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Der Autor untersucht umfassend den völkerrechtlichen Begriff des "zivilisierten Staates". Dieser Begriff hat bis zum 20. Jahrhundert eine ganze Epoche beherrscht. Mit ihm wurde im klassischen Völkerrecht die rücksichtslose Kolonialpolitik Europas legitimiert, indem nur "zivilisierte" Staaten zum Völkerrecht zugelassen wurden. "Barbaren" und "Halb-Zivilisierte" wurden ausgegrenzt, ihr Land als terra nullius betrachtet. Die Untersuchung geht folgenden Fragen nach: Sind die Wurzeln des Rechtsbegriffs des "zivilisierten Staates" bereits in der zweiten Scholastik zu finden? Wie ist der Begriff als…mehr

Produktbeschreibung
Der Autor untersucht umfassend den völkerrechtlichen Begriff des "zivilisierten Staates". Dieser Begriff hat bis zum 20. Jahrhundert eine ganze Epoche beherrscht. Mit ihm wurde im klassischen Völkerrecht die rücksichtslose Kolonialpolitik Europas legitimiert, indem nur "zivilisierte" Staaten zum Völkerrecht zugelassen wurden. "Barbaren" und "Halb-Zivilisierte" wurden ausgegrenzt, ihr Land als terra nullius betrachtet. Die Untersuchung geht folgenden Fragen nach: Sind die Wurzeln des Rechtsbegriffs des "zivilisierten Staates" bereits in der zweiten Scholastik zu finden? Wie ist der Begriff als völkerrechtlicher Rechtsbegriff entstanden? Gab es im klassischen Völkerrecht einen einheitlichen Begriff des "zivilisierten" Staates? Aus welchen Gründen hat der Begriff im heutigen Völkerrecht seine einstige Bedeutung verloren?
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ganz überzeugt scheint Rezensent Milos Vec nicht zu sein, wenn Marc Pauka in seinem Buch schwerpunktmäßig darangeht, den Begriff des Völkerrechts ideen- und begriffsgeschichtlich zu rekonstruieren. Die hinter dem Begriff steckende Idee des zivilisierten Staates erkennt der Autor laut Vec zwar als Rechtfertigunsnarrativ für eine diskriminierende Politik. Auch entlarvt er den Mangel an Definition, der zu einem schmiegsamen Zivilisations-Begriff führte. Weniger allerdings versteht Vec, dass der Autor weiterhin von den positivistischen Tendenzen in der Völkerrechtswissenschaft spricht, die im Europa es 19. Jahrhunderts vorherrschten.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.08.2013

Warten auf die Barbaren
Angst vor dem Fremden: Marc Pauka schreibt die Begriffsgeschichte des "zivilisierten Staates" im Völkerrecht

Schon der Begriff der "Schurkenstaaten" verdeutlicht, dass Staaten nicht gleich sind. Manche Rechtssubjekte werden begrifflich aus der Staatengemeinschaft ausgegrenzt, und aus dieser Etikettierung leiten sich politische und rechtliche Konsequenzen ab. Das war vermutlich schon immer so, allein die Konstruktionen der Akteure und die daraus abgeleiteten wechselseitigen Rechtsbeziehungen und Selbstermächtigungen wandeln sich. Die völkerrechtsgeschichtliche Arbeit von Marc Pauka widmet sich der klassischsten aller Ungleichheitsideen im Völkerrecht, der Idee des "zivilisierten Staates" und ihren Konsequenzen.

Die Karriere des "zivilisierten Staates" ist in Grundzügen bekannt, und Pauka kann sich bei seiner begriffs- und ideengeschichtlichen Rekonstruktion auf viele Vorläuferwerke stützen. Dabei sieht man, wie die Idee gleichzeitig von der rechtlichen Ausbreitung der Völkerrechtsgemeinschaft ebenso wie von wissenschaftlichen Kulturvergleichen befeuert wurde. Ihre Blüte datiert Pauka zu Recht auf das achtzehnte und besonders das neunzehnte Jahrhundert. Kaum eine zeitgenössische Definition des "Völkerrechts", die nicht differenzierende Tatbestandsmerkmale beinhaltete, wonach es eben nur die "zivilisierten" oder "kultivierten" Staaten seien, die zur Völkerrechtsgemeinde gehörten.

Das hatte auch mit der Ausweitung der Staatenpraxis und dem neuen wissenschaftlichen Selbstverständnis des Rechtsgebiets zu tun. Anders als das vormoderne Naturrecht wollte das moderne Völkerrecht eine praktische juristische Disziplin sein und erhob gesteigerte Geltungsansprüche. Statt abstrakt von Herrschern oder Staaten zu sprechen und deren natürliche Gleichheit zu postulieren, kamen über den Empirismus nun tatsächliche Herrschaftsträger in den Blick und ihr kulturell (selbstverständlich) abweichender Umgang mit Recht und Staat. Dabei entdeckte man teils konkret wahrnehmbare Grade verschiedener "Gesittetheit", teils handelte es sich aber auch nur um diskriminierende Zuschreibungen, die im Auge des Betrachters lagen. So fanden zunehmend Abwertungen gerade jener Herrschaftsgebilde statt, die der Westen - wie etwa im Falle Chinas - vor nicht allzu langer Zeit noch hochgeschätzt, ja geradezu verehrt hatte.

Paukas Schwerpunkt liegt auf der Rekonstruktion dieser Begriffsgeschichte (die oft aber etwas mechanisch nachvollzogen wird), dennoch scheinen aber gerade die Brückenschläge von der Rechtsdogmatik der Lehrbücher zur Staatenpraxis der europäischen Mächte besonders interessant. Naheliegend und richtig beobachtet ist, dass die diskriminierende Abwertung außereuropäischer Herrschaftsgebilde ein Rechtfertigungsnarrativ für eine diskriminierende Politik, Diplomatie und Vertragspraxis war. Territorien durften okkupiert, Herrscher bekriegt werden, wenn sie dem Zivilisationskriterium nicht genügten. Noch das Mandatssystem des Völkerbundes überführte mit seiner paternalistischen Perspektive solch hegemoniale Funktionen dieser Unterscheidung ins Völkerrecht des zwanzigsten Jahrhunderts. Da hatte sich schon das Kriterium der "Reziprozität" als funktionales Äquivalent an die Stelle gesetzt.

Auf anderen Feldern war die Wirkungsweise des Zivilisationskriteriums moralisch weniger eindeutig. Gerade als sich das Völkerrecht des neunzehnten Jahrhunderts humanitären Aufgaben zuwandte, fand es in der Besinnung auf "zivilisierte" Werte einen zivilisierenden Resonanzboden, der dieses Ausgreifen auf neue Tätigkeitsfelder rechtfertigte. Entsprechend der Selbstwahrnehmung wurde dieses mit den Attributen "christlich" oder "civilisiert" versehen. Der Rekurs "Kultur und Zivilisation" war Teil eines ernstgemeinten Fortschrittsglaubens und Fortschrittwillens, den man in die harte Struktur eines neuen, besseren internationalen Rechts überführen wollte.

Ächtung des Sklavenhandels, Schutz der Verwundeten und weitere humanitäre Anliegen liefen hier parallel zu den imperialistischen Elementen dieses Zivilisationsdiskurses. Anders gesagt: Die Berufung auf Kultur und Zivilisation war multifunktional, und sie lässt sich nicht in moralisierende Schwarzweißschemen einer politisierten Globalisierungsgeschichte pressen. Der Export dieser Normen globalisierte das Völkerrecht. In der außereuropäischen Adaption dieser Vorstellungen fand eine Universalisierung statt, die auch jene vorrechtlichen Annahmen zur ethischen Grundlage des zwischenstaatlichen Rechtsverkehrs machte.

Umso wichtiger ist daher Paukas Beobachtung, dass die Juristen, die hier schrieben und politisierten, den Begriff des "zivilisierten Staates" nie definierten, was ihn schmiegsam und anschlussfähig hielt. Und nicht nur diese Leerstelle lässt sich als bedeutungsvolle Auslassung identifizieren. Ebenso erging es der zweiten identitären Grenzziehung: Auch was "Europa" war, wer (und warum) dazugehörte, auch darüber hüllte man sich in ein beredtes Schweigen.

Denn auch Europa und seine Teile wären womöglich nicht so zivilisiert erschienen, wie man es behauptete, wenn man konkrete Maßstäbe benannt und angelegt hätte. Die rechtskulturell abwertende Projektion auf die "anderen" hatte demnach Züge einer dunklen Angst vor dem (oder den) Fremden, die man ausgrenzte. Und wie in J. M. Coetzees Roman "Warten auf die Barbaren" ermächtigte sie die "Zivilisierten" zu Handlungen gegen die "Halb-" und "Unzivilisierten", die sonst nicht zu rechtfertigen gewesen wären.

Diese Inklusion des Zivilisationsdiskurses ins Völkerrecht war demnach rechtsdogmatisch ebenso vage wie politisch folgenreich. Umso mehr scheint zweifelhaft, dass Pauka immer noch die Forschungsansicht tradiert, wonach im neunzehnten Jahrhundert auch in der Völkerrechtswissenschaft die "positivistischen Tendenzen in Europa ihren Siegeszug antraten". Diese spezielle Rechtsethik scheint jedenfalls mit dem Etikett eines "Rechtspositivismus" nicht angemessen beschrieben, noch jener vorgebliche Bruch mit Denkstilen gerade in diese Richtung zu gehen. Der Aufstieg der Völkerrechtswissenschaft zu einer eigenen juristischen Disziplin scheint mit subkutanen Politisierungsschüben einhergegangen zu sein, die nicht nur autonomistische Effekte des Rechts gegenüber der Politik hatten.

MILOS VEC.

Marc Pauka: "Kultur, Fortschritt und Reziprozität". Die Begriffsgeschichte des zivilisierten Staates im Völkerrecht.

Nomos Verlag, Baden-Baden 2012. 268 S., br., 69,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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