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Der vorliegende Band macht erstmals Michaux' frühe Texte, seine erste selbstständige Publikation »Die Träume und das Bein« und vor allem die komplette Sammlung von »Wer ich war« vollständig zugänglich.
Obwohl Michaux später seine Anfänge zu verbergen suchte und sie mit wechselnder Konsequenz aus seinem Werkkatalog tilgte - dem ihn verehrenden Paul Celan erlaubte er allerdings eine auszugsweise Übersetzung seines ersten Buches von 1927 -, konnten mittlerweile doch viele Spuren der 20er Jahre festgehalten werden. Nach den ersten Reisen, die den 21-jährigen Matrosen Michaux nach Nord- und…mehr

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Produktbeschreibung
Der vorliegende Band macht erstmals Michaux' frühe Texte, seine erste selbstständige Publikation »Die Träume und das Bein« und vor allem die komplette Sammlung von »Wer ich war« vollständig zugänglich.
Obwohl Michaux später seine Anfänge zu verbergen suchte und sie mit wechselnder Konsequenz aus seinem Werkkatalog tilgte - dem ihn verehrenden Paul Celan erlaubte er allerdings eine auszugsweise Übersetzung seines ersten Buches von 1927 -, konnten mittlerweile doch viele Spuren der 20er Jahre festgehalten werden. Nach den ersten Reisen, die den 21-jährigen Matrosen Michaux nach Nord- und Südamerika, Indien und China führten, lebte er wieder in seinem gehassten Brüssel, wo er zu schreiben begann und ab 1923 in der Zeitschrift 'Le Disque Vert' (hg. v. Franz Hellens) regelmäßig publizierte: Rezensionen, Essays, Beiträge zu Chaplin und Freud - Arbeiten, die seine wichtigen späteren Themen und sein Interesse am Traum, am Fremden, an 'anderen Zuständen' beispielhaft enthalten.Der vorliegende Band macht nun erstmals diese frühen Texte, seine erste selbstständige Publikation 'Die Träume und das Bein' und vor allem die komplette Sammlung von 'Wer ich war' vollständig zugänglich.Schon für sein frühes Werk gilt, was Octavio Paz in einem großen Aufsatz über Michaux festhielt: 'Die außerordentliche Spannung der Sprache Michaux' rührt daher, dass ihre ganze stählerne Kraft von einem Willen gelenkt ist, der auf die Begegnung mit etwas abzielt, das das Unwirksame par excellence ist: der Zustand des Nichtwissens, das das absolute Wissen ist, das Denken, das nicht mehr denkt, weil es mit sich selbst eins geworden ist, die unendliche Transparenz, der unbewegliche Strudel.'
Autorenporträt
Kurt Leonhard wurde 1910 in Berlin geboren. Seine Arbeitsgebiete sind: Gedichte, Erzählungen, Romane, Essays und Übersetzungen. 2004 Maria-Ensle-Preis der Kunststiftung Baden-Württemberg - wie kaum ein anderer Autor habe Kurt Leonhard die deutsche Nachkriegslyrik beeinflusst. Er lebt in Esslingen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.03.2007

Charlie Chaplin bleibt Junggeselle
Als die Moderne modern war: Henri Michaux’ „Frühe Schriften”
Das zwanzigste Jahrhundert sei „blasiert, angesichts der Komplexität, des Luxus, der Details”. Als Gegenbewegung tritt es „in den Trappistenorden ein, will Wurzeln fressen und in der Wüste leben.” Das behauptet der junge Henri Michaux in seinem wild wuchernden Aufsatz „Ein Fall von zirkulärem Irresein”, den er 1922 in der Brüsseler Zeitschrift Le Disque Vert veröffentlicht, einem damaligen Organ der Zukunft, in dem Cocteau, Blaise Cendrars, Philippe Soupault und viele andere schrieben. Zwei Jahre später spöttelt der fünfundzwanzigjährige Michaux in einem „Brief aus Belgien”, den er in der berühmten Transatlantic Review publiziert, wohlwollend über die „Dünkelphobie” seiner Landsleute, ihre Neigung, auch literarisch zu untertreiben, die Furcht, ein Aufschneider, ein „Stoeffer” zu sein. „Das Geheimnis ist: der Belgier glaubt, die Wörter seien affektiert. Er lässt sie teigig werden und erstickt sie, so gut er es kann, bis sie harmlos und gutmütig geworden sind.” Das ist ein wenig lächerlich, lässt Michaux durchblicken, aber auch eine gute Vorbereitung auf den Trappistenorden, „auf die ziemlich allgemeine Rückkehr zur Einfachheit, die in der Kunst spürbar geworden ist.”
Da möchte der junge Spötter, dessen Frühwerk der Droschl-Verlag jetzt in einer schönen Auswahl präsentiert, nicht fehlen. „Endlich Schlichtheit”, schreibt Michaux in einer Rezension zu „Bass-Bassina-Boulou”, einen Roman seines Vorbilds und Förderers Franz Hellens. Doch wie sich diese „Einfachheit” vorstellen? „Bass-Bassina-Boulou” ist nach Michaux ein „kubistischer” Roman: „Mit einigen Farben und einigen geometrischen Formen machen die Kubisten ein Bild. Franz Hellens und alle seine Figuren verwenden in all ihren Beschreibungen ausschließlich die grundlegendsten Adjektive und Bezeichnungen.”
Der Topf wackelt heftig
Dass die kubistische „Einfachheit”, der Michaux in diesen Frühschriften auf der Spur ist, eine komplexe sein muss, merkt man in seinen, manchmal nur wenige Zeilen umfassenden „Fabeln von den Ursprüngen”. Etwa wenn im „Ursprung der Menschenfresserei” Ndwa seinen Sohn Ndwahi isst, nachdem dieser in den Topf gefallen ist, in dem die Höhlenbewohner kochen. Ndwa ist kurz aus der Höhle gegangen, Ndwahi „spielt, fällt in den Topf. Der Topf wackelt heftig. Dann wackelt der Topf nicht mehr.” Am Abend kommt Ndwa zurück: „,Ich dachte, ich hätte das ganze Fleisch geschnitten.‘ Er schneidet ein Stück. Er beginnt zu essen.”.
„Einfachheit” heißt hier also stilistische Direktheit, Theater der Grausamkeit, gerade nicht belgische Gemütlichkeit. Sie wird als Ausdruck der Begegnung der geistigen Moderne mit der Technik verstanden. Letztere hat unsere Wahrnehmung verändert: „Im Schnellzug, im Auto mit hundert Stundenkilometern: jede Sekunde bringt ihre Gegenstände und nimmt sie wieder zurück. Jede Sekunde bietet ihr Schauspiel, ihre Parzellen, einen Teich oder einen Pfosten, ein Dickicht, Bäume, Kühe und einen Bauernhof. Unaufhörlich . . . unaufhörlich.” Und diese „Abfolge von plötzlichen Schauspielen, die einem ins Gesicht springen” fragt Michaux rhetorisch, „sollen nicht ein schnelleres Ticktack der Vorstellungen und Emotionen in den Künsten erzeugen, sollen nicht dazu beitragen? Warum nicht?”
Ein Tritt in den Hintern
Verblüffend ist, wer für Michaux unter diesen Voraussetzungen zum wichtigsten Repräsentanten der Moderne wird. Es sind nicht Picasso, Tzara, Chesterton, Satie oder Freud, dem Michaux in dieser Auswahl später teils verworfener Schriften von 1922 bis 1935 ebenfalls einen Traum-Aufsatz widmet. Sie alle, so Michaux, „nehmen eine Leinwand, liniertes oder kariertes Papier, und sie versuchen, diese Oberflächen zu beschmutzen, jeder auf seine Weise.” Sie machen Zeichen für „die moderne Seele”. Dabei käme es darauf an, sie zu verkörpern, man muss „sie einem Maurer oder Polizisten einsetzen und sie als Maurer oder Polizisten ohne Vermittlung der fatalen Pinsel und Federhalter modern handeln lassen”. Und, jubelt Michaux, genau das gibt es! „Er lebt! Charlie!”
In einer 1924er-Sondernummer von Disque Vert, in der, ein Sensatiönchen, auch Lucia Joyce, die siebzehnjährige Tochter des noch nicht weltberühmten Iren, zu Wort kommt, huldigt die Zeitschrift Charlie Chaplin. Michaux zeichnet ihn facettenreich: „Charlie, Reaktion gegen die Romantik. Wir haben keine Gefühle mehr. Aber man handelt noch./ Charlie, das sind wir. Er tötet einen Polizisten. Es ist getan. Er zieht ihn an den Stiefeln bis zum Fluss. Er dreht sich nicht um. Am Fluss tritt er ihn mit dem Fuß./ Der Leichnam und Charlie gehen ein jeder seines Weges.” Charlie, schreibt Michaux, sei „Dadaist. Sein Leben ist ein Gedankensprung (. . .). Die Wünsche des Unterbewussten, die Impulse werden auf der Stelle verwirklicht.” Das bringt ihn dazu, seiner zukünftigen Schwiegermutter, als sie sich vor ihm bückt, um etwas aufzuheben, in den Hintern zu treten. „Armer Charlie”, er wird immer ein Junggeselle bleiben.HANS-PETER KUNISCH
HENRI MICHAUX: Wer ich war. Frühe Schriften. Aus dem Französischen von Paul Celan, Kurt Leonhard und Dieter Hornig. Droschl Verlag, Graz 2006. 197 Seiten, 23 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.07.2006

Allein in seiner Haut
Anfänge eines Vollenders: Henri Michaux' Frühwerk

Im Januar 1924 ist er endlich, mit nicht ganz fünfundzwanzig Jahren, in Paris. "Belgien endgültig verlassen", wird er später unter diesem Datum festhalten. Das stimmt zwar nicht ganz, aber Belgien kommt bei Henri Michaux grundsätzlich schlecht weg. Belgien muß für eine Kindheit und Jugend büßen, von der er nur die gehaßte bürgerliche Enge und Beschränktheit festhalten wird. Die erste Flucht liegt bereits vier Jahre zurück, als Matrose der Handelsmarine kam er bis nach Rio und Buenos Aires; doch die Rückkehr nach Brüssel ließ sich nicht vermeiden.

Paris dagegen wird er nicht mehr aufgeben, auch wenn noch unzählige "beschwingte Aufbrüche" bevorstehen. Michaux orientiert sich schnell in der Literaturszene. In Belgien sind von ihm zwei kleine Broschüren erschienen und einige Beiträge in der auch in Paris beachteten Brüsseler Avantgardezeitschrift "Le Disque Vert", deren Mitherausgeber er Ende 1924 wird. Dort und in anderen Zeitschriften veröffentlicht er weiter. 1927 erscheint sein erstes Buch bei Gallimard, eine Sammlung von größtenteils schon zuvor veröffentlichten Texten unter dem Titel "Qui je fus".

Es sind diese Texte der Jahre 1922 bis 1927, ergänzt um einige etwas später entstandene, die nun als "Frühe Schriften" und größtenteils erstmals auf deutsch vorliegen: Zu entdecken sind die Anfänge eines großen Autors. Es sind tastende und doch von Beginn an selbstbewußte Übungen, eine unverkennbare Stimme hören zu lassen. Die erste Flucht war mißlungen, die Zuflucht zum Ideal des Heiligen schon zuvor mit dem Zusammenbruch des Glaubens unmöglich geworden. Die frühen Eindrücke, die ein katholischer Schriftsteller wie Ernest Hello bei ihm hinterließ, wird er zwar immer hervorstreichen und sich mit mystischer Literatur und Heiligenviten noch eingehend beschäftigen. Aber der unmittelbare Anstoß liegt näher am Erwartbaren: "1922, Brüssel: Lektüre von Maldoror. Aufschrecken . . . das bald das lang vergessene Bedürfnis auslöst zu schreiben."

Die Bewunderung von Lautréamonts schwarzer Ästhetik, für die Antiliteratur der Befreiungsschlag, verbindet ihn mit einer Reihe von Autoren, nicht zuletzt mit den Surrealisten. Kaum verwunderlich also, daß sein erster veröffentlichter Text eine Hommage an die "Gesänge des Maldoror" enthält. Erstaunlich dagegen ist, daß man sie ebenso als Ironisierung seiner Begeisterung in Form eines Pastiches lesen kann: Der Titel des ersten Abschnitts, "Er hält sich für Maldoror", gewinnt durch einen an psychiatrische Falldarstellungen angelehnten zweiten Teil eine unüberhörbar pathologische Färbung.

Womit auch bereits die psychiatrische Literatur im Spiel ist, die Michaux nie mehr ganz auslassen wird. Aber sie ist nur Teil eines recht gemischten Lektürepensums, von dem er eigenwilligen Gebrauch macht. Die erste separate Veröffentlichung "Die Träume und das Bein" ist ein gutes Beispiel für die Umsetzung solch "unordentlicher" Lektüre. Soll das nun eine ernsthafte Traumtheorie in nuce sein? Aber dafür sind Darstellung wie Beispiele zu merkwürdig. Andererseits findet man viele der Beispiele durchaus in "ernsthafter" zeitgenössischer Fachliteratur wieder. Auf verführerische Art hält sich der Text zwischen Essay und literarischer Invention. Michaux' Vorbehalte gegenüber Freud sind nicht originell, aber was er aus ihnen macht, ist bereits unverwechselbar.

Diese frühen Stücke - Texte über Träume, Surrealismus, Freud und Charlie Chaplin - arbeiten mit schnellen Schnitten, komprimierten Sätzen, mit einer das "Literarische" unterlaufenden Notatform. Das wirkt auf den ersten Blick wie hingeworfen und ist doch raffiniert gearbeitet, voll von kaustischem Witz, der von tieferer Bedeutung nicht leicht zu unterscheiden ist. Und es läßt Michaux' von Anfang an wachen Sinn für Abgrenzungen erkennen, von den Surrealisten zumal, deren "écriture automatique" er als naive Vorstellung der Annäherung an ein unverfälschtes Unbewußtes ironisiert. Sein Versuch über Träume bereitet die komisch-bestürzenden Auftritte des widerspenstigen Körpers vor, den manche Ichs bewohnen können und dessen Seele oft eigene Wege geht.

Die Sammlung enthält aber auch "Gedichte", in denen Michaux das rhythmisierte Hämmern der Sätze probt, welches die Worte nicht selten zum phonetischen Material reduziert, das neu kombiniert und mit semantischem Mehrwert angereichert wird. Die Lust am Fragmentieren wird da noch deutlicher als in der Kunst der "mauvaise lecture", die Michaux sich selber zuschrieb. Das zugrunde liegende Motiv lassen die frühen Texte insgesamt deutlich hervortreten: Es ist der unbedingte Wille, anderes als Literatur zu machen und in einem emphatischen Sinn "bei sich" zu bleiben - selbst wenn gerade das heißt, "nicht allein zu sein in seiner Haut".

Dieter Hornigs Übersetzung bringt Michaux' Sprache sicher ins Deutsche, ihre spielerischen und ihre aggressiven Facetten, ihren raffiniert kunstlosen Gestus und hinreißenden Witz. Und der Verlag ist zu loben für die Treue zu einem Editionsprojekt, das einen der hervorstechendsten französischen Autoren des letzten Jahrhunderts in Einzelbänden zugänglich macht.

Henri Michaux: "Wer ich war". Frühe Schriften 1922-1926. Aus dem Französischen übersetzt von Dieter Hornig. Droschl Verlag, Klagenfurt 2006. 197 S., br., 23,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Sehr angetan zeigt sich Rezensent Helmut Mayer von diesem Band mit den "Frühen Schriften" des Autors Henri Michaux. Die Ausgabe konzentriert sich auf Texte aus den Jahren 1922-1927 (ein paar spätere sind allerdings auch dabei) und bedeutet für viele davon die erstmalige Übertragung ins Deutsche. Schon hier erweist sich Michaux, so Mayer, als durchaus eigenständiger Kopf. Zwar sei die Nähe zu den Surrealisten nicht zu übersehen - genauso wenig allerdings deutliche Distanzierungen, zum Beispiel gegenüber dem Konzept der "ecriture automatique", das Michaux für einigermaßen naiv hielt. Auch die für die Hauptwerke so typischen Bezüge zur Psychiatrie sind bereits hier zu finden, stellt Mayer fest, offensichtlich beeindruckt davon, wie früh sich schon die Lebensthemen Michaux' abzeichnen. Ein Extralob erhalten sowohl der "sichere" Übersetzer Dieter Hornig als auch der Verlag für seinen Mut zu dieser Ausgabe in Einzelbänden.

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