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Haffner analysiert die Auswahl- und Ausbildungsstrukturen der militärischen Eliten der ehemaligen DDR. Er weist nach, dass der Offizier der NVA in erster Linie politisch zuverlässig und dann militärisch kompetent sein musste. Die implementierten Mechanism

Produktbeschreibung
Haffner analysiert die Auswahl- und Ausbildungsstrukturen der militärischen Eliten der ehemaligen DDR. Er weist nach, dass der Offizier der NVA in erster Linie politisch zuverlässig und dann militärisch kompetent sein musste. Die implementierten Mechanism
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.02.2006

Guck von Politruk
Von der Sowjetarmee lernen hieß für die NVA nicht siegen lernen

Gegenstand der Monographie zur Militärgeschichte der SBZ/DDR sind Auswahl und Ausbildung von Offizierskadern für die seit 1949 der Hauptverwaltung für Ausbildung unterstellten Volkspolizeischulen und -bereitschaften, für die Kasernierte Volkspolizei, die 1952 aus ihnen hervorging, und für die Nationale Volksarmee, in die 1956 die KVP umgewandelt wurde. Die kenntnisreiche, allerdings recht abstrakte Darstellung endet mit den frühen siebziger Jahren. Klaus Jürgen Haffner gewährt detaillierte Einblicke in Strukturen und Prinzipien zu Rekrutierung und Selektion militärischer Führungskader unter dem Regime der SED. An Quellen standen ihm außer Akten aus DDR-Militärarchiven einst geheime Dissertationen und Diplomarbeiten von DDR-Militärs zur Verfügung.

Nie erreichtes Elite-Ideal war die "allseitig gebildete sozialistische Offizierspersönlichkeit". Der Autor zeichnet den Weg der Offiziersausbildung im Zuge der Militarisierung des zweiten deutschen Staates nach, der institutionell von den Volkspolizeischulen zu Offiziersschulen und schließlich zu Offiziershochschulen der Land- , Luft- und Seestreitkräfte in der DDR führte. Die Gründung der Militärakademie "Friedrich Engels" in Dresden 1959 bildete den Gipfelpunkt. Anhand von Offiziersausbildungsplänen,-strukturen und Selektionsprinzipien wird deutlich, wie systematisch die Wiederbewaffnung in der DDR zu einer Zeit vorangetrieben wurde, als über die "Remilitarisierung" der Bundesrepublik noch gar nicht entschieden war. Dafür war die Politbürokratie der SED mit anderen Schwierigkeiten konfrontiert. Zum Beispiel: "Die Rekrutierungspolitik zielte auf einen Bruch mit den traditionellen Kriterien, der formale Bildungsgrad verlor an Gewicht und wurde ersetzt durch proletarische Herkunft und politische Zuverlässigkeit." Das Wissen der Offiziere war entsprechend defizitär.

Ohne massive Unterstützung durch die Sowjetunion hätten die Herrschenden den Aufbau der NVA nicht bewältigt. Ihr verpflichtendes Vorbild war ohnehin die Sowjetarmee, aus deren Arsenalen die neuen Streitkräfte mit Waffen und Gerät ausgerüstet wurden. Zudem leisteten die Russen nachhaltig Offiziersausbildungshilfe. Seit 1950 schon studierten Offiziere aus der DDR an sowjetischen Militärakademien, seit 1955 sogar an der Generalstabsakademie der Sowjetarmee. Mit Recht verweist der Autor darauf, "daß kein anderes Land des Warschauer Paktes so viele Offiziere zur Ausbildung in die UdSSR schickte wie die DDR" - was verschiedene Gründe hatte. "Die Ausstattung der KVP und später der NVA mit sowjetischen Waffensystemen und Ausrüstungsgegenständen machte zum einen konkrete Kenntnisse über die Bedienung dieser Systeme erforderlich", resümiert Haffner. "Jenseits der Bedienungsebene waren aber auch Grundsätze ihres Einsatzes im Gefecht, auch im Zusammenspiel mit anderen Kräften, zu vermitteln." Nicht zuletzt lag es im Interesse der Sowjetarmee, "das aufwachsende Militär der DDR in den eigenen großen Funktionsverbund von Streitkräften und Waffengattungen einzubinden."

Indes fiel die letzte Entscheidung in Offizierskaderfragen, das ist sozusagen die Quintessenz, in der DDR stets außerhalb des Militärs - in der Abteilung Sicherheitsfragen des ZK der SED, im Politbüro oder im Nationalen Verteidigungsrat. Die Staatspartei hatte jederzeit Zugriff auf den für höhere Aufgaben geplanten Offiziersnachwuchs und vermochte "fast widerstandslos" alle gewünschten Positionen zu besetzen. Kommaneure auf der Truppenebene hatten in Personalfragen kaum Gestaltungsspielraum. Problematisch war in der NVA wie in der Sowjetarmee der fortwährende Dualismus von Partei und Armee. Zur Konfliktlösung wurde dem militärischen Kommandeur ein "Politruk" an die Seite gestellt, ein politischer Kommissar, in der NVA ein "Polit-Stellvertreter". Zur politisch-ideologischen Kontrolle der Truppe verfügte die SED über eigene Parteiorganisationen in den Streitkräften.

Aus der Untersuchung gänzlich ausgeklammert bleibt die Rolle der Staatssicherheit in der NVA. Das verwundert. Das MfS hatte immerhin ein dichtes inoffizielles Überwachungsnetz über die Armee gespannt und dürfte auch und gerade Kaderentscheidungen beeinflußt haben. Selbst unter Generälen besaß das MfS seine Zuträger - wie der unrühmliche Fall des Generaloberst Fritz Streletz alias IM "Birnbaum" lehrt. Von 1954 bis 1981 hat er für den Mielke-Apparat heimlich Berichte erstellt, auch personenbezogene. Wie häufig mag die politisch negative Einschätzung eines Offizierskaders durch die Staatssicherheit dessen militärische Karriere blockiert haben? Der Autor gibt auf diese Frage keine Antwort. Er stellt sie gar nicht.

KARL WILHELM FRICKE

Klaus Jürgen Haffner: "Die Einheit von Geist und Macht". Qualifikations- und Selektionsstrukturen in HVA, KVP und NVA von 1949 bis 1973/74. Verlag Edition Temmen, Bremen 2005. 296 S., 15,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Insgesamt zufrieden ist Rezensent Karl Wilhelm Fricke mit Klaus Jürgen Haffners Studie zur Militärgeschichte der SBZ/DDR. Im Mittelpunkt der Arbeit sieht er die Auswahl und Ausbildung von Offizierskadern vor allem für die Volkspolizeischulen und -bereitschaften sowie die Nationale Volksarmee von 1949 bis 1973/74. Fricke wertet die auf Akten aus DDR-Militärarchiven und einst geheimen Dissertationen und Diplomarbeiten von DDR-Militärs basierende Untersuchung als "kenntnisreich", auch wenn sie ihm "recht abstrakt" vorkommt. Jedenfalls lobt er die Untersuchung für die "detaillierten Einblicke", die sie in Strukturen und Prinzipien zu Rekrutierung und Selektion militärischer Führungskader unter dem Regime der SED ermöglicht. Hervorhebenswert erscheint ihm insbesondere die massive Unterstützung durch die Sowjetunion, ohne die die Machthaber in der DDR den Aufbau der NVA nicht bewältigt hätten. Bedauerlich findet Fricke hingegen, dass Haffner die Rolle der Staatssicherheit in der NVA gänzlich ausklammert.

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