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Produktdetails
  • Verlag: Königshausen & Neumann
  • Seitenzahl: 308
  • Erscheinungstermin: 11. September 2012
  • Deutsch
  • Abmessung: 235mm x 157mm x 23mm
  • Gewicht: 474g
  • ISBN-13: 9783826049446
  • ISBN-10: 3826049446
  • Artikelnr.: 35949628
Autorenporträt
Morkel, Arnd
Der Autor Prof. (em.) der Politikwissenschaft an der Universität Trier. 1975 - 1987 Präsident der Universität. Schriften: Hofmannsthals politisches Bewußtsein (1962), Politik und Wissenschaft (1967), Erinnerung an die Universität (1995), Die Universität muß sich wehren (2000).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wolfgang Schuller gibt Entwarnung: Der Autor sei nicht nur Enthusiast, sondern habe seine antiken Quellen und die moderne Forschung parat. Gute Sache, wenn man sich Cicero widmet. Und das macht Arnd Morkel in einer Weise, die Schuller gut gefällt, auch wenn er nicht immer die deutsche Übersetzung einer Quelle bietet, weil das lateinische Original einfach zu schön und wahr ist. Dass der Autor auch an Kritik nicht spart, an den Quellen, an der Forschung und an Cicero selbst, scheint Schuller ein weiteres Plus der Arbeit zu sein. Laut ihm gelingt es Morkel, die Leitthemen von Ciceros Leben und dessen zentralen Begriff der humanitas darzustellen und uns den antiken Politiker, Anwalt und Philosophen in seiner ganzen Modernität zu präsentieren. Für eine Neuauflage des Buches wünscht sich der Rezensent allerdings eine Überarbeitung des "unordentlichen" Literaturverzeichnisses.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.04.2013

Das praktische Leben hat immer Vorrang

Arnd Morkel zeigt uns Marcus Tullius Cicero als einen in jeder Hinsicht vorbildlichen Mann: als Politiker, Anwalt und Philosoph.

Wieder ein Enthusiast, der kritiklos verkündet, eine Gestalt der Antike habe uns "heute noch" etwas zu sagen, wie der apologetische Untertitel heißt? Die Erleichterung ist groß. Der Autor, von Beruf Politikwissenschaftler und Bildungspolitiker, mag wohl ein Enthusiast sein, aber er hat die antiken Quellen und die moderne Forschung parat. Das meiste stellt Arnd Morkel durch den direkten Rückgriff auf die Quellen dar, die er fast immer in deutscher Übersetzung zitiert, um die lateinlosen Leser nicht zu verschrecken; nur gelegentlich lässt er sich, durch die Schönheit und Prägnanz der lateinischen Sprache verführt, dazu hinreißen, der Übersetzung das Latein folgen zu lassen.

Erstaunlich ist Cicero deshalb, weil er nicht nur als Politiker für den Erhalt der freiheitlichen römischen Republik kämpfte, diesen Kampf verlor und mit seinem Leben bezahlte. Er vermochte es zudem, sein ganzes Leben in schriftlich überlieferten Reden und in philosophischen Abhandlungen nachdenkend zu begleiten. Fast tausend erhaltene Briefe aus seiner Korrespondenz zeigen ihn zudem von seiner lebensvollsten Seite. Die in Dialogform geschriebenen Abhandlungen sind mitten in den revolutionären Auseinandersetzungen und unter den Bedingungen der Diktatur Caesars in einem entspannten, ja eleganten und wunderbar zu lesenden Stil geschrieben. Sie brachten den Römern überhaupt als Erste die griechische Philosophie nahe - eine andere gab es nicht -, und Cicero argumentierte hier alle Probleme nicht nur gewissenhaft durch, sondern beherrschte auch die Kunst, gegenteilig Meinungen vorurteilslos darzustellen.

Wie es sich gehört, enthält Morkels Buch reichlich Kritik, an antiken Quellen und an der heutigen Forschung, aber auch an Cicero selbst, und gerade dadurch treten seine Person und sein Werk aus der Rolle eines, wenn überhaupt, inhaltsleeren Bildungsgutes heraus und sind gegenwärtig. In fünf Teilen stellt der Autor Ciceros Doppelleben als Politiker und Philosoph vor, sodann die Leitthemen seines Lebens, weiter die Rolle der Redekunst in seinem Handeln und Denken im römischen Staat, dem Mittelpunkt von Ciceros Wirken. Dabei kommt dem Begriff eine zentrale Rolle zu, der Cicero als Ideal vorschwebte und über den Morkel ohne jede hier besonders naheliegende Sentimentalität spricht: Es ist die humanitas.

Wie soll das Wort übersetzt werden? Christoph Martin Wieland meinte in seiner Übersetzung von Ciceros Briefen, es sei kein Widerspruch zu seinen Bemühungen um gutes Deutsch, dass er bei "Humanität" bleibe, denn es gebe im Deutschen kein Äquivalent, ebenso verfuhr er übrigens bei "Urbanität" für urbanitas. Morkel entscheidet sich für ein Wort, das in seiner skeptischen Nüchternheit wirklich als angemessen für den Umgang der Menschen miteinander erscheint: "Zivilisation", noch treffender dann das Adjektiv "zivilisiert". Aber sollte "Humanität" nicht doch umfassender sein? Gleichviel - dass zivilisiertes Verhalten nicht selbstverständlich und oft schwer zu erreichen ist, das zeigt Ciceros Lebenslauf in reicher Fülle.

Morkel exemplifiziert das an verschiedenen Lebenssituationen Ciceros. Zuerst zeigt er, wie Cicero mit der tiefen Trauer über den Tod seiner geliebten Tochter Tullia umging; Morkel bespricht dabei den schönen Essay des großen Juristen Radbruch über Tullia richtigerweise nach dem Erstdruck und nicht nach der fehlerhaften Edition in der Gesamtausgabe. Die Darstellung von Ciceros Freundschaftsbegriff dann kulminiert in einer von warmer Sympathie geschriebenen Skizze seines Urfreundes Atticus. Morkel kann schließlich nicht anders, als dass er Ciceros dem alten Cato in den Mund gelegte Gedanken über das Alter eine ganze Seite lang wörtlich zitiert. Verdient haben sie es.

Vielleicht kann man Ciceros Leben wirklich als die Bemühung charakterisieren, in der menschlichen Gemeinschaft einen zivilisierten Umgang miteinander zu erreichen. Aber der praktizierende Anwalt und Politiker Cicero hatte vor allem und unablässig sehr viel unmittelbarere Probleme zu bewältigen. Er wurde zum Politiker durch seine Tätigkeit als Anwalt, ganz selten als Ankläger - eine Staatsanwaltschaft gab es nicht -, fast immer als Verteidiger. Da es im römischen Gerichtswesen und dann in der Politik in besonderem Maße darauf ankam, durch Reden einen Beschluss des Gerichts oder des Senats und der Volksversammlung im beabsichtigten Sinne zu erreichen, kam der Redekunst ein ungewöhnlich großes Gewicht zu. Cicero war nicht nur einer der größten Praktiker der antiken Redekunst, er hatte auch vier Bücher über Theorie, Praxis und Geschichte der römischen Rhetorik verfasst.

In diesen Schriften werden die Mittel besprochen, mit denen man die Entscheidung der Adressaten zu seinen Gunsten beeinflussen kann, und diese Mittel sind vorwiegend so geartet, dass man an den zahlreichen erhaltenen Reden Ciceros feststellen muss, dass und wie sehr die Wahrheit in ihnen leiden musste. Daher stieß und stößt sich die nachantike Kritik an der Rhetorik überhaupt, nicht nur an der Ciceros. Verteidigt wird sie aus der Situation eines Prozesses, zu dem ja Verteidigung und Anklage gleichermaßen gehören, zumal da es in einem römischen Prozess oft Plädoyers mehrerer Verteidiger gab und Cicero nur einer von ihnen war.

Morkel wählt zusätzlich den Gesichtspunkt der konkreten Ausgestaltung der römischen Prozesse, die in aller Öffentlichkeit auf dem Forum Romanum mit einer oft sehr zahlreichen Zuhörerschaft stattfanden. Ebenso war die Lage bei politischen Reden, sei es im begrenzten Rahmen des Senats, sei es vor dem Volk auf dem Forum. Dennoch ging Cicero erstaunlich wenig auf die Möglichkeit des Missbrauchs geschickter Rhetorik ein. Wir Heutigen sind durch unser spezifisch deutsches Beispiel in diesem Punkt besonders empfindlich.

Erfreulicherweise aber beschäftigte Cicero vor allem das Verhältnis von Rhetorik zu Philosophie, Recht und Geschichte, und dieser inhaltliche Gesichtspunkt relativiert eine ungehemmte Rhetorik doch erheblich. Ohne die genaue Kenntnis dieser Wissensgebiete sei ein wirklich guter Redner vor Gericht und in der Politik nicht denkbar; jede Rede lief ja immer auf eine inhaltliche Entscheidung hinaus. Eine besondere Rolle habe die Philosophie, die die Grundlage von allem sei und sich umgekehrt ihrerseits in der Realität von Recht und Politik bewähre. All das wurde von Cicero nicht dahingesagt, sondern es beschrieb seine eigene Lebensführung. Genauso hatte sie sich gestaltet, zusammengesetzt aus der Bewältigung aktueller forensischer und politischer Probleme, also der vita activa, und dem Nachdenken darüber, der vita contemplativa. Beide bedingten sich gegenseitig, wenn auch das praktische Leben Vorrang haben solle und bei Cicero hatte.

Für eine neue Auflage mögen das unordentliche Literaturverzeichnis überarbeitet und die beiden Wörter "heute noch" aus dem Untertitel entfernt werden. Sie implizieren, Cicero sei durch Zeitablauf gegenstandslos geworden und man müsse flehentlich um Rest-Relevanz bitten. Dabei zeigt uns Morkel doch einen Mann, der das nicht nötig hat. Gewiss, am Ende hatte Cicero verloren, und kluge Leute werfen ihm vor, er habe die Zeichen der Zeit nicht verstanden, die auf Monarchie und Kaisertum hinzielten. Nun gut, dann hat der Kampf gegen Diktatur und Tyrannis die Zeichen der Zeit eben nicht erkannt. Die Heutigen konnten erleben, was für Zeichen der Zeit sich 1917 und 1933 als unausweichliche Zukunft gerierten. Ciceros Leben und Denken lehren uns, dem zu widerstehen.

WOLFGANG SCHULLER

Arnd Morkel: "Marcus Tullius Cicero". Was wir heute noch von ihm lernen können.

Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2012. 308 S., geb., 39,80 [Euro].

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