Produktdetails
  • Cultural Studies
  • Verlag: Turia & Kant
  • Seitenzahl: 244
  • Abmessung: 240mm
  • Gewicht: 522g
  • ISBN-13: 9783851321920
  • ISBN-10: 3851321928
  • Artikelnr.: 25711816
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Once upon a time in theory" bemerkt Rezensent Ralf Dorst süffisant über dies schon 1989 in Boston erschienene Buch mit Untersuchungen zur Popularkultur, das nun in deutscher Übersetzung vorliegt. Dann bemüht sich Dorst redlich, einigermaßen objektiv Inhalte und Thesen der Essays zu Alltagsphänomenen wie Einkaufszentren, Videospielhallen oder Liedern von Madonna wiederzugeben. Aber es fehlt ihm nicht bloß die Relevanz dieser Thesen aus den 80er Jahren für das Jahr 2000. Dorst vermisst auch die literarische Qualität, die vergleichbare Texte von französischen Theoretikern seiner Ansicht nach haben. Auch sind ihm die Thesen oft zu eindimensional. Und er kennt keine Gnade der späten Übersetzung: "Knapp zu spät ist auch verpasst".

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.07.2000

Das weiß ich, das steht im Kaufhaus Kullermann
Shoppen und klicken: John Fiskes nicht mehr ganz frische Apologie der Kulturindustrie

Das schon 1989 in Boston unter dem Titel "Reading the Popular" erschienene Buch von John Fiske vereint Untersuchungen aus den achtziger Jahren zur Popularkultur. Die nun vorliegende Übersetzung wirft daher die Frage auf, welche Lesart den "Lesarten des Populären" aus der zeitlichen Distanz heraus am angemessensten ist. Die Herausgeber selbst thematisieren in vorwegnehmender Beantwortung jener Frage unter anderem auch die wissenschaftshistorische Lesart. Ihr soll vorerst gefolgt werden.

Fiskes Kernthese lautet, dass es im Umgang mit den Produkten der "Kulturindustrien" eine Form der eigensinnigen und lustvollen Aneignung gibt, in deren Folge die den Produkten eingeschriebene Ideologie dekonstruiert wird. Fiske grenzt sich mit dieser These von der Kulturkritik der Frankfurter Schule ab, die in ihrer pessimistischen Form den Einzelnen ohnmächtig ins Verblendungsganze eingesponnen sah. Unter Beibehaltung des Modells der Gesellschaft als Klassengesellschaft verknüpft Fiske semiotische und poststrukturalistische Ansätze zur Theorie einer subversiv produktiven Rezeption von Popularkultur. Zu den Positionen, an die er anknüpft, gehören vor allem die Handlungstheorie Michel de Certeaus sowie das Rezeptionsmodell von Roland Barthes, in dessen Zentrum der Begriff der "Jouissance" steht, der Begriff des Genusses, der Lusterfüllung, der Wollust. An dieser Stelle wird mancher vielleicht denken: Once upon a time in theory. Und wer wollte es ihm verübeln?

Für die Kulturwissenschaft der vergangenen Jahrhunderthälfte ist eine Dynamik in der Theorienbildung und Themenerschließung zu verzeichnen, die aus jedem der letzten Jahrzehnte nahezu eine Epoche macht. Exemplarisch sei hier an die Entwicklung der Frauenforschung von den frühen Women Studies zu den gegenwärtigen Gender Studies erinnert sowie an die Nobilitierung des Comics durch die Semiotik. Zugleich ist vieles von dem, was in der Kulturwissenschaft erörtert wurde, mit nur geringer Verzögerung ins öffentliche Bewusstsein eingegangen, ist Allgemeingut und Gemeinplatz geworden. Davon zeugen auch popliterarische Soli und Quintette jüngsten Datums mit ihren Variationen über die Achtziger und Neunziger. Tenor: Ein Zeitalter wird besichtigt.

Besichtigen wir nun, welchen Phänomenen sich John Fiske in "Lesarten des Populären" zuwendet. Es sind dies Einkaufszentren amerikanischer Prägung, die Strandkultur in Australien, Videospielhallen, Wolkenkratzer, Quizsendungen, Spielshows und Fernsehnachrichten sowie Songs und Videoclips von Madonna. Fiske analysiert zum einen die Inszenierungsstrategien kapitalistischer und patriarchaler Ausrichtung.

Die Architektur der Einkaufszentren, in denen sich die billigen Geschäfte generell im Erdgeschoss, die teuren hingegen im obersten Verkaufsstockwerk befinden, entwirft Gesellschaft als Raum hierarchisch fest verstrebter Klassenordnung. Kaum eine Quizsendung, in der nicht der Spielleiter als Repräsentationsinstanz des Intellekts mit einem Mann besetzt wäre. Interessant sind auch Fiskes Ausführungen über die narrative Formalisierung von Fernsehnachrichten. Diesem Verbund aus "ideologischen und hegemonialen Praktiken" setzt er die konterkarierenden Taktiken der Rezipienten entgegen. "Die Kultur der Einkaufszentren, wie von Madonna, wie auch des Strandes", betont Fiske mehrfach, "kann nicht aus den ursprünglichen Texten selbst herausgelesen werden, sondern nur in ihrem jeweiligen sozialen Gebrauch und ihren Beziehungen zu anderen Texten."

Explizit folgt er mit diesem Gedanken de Certeau, der sich in seiner Theorie des Alltagshandelns an Austin anlehnt. Es geht ihm sozusagen um die Frage: How to do things with things? Fiske verdeutlicht dies am Beispiel jener Quizshows, in denen es darum geht, neu festgelegte Warenpreise zu erraten. Die Kandidatinnen, schreibt er, Hausfrauen zumeist, unterliefen das Konzept der Warenfetischisierung, indem sie lustvoll laut die Möglichkeit ergriffen, ihre Preisbestimmungs- und Preisvergleichskompetenz einzubringen, eine Kompetenz, die im Alltag nicht gewürdigt werde, in der Show jedoch die Voraussetzung sei, um Geld- oder Sachpreise zu gewinnen, und daher seitens der Zuschauerinnen viel Beifall erhalte.

In Übernahme Bachtinscher Begrifflichkeit meint Fiske, solche "Elemente des Karnevalesken" auch in den Videospielhallen auszumachen. Dort verkehrten sich in der spielerischen Arbeit an der Maschine die bestehenden Verhältnisse. Denn je virtuoser der Spieler sein Gerät beherrsche, desto weniger verdiene der Besitzer daran. So weit, so gut. Und doch möchte man hier und an anderen Stellen Vorbehalte anmelden und "Sachte, sachte!" rufen - hätte dies nicht bereits die Forschung getan.

Anders als die Texte der französischen Theoretiker verfügen Fiskes Darlegungen nicht über die literarische Qualität, die vor frühzeitiger Obsoleszenz bewahrt und Plattitüden abmildert. Indem er aus Denkfiguren Arbeitsthesen macht, das Lineament der ursprünglichen Argumentation vernachlässigt und von ihrer bewusst überbordenden Rhetorik absieht, nimmt manches bei ihm plakative Form an. So etwa die Rede vom "Einkaufszentrum als Gelände eines Guerrillakrieges". Der Gedanke, dass Arbeitslose durch ihr Tun und Lassen im Konsumgelände eine semiotische Umbesetzung vornehmen, entfaltet seine Suggestion primär als romantisches Gleichnis, nicht als soziale Realität.

Die Reduktion von Komplexität bestimmter Gedanken zu Gunsten ihrer Griffigkeit schuldet John Fiske sicherlich der empiristischen Tradition englisch-amerikanischer Soziologie. Die Nachteile liegen auf der Hand, Fiske ist da kein Einzelfall, man denke etwa an die Eindimensionalität der Thesen von Sennett und Postman in ihren jüngeren Büchern. So gilt denn für die vorliegende Übersetzung weniger der Spruch "Besser zu spät als nie", sondern eher: Knapp zu spät ist auch verpasst.

RALF DROST

John Fiske: "Lesarten des Populären". Cultural Studies, Band 1. Aus dem Amerikanischen von Christina Lutter, Markus Reisenleitner, Stefan Erdei. Verlag Turia + Kant, Wien 2000. 244 S., br., 42,- DM.

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