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Produktdetails
  • Verlag: Brandes & Apsel / Südwind, W.
  • Seitenzahl: 191
  • Unbestimmt
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 312g
  • ISBN-13: 9783860992128
  • ISBN-10: 3860992120
  • Artikelnr.: 09616672
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.08.2001

Laptop unterm Schleier
Frauen spielen in der Medienlandschaft des Iran eine wichtige Rolle – vor allem als Protagonistinnen eines fortschrittlichen Islam
LISE J. ABID: Journalistinnen im Tschador. Frauen und Gesellschaftlicher Aufbruch im Iran, Brandes & Apsel/Südwind, Frankfurt 2001. 192 Seiten, 29,80 Mark.
Die Journalistin aus dem Gazastreifen klang resolut. Bei Telefongesprächen mit der damaligen UNO-Pressesprecherin am Ort war sie stets hervorragend informiert. Mit der Stimme am Telefon assoziierte die Pressesprecherin, die heute diese Rezension schreibt, sofort den Typ der modernen Palästinenserin: im Westen ausgebildet, Jeans und offen getragene Haare. Welche Überraschung, als diese Journalistin eines Tages vor ihr stand: in traditionellem Gewand, Haupt und Haar von einem Schal bedeckt, gehüllt in einen knöchellangen Mantel. Von wegen, professionelle und emanzipierte Frauen in islamisch geprägten Ländern können nur säkular sein!
Unterdrückte Wesen
Sind die Vorurteile über Araberinnen schon groß, so sitzen sie umso tiefer, wenn die Rede auf iranische Frauen kommt: Wo Leser immerzu mit neuen reißerischen Bestsellern über gepeinigte Frauen in der islamischen Welt und mit wahrhaftigen Schreckensmeldungen über die Situation der Frauen in Afghanistan gefüttert werden, können sie nicht umhin, zu glauben, dass auch die Tschador-verhüllten, verschleierten Frauen in der theokratischen Islamischen Republik Iran allesamt unterdrückte und passive Wesen sind. Lise J. Abids Untersuchung über iranische Journalistinnen ist deshalb ein wichtiger Beitrag zur Aufklärung, zumal da die Autorin darlegt, dass Emanzipation auch im Rahmen des islamischen Wertesystems möglich ist.
Tatsächlich war es gerade die von Staats wegen verordnete Verschleierung, die Iranerinnen zu mehr Entfaltungsmöglichkeiten verhalf. Denn fortan durften sich sogar Mädchen aus sehr traditionsgebundenen Familien außer Haus fortbilden. Noch zu des Schahs Zeiten konnten nur 35 Prozent aller Frauen lesen. 1991, zwölf Jahre nach Ayatollah Khomeinis Revolution, waren es schon fast 70 Prozent – was dem Iran den UNESCO-Preis für seine Alphabetisierungskampagne einbrachte. Waren zu Beginn der Revolution nur 10 Prozent aller Studenten weiblich, so waren es 1999 bereits 57 Prozent.
„Obwohl als Teil des islamischen Frauenideals die Rolle der Frau in der Familie betont wurde, forderte die neue revolutionäre Ordnung des Iran für die Frau nicht die Rückkehr zu ‚Heim und Herd‘ – ganz im Gegensatz etwa zum heutigen Afghanistan”, sagt die österreichische Islamwissenschaftlerin und Publizistin Abid.
Während des Kriegs mit dem Irak (1980-89) noch verklärt als „Mutter der Märtyrer” oder „heroische Witwe”, habe sich das Image der Frau in der Aufbauphase danach zu dem der „wirtschaftlich und akademisch aktiven Frau” gewandelt. Nicht zu unterschätzen ist der politische Einfluss der 30 Millionen Frauen im Land: Präsident Mohammad Khatami, der die islamische Regierung reformieren und demokratisieren will, wurde 1997 mit fast 70 Prozent der Stimmen vor allem von Jugendlichen und Frauen gewählt. Bei seiner Wiederwahl am 8. Juni dieses Jahres stimmten sogar 77 Prozent für ihn.
1997 reichten neun Frauen ihre Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen ein, doch sie wurden vom konservativ dominierten Wächterrat abgelehnt. In den Kommunalwahlen vor zwei Jahren gewannen Frauen in 109 Städten die meisten Stimmen.
Im Laufe der Jahre entstanden viele neue Berufsbilder für Frauen –„und wenn im Iran auch Busfahrerinnen und Pilotinnen zu den Raritäten gehören, es gibt sie.” Frauen konnten sich sogar in der international erfolgreichen iranischen Filmindustrie durchsetzen: In der ersten Dekade nach der Revolution gab es mehr Regisseurinnen, als in der gesamten iranischen Filmgeschichte davor. 13 Prozent aller Journalisten sind Frauen.
Die iranische Presse entstand Mitte des 19. Jahrhunderts, eine spezifische Frauenpresse erst Anfang des 20. Vor zwei Jahren gab es fast 850 regelmäßig erscheinende Presseerzeugnisse im Iran. Darunter waren neun Frauenzeitschriften und elf Familienmagazine mit einer geschätzten Auflage von mehr als einer halben Million Exemplare. 1998 startete die Parlamentsabgeordnete und Tochter des ehemaligen Präsidenten Haschemi Rafsandschani eine Tageszeitung für Frauen, die aber neun Monate später wegen unliebsamer Berichterstattung wieder geschlossen wurde. Im selben Jahr gründete sich eine Journalistinnen-Vereinigung.
Das politische Spektrum der Frauenpresse erstreckt sich von islamisch- orthodox bis islamisch-emanzipiert. Die Autorin sagt, sie habe das in den Publikationen artikulierte Auftreten für Frauenrechte selbst überrascht. Die Verheiratung Minderjähriger, Familienplanung, Scheidung und Sorgerecht oder Gewalt gegen Frauen gehören zu den vielfältigen Themen, die vor allem die Reformpresse aufgreift. Diskussionspunkte waren aber auch die Studentenunruhen 1999 und deren brutale Niederschlagung durch die Regierung, die Intellektuellenmorde durch den Geheimdienst oder die Frage, ob die Zeit schon reif sei für eine weibliche Präsidentin. Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen ist erlaubt, vorausgesetzt, sie bewegt sich „im Rahmen des islamischen Systems und unter Berufung auf islamische Ideale.”
Die Presse vermeidet deshalb bewusst Propagandatöne, und Leser müssen häufig zwischen den Zeilen lesen. Emanzipierte Journalistinnen, wie etwa die parlamentarische Vizepräsidentin Massoumeh Ebtekar, grenzen sich vom westlichen Feminismus deutlich ab: Sie halten ihn weder für erstrebenswert, noch für übertragbar auf die iranische Gesellschaft. Stattdessen fordern sie einen reformierten Islam, der Demokratie, soziale Gerechtigkeit, freie Meinungsäußerung, individuelle und bürgerliche Rechte bietet.
Mit der Wahl von Präsident Khatami blühten die Medien durch Zensurlockerungen seit 1997 weiter auf. Viele Journalisten wollen keine „makellose Fassade der iranischen Gesellschaft” mehr zeigen, sagt Abid. Politische Debatten finden mangels eines Mehrparteiensystems vor allem in der Presse statt: „In der iranischen Gesellschaft gelten die Medien traditionell als ein besonders sensibles Barometer der politischen Stimmung”. Gerade aus diesem Grund wäre es begrüßenswert gewesen, wenn die Autorin auch die säkulare und progressive Exilpresse und Internetpublikationen untersucht hätte, um den Standpunkte all jener Iraner einzubeziehen, die sich mit dem islamischen System nicht identifizieren.
Politisches Forum schlechthin, sind die Medien der Spielball im Machtkampf zwischen den Konservativen und den Reformern. Der Präsident konnte eine Verschärfung des Pressegesetzes deshalb nicht verhindern – die Gerichte werden von den politischen Gegnern beherrscht. Im Frühjahr letzten Jahres wurde die gesamte reformorientierte Presse zeitweilig oder ganz geschlossen. Immer wieder werden Journalisten bedroht, verhaftet oder sogar ermordet: Iranische Journalisten müssen „Lebenskünstler” sein und gefährden mitunter auch ihr Leben.
An der Spitze der Bewegung
Abid vergleicht die Bedeutung der iranischen Frauenpresse mit den Presseorganen großer sozialer Bewegungen, wie etwa der europäischen Arbeiterbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts – eine so wichtige Rolle spielt die Frauenpresse bei der Bildung der öffentlichen Meinung. Vor über 20 Jahren standen die iranischen Frauen mit an der Spitze der Revolution. Heute stehen sie an der Spitze der Reformbewegung – und die Presse ist dabei ihr wichtigstes Instrument.
ALEXANDRA SENFFT
Die Rezensentin ist Islamwissenschaftlerin und Journalistin in Hamburg.
Vor allem Frauen stimmten im Iran, wie hier in Teheran, bei den letzten Wahlen für die Reformer. Frauen geben Zeitungen heraus, führen Regie in Filmen. Eine Frau kandidierte für das Präsidentenamt. Emanzipation ist möglich.
Foto: dpa
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Alexandra Senfft lobt dieses Buch als einen "wichtigen Beitrag zur Aufklärung", in dem endlich einmal gezeigt werde, dass Emanzipation auch im Islam möglich ist. Überhaupt sieht die Rezensentin hier mit zahlreichen Vorurteilen aufgeräumt und präsentiert eine ganze Liste von weiblichen Errungenschaften und Fortschritten im Iran: Die Alphabetisierung habe enorm zugenommen, Frauen könnten Pilotin, Busfahrerin und Regisseurin werden, und sogar der Tschador wird gelobt, weil er auch Mädchen aus traditionsgebundenen Familien eine Bildung außer Haus ermögliche. Senffts Rezension liest sich beinahe wie eine Erfolgsgeschichte von iranischen Frauen, in der Probleme eher nebensächlich zu sein scheinen. Lediglich bei ihrer Anmerkung, die Autorin hätte auch die "säkulare und progressive Exilpresse und Internetpublikationen" in ihre Untersuchung mit einbeziehen sollen, um die Haltung derjenigen Iraner deutlich zu machen, "die sich mit dem islamischen System nicht identifizieren", klingt etwas Kritik durch.

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