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Von Dr. Beate Kirk, Cremlingen
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Christoph Friedrich, Greifswald
Der Contergan-Fall gehört zu den bekanntesten und aufgrund der publizierten Bilder von contergangeschädigten Kindern erschütterndsten Arzneimittelzwischenfällen, der insbesondere die Entwicklung der pharmazeutischen Wissenschaft sowie die Arzneimittelgesetzgebung nachhaltig beeinflusste.
Im Unterschied zur bereits vorliegenden Literatur zum Contergan (Thalidomid) basiert die vorliegende Arbeit auf bisher noch nicht ausgewertetem Quellenmaterial. Nach Ablauf der gesetzlichen
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Produktbeschreibung
Von Dr. Beate Kirk, Cremlingen

Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Christoph Friedrich, Greifswald

Der Contergan-Fall gehört zu den bekanntesten und aufgrund der publizierten Bilder von contergangeschädigten Kindern erschütterndsten Arzneimittelzwischenfällen, der insbesondere die Entwicklung der pharmazeutischen Wissenschaft sowie die Arzneimittelgesetzgebung nachhaltig beeinflusste.

Im Unterschied zur bereits vorliegenden Literatur zum Contergan (Thalidomid) basiert die vorliegende Arbeit auf bisher noch nicht ausgewertetem Quellenmaterial. Nach Ablauf der gesetzlichen dreißigjährigen Sperrfrist konnten die Prozessakten des Contergan-Prozesses sowie Akten des Bundesministeriums für Gesundheit ausgewertet werden. Einbezogen wurde ferner ein Interview mit dem inzwischen verstorbenen Mediziner Widukind Lenz (1919 - 1995), der als Sachverständiger im Contergan-Prozess auftrat. Die Untersuchung beleuchtet nicht nur den Wissensstand, der zu Beginn der sechziger Jahre auf dem Gebiet der Teratologie herrschte, sondern gibt auch Auskunft, inwiefern die Herstellungsfirma über potentielle Nebenwirkungen ihres als atoxisch beworbenen Schlafmittels Contergan und weiterer Thalidomidpräparate informiert war und warum der Arzneistoff Thalidomid in den USA nicht zugelassen wurde.

Aus dem Inhalt:
- Rechtliche Rahmenbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland
- Der Verlauf der Contergan-Katastrophe in der Bundesrepublik Deutschland und im Ausland
- Der Contergan-Prozess
- Zur Entwicklung der teratologischen Forschung zwischen 1957 und 1962
- Reaktionen auf die Contergan-Katastrophe
- Thalidomid in den USA
- Thalidomid heute: neue Anwendungsgebiete
- Arzneimittelzwischenfälle nach der Contergan-Katastrophe

Zielgruppe:
- Apotheker
- Ärzte
- Wissenschafts-, Sozial-, Pharmazie- und Medizinhistoriker
- Studenten der Pharmazie und Medizin
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Heiko Ahlbrecht ist beeindruckt von der Studie, die die medizinische und juristische Geschichte der "Contergan-Katastrophe" nachzeichnet. Die Autorin weise nach, dass die furchtbaren Folgen von Contergan hätten verhindert werden können, wenn das Medikament gründlich genug geprüft worden wäre. Indem sie die weitere Verwendung des Hauptwirkstoffs Thalidomids bis in die Gegenwart verfolge, gelingt ihr der "Brückenschlag" zwischen der Contergangeschichte und den Zwischenfällen bei Arzneimitteln der Gegenwart, lobt der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.08.2000

Kino-Saft mit schlimmen Folgen
Das Schlafmittel Contergan und die Arzneimittelsicherheit

Beate Kirk: Der Contergan-Fall: eine unvermeidbare Arzneimittelkatastrophe? Zur Geschichte des Arzneistoffs Thalidomid. (Greifswalder Schriften zur Geschichte der Pharmazie und Sozialpharmazie, Band 1). Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2000. 299 Seiten, 86,-.

Die ersten Bilder contergangeschädigter Kinder, die in Zeitungen veröffentlicht wurden, schockierten Ende 1961 die Öffentlichkeit. Die Einnahme des rezeptfrei erhältlichen Schlafmittels Contergan während der Schwangerschaft hatte zu schwerwiegenden Mißbildungen der Leibesfrucht geführt. 40 Prozent der Neugeborenen starben kurz nach der Geburt.

Knapp vierzig Jahre später werden Arzneimittel mit dem in Contergan enthaltenen Wirkstoff Thalidomid rezeptfrei in Brasilien verkauft. Im Juli 1998 ließ die amerikanische Gesundheitsbehörde Thalidomid als Medikament gegen die Leprareaktion zu. Auch Schleimhautläsionen von Aids-Patienten werden erfolgreich mit Thalidomid behandelt. Im gleichen Atemzug weist Beate Kirk auf die Infizierung von zirka 2000 Menschen mit dem HI-Virus durch verseuchte Blutprodukte im Jahr 1995 hin. Ihre Untersuchung bildet den Brückenschlag zwischen der Contergan-Katastrophe und den Arzneimittelzwischenfällen der Gegenwart.

War das "nationale Unglück" von 1961 unvermeidbar, welche Lehren wurden aus ihm gezogen? Die Autorin bettet ihre Antworten in die Chronologie der Ereignisse und die Rekonstruktion des damaligen Wissensstandes ein. Die Reaktion von Gesellschaft und Politik läßt sich bis heute nicht nur in der Arzneimittelgesetzgebung verfolgen.

Contergan galt bei seiner Einführung 1956/57 als "völlig ungiftig". Gerade wegen seiner angeblichen Ungefährlichkeit avancierte das Schlafmittel zu einem Verkaufsschlager. Eine Selbstgefährdung schien ausgeschlossen. Eltern verabreichten ihren Kindern bedenkenlos den sogenannten "Kino-Saft" - Garant für ungestörte Abende. Contergan erfüllte 1956 die geringen Anforderungen an eine Arzneimittelzulassung ohne weiteres. Die Lobby der pharmazeutischen Industrie hatte gesetzliche Zulassungsbeschränkungen bis dahin weitgehend verhindern können. Die Verantwortung für Arzneimittelprodukte lag damit bei den herstellenden Unternehmen.

Die Contergan-Katastrophe hätte vermieden werden können, wie Beate Kirk eindrucksvoll nachweist. Zahlreiche Beiträge in der Fachliteratur der fünfziger Jahre hatten sich der schädigenden Wirkung von Arzneimitteln auf das ungeborene Kind gewidmet. Mit den damals zur Verfügung stehenden Prüfmethoden hätte festgestellt werden können, daß Thalidomid den Organismus des heranwachsenden Lebens beeinträchtigt. Untersuchungen dieser Art führte die Herstellerfirma erst Ende 1961 durch - zu einem Zeitpunkt, als sie Contergan bereits wieder aus dem Handel genommen hatte.

Auch den frühzeitigen Rückruf versäumte die Firma, obwohl Ende 1959 erste Meldungen von Mißbildungen neugeborener Kinder eingingen. Auch massive Nervenschädigungen älterer Patienten führten zu Anfragen. Trotz der zunehmenden Diskussion unterschätzte die Firmenleitung die Brisanz der Meldungen. Möglicherweise blendete auch der Erfolg des bei weitem umsatzstärksten Schlafmittels. Noch heute schmerzt die präzise Chronologie der unzähligen Warnsignale, welche die Firma Grünethal grob fahrlässig übersah.

Das 1967 eingeleitete Strafverfahren gegen leitende Mitarbeiter stellte das Landgericht Aachen 1971 in juristisch fragwürdiger Weise ein. Die Streitfrage, ob die Einnahme von Contergan juristisch und medizinisch kausal für die schweren Mißbildungen gewesen war, blieb ungeklärt und ist es noch bis heute. Dies erstaunt angesichts der statistischen Wucht erfaßter und dokumentierter "Contergan-Fälle".

Die Contergan-Katastrophe löste heftige parlamentarische Debatten über die staatliche Verantwortung für die Zulassung von Contergan aus. Schließlich hatte die sorgfältige Prüfung in den Vereinigten Staaten eine Verbreitung von Thalidomid verhindern können. Der Staat errichtete die Stiftung "Hilfswerk für behinderte Kinder", an der sich die Firma Grünethal durch die einmalige Zahlung von 100 Millionen Mark beteiligte. Grünethal "kaufte" sich damit frei von der Geltendmachung jeglicher Schadenersatzansprüche.

Eine erste greifbare Verbesserung des Arzneimittelrechts brachte 1964 eine Gesetzesnovelle, die erstmals die Anforderungen zur Prüfung von Arzneimitteln definierte. Flankierend erarbeitete die Deutsche Pharmakologische Gesellschaft entsprechende Richtlinien. 1976 schließlich führte der Gesetzgeber ein Zulassungs- und Erfassungsverfahren für neue Arzneimittel ein. Wegen der umfassenden Reform wurde das Gesetz als "die herausragende gesellschaftliche Konsequenz der Contergan-Katastrophe" bezeichnet.

Offensichtlich waren die Konsequenzen aus weiteren Arzneimittelzwischenfällen, (wie der Verseuchung von Blutprodukten mit HI-Viren 1995) nicht weitreichend genug. Der Blick auf Länder, in denen Thalidomid ohne weitere Aufklärung rezeptfrei verkauft wird, darf nicht die Unzulänglichkeiten des eigenen Systems kaschieren. Solange sich nach wie vor Arzneimittelkatastrophen ereignen, ist der Gesetzgeber aufgefordert, die Arzneimittelsicherheit zu verbessern. Beate Kirk kommt das Verdienst zu, diesen zeitlosen Appell in Erinnerung gerufen und im Rückblick auf die Contergan-Katastrophe bekräftigt zu haben.

HEIKO AHLBRECHT

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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