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Eine junge Frau wird erblinden. Da sie schon sehr schlecht sieht, muss sie die Schönheit der Menschen beschließen. Trickreich verschleiert sie ihr langsames Erblinden. Sie verliebt sich. Ein halbblinder Sommer beginnt. Der Mann ist immer in ihrer Wohnung, sein Leben außerhalb ihrer Sichtweite kennt sie nicht. Dann fängt es an zu schneien. Sie entdeckt sein Geheimnis. Und jede vergangene Minute wird zu einem gespenstischen Moment.

Produktbeschreibung
Eine junge Frau wird erblinden. Da sie schon sehr schlecht sieht, muss sie die Schönheit der Menschen beschließen. Trickreich verschleiert sie ihr langsames Erblinden. Sie verliebt sich. Ein halbblinder Sommer beginnt. Der Mann ist immer in ihrer Wohnung, sein Leben außerhalb ihrer Sichtweite kennt sie nicht. Dann fängt es an zu schneien. Sie entdeckt sein Geheimnis. Und jede vergangene Minute wird zu einem gespenstischen Moment.
Autorenporträt
Nina Jäckle wurde 1966 im Schwarzwald geboren. Sie hat zahlreiche literarische Auszeichnungen und Stipendien erhalten, darunter den Hamburger Förderpreis für Literatur, den Karlsruher Hörspielpreis, das Arbeitsstipendium des Deutschen Literaturfonds, das Arbeitsstipendium des Landes Baden-Württemberg sowie das Heinrich-Heine-Stipendium. Im Jahr 2015 wurde ihr der Italo-Svevo-Preis verliehen.
Rezensionen
Menschen in Grenzsituationen
Kennen Sie das? Sie sitzen beim Italiener und haben Gnocchi oder Tortellini bestellt. Als der Teller kommt, fragen Sie sich, wie Sie an- gesichts des Portiönchens vor Ihnen satt werden sollen. Nachdem Sie aber ihre Mahlzeit beendet haben, sind Sie mehr als satt. So ähnlich geht es einem mit dem Erzählband von Nina Jäckle. Fünf Geschichten auf gerade einmal 134 Seiten, von denen manche schon fast leer wirken wegen der vielen Absätze und Leerzeilen. Dann fängt man an zu lesen und die leeren Räume beginnen sich zu füllen und nach einer 23-Seiten-Geschichte hat man das Gefühl, einen ganzen Roman verschlungen zu haben.
Harmlose Worte mit großer Wirkung
Zum Beispiel den über eine junge Frau, die dabei ist zu erblinden und krampfhaft versucht, ihr Handicap zu verbergen. Die einen Mann kennen- lernt, der ihre Krankheit scheinbar tatsächlich nicht bemerkt. Doch dann stellt sich heraus, dass nicht sie es war, die ein Geheimnis verbarg, sondern er. Mit einem Schlag bekommt die ganze Szenerie etwas Gespenstisches. Kein Satz, kein Wort ist es, das die Gänsehaut auslöst. Nina Jäckle erzählt von Anfang bis Ende im gleichen Tonfall: knapp, harmlos, als ginge es um etwas Alltägliches. Da werden Gefühle nicht beschrieben, aber eben auch nicht zerschrieben. Der Leser selbst ist es, der in seinen Gedanken die Erzählung formt.
Unvergessliche Begegnungen
Auf den ersten Blick sind es fünf ganz unterschiedliche Geschichten. Da ist der Mann, der von seiner Partnerin mit den banalen Worten "Na dann" verlassen wurde und seitdem auf sie wartet. Da ist die Frau, die ihre Freundin bis zur Selbstverleugnung imitiert, da sind die Menschen, die in einem U-Bahn-Tunnel feststecken und plötzlich Wildfremden über ihr Leben erzählen. Die Schauplätze wechseln, aber immer geht es um Menschen in Grenzsituationen. Immer um Beziehungen - familiäre, partnerschaftliche, freundschaftliche oder zufällige. Irgendwie geht es damit immer um die Liebe. (Rosina Wälischmiller)

Statt eines Lichts am Baukran sieht die junge Frau den nächtlichen Mond, statt des Flecks an der Badezimmerwand ein regloses Insekt und die Socke in der Ecke wird zur lebensbedrohlichen Ratte. "Möglicherweise Tier", eine von insgesamt fünf Miniaturen in Nina Jäckles Debüt "Es gibt solche", erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die langsam erblindet. Genau wie die Erzählerin, lässt Nina Jäckle den Leser nur Bruchstücke des ganzen sehen. Nach und nach fügen sich die Puzzleteile zusammen und machen neugierig auf das Bild, das am Ende entsteht. (X-Mag)

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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.09.2002

Wer nichts sieht, darf seinen Augen trauen
Debüt mit Sogwirkung: Nina Jäckle kennt die Schutzzauber des Alltags

Wenn die Not so groß ist, daß nichts mehr hilft, braucht es einen Schutzzauber: ein Ritual, das jede Bedrohung abwehrt, eine magische Arznei, ein Wunder, das jede noch so verfahrene Situation rettet. Unter den Pflanzen gilt der Farn als ausgesprochen nützlich. Was er vermag, berichtet etwa Hildegard von Bingen: Er vertreibt den Teufel, schützt zuverlässig vor Blitzschlag und allen möglichen Krankheiten. Sein Samen macht unsichtbar, hilft den Wöchnerinnen und zaubert den Liebsten herbei; nur in den Schuh darf er nicht fallen, weil man sonst den rechten Weg nicht mehr findet.

Wie groß aber muß das Verhängnis einer Familie sein, wenn nicht einmal eine ganze Farnwildnis ihr Heim behüten kann? "Von der Wäschekammer des Hauses aus sah man Farn hinter dem vergitterten Fenster stehen", erinnert sich die Erzählerin in Nina Jäckles Geschichte "Buchenhofstaffel" an den Garten ihrer Kindheit: "Überall wuchs Farn, in einer Entschiedenheit, daß niemand je auf die Idee gekommen wäre, andere Pflanzen zu setzen." Woran sich die Erzählerin erinnert, spielt sich vor allem im Garten ab, auf dessen Grenze zum Nachbargrundstück ein Kirschbaum steht. Der vom Tod gezeichnete Invalide, der im Nebenhaus wohnt, läßt sich auf einen absurden Kampf um den Kirschbaum ein, der mal auf den alleinigen Besitz, dann wieder auf die Vernichtung zielt: Er wolle seine Hälfte fällen, verkündet er eines Tages bei seinem einzigen Besuch im Nachbarhaus.

Eng mit diesem Streit verknüpft ist die schleichende Krankheit des Vaters, der er zum Opfer fällt, kaum daß die Töchter davon erfahren haben. In der Erinnerung der Erzählerin aber ist das Unheil schon erheblich früher präsent. Denn der Text ist diskret von Krankheitssignalen durchzogen, die alle auf den Garten zielen und den Vater meinen: Die Rückschläge bei der Begrünung sind der "wunde Punkt" der Eltern, deren Vorhaben, eine "Oase schlechthin" zu schaffen, scheitert, bis für den Vater "sowieso alles egal" ist. Das Umschlagen der Alltagsfloskeln in eine Sprache der existentiellen Bedrohung ist mit leichter Hand ausgeführt und vollzieht sich so unmerklich, wie sich auch den beiden Töchtern eines Tages aus tausend alltäglichen Details die Erkenntnis geformt haben muß, daß es schlimm um ihren Vater steht, daß er nicht mehr zu retten ist. Solange haben die phrasenhaften Wortfassaden der Mutter, begeistert aufgenommen und imitiert durch die jüngere Tochter, den Zugang zum wahren Zustand des Vaters verstellt; das folgenlose Gerede dient, zumal in der Wiederholung, der Selbstvergewisserung der Familie in den vertrauten Strukturen, ein Schutzzauber auch dies. Den Vater kann das genauso wenig retten wie der Farn. Den allerdings pflanzt die Familie später auf das Grab. Man kann ja nie wissen.

Fünf kurze Erzählungen umfaßt Nina Jäckles Debüt, fünf Miniaturen, die mit atemberaubender Präzision und ohne einen Funken von Sentimentalität aus einer Welt der vertuschten Katastrophen berichten: Da verliert eine junge Frau einen Teil ihrer Sehkraft und tut alles, um dies zu verheimlichen; ein Verlassener wartet in der gemeinsamen Wohnung wochenlang auf die Rückkehr der Geliebten; eine Frau versucht, die bewunderte Freundin in allem zu kopieren und gibt dabei ihre Persönlichkeit preis; ein U-Bahn-Waggon bleibt auf offener Strecke in völliger Dunkelheit stehen, und nicht einmal der Fahrer kennt den Grund.

Jede dieser Figuren hilft sich auf ihre eigene Weise. Das Spektrum reicht von dem unterschwelligen Hinweis auf Pflanzenmagie über profane Zaubersprüche bis hin zu Ritualen, die dem Alltag Struktur verleihen sollen und zwischen praktischem Nutzen und Beschwörung changieren. Der verlassene Liebhaber etwa, der in der Erzählung "Warten" anfangs noch einfach nur dort ausharrt, wo er zum letzten Mal mit der Geliebten zusammen war, um eine mögliche Rückkehr nicht zu verpassen, reiht am Ende ihre Schuhe im Flur zu einer langen Reihe auf, um ihre Gegenwart zu simulieren - allerdings bleibt offen, ob er sich inzwischen ihre Wiederkehr noch wünscht, denn die Spitzen der Schuhe zeigen zum Ausgang.

Die Rituale der Augenkranken in der Geschichte "Möglicherweise Tier", die peinlich bewahrte Ordnung ihrer Wohnung, um Zusammenstöße zu vermeiden, das manische Zählen von Schritten, Treppenstufen, Straßen: all dies ist zunächst eine Orientierungshilfe. Es ist aber auch mehr: Indem die junge Frau ihrer Umgebung ihren Stempel aufdrückt, mißt sie sich mit einer immer feindlicheren Außenwelt. Der Verlust an Sicht wird durch die Erfindung der Umgebung wettgemacht.

Ihre aus Wahrnehmungsfragmenten gespeiste schöpferische Phantasie zielt nicht nur auf Häuser oder Straßen: "Wenn Sie wollen, fahre ich Sie nach Hause, sagt er, und dann gehen wir zu seinem Auto. Es ist dunkelblau, daran besteht kein Zweifel, er ist dunkelhaarig, trägt dunkle Kleidung. Ich sehe in die Richtung seiner Augen, vermutlich sind sie dunkelbraun. Kein Bart, vielleicht Stoppeln, das ist nicht auszumachen, aus der Entfernung. Er ist schön, beschließe ich, ich bin schön, beschließe ich." Es ist der radikale Gestus der Kranken, die eigene Sicht auf die Welt auch bei fortschreitender Erblindung nicht in Frage zu stellen, der den Schutzzauber für ihre Persönlichkeit bedeutet: "Ich glaube meinen Augen, das habe ich längst entschieden", heißt es einmal, und so nimmt die Verzauberung der Welt ihren Anfang: Eine Socke wird zur Ratte, eine Wollfaser im Bad zu einem Insekt, die gebückte Frau mit Pappkartons zum Pony, denn "ich bin Meisterin geworden im Ersatz fehlender Details".

Diese radikal subjektive Weltsicht muß an ihre Grenzen stoßen, wenn es um den Austausch mit anderen Menschen geht. Ihrem Liebhaber gegenüber nimmt die Erzählerin eine ambivalente, weit über den Bereich ihrer Krankheit hinausreichende Haltung ein: Er soll von ihrer Behinderung nichts merken, und sie bemüht sich, jeden Hinweis darauf zu vertuschen. Gleichzeitig aber hofft sie auf eine Nähe, die keine Ausflüchte mehr nötig macht: "Der Mond steht zwischen den Häusern, wir gehen ihm entgegen, er wird größer, heller, je länger wir gehen. Was für ein Mond, sage ich, was für ein Mond, fragt er. Und dann überlegt er, ich weiß es, ob er mir von dem Kran erzählen soll. Ein sehr hoher Kran mit einem Licht an der Spitze."

Was für ein Mond: Immer wieder erweisen sich die Sätze Jäckles als Kippfiguren, und nur selten bleibt die Lesart eindeutig. Bei aller Raffinesse im Detail entwickelt dieses erstaunliche Debüt einen starken erzählerischen Sog, auch wenn der Leser von den Figuren immer auf Distanz gehalten wird. Die fünf Geschichten entwerfen ihre unterschiedlichen Perspektiven aus dem Geist des Alltags, um gelassen auf das Besondere loszusteuern. Die Welt, die dem Leser geboten wird, ist reicher als es der Umfang des schmalen Bandes erwarten läßt, so konsequent und ökonomisch wird von ihr berichtet.

In der letzten Geschichte des Bandes endlich erweist sich ein Ritual zur Abwehr der Bedrohung als wirksam, das zu den tradiertesten überhaupt gehört: In der stockfinsteren U-Bahn erzählt sich eine Gruppe von Fahrgästen Geschichten, um die Panik zu bannen, die sich ihrer zu bemächtigen droht. Kein Farnwuchs, kein manisches Zählen der Treppenstufen, kein Ausharren in der verlassenen Wohnung kann diese Wirkung für sich beanspruchen: Der mächtigste Schutzzauber ist das Erzählen.   

Nina Jäckle: "Es gibt solche". Erzählungen. Berlin Verlag, Berlin 2002. 134 S., geb., 16,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

""Mit atemberaubender Präzision und ohne einen Funken von Sentimentalität", schreibt beeindruckt Rezensent Tilman Spreckelsen, berichtet Nina Jäckle in ihrem "erstaunlichen" Erzähldebüt in fünf Miniaturen "aus einer Welt der vertuschten Katastrophen". Kurz werden Motive und Hauptfiguren einiger Erzählungen skizziert, an denen dem Rezenten eine "radikal subjektive Weltsicht" auffällt. Seinen Informationen zufolge reicht das Themenspektrum der Erzählungen vom "unterschwelligen Hinweis auf Pflanzenmagie" über profane Zaubersprüche "bis hin zu Ritualen, die dem Alltag Struktur verleihen sollen". Bei aller Raffinesse im Detail entwickeln die Geschichten für Spreckelsen einen "starken erzählerischen Sog" und entwerfen unterschiedliche Perspektiven auf das Besondere im Geist des Alltags. Die Sätze der Erzählerin erweisen sich für den Rezensenten "als Kippfiguren" zu verschiedenen Lesarten. Auch sei die Welt, die dem Leser geboten werde, umfangreicher, als es der schmale Umfang des Buches erwarten lasse: "so konsequent ökonomisch wird von ihr berichtet".

© Perlentaucher Medien GmbH"