria noch Maria-Theresia-Veilchen. Gedüngt mit dem Blut der Eingeborenen, ausgegraben von einem unruhigen Träumer, von grimmigen Kolonialherren in die kalte deutsche Erde umgetopft, welkt das hoch symbolische Pflänzchen heute als Lieblingsmauerblümchen des Spießers vor sich hin.

Fritzchen spielt mit seinem Sandkastenfreund Michael schon als Kind Urgroßvaters Abenteuer im Mondgebirge nach. Die rastlosen Beine und ein Gefühl dunkler Schuld lassen auch den erwachsenen Fritz nicht ruhen, und so macht er sich daran, den kolonialen Gewaltmarsch - Meyer wollte seinen Gipfelsturmrapport angeblich "Mein langer Marsch zu mir selbst" nennen - durch seine Teilnahme am Benefiz-Berglauf zugunsten der letzten afrikanischen Gletscher und des Weltfriedens überhaupt zu sühnen. Nur mal langsam: Man kann auch für eine bessere Welt laufen, selbst wenn Binders boxende Freundin Camilla das Unternehmen strikt ablehnt und ein Ex-Außenminister sich zum Händeschütteln und Phrasendreschen einfliegen lässt. Hamann beschreibt das groteske Charity-Rennen wunderbar grotesk, aber sein Versuch, Binders physische und moralische Erschöpfung in einem hechelnden Stakkato lautmalend abzubilden, ist auch für den Leser ziemlich anstrengend. "Hinab, hundert Jahre hinab und ein paar zerquetschte hinauf, auf meinen KiboMond, das wunderbare Usambaaaaaaaaraaaaaaaa, im Himmel unter mir, da werden die Mönchsgeier kreisen und das Okapi und der Uropi mit der Uromi im rauschhaften Tanz ..." "Der Kilimandscharo ist ein stimmenreiches Gebirge", und so gehen auch in Binders halluzinierendem Kopf afrikanische Sagen und deutsche Mythen, Max Schmeling und Professor Grzimek, Erinnerungen an den tapferen Uropa, den "fußlahmen Nazi-Opa", die sterbende Mutter und die Bettboxkämpfe mit Camilla wild durcheinander. Am Ende kommt der höhenkranke Postbote aus dem Würgen und Brechen und auch aus dem Plumpsklo gar nicht mehr heraus.

Nun aber mal langsam. Schon Raabe erzählte im "hüpfenden Zickzack", und auch Günter Herburger hat ein "Marathon-Pidgin" von Lauf und Wahn, Durchfall und Durchhalteparole erfunden. Aber es geht dort nicht ganz so steil über Stock und Stein, und manchmal gibt es auch Ruhepausen. So gern man von Hagebuchers traurig-komischer Suche nach der blauen Blume liest: Was sein Urenkel in seinen Fußstapfen findet, ist eher vorhersehbar. Schon klar: "Du kannst nicht aus der Welt hinauslaufen." Aber muss man für die Erstberennung des Kilimandscharo wirklich am Obersalzberg trainieren? Und sich politisch korrekt bei jedem ehrgeizigen Mit-Läufer und natürlich auch bei der Siegerehrung erbrechen, um jeden Anflug deutschnationalen Pathos zu brechen?

MARTIN HALTER.

Christof Hamann: "Usambara". Roman. Steidl Verlag, Göttingen 2007. 261 S., geb., 18,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Christof Hamann verknüpft in seinem dritten Roman über die Erstbesteigung des Kilimandscharo im damaligen Deutsch-Ostafrika historische Fakten mit der Fiktion des Usambaraveilchen-Entdeckers Leonhard Hagebucher und seines Urenkels und schreibt so den ersten "Afrikafamilienroman", hält Martin Halter fest. Insbesondere die groteske Schilderung eines "Kilimandscharo Benefit Runs 2006", an dem der besagte Urenkel zur Rettung der letzten afrikanischen Gletscher und für den weltweiten Frieden teilnimmt, fand der Rezensent sehr amüsant, auch wenn ihn der Stakkato-Stil, mit dem der Autor die Gedanken des zunehmend erschöpften Läufers festhält, zuletzt doch eher angestrengt hat. Am liebsten aber hat Halter die "tragikomische" Geschichte des Urgroßvaters gelesen, der laut Autor dann doch um die Entdeckerwürden des Usambaraveilchens geprellt wurde.

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