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Eine der größten Überraschungen der spanischen Literatur der letzten Jahre: Im Gewand eines historischen Romans erzählt der junge Autor Antonio Orejudo eine höchst aktuelle Geschichte von Fanatismus und religiösem Wahn. Als Bernd Rothmann an diesem Sonntag des Jahres 1535 die Kanzel des Doms zu Münster besteigt, weiß sein Förderer Bischof Frederick noch nicht, dass er einen aufrührerischen Geist an seiner Brust genährt hat. Denn Bernd berichtet offen der begierig lauschenden Menge, wie er dem Bischof zu Diensten sein musste; er geißelt die verkommene Institution Kirche und ruft dazu auf, sie…mehr

Produktbeschreibung
Eine der größten Überraschungen der spanischen Literatur der letzten Jahre: Im Gewand eines historischen Romans erzählt der junge Autor Antonio Orejudo eine höchst aktuelle Geschichte von Fanatismus und religiösem Wahn.
Als Bernd Rothmann an diesem Sonntag des Jahres 1535 die Kanzel des Doms zu Münster besteigt, weiß sein Förderer Bischof Frederick noch nicht, dass er einen aufrührerischen Geist an seiner Brust genährt hat. Denn Bernd berichtet offen der begierig lauschenden Menge, wie er dem Bischof zu Diensten sein musste; er geißelt die verkommene Institution Kirche und ruft dazu auf, sie unbarmherzig niederzubrennen. Der Geist der Revolte hat in der Stadt wie in Europa bereits Fuß gefasst. In Münster scharen die Wiedertäufer die Unzufriedenen um sich. Eine Weile gehört Rothmann zu ihren führenden Köpfen. Doch angewidert von Blutrausch und Machtgier flüchtet er in eine ebenso leidenschaftliche wie gefährliche Liaison. Als die Katholischen die Stadt überrennen und alle Wiedertäufer niedermetzeln, bleibt Rothmann verschwunden. Jahre später, das Netz der Inquisition ist wieder dicht geknüpft, taucht eine gefährlich kluge Ketzerschrift auf. Die Kirche ist beunruhigt. Der französische Großinquisitor wendet sich an Joachim Pfister, der die Anführer des Aufstands gegen die katholische Kirche wie kein zweiter kennt. Er war einer von ihnen. Längst hat er sich an die Inquisition verkauft. Seiner Meinung nach lohnt es sich nicht, für eine Idee zu sterben. Doch dann begegnet er einem Mann, der ihn mit den Träumen von damals, dem Traum von einer freieren Welt und einem menschengerechteren Leben, konfrontiert. Joachim Pfister, der einst Bernd Rothmann war, bekommt eine zweite Chance.
Autorenporträt
Antonio Orejudo, geboren 1963 in Madrid, verbrachte nach seinem Studium mehrere Jahre als Dozent für Spanische Literatur an einer amerikanischen Universität.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.10.2006

Das macht sie fertig
Kommissar X ermittelt: Antonio Orejudos Wiedertäufer-Roman

Kosmopolitische Ketzer: Wem das jüngste Jubiläum des Ritters von der traurigen Gestalt das Verlangen nach dessen kargen kastilischen Landschaften erweckte oder der Gedenktag des Todes von Federico García Lorca die Sehnsucht nach andalusischen Zigeunerromanzen, der wird sich in der spanischen Gegenwartsliteratur kaum heimisch fühlen. Zu Exotismus verleitet das Werk gerade der jüngeren Autoren der Halbinsel nur wenig, seit eine vielbeschworene "Generación X" den verspäteten spanischen Weg in die globalisierte Popliteratur wies.

Einen für deutsche Leser überspitzten Fall von engster Vertrautheit, gewissermaßen Anti-Exotik pur, bietet der jüngste Roman des Autors Antonio Orejudo, die wohl packendste spanische Neuerscheinung des vergangenen Jahres. Fern von iberischen Schauplätzen wie von den in Spanien modischen Themen und Stilen eröffnet "Feuertäufer" eine Begegnung mit einem Kapitel der deutschen Renaissance, das, so der Autor, eine verkannte Schlüsselstellung in der europäischen Geschichte einnimmt: der Aufstand der Wiedertäufer im westfälischen Münster des Jahres 1534. Im Herzen der Handlung steht die historische Figur des rebellischen jungen Priesters Bernd Rothmann, der, angeekelt von Filz und homosexuellen Mißbräuchen im katholischen Klerus, seinen Protektor, Bischof Frederick von Münster, aus dem Amt hebt, um als brillanter Prediger sich selbst zum religiösen Führer seiner Heimatstadt aufzuschwingen und in der Stadt "die Fenster aufzureißen".

Doch die Revolte gewinnt rasch Eigendynamik. Jünger eines selbsternannten niederländischen "Propheten Matthijs", denen Bernd nicht radikal genug ist, errichten eine theokratische Monarchie. Der ehemalige Hostienbäcker Jan Beukels, nun Gott-König von Münster, verbreitet die Lehre, daß jeder Gläubige sich als Erwachsener ein zweites Mal zu taufen habe, um sich vom Joch der kirchlichen Willkür zu befreien, und verordnet die Polygamie. Als Münster von kaiserlichen Truppen belagert wird, brechen Hungersnot und Anarchie aus - die sich nach dem Fall der Stadt in grausigem Haß gegen die Anführer entlädt: Die Wiedertäufer werden mit glühenden Zangen zerfleischt, ihre Leichen in Käfigen an der Lambertikirche hochgezogen.

Nachdem die eigentliche Geschichte der wiedertäuferischen Revolution ans Ende gelangt ist, tauscht "Feuertäufer" nach etwa einem Drittel unversehens Schauplatz, Zeit und Figuren. Die Handlung springt um Jahrzehnte in ein Frankreich, das sich unter der Inquisition als totalitärer Überwachungsstaat entpuppt - und wechselt vom historischen in den Kriminalroman. Als Inquisitor Tournon dem aus Deutschland nach Lyon emigrierten Drucksatzgießer Anton Pfister auf die Schliche kommt, in seinen Typen blasphemische Botschaften zu verstecken, erpreßt er ihn zur Kollaboration mit dem Heiligen Offizium. Pfisters Aufgabe: den Autor einer vermutlich wiedertäuferischen Schrift mit dem Titel "Die Wiederherstellung des Christentums" zu ermitteln. Neben wüstesten Lästerungen gegen Papst und Kirche enthält diese Schrift eine Theorie, die den Glaubenslehrern von höchster Gefährlichkeit erscheint: den Versuch einer naturwissenschaftlichen Erklärung Gottes.

"Der Heilige Geist ist eine chemische Substanz, die allen Wesen das Leben schenkt", lautet eine Botschaft der Schrift, verbunden mit der bahnbrechenden Theorie eines zweiten Blutkreislaufs zwischen Herz und Lunge, aus welchem der Heilige Geist als sauerstoffhaltiges Blut den menschlichen Körper mit Leben versorge. Die Spuren führen den kirchlichen Kommissar mit der Lizenz zum Töten durch ganz Frankreich und in die Schweiz. "Die Häresie muß man in den Eliten suchen", weiß Pfister - und löst den Fall. Doch parallel zur wahren Identität des Autors jener häretischen Schrift enthüllt sich mehr und mehr auch die Pfisters selbst. Als der verfolgte theologisch-medizinische Ikonoklast enttarnt und verbrannt ist - nicht etwa von der katholischen, sondern der "protestantischen Inquisition" Calvins in Genf -, sind in dem zynischen und desillusionierten Pfister seine jugendlichen häretischen Ideale zu neuem Leben erwacht.

"Reconstrucción" heißt Orejudos Roman im Original. Mehr als ein bloßer Titel, nämlich auf den ersten Blick das literarische Programm des Autors - die historische Rekonstruktion. Auf der Basis umfassenden Quellenmaterials scheint der spanische Romancier damit die preußischste aller Geschichtsschreibertugenden zu verfolgen: im Text die historische Wirklichkeit widerzuspiegeln, "wie sie eigentlich gewesen". Orejudo, der Leopold von Ranke der Jahrtausendwende? Zu evident allerdings ist dieser Verweis auf das neunzehnte Jahrhundert und seine Passion für die Wiedergeburt der Vergangenheit aus dem Geist des Positivismus, um nicht Verdacht zu erwecken. Denn Orejudo treibt mit den Erwartungen des Lesers ein perfides Spiel. Gehüllt in ihr Mummenschanzkostüm, scheren die "Feuertäufer" zuweilen in die moderne Umgangssprache aus, mit Sätzen wie: "Das macht ihn fertig."

In die Diskurse der Renaissancewissenschaften donnern haarsträubende Anachronismen, etwa wenn der Erzähler im Gestus eines modernen Neurochirurgen einen Fehltritt durch eine Irrkombination der Synapsenverbindungen im Gehirn erklärt. Durch den Sprung vom Geschichtsroman in den Krimi platzen die Genregrenzen, und wenn der (wörtlich so benannte) "Kommissar Pfister" schließlich auf Ermittlung ausgeht, wähnt man sich fast in einer öffentlich-rechtlichen Vorabendserie des Bayerischen Fernsehens. Keine Plumpheiten des Autors, sondern Strategie: Kern des Erzählens bei Orejudo ist der Verweis auf die Unmöglichkeit jedes historischen Erzählens. Erst auf der letzten Seite legt der Erzähler in den Bergen über Genf die Karten auf den Tisch und verläßt seine scheinhistorische Perspektive: "Heute ist dieser Ort nicht wild und verlassen, sondern eine Wohnsiedlung, die sich um einen hübschen Park streckt. Überwiegend sieht man junge Leute, die sich angeregt unterhalten und bei gutem Wetter in den Gartencafés und Kneipen sitzen."

Wenn man uns den Gesprächen dieser jungen Leute lauschen ließe, kämen wir möglicherweise zu dem Schluß, daß sie sich von denen aus den Tagen der Ketzerverbrennung kaum unterschieden. Denn unter Orejudos Feder gewinnen sämtliche Dialoge und Dispute der Figuren trotz ihres Renaissancegewandes eine Undatierbarkeit, ja, Zeitlosigkeit; sie könnten in ähnlicher Form im Paris Robespierres oder dem der Kommune, in einem Schlupfwinkel der RAF stattfinden oder aber im Moskau Stalins, im Havanna Castros. In subtiler Ahistorizität führt Orejudo so die ewiggleichen Grundmuster politischer und ideologischer Umwälzungen der Neuzeit vor, die bereits in ihren Wurzeln in der Ära der Zeitenwende in verkleinertem Maßstab ausgeprägt sind, besonders durch die Spannung zwischen der korrupten Libertinage der Führungsklasse und dem Aufbegehren tugendbesessener Erneuerer. Es ist der ewiggleiche Weg, der von Doktrin, Dissidenz und Revolution zu neuen Tyrannen führt, welche die alten Dogmen durch neue ersetzten und mit ungekannt grausamem Fanatismus verbreiten.

Mit ihnen tritt eine neue Generation literarischer Helden auf den Plan: die resignierten Renegaten und Dissidenten der Revolution wie der Restauration, die Orejudo meisterlich und lebendig durch den Fundus seiner historischen Kulisse zu führen weiß.

FLORIAN BORCHMEYER

Antonio Orejudo: "Feuertäufer". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Christian Hansen. Knaus Verlag, München 2006. 256 S. , geb., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Voll des Lobes ist Kersten Knipp in seiner Besprechung von Antonio Orejudos vielgestaltigem Roman über den Glaubensextremisten Bernd Rothmann, der im 16. Jahrhundert in den religiös umkämpften Landen Europas sein Heil und die richtige Aufgabe für sich sucht. Das Buch ist Knapp zufolge nicht nur inspirierte Religionsgeschichte, raffinierter Historienroman und feinfühliges Porträt eines Fanatikers, sondern besitzt daneben einige Aussagekraft und Erkenntnispotenzial über die aktuellen Problemlagen und weltpolitisch grundierten Extremismus-Debatten. Dass Orejudo zudem ein glänzender Erzähler sei, der mit Scharfsinn und Verve seine Konvertitengeschichte über Verblendung, Macht und Glaube spannend auffächere, bestärkt den beeindruckten Rezensenten da nur in seinem Resümee, ein "großartiges" Buch genossen zu haben.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Dieser Autor ist wohl der originellste Erzähler, den wir zur Zeit in Spanien haben." (La Vanguardia)