Marktplatzangebote
12 Angebote ab € 0,94 €
  • Gebundenes Buch

Es scheint, als habe sich die junge Autorin Bliss Broyard, Tochter des legendären Kritikers Anatole Broyard, dazu entschlossen, einem Publikum, das ihr literarisches Debüt doppelt kritisch beäugt und in ihr vor allem die Tochter eines berühmten Mannes sehen will, gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen: Ihre Strategie ist so schlicht wie clever, sie macht ganz einfach die Beziehung zwischen Vätern und Töchtern zum variablen Grundthema ihrer acht Erzählungen. Eines zeichnet die Tochter-Figuren, die diese Erzählungen bevölkern, alle aus: es sind Frauen, die gefallen wollen, dem Vater, den…mehr

Produktbeschreibung
Es scheint, als habe sich die junge Autorin Bliss Broyard, Tochter des legendären Kritikers Anatole Broyard, dazu entschlossen, einem Publikum, das ihr literarisches Debüt doppelt kritisch beäugt und in ihr vor allem die Tochter eines berühmten Mannes sehen will, gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen: Ihre Strategie ist so schlicht wie clever, sie macht ganz einfach die Beziehung zwischen Vätern und Töchtern zum variablen Grundthema ihrer acht Erzählungen. Eines zeichnet die Tochter-Figuren, die diese Erzählungen bevölkern, alle aus: es sind Frauen, die gefallen wollen, dem Vater, den Männern, der Welt und - was am schwierigsten ist - dabei auch sich selbst. Mit einem bis zur Kälte klaren Blick analysiert Bliss Broyard die unsichtbaren Hemmnisse und unbestimmten Begierden, die den Emanzipationsprozess dieser Mädchen und jungen Frauen bestimmen, während sie vor die heikle Aufgabe gestellt sind, sich von der eingespielten Tochterrolle innerhalb einer vom charismatischen Vater domini erten Familie zu befreien und dabei eine ganz neue, wirklich eigene Rolle zu finden. In einer sparsamen, unsentimentalen Prosa gelingt es der Autorin immer wieder auf engstem erzählerischem Raum, die aufregende Situation eines Initiationserlebnisses einzufangen, die nicht so sehr von der tatsächlichen Dramatik der Handlung als vielmehr von der Intensität der atmosphärischen Zwischentöne lebt: die ersten Tanzschritte im Arm des Vaters, die ersten Geheimnisse vor den Eltern, die Entdeckung elterlicher Untreue, die ersten erotischen Experimente und schließlich die Erfahrung der eigenen Unzulänglichkeit angesichts von Krankheit und Tod.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.04.2002

Maske des Sichtbaren
Der Mann, der Philip Roth Modell stand: Das geheimnisvolle Leben des Anatole Broyard

Die Zeit von Anatole Broyard begann nach dem Krieg im New Yorker Greenwich Village. Broyard, gutaussehend, charmant und von Tag zu Tag belesener, war gerade aus seiner Uniform gestiegen und aus dem heimatlichen Brooklyn über den East River nach Manhatten gekommen wie auf einen anderen Planeten. Er suchte die Literatur und das Leben und hielt lange an der Vorstellung fest, daß beides eins werden, daß man das eigene Leben literarisieren könnte und daß man damit besser dran wäre: "Die Welt war unser Atelier." Die Menschen, die er traf, dachten das ebenfalls, und wenn seine Freundin beim Betreten eines Ladens über W. H. Auden stolperte und ein weniger länger als nötig schwer auf ihm liegen blieb, schien die Vereinigung von Poesie und Alltag bereits vollbracht.

Broyard studierte mit Hilfe eines GI-Darlehens an der New School, hörte Meyer-Schapiro von der Moderne schwärmen, traf Erich Fromm und ein ganzes Bataillon anderer Psychoanalytiker, die - "ein deutscher Marshall-Plan" - New York besetzt hatten. Broyard wurde Teil einer Gruppe von Intellektuellen, die das New Yorker Geistesleben in den kommenden Jahrzehnten bestimmten sollten. Er blieb, während er sich im Laufe der Jahre zum wahrscheinlich bis heute geistreichsten (und manchmal ungewöhnlich ungerechten) Literaturkritiker der "New York Times" entwickelte, neben dem Kunstkritiker Clemens Greenberg eine ihrer herausragenden Figuren. Broyard starb 1990 in Cambridge.

Seine Zeit endete, vorläufig, 1993 mit dem postumen Erscheinen seiner Erinnerungen. "Verrückt nach Kafka" ist ein relativ schmales, rasant geschriebenes Buch voll deftiger Beschreibungen des sexuell befeuerten Klimas im Village am Ende der vierziger Jahre. Kafka, so schreibt Broyard, war in jenen Jahren für Greenwich Village, was Dickens einst für London war. Broyard benutzt nur minimale Verfremdungstechniken - die Personen, die aus dem Leben in diese Erinnerungen gehoben wurden, heißen nicht immer, wie sie hießen, sind aber unschwer erkennbar, wie etwa "Dick" alias William Gaddis. Sheri hingegen, ihre gemeinsame Liebe und Anlaß zu einem nachhaltigen Streit zwischen ihnen, verpaßt Broyard einen fiktiven Nachnamen, doch auch unter ihrem richtigen kennt sie heute niemand mehr. Die Größen der Zeit wiederum, W. H. Auden und Dylan Thomas, Anaïs Nin, Meyer-Schapiro und Clemens Greenberg, treten unter eigenem Namen auf, während die Anlage des Buchs mit einem ersten Teil über Sex und Liebe und einem zweiten über Tod und Sex ein radikales Ordnungsprinzip offenbart, dem der Autor das Leben, zumindest die Erinnerung, unterworfen hat. So schleicht sich der Eindruck ein, man gleite beständig zwischen einer literarisch transponierten und der autobiographisch dokumentierten Wirklichkeit hin und her.

Broyard selbst war kein großer Literat geworden, wie es jahrzehntelang jeder von ihm erwartet hatte. Den Roman, für den ein Verlag einen damals unerhörten Vorschuß zu zahlen bereit war, hat er niemals herausgebracht. Dieser Roman war, wie John Updike sich erinnert, ähnlich wie Ralph Ellisons zweiter "das berühmteste Buch, das nicht geschrieben wurde". "Verrückt nach Kafka" ist das einzige erzählende Werk Broyards. Er wurde damit nicht so berühmt wie Ralph Ellison mit seinem "Invisible Man". Aber das Buch hat seinen Autor immer wieder ins Gespräch gebracht.

Das Interesse an Broyard flammte 1996 erneut auf, als Henry Louis Gates jr. in einer weitläufigen biographischen Erkundung im "New Yorker" eine mögliche Erklärung lieferte, warum Broyard, der jenen Roman schreiben wollte, wie er kaum sonst etwas wollte in seinem Leben, vollständig blockiert war (das Nachwort der deutschen Ausgabe von "Verrückt nach Kafka" schreibt dieses Porträt irrtümlich einem William Gates jr. zu). Broyard war, was niemand wußte, schwarzer Abstammung. Er war nicht ein bißchen schwarz, weil irgendwo in seiner Abstammungslinie einmal ein Schwarzer gewesen war, sondern er war völlig schwarz, mit einem schwarzen Vater, einer schwarzen Mutter, schwarzen Geschwistern, Onkeln und Tanten. Die Vererbung von Melanin indes, bemerkt Henri Louis Gates, "ist eine unsichere Angelegenheit", und Anatole Broyard wurde so hellhäutig geboren, daß er überall als Weißer durchgehen konnte. Und er entschloß sich, ein Weißer zu sein.

Broyard verliert in "Verrückt nach Kafka" kein einziges Wort über diesen Schlüssel zu seinem Leben. Liest man das Buch aber im Wissen um die Diskrepanz zwischen rassischer Abstammung und gewählter Identität, findet man an einigen Stellen zumindest Hinweise auf ein Problem. Beim flüchtigen Lesen zeigt sich nur eine gewisse Unschärfe, wie zum Beispiel in einer Szene, in der Broyard, der einen weithin beachteten Artikel über Jazz geschrieben hatte, sich außerordentlich unwohl am Tisch mit Delmore Schwartz, Dwight Macdonald und Clemens Greenberg fühlte, die gerade über das Primitive philosophierten und ihn für einen Fachmann auf diesem Gebiet hielten. An anderer Stelle heißt es, "so wie Neger etwas von Jazz verstehen, erwartete man von Juden, daß sie wußten, wie man eine Rezension schrieb" - ein Gebiet, auf dem Broyard es zu hoher Meisterschaft bringen würde; er blieb allerdings auch zeitlebens ein hervorragender Tänzer.

Harold Brodkey, den Broyard während der Entstehung von "Verrückt nach Kafka" um Rat fragte, sagte unverblümt, die Unebenheiten und Schwächen des Buchs erklärten sich daraus, daß Broyard nicht die Wahrheit sagte - Brodkey kannte sie, hielt es aber nicht für seine Aufgabe, sie zu verbreiten. Brodkey sah das Drama des Anatole Broyard, der kein "Neger-Schriftsteller" sein wollte und sich deshalb als Weißer ausgab, der aber als Weißer nur sehr gebremst schreiben konnte, weil er lügen mußte. Broyard wurde also überhaupt kein Schriftsteller, sondern Rezensent.

Ein gutes Jahrzehnt nach seinem Tod ist Broyard jetzt erneut ins Gespräch gekommen. Philip Roth hat sich in seinem Buch "Der menschliche Makel" (F.A.Z. vom 23. Februar) für die Figur des Coleman Silk von Broyards Leben anregen lassen und einen Mann erfunden, der wie Broyard mit seiner Herkunft bricht und sein Leben damit verbringt, sein Geheimnis zu schützen. Anders als Silk allerdings gab Broyard niemals vor, jüdisch zu sein. Doch auch er schützte seinen Identitätswechsel selbst seinen Kindern gegenüber bis kurz vor seinem Tod. Denn während zu Beginn seiner intellektuellen Karriere im Village ein Schwarzer, der als Weißer posierte, noch eine Sensation gewesen wäre, war ein Schwarzer, der seine Herkunft verleugnet, am Ende von Broyards Leben eine lächerliche Figur. Einmal angenommen, gab es keinen richtigen Zeitpunkt mehr, die weiße Identität wieder abzulegen.

Die "New York Review of Books" schrieb in einer Besprechung der amerikanischen Ausgabe von "The Human Stain", das einzig Interessante daran, daß Roth das Leben Broyards als Vorbild genommen habe, sei, wie wenig er aus dieser lebenden Vorlage mache: Das Buch behandele "Identität als etwas Kariertes, das man nach innen oder außen tragen kann wie bei einem Regenmantel". Gates hingegen habe Broyards Leben als Beweis dafür genommen, daß "Authentizität eine der fundamentalen Lügen der Moderne" sei, ein Thema, das Roth nicht einmal in den Sinn käme.

Bliss Broyard, eine Tochter von Anatole, die erst kurz vor dessen Tod von der Herkunft ihres Vaters und der Existenz einer Tante erfuhr, hat die Erfahrungen mit ihrem Vater erzählerisch verarbeitet. Auch sie läßt das Thema der Rassenidentität links liegen. Ihr Buch "Mein Vater, tanzend" versammelt acht Geschichten, die allesamt ihrem Vater gewidmet sind, aber nicht allzu offensichtlich autobiographisch sein wollen. Sie handeln allerdings sämtlich von dem Verhältnis heranwachsender Töchter zu ihrem außerordentlichen Erzeuger. Hier, in der literarischen Bearbeitung einer offenbar ungewöhnlich engen Vater-Tochter-Beziehung, drängt sich, anders als im Erinnerungsbuch des Vaters, schnell und auch unangenehm der Eindruck auf, privaten Erinnerungen beizuwohnen. Diese verkehrte Wahrnehmung der Genres mag damit zu tun haben, daß man den verklärenden Nostalgienebel eher in einem autobiographischen Text vermutet - doch bei Anatole Broyard senkt er sich nie -, während man die ironische Haltung etwas abseits vom Geschehen der Literatur zurechnet - und bei Bliss Broyard mit wachsender Ungeduld vermißt.

Anatole Broyard: "Verrückt nach Kafka. Erinnerungen an Greenwich Village". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Carrie Asman und Ulrich Enzensberger und mit einem Nachwort von Carrie Asman. Berlin Verlag 2001. 189 S., 18,- .

Bliss Broyard: "Mein Vater, tanzend". Erzählungen. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Monika Schmalz. Berlin Verlag 2001. 256 S., 19,- .

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Auch wenn der Verlag von "purer Biografie" spreche, um das in "Mein Vater, tanzend" thematisierte Vater-Tochter-Verhältnis hervorzuheben, so sei dieses Buch Literatur, so der Rezensent Tilman Urbach. "Nicht ohne Reiz" findet der Rezensent das von der Autorin Bliss Broyard entworfene "Mini-Panorama" aus Liebe, Zuneigung und Sex. Dass die Autorin allerdings um jeden Preis ernsthaft erscheinen möchte und also den ironischen Abstand zu ihren Texten vermissen lässt nimmt der Rezensent ihr übel: "So wirken diese Erzählungen wie Etüden. Mit Verve hervorgebracht, aber in der Ausführung bemüht."

© Perlentaucher Medien GmbH