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Boualem Sansal hat nichts Geringeres als die Memoiren des Maghreb verfasst: keine monumentale Historie, sondern erlebte Geschichte. Ein Bogen, der sich über vier Jahrtausende und Tausende von Meilen spannt, von den Quellen des Nils bis zu den Kanaren, immer den Berbern, der Urbevölkerung des Maghreb, auf der Spur. Uns zugleich auf der Suche nach Neuorientierung für jene Region, in der der arabische Frühling seine ersten Jasminblüten trieb, und in der heute mehr denn je die Frage im Raum steht: Wer bin ich, will ich mich länger nur als Araber und Muslim definieren? Schicht für Schicht legt…mehr

Produktbeschreibung
Boualem Sansal hat nichts Geringeres als die Memoiren des Maghreb verfasst: keine monumentale Historie, sondern erlebte Geschichte. Ein Bogen, der sich über vier Jahrtausende und Tausende von Meilen spannt, von den Quellen des Nils bis zu den Kanaren, immer den Berbern, der Urbevölkerung des Maghreb, auf der Spur. Uns zugleich auf der Suche nach Neuorientierung für jene Region, in der der arabische Frühling seine ersten Jasminblüten trieb, und in der heute mehr denn je die Frage im Raum steht: Wer bin ich, will ich mich länger nur als Araber und Muslim definieren? Schicht für Schicht legt Boualem Sansal unter dem modernen Algerien den historischen Maghreb, das antike Numidien, das pharaonische Ägypten frei, in einem schwindelerregend gelehrten Essay, und zugleich in amüsantem Plauderton. Er gewährt uns Einblick in eine mitunter so fremde wie fremdbestimmte Geschichte - die doch sehr die Geschichte Europas wie jene des Maghreb ist. Wagen wir mit ihm das Abenteuer der Erinnerung!
Autorenporträt
Boualem Sansal, geboren 1949 in Téniet el Had, Algerien, wurde im Oktober 2011 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Joseph Hanimann freut sich nicht nur, dass mit "Maghreb - eine kleine Weltgeschichte" ein neues Buch von Boualem Sansal vorliegt, sondern auch, dass der algerische Autor darin zu alter Größe und seiner Kunst, mit "schnalzendem Plauderton" von Sternstunden und Katastrophen zu erzählen, zurückkehrt. Der Kritiker liest hier die Jahrtausende währende Geschichte des nordafrikanischen Volkes der Berber, die Sansal gelehrt und weltoffen anhand von drei Stationen - Ägypten, Numidien und Algerien - erzähle. Und so erfährt Hanimann etwa, wie sich die Berber zunächst an den Rändern der Pharaonenstadt Theben ansiedelten,  weiter nach Westen in die Wüste getrieben wurden und in den verschiedenen Epochen die Zeit der Wanderschaft, der spätrömischen Dichter Terenz und Apuleius, die Zeit der Imame, der Korsaren oder den großen Umbruch erlebten. Dabei erzähle Sansal in diesem so kunstvoll zwischen Essay, Erzählung und Selbstgespräch oszillierenden Buch mit Spitzbübigkeit und von "Witz durchtränkter Melancholie", so der verzauberte Kritiker, der auch die Arbeit der Übersetzerin mit viel Lob bedenkt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.03.2013

Poetische Maghrebiner

Boualem Sansal, algerischer Romancier, Regimekritiker und seit 2011 Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, veröffentlichte 2007 in Frankreich einen Essay mit dem bescheidenen Titel "Petit éloge de la mémoire" (Kleine Lobrede auf das Gedächtnis). Nun ist das Buch auf Deutsch erschienen. Sansal gelingt es, viertausend Jahre Geschichte auf 126 Seiten zu komprimieren, indem er - stark verdichtet - mit bewusst subjektivem Blick den Wirkungen politischer, sozialer und kultureller Einflüsse auf die Menschen im Maghreb nachspürt. Das Buch beginnt, als erzähle ein Barde am Lagerfeuer Geschichten aus längst vergangenen Zeiten: "Hört, was ich zu berichten weiß aus meiner fernen Vergangenheit." Knapp zweitausend Jahre vor Christus kommt der Ich-Erzähler auf die Welt, in Theben, und viele Male noch wird er wiedergeboren und stirbt er in immer neuen Zeiten und Welten. So erzählt er die Geschichte der Berber und ihrer Heimat, die einst Numidien hieß und heute Maghreb heißt. Die Zeitreise führt von den Anfängen in Ägypten über die Phönizier, die römische, byzantinische, arabische, türkische und zuletzt französische Besetzung bis ins heutige Algerien. Sansal hat auf der Suche nach der Identität seines Volkes eine Geschichte komponiert, in der Gegenwart und Vergangenheit eng mit poetischen, ironischen und umgangssprachlichen Tönen verwoben sind. Sein Volk allerdings kann ihn nicht ohne weiteres lesen: In Algerien sind Sansals Bücher verboten. (Boualem Sansal: "Maghreb - eine kleine Weltgeschichte". Aus dem Französischen von Regina Kei-Sagawe. Berlin University Press, Berlin 2012. 126 S., geb., 19,90 [Euro].)

karu

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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.03.2013

Die Kinder künftiger Zeiten
Mit von Witz durchtränkter Melancholie schreibt der algerische Autor
Boualem Sansal in seinem Buch „Maghreb“ die Memoiren seines Volkes, der Berber
VON JOSEPH HANIMANN
Wie bei alten Karten, wo der Norden nicht oben liegt und die gewohnte Raumorientierung durcheinandergerät, muss man sich in diesem Buch kurz umgewöhnen. Europa? Ein nebliges Ungefähr jenseits des Wassers. Im Mittelpunkt steht hier ein Volk – vielmehr: ein Volksschlag, der zwischen Nil und westafrikanischer Ozeanküste viertausend Jahre Weltgeschichte durchgemacht und dabei nur selten auf sich aufmerksam gemacht hat.
  Die Rede ist von den Berbern, das heißt von Boualem Sansals eigener Abstammung. Diese Schafhirten und Kleinbauern, die statt historischer Abenteuer stets eher die Ruhe ihrer Bergdörfer gesucht haben, waren die menschliche Urkonstante jener Landstriche, die im Lauf der Jahrhunderte abwechselnd Numidien, Mauretanien, Libyen, Rom, Afrika, Mezghana, Frankreich, Arabischer Maghreb hießen. Ihnen hat der Algerier Sansal auf gut hundert Seiten, ein bisschen in der Art von Julian Barnes’ „Geschichte der Welt in 10½ Kapiteln“, halb ironisch, halb auch hymnisch die Memoiren aufgeschrieben. Und er hat damit den großen Stil seiner frühen Romane wiedergefunden, der mit demselben schnalzenden Plauderton von Sternstunden und Katastrophen zu erzählen versteht.
  Das noch vor dem Ausbruch des arabischen Frühlings entstandene Buch wirkt durch die jüngsten Ereignisse nicht überholt, im Gegenteil. Was sind zwei Jahre Aufbruch und Rückfall gegen jahrtausendealtes Auf und Ab? „Da die Vergangenheit sich erst in der Gegenwart offenbart und deutlicher noch in der Zukunft“, schreibt der Autor in seinem speziell für diese Ausgabe verfassten Vorwort, „wären wir wohl die ein wenig zurückgebliebenen Kinder künftiger Zeiten“. Über wiederholte Geburten schlüpft er mit seinem imaginären Ich in die Gedächtnisschichten der nordafrikanischen Urbevölkerung und setzt seine persönlichen Marksteine. Drei insgesamt.
  Der erste heißt Ägypten. In fernen Zeiten sollen die aus dem Quellgebiet des Großen Flusses herabgestiegenen Stämme sich an den Rändern der Pharaonenstadt Theben angesiedelt haben. Es waren glückliche Zeiten, man wohnte im Mittelpunkt der Welt. Der Erzfeind der Menschen, eben der Zeitenlauf, war bezähmt und konnte nur den Menschen jenseits der Reichsgrenzen etwas anhaben.
  Da kein Reich dieser Welt aber ewig sein kann und selbst in Ägypten schließlich die Götter „schneller tot waren, als man sie von ihren Granitsockeln stoßen konnte“, wurden die Migranten von der Geschichte weiter nach Westen geschwemmt in die Wüstenräume, die statt zivilisationsstiftender Ströme nur ein paar Bäche zu bieten hatten. Jahrhundertelang klebten die Leute genügsam in ihren Zelten an den Hängen und kamen gar nicht auf die Idee, Städte, Festungen, Monumente oder Straßen zu bauen. Es ist der Markstein Numidien. Am Mittelmeer, dem „großen Teich, an dem die Menschheit nun immer streitlustiger herumstocherte“, begann die Geschichte sich zu beschleunigen. Sansal steckt dieses bald kriegerische, bald zivilisatorische Hin und Her in einer Kapitelfolge wechselnder Zeitetappen ab: Zeit der Wanderschaft, der Legenden, der phönizischen Händler, der spätrömischen Dichter Terenz und Apuleius, des frühchristlichen Bischofs von Hippo, mit Namen Augustinus, Zeit dann auch der Imame, der Korsaren, des großen Umbruchs.
  Der dritte Markstein heißt Algerien und dauert bis heute. Die Berber, unter die sich „allerlei Volk aus dem Bodensatz zerfallener Reiche gemengt hat“, beugten sich während all der Zeit den Göttern und Herrschern, wie sie kamen – dem stolzen Jupiter wie dem merkwürdigen Jesus aus Nazareth oder dem strengen Propheten Mohammed aus der arabischen Wüste.
  Die Gelehrsamkeit und Weltoffenheit Boualem Sansals, Friedenspreisträger 2011 des deutschen Buchhandels, der jüngst mit seinem Kollegen David Grossman eine Schriftsteller-Weltvereinigung für den Frieden gegründet hat, kommt weder akribisch in Fußnoten, noch gespreizt daher, sondern unterhaltsam und frech. Sie wirbelt wie ein Lausbube durchs Buch, lauert dort, wo man sie nicht vermutet, überspringt kühn ganze Epochen und treibt selbst mit den tragischen Ereignissen ihren hintergründigen Spaß. Dies genau waren auch die Mittel, mit denen Sansal in seinen frühen Romanen „Der Schwur der Barbaren“ oder „Das verrückte Kind im hohlen Baum“ berühmt wurde, vor dem algerischen Drama zwischen Islamisten- und Staatsterrorismus.
  Mit diesem Buch, eine in die Vergangenheit zurückgespiegelte Replik seiner 2006 erschienenen Streitschrift „Postlagernd: Algier“, steht der Autor auf dem Höhepunkt seiner Kunst zwischen Erzählung, Essay und Selbstgespräch. Er taucht sein hypothetisches Ich in die süßliche Stimmung byzantinischer Spätzeit, schmuggelt es in die Spekulation über einen Augustinus, der die numidischen Aufstände unterstützt hätte, statt die Repressionstheorie eines „nützlichen Schreckens“ zu entwickeln, lässt es in stummer Unterwürfigkeit versinken, schickt es sarkastisch gegen die Kolonialherrschaft in den Kampf.
  Die mit Witz durchätzte Melancholie Boualem Sansals, der vom Regime seines Landes heute totgeschwiegen wird, hellt sich im Vorwort dieses Buchs auf: sein Volk, das vor so vielen Göttern sich verneigt habe und heute an keinen mehr glaube, habe durch „die jüngsten, die unbesonnensten“ seiner Kinder einen neuen Hoffnungsschimmer bekommen. Tyrannen wurden verscheucht, Türen und Fenster aufgerissen wie beim Frühjahrsputz. Staubwolken fliegen, Idolbilder zerfetzen, Stimmen keifen, Provokations- und die Repressionshiebe hageln. Dieses kleine Buch ist eine ausgezeichnete Orientierungshilfe dafür. Und die Übersetzerin, die Sansals erste Romane ins Deutsche gebracht hat, findet aufs Neue den freien, temperamentvoll gezügelten Sprachton dafür.
Boualem Sansal: Maghreb – eine kleine Weltgeschichte. Aus dem Französischen von Regina Keil-Sagawe. Berlin University Press, Berlin 2012. 126 Seiten, 19,90 Euro.
Durch ein imaginäres Ich
schlüpft Sansal in die
Gedächtnisschichten Nordafrikas
Lebendige Verbindungsglieder zwischen Nordafrika und Europa: die Zugvögel, hier ein Schwarm von Staren über Algier auf der Suche nach einem Landeplatz.
FOTO: AFP
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