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'Tage zuviel' ist der vielfach unterbrochene Gedankenfaden eines 94jährigen Mannes, der Blick auf ein vergehendes Leben. Ein Leben, aus dem er sich am Ende sozusagen als Wickelkind verabschiedet. Ein Patriarch fällt, ein Autokrat muss feststellen, dass er dahingeht. Doch er geht nicht kampflos. Er rebelliert: gegen die Tücken des Alters, die Schwächen des Körpers, die Launen des Gedächtnisses, die Gleichgültigkeit seiner Kinder und die Bosheiten seiner Enkel. Und er rächt sich, solange er noch dazu imstande ist, indem er 'Überlebensstrategien' entwickelt, die Umgebung tyrannisiert und die…mehr

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Produktbeschreibung
'Tage zuviel' ist der vielfach unterbrochene Gedankenfaden eines 94jährigen Mannes, der Blick auf ein vergehendes Leben. Ein Leben, aus dem er sich am Ende sozusagen als Wickelkind verabschiedet. Ein Patriarch fällt, ein Autokrat muss feststellen, dass er dahingeht. Doch er geht nicht kampflos. Er rebelliert: gegen die Tücken des Alters, die Schwächen des Körpers, die Launen des Gedächtnisses, die Gleichgültigkeit seiner Kinder und die Bosheiten seiner Enkel. Und er rächt sich, solange er noch dazu imstande ist, indem er 'Überlebensstrategien' entwickelt, die Umgebung tyrannisiert und die Familienmitglieder gegeneinander ausspielt.Alt werden ist schwierig. Sehr alt werden noch schwieriger. Ab einem bestimmten Alter hat man sich selbst überlebt, sowohl in den eigenen wie auch in den Augen der anderen. Und je mehr die eigenen Körperkräfte und -funktionen nachlassen, desto mehr wächst die Abhängigkeit von anderen, verringert sich die Möglichkeit, Druck oder Herrschaft auszuüben, undwächst schliesslich das Gefühl der Hilflosigkeit, dann der Erniedrigung.
Autorenporträt
Hassan Dawud, geboren 1950 in Beirut. Studium der arabischen Literatur an der Libanesischen Universität in Beirut. 1983 erschien sein erster Roman 'Mathildes Haus'. Bisher hat Hassan Dawud fünf Romane, eine Novelle und einen Erzählungsband publiziert. Er lebt als Journalist und Schriftsteller in Beirut. Für seinen Roman 'Der Gesang des Pinguins' wurde Hassan Dawud mit dem Preis 'Bestes Buch des Libanon 1998' ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.09.2002

Getrübte Lebendigkeit
Hassan Dawuds unerbittlicher Roman über das Altern

Es gibt Romane, die dem Leser im Kopf immerfort in ein anderes Genre abgleiten. Dieser Alte zum Beispiel mit seinen "Tagen zuviel" und seinem auf der Stelle kreisenden inneren Monolog, dessen Assoziationswirbel im engen Horizont einer Wohnung Welt und Zeit schlucken, wirkt ausgesprochen szenisch. Ein Bernhard Minetti hätte ihn, mit dicker Brille, orientalischen Lederpantoffeln und krächzend aufgedrehtem Radio zur Koranlesung, in seiner kauzigen Boshaftigkeit vorzüglich gespielt. Gleichzeitig wäre aber mit der Realpräsenz auf der Bühne die Irrealität des greise verinnerlichten Sinnierens dahin, die eine zukunftsamputierte Gegenwart und Vergangenheit kunstvoll ineinander verstrickt und bei aller Überrealität der Details die Hauptqualität dieses Romans ausmacht.

Die Gegenwartsliteratur des Libanon zeichnet sich durch eine ihr eigene Urbanität aus. Selbst in den Dorfszenen weitab vom Völker- und Kulturengemisch Beiruts hallt da statt kontemplativer Naturstimmung meist eher das Stimmengewirr von Nachbarn und mehr oder weniger entfernten Familienangehörigen nach. Das gilt gerade auch fürs Werk von Hassan Dawud, dessen Bücher vornehmlich Außenseiter der Gesellschaft darstellen. Sein vor zwei Jahren auf deutsch erschienener Roman "Der Gesang des Pinguins" zeigte einen scheuen, körperlich mißgebildeten Sonderling, der am Stadtrand von Beirut voyeuristisch-introvertiert sein ödes Dasein fristet. Diesmal handelt es sich um einen Greis, der, umgeben noch von den ihm entfremdeten Söhnen, Töchtern und Schwiegertöchtern, seine patriarchalische Macht und seine körperliche Autonomie schwinden sieht bis hin zur erbärmlichen Bettlägerigkeit, die allen nur noch zur Last fällt.

Schon das genaue Alter des offiziell Vierundneunzigjährigen ist eine familiäre Streitfrage: Ob von dem aus der amtlichen Kennkarte zu errechnenden Alter drei Jahre abgezählt, wie der Mann selbst behauptet, oder vielmehr hinzugefügt werden müssen, wie die Kinder und Kindeskinder meinen, macht weit mehr als nur die sechs arithmetischen Jahre Differenz aus. Das reale Alter liegt im stets problematischen Schnittpunkt zwischen divergierender Selbst- und Fremdeinschätzung. Und so sozial verschränkt ist die ganze Lebenswelt des Alten, angefangen mit dem Lebensraum seiner Wohnung. Das mit Aufstockung, Außentreppe, verschlossenem Vaterzimmer, unzugänglichem Klo, geschlossen bleibendem Nebenzimmer, aber stets belebter Dachterrasse in sich verschachtelte Wohnhaus ist eine begehbare Metapher konfliktreichen Zusammenlebens. Daß der Alte statt in seine Toilette lieber von der Terrasse auf den Betonplatz hinunterpinkelt, ist weniger Racheakt für das Getrampel von Söhnen und Schwiegertöchtern auf der Dachterrasse, das bei ihm den Staub von der Decke fallen läßt, als einfach eine Folge aus Nachlässigkeit und Ekel des Witwers vor seinem eigenen Örtchen. So träge er indes in seinem Gewohnheitstrott sein mag, so klar ist ihm dabei, daß die Umgebung nicht vom Drin-Leben schmutzig wird, "sondern davon, daß man die Dinge einfach stehenläßt und daß die Bewohner langsamer werden und sich weniger bewegen".

Dieses schleichende Immobilwerden im engen Kreis von Küche, Terrasse und Bett, dieses Wegducken und Sich-schlafend-Stellen, wenn jemand draußen die Treppe hochgeht, dieses argwöhnische Spähen danach, wie man zum Gesprächsthema der anderen wird, und dieses monomanische Gewährenlassen der zerstreut aufsteigenden Erinnerungen in zeitlos öder Allgegenwart bestimmten den Fortgang dieses Romans bis zum erniedrigenden Ende seniler, aber luzider Unselbständigkeit. Die einstige Backstube in Beirut, das stille Nachleben seiner verstorbenen Frau Hadscha Chadîdscha im Haus, die stolze Wut auf den einstigen Nachbarn, der seine Hausmauer einen Meter aufs fremde Grundstück vorschob, selbst das bis ins hohe Alter hinein noch betriebene Hinabklettern in den Brunnen driften in der streng komponierten, nur scheinbaren Beliebigkeit der Assoziationen auseinander und auf jene Perspektivenverengung zu, wo nur noch zählt, bei wem man auf der Beerdigung geweint hat und bei wem nicht. Dieser Perspektivenstau ist auch der existentielle Ort, wo man sich schon mehr an die Erinnerung von Dingen erinnert als an die Dinge selbst.

Die Erfahrung des Altwerdens, die in unseren westlichen Fürsorgegesellschaften mehr nach Lautlosigkeit, klinischer Reinlichkeit, gepolsterter Funktionalität, Abgeschirmtheit, Komfort und uneingestanden tiefer Langeweile aussieht, kehrt in diesem Roman in der Variante von offenem, lärmigem, staubwirbelndem Großfamilienleben wieder, das weiß Gott auch kein Honigschlecken ist. Die schleichende Mutation des Hochbetagten vom Gesprächspartner zum Gesprächsstoff hat der Autor Hassan Dawud in die Kunstform des assoziationsplätschernden inneren Monologs umgepolt und das, was Jean Améry einst die gesellschaftlich vollzogene "Nichtung oder Ver-Nichtung des alternden Menschen" nannte, in mediterran getrübter Lebendigkeit neu inszeniert. Die sorgfältige, unaufdringliche Übersetzung von Hartmut Fähndrich spart konsequent mit allen orientalisierenden Effekten und erspart uns dabei doch keine Nuance dieses gezielt schmucklosen, von Sentiment und Sarkasmus gleich weit entfernten Romans.

Hassan Dawud: "Tage zuviel". Roman aus dem Libanon. Aus dem Arabischen übersetzt von Hartmut Fähndrich. Lenos Verlag, Basel 2002. 188 S., geb., 18,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Der Libanese Hassan Dawud stellt in seinen Romanen vornehmlich gesellschaftliche Außenseiter dar, weiß Rezensent Joseph Hanimann. Das gilt auch für Dawuds neues Buch, einen "unerbittlichen Roman über das Altern". Held von "Tage zuviel" ist ein Greis, dessen Leben sich vor allem im begrenzten Raum seiner Wohnung abspielt, wo er seinen Söhnen, Töchtern und Schwiegertöchtern mit seiner zunehmenden Senilität mehr und mehr auf die Nerven geht, berichtet Hanimann. Das schleichende Immobilwerden des Alten im engen Kreis von Bett, Küche und Terrasse bestimme den Fortgang der Handlung bis zum erniedrigenden Ende seniler, aber luzider Unselbständigkeit. Von Sarkasmus und Sentimentalität gleich weit entfernt, schildert Dawud für Hanimann in einer bewusst schmucklosen Sprache das, was Jean Améry die gesellschaftlich vollzogene "Nichtung oder Vernichtung des alternden Menschen" nenne. Ein großes Lob geht dabei auch an Hartmut Fähndrich für seine "sorgfältige, unaufdringliche" Übersetzung.

© Perlentaucher Medien GmbH"
'Hassan Dawud ist mit diesem Roman das starke Porträt eines alternden Mannes gelungen, der allmählich aus seiner Welt gedrängt wird und sich diesen Veränderungen hilflos ausgesetzt sieht.'saemann